Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Jahresbericht des vorsitzers für 1999
Die tat der vereinsgründung bewirkte, wie wir wissen, kurzfristig nicht viel konkretes. Es ist aber auch den jahrzehntelangen bemühungen des BVR zu verdanken, dass einerseits heute überhaupt gewisse verbesserungen zu stande kamen und anderseits unsere ziele nicht aus den augen verloren werden. Rechtschreibreform ist eine langstreckendisziplin; manche kurzstreckler auf beiden seiten verabschieden sich in diesen monaten.
Im berichtszeitraum erlebten wir die endgültige etablierung der neuregelung von 1996 und eine weitgehende resignation der gegner. In Deutschland gehörten dazu heftige rückzugsgefechte sowohl auf juristischer wie auch auf politischer ebene.
Ein entscheidender schritt war am 1. august die umstellung bei den deutschsprachigen nachrichtenagenturen und damit bei den meisten zeitungen, auch bei solchen, von denen man es nicht erwartete.
Die agenturen konnten es sich allerdings nicht verkneifen, am regelwerk herumzuflicken; eine arbeitsgruppe präsentierte im februar 1999 eigene, leicht konservativere richtlinien. Wiederum etwas eigenes erfand die wochenzeitung Die Zeit.
Erwartungsgemäss reagierten einige leser entsetzt, vor allem in zeitungen, die vorher «den Neuschreib in der Luft zerfetzten». «War alles nur leeres Geschreibe?», fragte ein leser in der FAZ. Offensichtlich, denn die aufregung legte sich rasch. «Kleinlaut stellen wir fest: Es fällt kaum auf!», steht in einem kommentar der Bild-zeitung im oktober.
Die hoffnungen der reformgegner auf weitere volksentscheide nach dem vorbild der «rechtschreibinsel» Schleswig-Holstein zerschlugen sich. Entsprechende bemühungen in Berlin und Bremen scheiterten im juli 1999 bzw. im märz 2000. Schliesslich gab Schleswig-Holstein seinen sonderweg auf; seit november unterrichten die schulen in Schleswig-Holstein wieder nach der neuen regelung.
In der Schweiz schlug das ganze keine grossen wellen, und die vorgänge in Deutschland wurden kaum zur kenntnis genommen. So hatte der Tages-Anzeiger schon anfang 1999 umgestellt, und die NZZ hat es trotz ankündigung immer noch nicht getan, was aber nicht auffällt. Unter den nicht allzu zahlreichen presseartikeln hat uns das editorial des touring (Touring-club) in kleinschreibung besonders gut gefallen.
BVR
Die generalversammlung fand bei leider schwacher beteiligung am 6. märz in Zürich statt. Ebenfalls in Zürich traf sich der vorstand ende september 1999.
Die regeln der eigennamengrossschreibung (= substantivkleinschreibung, gemässigte kleinschreibung), die 1973 gemäss dem «kleinen ziel» detailliert ausgearbeitet worden waren, wurden überarbeitet. Dies war nicht zuletzt im lichte der diskussionen um das offizielle regelwerk von 1996 nötig. Änderungen und vervollständigungen drängten sich vor allem bei den mehrteiligen namen und bei den abkürzungen auf; nach wie vor gibt es differenzen zum offiziellen regelwerk. Wir rufen alle reformfreunde auf, unsere regeln auszuprobieren und die kleinschreibung in der praxis anzuwenden. Die freiheitsbereiche in sachen rechtschreibnorm sind uns ja im rahmen der debatte um die 1996er regelung von den reformgegnern vor augen geführt worden — nutzen wir sie in konstruktiver weise aus!
Als neues werbemittel können wir haftzettel anbieten. Sie sind eine ideale möglichkeit, «beiläufig» auf unser ziel aufmerksam zu machen.
Nach der generalversammlung und im september wurde via originaltext-service der agenturen pressemitteilungen versandt.
Unser internetauftritt unter www.sprache.org hat sein erstes jahr hinter sich. Er ist bescheiden, aber es sind doch schon ein paar megabyte zusammengekommen. Geboten werden unter anderem eine chronik, ein kommentierter pressespiegel, eine glossierung bemerkenswerter falschschreibungen in presse und internet sowie natürlich die neuen regeln der eigennamengrossschreibung. Da der vorsitzer auch als redaktor, grafiker und webmaster amtet, war eine gewisse konzentration der kräfte nicht zu vermeiden. Immerhin konnte das material durchschnittlich alle 4 tage aktualisiert werden.
Unser mitteilungsorgan Rechtschreibung erschien seit dem letzten bericht unter der leitung von René Schild dreimal. Die nummer 178 enthält ein typisches austrittsschreiben, einen artikel über das ß aus der Welt sowie einen leserbrief aus dem Bund. In nummer 179 finden sich stellungnahmen zur umstellung in der presse und ein hinweis auf 200 jahre druckerei Stämpfli. In nummer 180 wurden glossen von Peter Bichsel und Wolf Schneider abgedruckt; Arne Hamburger fordert «F statt ph, r statt rh und t statt th», und der schriftleiter klagt über die tarifpolitik der post.
Im abgelaufenen jahr starben folgende mitglieder: Paul Lüdi, Unterseen (mitglied seit 1961), Arthur Schmon, Mels (1964), Fritz Feller, Rohrbach (1967), Jürg Eckert, Basel (1968), Albert Studer, Luzern (1976), Thomas Perrez, Basel (1978, vorstandsmitglied), Christian Bühler, Rüfenacht (1979), Heinrich Müller, Spiez (1986), Emil Appius, Berneck (1995).
Der mitgliederbestand beträgt nun noch 859, davon 259 «lebenslänglich». Nebst der notwendigkeit vermehrter mitgliederwerbung haben wir das problem, den vorstand ergänzen zu müssen. René Schild (kassier) und Guido Appius haben ihren rücktritt angekündigt.
Allen mitgliedern und den vorstandkollegen danke ich für ihren einsatz für die sache.
Zürich, 25. märz 2000
Der vorsitzer: Rolf Landolt