Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
I 059/2004 ERZ | 5. Mai 2004 48C |
1310 | Stalder, Bern (FDP) | |
Weitere Unterschriften: 0 | Eingereicht am: 16.02.2004 |
Fehlkonzept deutscher Rechtschreibreform — wie weiter?
Die Rechtschreibreform im deutschen Sprachraum hat ihren Ursprung in den 80er-Jahren, als ein sprachlicher Alleingang der damaligen DDR befürchtet wurde. Die 1987 durch die Kultusminister der deutschen Bundesländer eingesetzte, auch durch schweizerische Vertreter ergänzte "Kommission für Rechtschreibfragen" lieferte ihre Arbeit 1994 ab. Am 1. Juli 1996 wurde das neue Regelwerk für verbindlich erklärt, wobei die bisherigen Regeln noch bis Mitte 2005 als korrekt anerkannt bleiben sollten.
Bis heute hat sich die Rechtschreibreform nicht durchgesetzt, sie weist zu viele Schwächen und Fehler auf und widerspricht dem über Generationen gewachsenen Sprachverständnis.
Wesentliche Mängel sind insbesondere in folgenden Bereichen offensichtlich:
- Getrennt- und Zusammenschreibung
- Gross- und Kleinschreibung
- Beziehungen zwischen Lauten und Buchstaben
- Kommasetzung
Bereits 1998 erschien ein Aufruf von 600 Literatur- und Sprachwissenschaftern mit der Feststellung, dass die sogenannte Rechtschreibreform nicht dem Stand sprachwissenschaftlicher Forschung entspreche. Wichtigste Zeitungen im deutschen Sprachraum haben die neuen Regeln angepasst (z.B. NZZ) oder überhaupt aufgegeben (FAZ), ein Grossteil bedeutender Verlage, Autorinnen und Autoren ebenso. Viele Anwender haben resigniert und benutzen die neuen Regeln ohne Überzeugung, halbherzig und möglichst nicht. Das Sprachverständnis hat allgemein gelitten, weil die Regeln der Sprachwirklichkeit nicht entsprechen.
In den Schulen sind Lehrende und Lernende oft überfordert und befassen sich nur widerwillig mit dem wichtigsten sprachlichen Ausdruckmittel, der Schriftsprache.
Der Regierungsrat wird um die Beantwortung folgender Fragen gebeten:
- Teilt der Regierungsrat die Auffassung, dass sich die Rechtschreibreform bisher im deutschen Sprachraum, und insbesondere auch im Kanton Bern, nicht durchgesetzt hat?
- Kann die Reform rückgängig gemacht werden, und welche Möglichkeiten stünden dem Kanton Bern hierfür zur Verfügung?
- Ist der Kanton Bern bereit, über die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) Einfluss zu nehmen, dass die Reform rückgängig gemacht oder doch nochmals grundlegend überarbeitet wird?
- Welche Freiheiten in der Anwendung der Rechtschreibreform haben die Deutschweizer Kantone, falls die Reform nicht rückgängig gemacht wird?
Antwort des Regierungsrates
Die neue Rechtschreibung wurde in jahrelanger Kleinarbeit von Vertreterinnen und Vertretern der deutschsprachigen Staaten gemeinsam erarbeitet und auf den 1.8.1998 in Kraft gesetzt. Gestützt auf eine Empfehlung der schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren hat der Kanton Bern die neuen Regeln in den Schulen auf Beginn des Schuljahres 1998/99 eingeführt. Die Schulen waren seit 1996 laufend über die Neuerungen orientiert worden. Bei der Einführung der Reform standen entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung. Seit mehreren Jahren werden alle Lehrmittel nach den neuen Rechtschreibregeln abgefasst.
Ebenfalls auf den 1. August 1998 hat der Regierungsrat mit RRB 0222/98 vom 28. Januar 1998 die Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung im amtlichen Sprachgebrauch der Verwaltung und der Rechtsetzung des Kantons Bern beschlossen. Es ist zu beachten, dass neben der EDK auch die Bundeskanzlei und die Staatsschreiberkonferenz massgeblich an den Beschlüssen im Zusammenhang mit der neuen deutschen Rechtschreibung beteilig waren.
Die Rechtschreibreform ist ein Kompromiss: Manche hätten mehr, andere weniger ändern wollen. Die Rechtschreibregeln wurden mit der Reform in manchen Bereichen vereinfacht.
Diese Vereinfachung kommt vor allem den Kindern zugute, die die schwierige deutsche Rechtschreibung in der Schule lernen müssen.
Zu den Fragen der Interpellation äussert sich der Regierungsrat wie folgt:
- Der Regierungsrat teilt die Auffassung des Interpellanten nicht, dass sich die Rechtschreibreform im deutschen Sprachraum und insbesondere im Kanton Bern nicht durchgesetzt habe. Der Prozess der Umstellung auf die neue Rechtschreibung ist bereits weit fortgeschritten. Die neue Rechtschreibung ist insbesondere in Schriftstücken der Verwaltung, in Dokumenten für die Schulen und in den Produkten der Schweizer Presse weitgehend umgesetzt. Die Reform wurde von den Schulen gut aufgenommen und ohne nennenswerte Widerstände und Schwierigkeiten realisiert. Im Übrigen hat die Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung, in der u.a. auch die Bundeskanzlei vertreten ist, Ende 2003 einen Bericht verfasst, in dem sie zur Überzeugung gelangte, dass die wesentlichen Neuerungen des amtlichen Regelwerks von 1996 unverändert bleiben sollten. Die EDK hatte zuvor Sprachwissenschaftler, Bildungs- und Verwaltungsfachleute, Lehrkräfte aller Stufen, Korrektoren, Mitglieder von Verbänden zur Sprachpflege und Presseagenturen zu einer Anhörung eingeladen, um über die Vorschläge der zwischenstaatlichen Kommission zu diskutieren.
- Theoretisch könnte die Reform im Kanton Bern rückgängig gemacht werden. Angesichts der weit fortgeschrittenen Umsetzung in Verwaltung und Schulen würde dies jedoch zu unnötiger Verwirrung und zu einem grossen Aufwand führen, müssten doch unter anderem die Unterrichtsmittel (Lehrbücher, Wörterbücher usw.) wieder angepasst werden. Ein Alleingang des Kantons Bern kommt für den Regierungsrat nicht in Frage; die Rechtschreibung muss für den gesamten deutschen Sprachraum einheitlich sein.
- Der Regierungsrat des Kantons Bern lehnt es ab, bei der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren vorstellig zu werden, um die Rechtschreibreform rückgängig zu machen. Sollten die zuständigen Verhandlungspartner der deutschsprachigen Staaten jedoch zu einzelnen Punkten Korrekturen der bestehenden Regeln beschliessen, so wird auch der Kanton Bern diese übernehmen.
- Die Rechtschreibreform ist für die Schulen und die öffentlichen Verwaltungen verbindlich; Privatpersonen sind in der Anwendung frei.
An den Grossen Rat
original (pdf, www.gr.be.ch)
original französisch: Réforme de l’orthographe allemande (pdf)