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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

berichte → jahresbericht 1995
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Jahresbericht des vorsitzers für 1995

Schweiz
Generalversammlung
Publikationsorgan "Rechtschreibung"
Übrigens . . . Das bild des jahres, Das zitat des jahres

Der für 1995 angekündigte neue duden ist noch nicht erschienen; nach einem brüsken stopp im letzten moment ist er nun für den kommenden sommer zu erwarten.

Die unerwartete verzögerung kam aus München, wo kultusminister Zehetmair zwar am Salvatorplatz residiert, aber eben nicht als erlöser auftrat, sondern als racheengel. Man hatte — nach positiven signalen aller kultusminister — angenommen, dass der reformvorschlag genug gestutzt war, um von der kultusministerkonferenz genehmigt zu werden. Das unberechenbare und unprofessionelle vorgehen Zehetmairs stiess nicht einmal bei der nicht besonders reformfreundlichen deutschen presse überall auf gegenliebe. Nebst "nachbesserungen" (vor allem bei den fremdwörtern) verlangte er, dass die reformfrage auch den ministerpräsidenten der bundesländer und sogar bundeskanzler Kohl vorgelegt werde. Diese jeder rechtssicherheit hohnsprechende politik wurde mit der nötigen breiteren und gründlicheren diskussion begründet — und wohl mit dem unausgesprochenen motto: "Wenn man schon einmal das pech hat, dass die wissenschaft geschlossen für etwas ist, muss sich doch irgend jemand finden lassen, der dagegen ist." Die gründlichkeit erstreckte sich jedenfalls nicht auf den BVR, dessen ausführliche argumentation samt angebot, nach München zu fahren, mit einem nichtssagenden formbrief beantwortet wurde.

Die episode lässt an einen baumeister denken, der nach fertiggestelltem innenausbau merkt, dass das fundament nicht trägt. Nun ist das fundament tatsächlich ein problem. Das wurde im letzten jahresbericht eingehend dargelegt, und die erkenntnis gipfelt in der drohung deutscher juristen, die reform vor dem verfassungsgericht anzufechten. Daneben muss man wohl, ohne einen bestimmten parteipolitischen standpunkt einnehmen zu wollen, feststellen, dass in Deutschland im moment mit der schwäche der SPD und dem niedergang der FDP eine ungünstige politische wetterlage herrscht.

Der BVR hat im berichtsjahr eher zurückhaltung geübt. Das hat einerseits "technische" gründe in den begrenzten ressourcen des BVR und den grossen schwierigkeiten, sich überhaupt in der öffentlichkeit bemerkbar zu machen. Anderseits müssen wir uns folgendes vor augen halten: Der zweck des BVR — einer vereinigung von laien — ist es, anstösse zu geben und die diskussion in gang zu bringen. Das hat er mit erfolg getan; die verwirklichung ist nicht sache von vereinen, sondern von fachleuten und politikern. Was sie — hauptsächlich die letzteren — daraus gemacht haben, ist nicht unser vorschlag. Innerhalb des BVR macht sich verständlicher unmut bemerkbar. Diesen haben wir bei passender gelegenheit artikuliert; mehr können wir im moment nicht tun. In der politik kommt es immer wieder vor, dass man mit dem ausmass eines reformschritts nicht zufrieden ist. (Um so mehr, als die rechtlichen voraussetzungen, wie erwähnt, ungünstig sind.) Es hilft aber niemandem, wenn man das erreichte gefährdet. Es wurde zwar wenig erreicht, aber es ist mehr als irgendwann in der geschichte des BVR, und die alternative wäre wieder ein totaler stillstand. Wenn ein auto im morast steckenzubleiben droht, ist behutsames gasgeben gefragt, und man muss auch einmal den rückwärtsgang einlegen.

In der Schweiz konnte die arbeitsgruppe rechtschreibreform der konferenz der kantonalen erziehungsdirektoren unter dem vorsitz von prof. H. Sitta, Zürich, nach erfüllung ihres auftrags offiziell aufgelöst werden. Letzte amtshandlung war eine fachveranstaltung rechtschreibreform für unterrichtsverantwortliche am 9. märz in Zürich, wo sich vertreter aller deutschsprachigen kantone informieren konnten.

Prof. H. Sitta veranstaltete an der universität Zürich im sommersemester einmal mehr ein seminar zum tema rechtschreibreform, an dem sich der schreibende aktiv beteiligte.

Die turbulenzen in Deutschland führten zu einer flut von medienberichten im ganzen deutschen sprachraum. Ihre beobachtung und archivierung nahm recht viel zeit in anspruch.

Unser mitglied Silvio Willi hat ein recht umfangreiches büchlein "Geschichte und geschichten um den arlesheimer Dorfplatz-brunnen" grossenteils in substantivkleinschreibung herausgegeben.

BVR

Die generalversammlung wurde am 11. februar in Winterthur durchgeführt. Der vorstand traf sich im dezember. Unter anderem durch eine gesundheitlich bedingte abwesenheit eines vorstandsmitglieds kamen die geschäfte leider etwas in verzug. Neuer kassier ist René Schild, nachdem die kasse interimsweise noch ein jahr von frau Elisabeth Herold betreut worden ist. Das amt des geschäftsführers übernimmt Peter Anliker, der nun vor allem die mitgliederwerbung intensivieren will.

Die jüngsten ereignisse und eine eingeschränkte werbetätigkeit hatten leider eine verminderung der mitgliederzahl auf 1142 zur folge. Im berichtsjahr waren 90 austritte zu verzeichnen. Begründet wurden sie in einigen fällen positiv mit dem abschluss des reformschritts, weit häufiger aber negativ mit unzufriedenheit. Zum beispiel: "Da ich nicht mehr daran glaube, dass in den nächsten jahrzehnten eine wirkliche rechtschreibreform stattfinden wird, trete ich aus." Das muss sich nicht unbedingt direkt gegen den BVR richten, wie das folgende zitat zeigt: "Ich will Sie keineswegs daran hindern, die Kleinschreibung weiterhin zu propagieren und dieses Fernziel hartnäckig zu verfolgen, aber ich sehe keinen Sinn mehr darin, hier mitzumachen."

Das publikationsorgan Rechtschreibung erschien unter der schriftleitung von René Schild dreimal im umfang von insgesamt 32 seiten. In der nummer 165 wurde die abschlusserklärung der 3. wiener gespräche zur neuregelung der deutschen rechtschreibung abgedruckt. Die regeln selbst finden sich in der nummer 166 unter dem titel "Die 'neue deutsche rechtschreibung' oder was der berg geboren hat". Die probleme in Deutschland werden in nummer 167 anhand von presseauszügen dargestellt. Abgedruckt wurde hier — und leider nur hier — eine stellungnahme des vorsitzers. Im weiteren äussert sich Guido Appius zur frage der weiblichen formen in der geschriebenen sprache.

Zum schluss danke ich allen, die sich nicht unterkriegen lassen und dem BVR weiter die treue halten. Ich rufe Sie auf, sich nicht in den schmollwinkel zurückzuziehen, sondern aktiv mitzuarbeiten.

Zürich, 2. märz 1996
Der vorsitzer: Rolf Landolt


Übrigens . . .

Das bild des jahres

Eidgenossen bleiben Eidgenossen. Seid Mannhaft und Stark! Ein «bild des jahres 1995» – zum glück nicht zum tema rechtschreibung. So schlimm ist es ja nicht herausgekommen, dass man alle eigenschaftswörter (Mannhaft, Stark) gross schreibt!

Das zitat des jahres

Hans-Dieter Vontobel, verwaltungsrats­präsident, an der general­versammlung der Vontobel holding ag (Neue Zürcher Zeitung, 2. 8. 1995, s. 15)

Politisiert wird nach den kriterien der akzeptanz. Akzeptabel ist angeblich nur noch, was geringst­möglichen politischen wider­stand weckt. Richtig ist einzig noch, was das polit-marketing als mehrheits­fähig erachtet. Andere kriterien sind nicht mehr gefragt.