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Die Verantwortung für die Schrift

autor
titel
Die Verantwortung für die Schrift.
untertitel
Sechzig Jahre Bemühungen um eine Rechtschreibreform.
reihe
Duden-Beiträge zu Fragen der Rechtschreibung, der Grammatik und des Stils
band
18
auflage
1
herausgeber
dudenredaktion unter der leitung von Paul Grebe
verlag
Bibliographisches Institut, Duden-verlag
ort
Mannheim
datum
umfang, ausstattung
broschiert, 177 s.

Inhaltsverzeichnis

Zur Dokumentation VII
Vorwort VIII
Der Streit um die deutsche Rechtschreibung nach 1901 1
Die Zeit von 1901 bis 1914
1
Die Zwischenkriegszeit
2
Die Anstöße nach 1945
5
Der Wirkraum der Schrift 19
1. Schrift ist etwas anderes als Sprache
20
2. Sprache ist primär, Schrift ist sekundär
20
3. Die optische Ausweitung der lautlichen Sprachzeichen
20
4. Die Verschriftung einer Sprache
22
5. Das Wesen einer Schriftsprache
23
6. Die Lebensprozesse der objektivierten Gebilde
27
7. Die Probleme der Rechtschreibung
31
Rechtschreibreform zwischen Gefühlswallung und Verantwortung 40
Vier Hauptrichtungen der Forderungen von 1946
41
Innere Gründe des Zurücksteckens
44
Die Reaktionen
45
Die Stuttgarter Vorschläge von 1954
46
Unerfreuliche Begleitmusik
48
Die Weitwoche und Thomas Mann
50
Die Dichter und die Traditionswerte der Schrift
56
Die Wende von 1958: Die Wiesbadener Empfehlungen
62
Das Mitwirken der Behörden
62
Die Mitte zwischen Beharrung und Entwicklung
63
Das veränderte Klima
64
Begegnungen mit Dichtern
65
Tradition als lebendige Überlieferung
66
R. A. Schröder und die Klei-node
67
Die Verantwortung der öffentlichen Körperschaften
69
Schöne Künste und Rechtschreibung
69
Noch weitherziger als die Reformer
73
Nachhutgefechte
86
Pressefeldzug mit drei Kurzschlüssen
87
Die Wörter mit den Perücken
101
Die offiziellen Gutachten
109
Zwischen ja und nein
110
Die konservative Linie
114
Hat sich die Rechtschreibreform festgerannt? 118
Die verantwortliche Fortsetzung
120
Änderung der Großschreibregeln als gemeinsame Forderung
121
Die Plattform für koordinierende Gespräche
128
Das geltende Schema der Groß- und Kleinschreibung
129
Das Gemeinsame hinter den Formulierungen
137
Wichtige Einmütigkeit in der Schulfrage: Die Großschreibung gehört nicht in die ersten Schuljahre
139
Die Fragwürdigkeit des Hauptwortbegriffs
141
Die Ganzheit der Argumente
142
Das grammatische Problem des „Hauptwortes“
143
Die Sekund der Perücken
146
Traditionswerte der Großschreibung
150
Die Praxis der Großschreibung
152
Das pädagogische Problem
153
Die wirtschaftlichen Probleme einer Reform
156
Die Verantwortung des Abwägens: Werte und Kaufpreise
161
Der Umgang mit den objektivierten Gebilden
166
Rechtschreibreform zwischen Versteinerung und Revolution
172

Vorwort

Wer längere Zeit hindurch Erörterungen über die Schrift und ins­besondere über die Rechtschreibung verfolgt hat, behält zwei Tatsachen besonders deutlich in Erinnerung. Einmal, wie billig sich weithin die Teilnehmer — bis in geistig führende Kreise hinein — das Mitreden machen, als ob es mit möglichst kräftigem Vorbringen persönlicher Impressionen und Einfälle getan wäre. Und damit hängt ein zweites zusammen: wie locker die Urteile sitzen, mit denen selbst grund­anständige Leute anders­artige Meinungen bedenken, als ob hier die Spielregeln des persönlichen Verkehrs nicht ganz so ernst zu nehmen seien. Der Soziologe wird für beides die Quelle aufzeigen können; es handelt sich um einen Ausschnitt aus den Lebens­prozessen sozialer Objektiv­gebilde, zu deren Eigen­arten auch eine solche ent­hemmende Wirkung gehört. Das berechtigt uns aber nicht, diese Formen als un­abänderlich hinzunehmen. Im Gegenteil: es zeigt sich die Aufgabe, impulsive Beiträge in ver­antwortliche Mitarbeit voran­zuführen. Dieser Schritt muß getan werden, wenn wir zu einem sach­gemäßen Umgehen mit objektivierten Formen menschlichen Geistes gelangen sollen. Ausweiten des Blickes und Einengen des Gefühls sind die Merkmale ver­antwortlichen Handelns im Bereich der Schrift. Beides steht auch hinter den Über­legungen dieser Untersuchung. Sie hat demgemäß keine polemische, sondern eine systematische Absicht, sie will das Ineinander greifen der Bedingungen einzelner Prozesse aufweisen, einmal um diese geschichtlichen Tatsachen selbst verständlich zu machen, sodann aber um aus ihrem Ablauf insgesamt Hinweise für den Umgang mit objektivier­ten Gebilden zu gewinnen. Das verstärkt den selbst­verständlichen Grundsatz, auch dort, wo heutiges Tages­geschehen einbezogen werden muß, niemandem persönlich nahe­zutreten. Ander­seits darf man aber auch die Atmo­sphäre nicht ganz neutralisieren, zumal ein jeder den Ton am besten verstehen wird, den das Objektiv­gebilde ihm selbst am nächsten legt. Dabei gibt sich der Verfasser keiner Täuschung darüber hin, daß auch ein dem Nachdenken über die Lebens­bedingungen, Werte und Notwendig­keiten der Mutter­sprache gewidmetes Forscher­leben nicht immer vor unange­messenen Formen des Urteils schützt. Aber das kann kein Grund sein, der mit der fach­wissenschaft­lichen Zuständigkeit verbundenen Ver­antwortung auszuweichen. Der augen­blickliche Stand der Rechtschreib­diskussion im deutschen Sprachraum kann ohne eine solche Vertiefung nicht über­wunden werden.

25. Februar 1964, Leo Weisgerber