Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Jahresbericht des vorsitzers für 1998
Übrigens . . . Das bild des jahres, Der widerspruch des jahres, Zitate des jahres
Am 1. august trat sie offiziell für schulen und verwaltung in kraft. Vorher waren aller augen nach Karlsruhe gerichtet, wo das deutsche bundesverfassungsgericht am 12. mai über die verfassungsmässigkeit der rechtschreibreform verhandelte und am 14. juli den entscheid bekanntgab. Es sieht keinen verstoss gegen grundrechte und nimmt in kauf, dass ein bundesland ausschert. Das geschah denn auch — dies der rückschlag — im september im norddeutschen bundesland Schleswig-Holstein, wo das schulgesetz per volksentscheid im sinne der wiedereinführung der alten schreibung geändert wurde. Die umsetzung des gesetzes in der «rechtschreibinsel», beispielsweise die synchrone und diachrone definition der «allgemein üblichen Rechtschreibung», gab in der folge viel zu reden, was die absurdität des ganzen — das gesetz lautet im grunde genommen: «Es gilt, was gilt» — schön vor augen führte.
In Niedersachsen scheiterte ein volksbegehren, aber der erfolg in Schleswig-Holstein ermutigte die gegner zu weiteren versuchen in Bremen, Berlin, Bayern und (anfang 1999) in Mecklenburg-Vorpommern.
Aus der sicht des BVR aufschlussreich zu beobachten sind die möglichkeiten und grenzen einer kampagne mit viel geld. Noch nie in der geschichte der rechtschreibreform war so viel geld im spiel, noch nie gab es ganzseitige zeitungsinserate. Allein zwei wortführer — Dräger und Denk — haben etwa 200 000 und 100 000 Mark investiert. Wo sind unsere sponsoren?
Auf bundesebene hat es in Deutschland bekanntlich einen machtwechsel zu rot-grün gegeben. Gemäss früher gültiger konstellation (links pro, rechts kontra) müsste das für eine rechtschreibreform positiv sein. Das ist mindestens für die gegenwärtige neuregelung nicht der fall, war es doch Schröder, der sie (damals als ministerpräsident) in Niedersachsen stoppte. Anderseits hat die reform wohl gerade davon profitiert, dass die früheren feindbilder nicht galten.
Der deutsche bundestag forderte ende märz die bundesregierung auf, die neuen schreibweisen bei den bundesbehörden vorerst auszusetzen. Was als fanal gedacht war, verpuffte ohne die beabsichtigte wirkung in der öffentlichkeit und sogar beim adressaten: Ende januar 1999 beschloss die bundesregierung, die neue rechtschreibung ab 1. august 1999 in der amtssprache aller deutschen bundesbehörden anzuwenden.
Dafür sah in der Schweiz nationalrat Rudolf Keller, Schweizer Demokraten, Basel-Landschaft, «sofortigen Handlungsbedarf». In einer resolution forderte er die erziehungsdirektorenkonferenz und die nationalrätliche kommission für wissenschaft, bildung und kultur auf, die einführung der reform an schweizer schulen gemäss einem bereits vorliegenden mehrheitsbeschluss des parlaments Basel-Land zu stoppen. Am 24. juni verwarf der nationalrat (grosse kammer) Kellers einzelinitiative für den abbruch der rechtschreibreform deutlich.
Auf den 4. januar 1999 stellten die verwaltung des kantons Zürich sowie der Tages-Anzeiger und die Sonntags-Zeitung (aus gleichem haus) auf die neue rechtschreibung um. Soweit wir feststellen konnten, nahm die öffentlichkeit davon keine notiz.
Im übrigen war die beobachtung der medien in anbetracht der ereignisse einmal mehr mit einigem aufwand verbunden. Zum glück kann nun kurzfristig im internet darauf hingewiesen werden, so dass den mitgliedern nichts mehr im weg steht, wenn sie einmal einen leserbrief verfassen wollen. Reaktionen des schreibenden landeten auch dort und leider weniger in den spalten der zeitungen. So etwa eine stellungnahme zu einem umfangreichen, aber unausgegorenen «diskussionsbeitrag» in der Neuen Zürcher Zeitung im april.
Für eine verbreitung einer neuregelung ist es heutzutage sehr wichtig, dass die computerprogramme für die rechtschreibkontrolle rechtzeitig und korrekt entwickelt werden. Im falle des bedeutendsten herstellers, Microsoft, trifft dies nur teilweise zu. Ein versuch einer weiteren abklärung hatte leider bisher keinen erfolg. Weiter ist die bundesverwaltung, aber genaueres ist noch nicht bekannt. Für uns wäre es interessant zu wissen, ob es eine realistische möglichkeit gibt, eine version nach den regeln des BVR zu erstellen.
BVR
Die generalversammlung fand am 7. märz in Zürich statt. Der vorstand traf sich im januar 1999 in Bern.
Zwei neue faltblätter wurden geschaffen: eines unter dem motto «Wir sind das volk» mit allen angaben zum BVR und eines mit einem bezug zu den schlechten lese- und schreibefähigkeiten von schulabgängern mit der überschrift «Wenn menschen mit einer sache probleme haben, kann es auch an der sache liegen».
Nach früheren gehversuchen ist nun seit dem oktober die präsenz des BVR im internet produktiv, und zwar unter dem url
www.sprache.org
Zu erreichen sind wir über die elektronische post unter bvr@sprache.org.
Der url (uniform resource locator, internetadresse) wurde bewusst kurz und allgemeingültig gewählt (org = organisation), um den zugang zu erleichtern und uns alle möglichkeiten der zusammenarbeit und werbung offen zu halten.
Für eine organisation mit dem zweck der öffentlichkeitsarbeit und dem wunsch, auch im ausland irgendwie präsent zu sein, ist ein internetangebot heutzutage ein muss und eine zusätzliche chance, um so mehr, als gerade auch die gegner in Deutschland im internet sehr aktiv sind. Es ist ideal für aktuelle und umfangreiche informationen und damit eine ergänzung zu einem gedruckten mitteilungsblatt. Es ist sogar praktisch unentbehrlich, denn sehr oft ist es die einzige möglichkeit, innert nützlicher frist und im gewünschten umfang (von einer zeile bis zu mehreren seiten) öffentlich auf medienberichte zu reagieren. Das gilt schon für die Schweiz, noch viel mehr aber für Deutschland und Österreich. Natürlich muss sich unser angebot erst einmal etablieren, aber erste reaktionen, auch aus Deutschland, sind bereits eingegangen.
Da wir über reichlich platz und einen guten url verfügen, können wir allen, die sich mit der ortografie befassen, eine publikationsmöglichkeit anbieten. Das gilt für mitglieder des BVR, schulklassen, wissenschafter usw. Es besteht auch die möglichkeit, allen mitgliedern eine persönliche «homepage» mit einem url nach dem muster www.sprache.org/landolt anzubieten, was man in der mitgliederwerbung als echten gegenwert für den jahresbeitrag herausstreichen könnte.
Unser angebot muss noch ausgebaut werden, aber es kann sicher bereits sehen lassen. Ein problem ist, dass es bisher ein einmannbetrieb ist. Das ist die Rechtschreibung wohl auch, aber hier ist das betriebliche risiko grösser. Wünschenswert ist eine zusammenarbeit mit anderen reformvereinen. Mit der Österreichischen gesellschaft für sprache und schreibung sind wir in kontakt, während im sehr wichtigen «markt» Deutschland keine lösung in sicht ist. In betracht kommt auch eine «vernunftehe» mit dem Schweizerischen Verein für die deutsche Sprache (SVDS).
Wichtig ist, dass das internetangebot mit verschiedenen werbemassnahmen bekannt gemacht wird, wobei wir umgekehrt in der werbung, z. b. einem inserat, dank dem hinweis auf das internet mit wenig information auskommen.
Die Rechtschreibung erschien im berichtszeitraum unter der leitung von René Schild dreimal. Nummer 175 berichtete über die verhandlungen im deutschen bundestag, nummer 176 vom november befasste sich mit kleinschreibung in der mundart und zog parallelen zum dänischen sprachgebiet; schliesslich wurde in nummer 177 an Fritz Meier erinnert.
Die mitgliederzahl betrug am 31. 12. 1998 noch 966, davon 262 «lebenslänglich» und nur noch 1 kollektiv. Am 10. juni 1998 starb an seinem 86. geburtstag der islamwissenschafter prof. Fritz Meier, Basel, ein verdientes mitglied.
Allen mitgliedern und den vorstandkollegen danke ich für ihren einsatz für die sache und rufe sie auf, nach der nun offiziell eingeführten neuregelung tatkräftig die nächste anzustreben, immer nach dem motto von Sepp Herberger: «Nach dem spiel ist vor dem spiel.»
Zürich, 6. märz 1999
Der vorsitzer: Rolf Landolt
Übrigens . . .
Das bild des jahres
«Bin übervordert»
Der widerspruch des jahres
Holsteinischer Courier (Der Courier Online), D-24531 Neumünster, 8. 1998 |
«Aufklärung tut bitter Not», sagt Peter Dietrich von der Initiative «Wir gegen die Rechtschreibreform». Inhaltlich ist an herrn Dietrichs worten nichts auszusetzen, die rechtschreibung lässt uns aber ratlos. Was will er nun? Die reform? Dafür spricht die grossschreibung von Not. Oder die alte schreibung? Dann wäre not klein geschrieben. Noch nie in der reformgeschichte waren wort und tat so weit auseinander. Tragisch! |
Zitate des jahres
Walter Steinemann in der diskussion der parlamentarische initiative Keller im nationalrat (bundesparlament), 24. 6. 1998 |
Wenn man schon eine Sprachreform durchsetzen will, dann wenigstens eine, die etwas bringt, beispielsweise die Kleinschreibung. Aber dazu hatte man nicht den Mut! |
Aus der begründung der parlamentarische initiative Keller im nationalrat (bundesparlament), 24. juni 1998, zitiert nach www.schweizer-demokraten.ch/rechtsch.htm |
Ein heilloses Wörterbuch-Chaos herrscht momentan vor, der "Duden" schreibt vieles anders als "Berthelsmann" oder das "Deutsche Wörterbuch" usw.! Dies bringt vor allem für Schulen massive zusätzliche Erschwerungen. Denn die Schülerinnen und Schüler werden für ihre sprachlichen Leistungen benotet. Was gilt dann, der "Duden", "Berthelsmann" oder …. Das zitat beweist, dass man in der Schweiz eher den duden auf dem schreibtisch hat, weniger den Bertelsmann und schon gar keinen "Berthelsmann", so dass man das problem nicht als so gravierend empfindet. |
Ständerätin Vreni Spoerry an der 1.-august-feier in Winterthur, Neue Zürcher Zeitung, 3. 8. 1998, nr. 176, s. 15 |
Neuerungen brauchen Mut und im Verbund ausgeübten Willen der Menschen. Aufbrüche zu solchem sind notwendig, wachsen aber erst in einem Gährungsprozess. Zum inhalt: Einverstanden, deshalb gibt es einen BVR. Zur form: Auch du, NZZ! Aber eine rechtschreibreform ist natürlich unnötig!? |
Von BVR-mitgliedern bei verschiedenen gelegenheiten zum ausdruck gebrachte meinung über andere reformer innerhalb und ausserhalb des BVR, gekleidet in die worte von Giovanni Trapattoni, damals trainer des fussballklubs Bayern München (märz 1998). |
Es gibt im moment in diese mannschaft, oh, einige spieler vergessen ihnen profi was sie sind. Ich lese nicht sehr viele zeitungen, aber ich habe gehört viele situationen: Wir haben nicht offensiv gespielt. In diese spiel es waren zwei, drei oder vier spieler, die waren schwach wie eine flasche leer! Diese spieler beklagen mehr als spielen! Muss respektieren die andere kollegen! Haben viel nette kollegen, stellen sie die kollegen in frage! Haben keinen mut an worten, aber ich weiss, was denken über diese spieler! Ist klar diese wörter, ist möglich verstehen, was ich hab' gesagt? Danke. Ich habe fertig. |