Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Diverse fundsachen
Heißt es nun Sankt Ägidienkirche oder Sankt Aegidienkirche?
Sankt-Ägidien-kirche (bzw. Sankt-Ägidien-Kirche bei substantivgrossschreibung) oder Ägidienkirche.
Ein blick hinter die fassade einer zeitung, in den quellkode der internetseite, dort, wo auch bei einer zeitung die gewöhnlichen menschen arbeiten.
60 Prozent lehnen die Neuschreibung "Flussschiffahrt" ab.
Das müsste eigentlich von 100 prozent abgelehnt werden.
Vierjahretief, 4-Jahre-Tief oder (teoretisch) Vier-Jahre-Tief, dagegen Jahrestief (mit s als singularflexion).
Klarheit dank neuregelung.
Später überrest der früheren st-trennung.
Im Paragrafen 25 heißt es: "Für das scharfe (stimmlose) (s) nach langem Vokal oder Diphtong schreibt man ß, wenn im Wortstamm kein weiterer Konsonant folgt."
Überrest der früheren ck- und fremdworttrennung.
Georg-Büchner-Preis oder Georgbüchnerpreis.
Überrest der früheren st-trennung.
Wie werden die neuen Reschtschreibe-Regeln in der Bevölkerung akzeptiert?
Nachwehen der alten trennregeln in einer nach den neuen regeln erscheinenden publikation.
Graf-Zeppelin-Haus, Grafzeppelinhaus oder in eigennamengrossschreibung (nebst letzterem) Graf-Zeppelin-haus.
Zu-cker oder zuc-ker – das war lange zeit die frage. Man hat sich für ersteres entschieden.
Man befrage zwei oder drei konkurrierende Nachschlagewerke und staune, wie sie einander widersprechen. Der Duden zum Beispiel lässt nur Pro-blem zu, der "Wortprofi" aus dem Oldenbourg-Verlag gestattet beide Versionen.
Man staune:
In der tat, da ist irgendwo eine substantivierung.
Leserechtschreibschwäche oder Lese-Rechtschreib-Schwäche.
«Die Nachrichtenagenturen werden Fremdwörter aus lebenden Sprachen nicht eindeutschen.» So war es nicht gemeint, aber man sieht, wohin es führt.
Das Regelwerk erlaubt verwirrender Weise oft mehrere Schreibweisen, und das merkt man, wenn man die einzelnen Lernprogramme vergleicht: Hier ist der 18-Jährige richtig, da der 18-jährige, dort der Achtzehnjährige.
Aber nicht immer ist das regelwerk an der verwirrung schuld. Das adverb verwirrenderweise kommt zwar im amtlichen regelwerk nicht vor, aber an dieser stelle kann ohne präposition kein substantiv stehen. Also gemäss regel: «bekannterweise, aber in bekannter Weise § 39(1), § 39 E2(1)». An der 18-Jährige lässt das regelwerk keinen zweifel; dass man daneben eine zahl auch als wort schreiben kann, versteht sich wohl von selbst. (Übrigens ist die agenturregel, wonach zahlen bis 12 als wort und höhere in ziffern zu schreiben sind, ein griff in die typografische mottenkiste – also auch nicht sache der ortografie – und ohne berücksichtigung der textsorte auch als praxistipp nicht brauchbar.)
Die neue Rechtschreibung stiftet selbst beim Bier trinken Verwirrung.
Die verwirrung ist so gross, dass sie sich sich auf die durch die reform nicht berührte substantivierung erstreckt.
OTS044 5 II 0333 EUN001 07.Sep 99
Intern./Bildung/Medien ***OTS-PRESSEAUSSENDUNG***
Zürich (ots) Als "unternehmen, das vor zwanzig, dreissig jahren entstand" bezeichnete kürzlich die "FAZ" in einem Kommentar auf Seite eins die Rechtschreibreform. Nicht zwanzig oder dreissig jahre, sondern fünfundsiebzig jahre alt ist der schweizerische Bund für vereinfachte Rechtschreibung (BVR).
An der gründungsversammlung am 7. September 1924 kam man nach jahrzehntelangen Diskussionen gemäss Protokoll zum Schluss: "Wir haben genug der worte und entschliessen uns zur tat". Man wollte "auf vielen, auch neuen wegen die Rechtschreibefrage lösen" und die favorisierte Schreibung in der Praxis anwenden.
Was zu favorisieren war, war keine Frage: die Eigennamengrossschreibung (substantivkleinschreibung). Das war ein "minimalprogramm", von dem man sich sagte, dass es sofort und im Notfall in der Schweiz allein durchgeführt werden könne. Später wurde es um die Abschaffung von th, ph und rh ergänzt; 1946 wurde ein umfassender Vorschlag als "grosses Ziel" präsentiert.
Die Eigennamengrossschreibung entspricht dem früheren Brauch und ist in der praxis erprobt. Dank optimaler verwendung des Grossbuchstabens ist sie ideal für den Leser und bringt dem Schreiber - da sie nicht auf grammatikwissen basiert - die erhoffte Erleichterung. In der öffentlichkeit stösst sie gemäss Umfragen auf eine höhere Akzeptanz als andere Vorschläge.
Wichtig ist die Zusammenarbeit mit reformvereinen in Deutschland, Österreich und sogar im niederländischen und im englischen sprachgebiet, etwa mit dem ferein für fereinfachte Rechtschreibung (gegründet 1876), dem rechtschreibbund (1929), der aktion Kleinschreibung (1972) sowie der Österreichischen gesellschaft für Sprache und Schreibung (1955). Aktiv ist leider nur noch letztere; in Deutschland schaffen es im Moment nur die ablehnenden kräfte, sich lautstark zu organisieren, was den falschen Eindruck einer Frontstellung zwischen "Obrigkeit" und Volk ergibt.
Die Neuregelung von 1996 zeigt, dass reformen möglich sind. Der BVR ruft alle konstruktiven Kräfte auf, die nächste Reform in Angriff zu nehmen.
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Der BVR als opfer. Für Österreich wurde die pressemitteilung vom originaltextservice der Schweizerischen depeschenagentur in BVR-schreibweise akzeptiert, aber anscheinend im sinne der geltenden ortografie geflickt - wohl um zu beweisen, dass man die heutige grossschreibung nicht beherrschen kann. Die deutschen waren ehrlicher; sie verlangten eine fassung nach duden - alt oder neu.
Dietrich Klose, Cheflektor im Reclam Verlag, Ditzingen: "[…] Wer mit klassischer Literatur umgeht, weiß, wie leicht es zu Sinneinbußen und Verfälschungen kommt. Ich sehe das höchst problematisch. […] Aber ein Teil der Titel wird noch in diesem Jahr auf den aktuellen Stand gebracht. Im Schulbuchbereich trifft das etwa auf die Lektüre der Mittelstufe zu, zum Beispiel für einen Kleist-Text wie 'Kleider machen Leute'."
Wie leicht kommt es zu verfälschungen: "Kleider machen Leute" ist von Gottfried Keller.
Gegen die Reform hatte sich der Schauspieler Manfred Klug in einem TV-Spot stark gemacht.
Nein, klug war das nicht, herr Krug!
"Im Interesse der Kinder wollen wir die neue Lage aktzeptieren", zeigt sich Rühe pragmatisch.
Fremdwörter sind vor und nach der neuregelung schwierig: akzeptieren.
Hat die recht(s)schreibreform doch etwas mit links und rechts zu tun?
Jetzt gibt es die eindeutschende variante Jogurt, aber nur das fehlende h ist neu.
Nicht nur die hochbegabten kinder kämpfen gelegentlich mit der rechtschreibung, sondern auch das St. Galler Tagblatt: Algorithmus.
Rohheit statt Roheit? Nein!