Schreibregeln sind keineswegs heilig, sondern unterliegen wie alle sprachlichen Phänomene dem Wandel. Wie schnell man sich an zuvor Unvorstellbares gewöhnt, ist fünf Jahre nach dem Mauerfall und ein Jahr nach der Umstellung der Postleitzahlen jedem klar. Wir hätten auch die totale Kleinschreibung überlebt. […] Die Experten wollten halt niemandem weh tun, die Gebildeten nicht verprellen und auch die nicht völlig enttäuschen, die angesichts zunehmender Schwierigkeiten von Schülern mit der Rechtschreibung für eine radikale Vereinfachung plädierten.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
nachgeführt
,
2023-11-04
Aus presse und internet
28. 12. 1994
3. 12. 1994
Bisher gehörte es zum Unterricht, die gewohnte Rechtschreibung zu lehren; die Schüler konnten mit Aufmerksamkeit und Fleiß bis auf den heutigen Tag die Rechtschreibung unserer Väter erlernen. Im übrigen kommen Wirtschaft, Wissenschaft, Gerichtsbarkeit und Presse mit der bisher geübten Rechtschreibung vortrefflich aus.
Einfacher wird die Rechtschreibung dadurch nicht — ganz im Gegenteil. Die Kinder müssen sich statt bisher eine nun mehr zwei Möglichkeiten der Rechtschreibung merken, und es wird immer noch unzählige Schreibweisen geben, die nicht gestattet sind.
2. 12. 1994
Erleichterungen für den Schreiber, speziell für die Schule, sind nicht zu bestreiten, denn es gibt mehr feste Regeln und weniger Ausnahmen. Allerdings ist zu befürchten, dass durch den Wegfall von Unterscheidungsmöglichkeiten und die Einführung von Kann-Regeln dem Leser nicht gedient ist.
Es handelt sich also nicht um eine große Vision besessener Sektierer, die sich des Allgemeinguts Sprache bemächtigen wollen, sondern um eine bescheidene Unfugbereinigungsaktion. So empfiehlt es sich, den Plan jetzt nicht kaputtzulachen. So bald gäbe es keinen anderen.
28. 11. 1994
So schrumpfte das allumfassend geplante Reformwerk, das Mentrup als Hauptbearbeiter und Koordinator zu verwirklichen trachtete, auf einen ortografischen Minimalkonsens — was vor allem jene bedauern, die keine Erinnerung mehr an häßliche Diktatzensuren haben. Immerhin aber ist das neue Regelwerk die erste Reform seit dem Jahre 1901, als auf der Berliner Orthographischen Konferenz die althergebrachte Thür abgeschafft und das Wörterbuch des Hersfelder Gymnasialdirektors Konrad Duden zum Wachorgan über die deutsche Sprache bestellt wurde.
1994-11-26
Der Wiener Reformkompromiss ist, wie könnte es anders sein, viel zu halbherzig ausgefallen, um den deutschsprachigen Schriftverkehr nachhaltig zu stören. Wir werden weiterhin unverzagt im dunkeln oder im Dunkeln tappen.
Umstrittenster Punkt der Reform war die Groß- und Kleinschreibung. Gegen die einstimmige Empfehlung der Kommission wird die gemäßigte Kleinschreibung […] nicht eingeführt. Vielmehr kommt die „modifizierte Großschreibung“. Zu deutsch: Noch mehr Wörter als bisher werden groß geschrieben. Die Kleinschreibung scheiterte letztlich politisch, und zwar am Widerstand einiger BRD-Länder. So bleibt das Deutsche die einzige Sprache mit Substantivgroßschreibung.
25. 11. 1994
In der österreichischen Hauptstadt ist das Regelwerk aus Anlaß der „Dritten Gespräche zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“ so weit auf den Weg gebracht worden, daß es Ende nächsten Jahres oder Anfang 1996 in Kraft gesetzt werden kann.
Das neue Regelwerk, das in Deutschland erst nach Zustimmung der Kultusminister und des Bundesinnenministeriums in Kraft treten wird, „ist unantastbar für lange Zeit“, sagte der deutsche Professor Gerhard Augst. Eine weitere Reform der Rechtschreibung würde bei den Bürgern nur Verunsicherung schaffen.
Da schweizer bürger weniger angst vor verunsicherung haben, halten wir es mit Gallmann.
4. 10. 1993
Von einer Rechtschreib-„Reform“-Kommission ist einstimmig die Kleinschreibung der Hauptwörter empfohlen worden. Diese Maßnahme soll das Deutsche anderen europäischen Sprachen angleichen. Vermutlich würde aber eine solche Reform den Schulkindern und den Ausländern das Lernen nur scheinbar erleichtern. In Wirklichkeit wären ihre Folgelasten schwer. […] Die Großschreibung der deutschen Substantive ist eine wichtige und preiswerte Lesehilfe.
28. 8. 1993
Die Vorschläge, die der Internationale Arbeitskreis für Orthographie in bezug auf die Zeichensetzung vorlegt, krempeln das bisherige Kommasetzungssystem um: Sie verwerfen heutige feste Regeln und stipulieren neue, die dann aber wieder mit einer Kann-Vorschrift relativiert werden. Solch vage Regelungen helfen nun aber bloss dem Schreiber; dem Leser helfen sie nicht, erschweren vielmehr das Verstehen und führen wohl zu einer weiteren Abkehr von den Printmedien. Man kann sich aber vorstellen, dass "das Schulsystem" mit solchen "Regeln" sehr gut arbeiten kann. Der "Entscheidungsspielraum" des Schreibers/Schülers wird grösser, seine Ausbildung darf geringer bleiben: Die "Entscheidung" ist so ein blosses Ignorieren dehnbarer Regeln . . .
7. 1993
Abstract: Der Beitrag beschäftigt sich nach einer allgemeinen Einführung mit der Entwicklung der Regeln zum Gebrauch des Bindestrichs von 1876 bis zum heutigen Tage. Der Vf. geht dabei vor allem auf die Regelauffächerung seitens der „Duden"-Rechtschreibung ein. Beschrieben wird zudem der heutige Gebrauch und die daraus entstehende Problematik. Vorgestellt werden abschließend die Neuregelungsbestrebungen.
Abstract: Der Beitrag behandelt substantivische Komposita (Typ Tomaten Ketchup), die weder zusammengeschrieben noch durch Bindestrich gekoppelt werden. Diese „diskontinuierlichen Komposita" verbreiten sich zunehmend. Die Vfn. zeigt, unter welchen Einflüssen sie entstehen und wie sie sich funktional in die deutsche Gegenwartssprache einordnen.
4. 5. 1993
Die Umstellung würde auch viel kosten. Unter diesem Gesichtspunkt und auch weil es derzeit wichtigere ökonomische und gesellschaftspolitische Aufgaben gibt, ist eine Rechtschreibreform im gewünschten Sinne überflüssig wie ein Kropf.
6. 3. 1993
Wo Dinge wie Ordnung, Pünktlichkeit, Treue und Pflichterfüllung in Verruf gebracht werden können, da wird auf das richtige Schreiben und Sprechen kaum die gebührende Mühe aufgewendet werden. Gleichgültigkeit und Schlendrian reißen ein.
Auch die Frage der mit der Umstellung verbundenen Probleme ist bisher übergangen worden. […] Wörterbücher und Nachschlagewerke werden meist erst nach vielen Jahren überarbeite't, und das Erscheinen mehrbändiger Nachschlagewerke zieht sich gewöhnlich über viele Jahre hin. Die bereits ausgelieferten Bände sojcher Werke würden durch gravierende Änderungen weitgehend entwertet, weil sie dann nichi mehr der üblichen Schreibweise entsprächen.
25. 2. 1993
Zur Groß- und Kleinschreibung hat der Arbeitskreis drei Regelungsvarianten vorgelegt. Zur Variante „Substantivkleinschreibung“ schreibt Möcker: „Mangels Definition versucht man, der Schwierigkeit (der Abgrenzung von Eigennamen) mittels Wortlisten beizukommen.“ „Mangels Definition“ ist unzutreffend. Im Vorschlag wird mit der Nennung der Gruppen, die „im Sinne dieser orthographischen Regelung“ als Eigennamen gelten, die Möglichkeit der sogenannten extensionalen Definition genutzt, wie auch in den Regelwerken aller anderen europäischen Sprachen.
Warum muß überhaupt unsere Orthographie vereinfacht werden? Leben nicht viele europäische Völker, etwa Engländer und Franzosen, mit einer in mancher Hinsicht schwerer zu erlernenden Rechtschreibung?
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat ihre Mitglieder und Zweigvereine aufgefordert, sich zu den Neuregelungsvorschlägen zu äußern. Eine endgültige Meinung zur geplanten Rechtschreibreform haben wir bislang nicht veröffentlicht. Es zeichnet sich aber bereits jetzt eine breite Zustimmung zu vielen der vorgeschlagenen Regelverbesserungen ebenso ab wie eine grundsätzliche Befürwortung einer Rechtschreibreform.
10. 2. 1993
Der Arbeitskreis, der sich auf offizielle Aufträge berufen kann, hat vor der Wahl gestanden, entweder dem bisher gültigen amtlichen Regelwerk von 1902 (das nicht gerade orthographischer Weisheit letzter Schluß war und das durch verschiedene Nachträge eher unübersichtlich geworden war) ein paar neue bunte Flicken aufzunähen oder das Regelwerk von 1902 durch ein neues zu ersetzen. […] Was nun seit der Frankfurter Buchmesse 1992 auf dem Tisch liegt, ist als künftige amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung gedacht. Den langen Bemühungen um eine Rechtschreibreform Rechnung tragend, versichert der Arbeitskreis, es sei darum gegangen, „durch behutsame Änderungen … die Systemhaftigkeit der Rechtschreibung und den Grad der Allgemeingültigkeit ihrer Regeln zu erhöhen“ (S. XIII).
23. 1. 1993
Wann immer in den vergangenen Jahren die Rede von der deutschen Rechtschreibung war, trafen die beiden Positionen unweigerlich aufeinander. Bei jedem neuen Anlauf, dem Schreiben die „unerträgliche Kompliziertheit“ (Reformer) zu nehmen, empörten sich die Befürworter der geltenden Regeln aufs äußerste. Zuletzt so geschehen im Jahr 1988, als die Mitglieder des internationalen Arbeitskreises für Orthographie […] Vorschläge unterbreiteten. Sie wollten nicht nur die Großschreibung weitgehend abschaffen, sondern auch eine „Lautkonsonanz“ einführen. Demnach hätte Kaiser fortan mit „ei“, Moos mit einem „o“ geschrieben werden müssen.
1992-10-03
Die Reform der deutschen Rechtschreibung sieht unverständliche, aber auch nachvollziehbare Neuerungen vor. […] "In den vergangenen Jahren ist es gelungen, die Diskussion wieder auf eine rationale Basis zu bringen", sagt Ministerialrat Fritz Rosenberger, oberster Koordinator im Unterrichtsministerium in Wien. Er sagt es wohl auch beruhigend in Richtung jener, die vehement gegen die einführung der kleinschreibung wettern. Denn Rosenberger glaubt nicht, daß solch ein radikaler Einschnitt möglich sein wird. "Wenn, dann wird es eine sehr behutsame Reform", meint der Beamte. "Alles, was das Schriftbild verändert, löst ja große Ängste und Verunsicherungen aus". Rosenberger vermutet, daß vieles an Neuerungen gar nicht auffallen wird.
1992-04
Abstract: Die Vf. erläutern Vorschläge zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, die von Expertengruppen aus den deutschsprachigen Ländern an die Regierungen übergeben wurden. Veränderungen soll es in folgenden Bereichen geben: Laut-Buchstaben-Zuordnungen, Getrennt- und Zusammenschreibung, Schreibung mit Bindestrich, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende.
1991-07-10
Prof. Dr. Lutz Mackensen ist so etwas wie der Schatzmeister der deutschen Sprache. Sein Leben lang hat er Wörterbücher geschrieben, Redensarten und Sprichwörter gesammelt und Fremd-und Fachwortschätze aufgetürmt. […] Lutz Mackensen: In Riga bin ich Nazi geworden. Ich habe es getan, und es war falsch.
21. 9. 1990
Wo die Herrschenden stur jede Reform verhindern, wo mit dem Druck von außen die Unzufriedenheit im Inneren wächst, da, lehrt uns die jüngste Geschichte, ist die Revolution nicht weit. Das gilt auch in der Rechtschreibung. […] Wie es tatsächlich um den äußeren Druck auf die Rechtschreibung steht und wie um unsere Fähigkeit zur Bewahrung der althergebrachten Orthographie, lehrt uns eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur. „UNESCO: Analphatentum eine Herausforderung an das Weltgewissen.“ dpa schreibt diesen Satz Federico Mayor zu, dem Generaldirektor der Organisation. Vielleicht war dem Mann angesichts von 42 Millionen Analphabeten allein in den reichen Ländern der Welt die Orthographie wirklich schnuppe; vielleicht hatte auch nur ein Redakteur keine Lust mehr zum Dienst nach Vorschrift des Dudens. Beides würde auch erklären, wieso trotz der „Fortschritte in der Schulbildung“ für Mayor laut dpa „der Analphetismus Anlaß zur großer Sorge“ bleibt.
15. 3. 1990
Die angebliche Kleinschreibung im Englischen und Französischen ist in der Praxis viel problematischer als die vielgeschmähte Regelung im Deutschen. Die «gemässigte Kleinschreibung» für das Deutsche einzuführen wäre wahrlich ein Schildbürgerstreich, wie ihn nur praxisferne (druckereiferne) Theoretiker aushecken können. […] Die anscheinend unaufhaltsame «Aufweichung» der Rechtschreibregeln […] und EDV-Neuerungen wie Textübernahme ab Disketten und Desktop-Publishing untergraben die Stellung des Druckereikorrektors. […] Man mag es bedauern, aber es scheint unausweichlich: Das Ende einer mehr als 500jährigen Tradition der Sprach- und Rechtschreibpflege durch die Buchdrucker ist absehbar.
«Aufweichung» und verbesserung ist nicht dasselbe. Kurz nach den profetischen schlussworten begann die tradition der sprach- und rechtschreibpflege durch die internetuser.
1989-06-14
Dagegen fragen sie [die Journalisten] die Kommission für Rechtschreibfragen, welcher Bedarf eigentlich dafür bestehe, in Zukunft „Keiser“ statt „Kaiser“ zu schreiben.
Falsche frage. Welcher bedarf besteht für 2 schreibweisen für 1 laut?
21. 2. 1989
Man muß sich damals wohl etwas gedacht haben, als Artikel/Pronomen "das" von der neuen Konjunktion "daß" rechtschreiblich geschieden wurde.
13. 1. 1989
Der Sinn einer Rechtschreibregelung ist nämlich nicht, daß sie möglichst leicht zu lernen ist, und sie ist auch nicht dazu da, daß möglichst alle Leute im Sinne der Regeln völlig korrekt schreiben. […] Es ist keineswegs notwendig, daß jedermann die deutsche Rechtschreibung mit all ihren Raffinessen völlig beherrscht.
6. 12. 1988
Während die Reform der Laut-Buchstaben-Beziehung definitiv vom Tisch ist, wird über die vier anderen Teile des Reformpakets noch weiterberaten.
28. 10. 1988
Auf fünf Gebieten haben die vom Institut angeheuerten Doktoren und Professoren Änderungen für nötig gehalten. Noch einmal wieder auf der Groß- und Kleinschreibung herumzureiten, hat man ihnen vorerst glücklicherweise untersagt.
4. 1988
Jetzt liegt ein Kompendium der Orthografiereform vor, in dem rund 1000 einschlägige Arbeiten und insbesondere rund 80 Reformprogramme mit Umsicht und Scharfsinn ausgewertet sind: Doris Jansen-Tang gibt in ihrem Werk „Ziele und Möglichkeiten einer Reform der deutschen Orthografie seit 1901“ einen historischen Rückblick und analysiert alle Ergebnisse, insbesondere zur Kleinschreibung und Interpunktion. […] Vielen Politikern, die letztlich über eine Rechtschreibreform zu entscheiden haben, war bis jetzt angesichts des Widerstandes in sprachfundamentalistischen" Kreisen stets das willkommene Argument zur Hand, die Wissenschaft wisse selber nicht, was sie wolle. Das läßt sich heute nicht mehr sagen.
19. 9. 1987
Weitgehend unbeachtet von der öffentlichen Diskussion ist in den letzten Jahren die wissenschaftliche Arbeit an einer Reform der deutschen Rechtschreibung vorangetrieben worden. […] Aus lebhaften Reformdiskussionen (in der Schweiz hat sich hierbei besonders der Bund für vereinfachte rechtschreibung hervorgetan) entstanden zahlreiche Reformvorschläge. […] Die Fortschritte in den gemeinsamen wissenschaftlichen Bemühungen legten den Grund für die Möglichkeit politischer Vorentscheidungen, wie sie in Wien getroffen worden sind; und diese wiederum geben den Wissenschaftern die Möglichkeit zu sinnvoller Weiterarbeit. […] Der erste Block der Reformvorschläge soll von den Fachleuten bis Ende 1988 verabschiedet sein. Dann werden die politischen Instanzen entscheiden, ob es eine Reform geben soll – eine zweite Wiener Konferenz ist für Dezember 1988 geplant. Auch wenn dieser Zeitplan vielleicht nicht ganz eingehalten werden kann: Die Chancen für eine positive Entscheidung – wir haben es am Anfang ausgesprochen – sind nicht schlecht.
9. 7. 1984
Mit der Rechtschreibung wird es immer schlechter, das Ausdrucksvermögen nimmt mehr und mehr ab. […] Ist das Deutsche auf dem Wege zum Kauderwelsch? […] Die Suche nach dem treffenden Ausdruck ist weitgehend aufgegeben worden. Wortbrocken entheben der Mühsal, ganze lange Sätze hersagen zu müssen, und in der gymnasialen Oberstufe befassen sie sich, wie etwa die niedersächsischen Richtlinien vorschreiben, lieber mit den „Problemen einer heutigen Rechtschreibereform“ und „äußern sich dann“, sagt ein Lehrer, „hochgelehrt über den Repressionscharakter der deutschen Rechtschreibung, und kein Satz ist orthographisch und grammatisch korrekt“.
21. 5. 1984
Sowohl der Verein als auch das Institut kämpfen seit Jahren um die Kleinschreibung. Dieser Kampf ist an sich nicht unehrenhaft. Er hatte in der Vergangenheit hervorragende Geister auf seiner Seite, allen voran Jacob Grimm. Freilich hatte er zu allen Zeiten auch mindestens ebenso prominente Gegner, von Johann Christoph Gottsched bis zur Dichterprominenz unserer Zeit.
23. 1. 1984
Seit 60 Jahren besteht der «Bund für vereinfachte rechtschreibung» in der Schweiz. […] Die Baz sprach mit dem Präsidenten, Rolf Landolt.
Etwas mehr als zwanzig Leute aus der deutschsprachigen Schweiz trafen sich am Samstagnachmittag im Basler Bahnhofbuffet zur Jahresversammlung des BVR. […] An der Versammlung gab es Leute aus verschiedenen Generationen, sogar ein Gründungsmitglied des 60 Jahre alten Vereins, war dabei.
Auch wenn der BVR das «ph» etwa in «Photograph» durch ein «f» ersetzen will, so geht das nicht an die Substanz. Wer immer diese Orthographie verwenden will, möge dies doch tun […].
19. 10. 1982
Die Zeit ist also reif, die ganze Frage auf die diplomatische Ebene zu heben. Könnte nun nicht die Schweiz die Initiative ergreifen? Das würde nämlich die Gefahr, dass die Reform verpolitisiert würde – etwa zwischen BRD und DDR –, erheblich mindern.
Von der Kleinschreibung ist wieder einmal die Rede; von der gemässigten. […] Man erklärt uns, die Regel, nach der wir Hauptwörter gross schreiben, sei nicht zu halten: man wisse im Einzelfall doch nicht, ob man es mit einem Hauptwort zu tun habe. Also sollen wir nur noch Namen gross schreiben – und in jedem Einzelfall wissen, ob wir es mit einem Namen zu tun haben. Am besten, wir ersetzen die 27 Duden-Regeln für Gross- und Kleinschreibung durch die 41 entsprechenden Regeln des «Guide du Typographe romand».
1982-09-02
Der Dauerbrenner Orthographiereform hat in der jüngsten Zeit wieder neue Nahrung erhalten, weil 1. die Presse schon im Frühjahr mitzuteilen wusste, es stehe eine wissenschaftliche Tagung der Kleinschreiber bevor, 2. diese unterdessen stattgefunden hat, vom 16.–18. Juni in Wien, und weil 3. im August ein Sprecher des «Zentralinstituts für Sprachwissenschaft» in der DDR in einem Interview erklärt hat, sein Land plane in absehbarer Zukunft die gemässigte Kleinschreibung einzuführen. So haben denn in den verschiedensten Zeitungen des In- und Auslands die Befürworter und die Gegner einer Reform ihre längst bekannten Argumente aufs neue vorgelegt, und auf diese sei hier eingegangen. […] Gestritten wird nur um die Gross- und Kleinschreibung der Substantive; alle andern Reformen gelten allgemein als wünschbar.
1982-08-28
Werden sprachärmere Kinder nicht über Gebühr benachteiligt, wenn in allen Fächern auf Rechtschreibung und präzisen Ausdruck geachtet wird. Soviel ist sicher: sollen die Schüler lernen, sich richtig und geschliffen auszudrücken, müssen alle Fächer Hand in Hand arbeiten. Falsch wäre es dagegen, die Leistungskraft oder gar den Charakter eines Kindes nach dessen Rechtschreibkünsten zu beurteilen. Die Debatte der siebziger Jahre, so ideologisch verzerrt sie auch war, sollte lehren, daß es verschiedene Begabungen und unverdiente Vorsprünge gibt.
1982-08-06
Mit einem Postulat hat sich Grossrat und Sekundarlehrer Ernst Bopp im Stile Winkelrieds in die Schlacht geworfen. Bedeutet sein Vorstoss eine Wende im Buchstabenkrieg?
31. 3. 1982
Doch die Orthographie des Neugriechischen weist immer noch einen konservativ-historischen Charakter auf. […] Im Laufe der Zeit sind zwar gewisse Vereinfachungen der Orthographie erfolgt. Die Regeln der Rechtschreibung sind aber immer noch kompliziert genug. Das heutige Griechenland hält an mancher historischen orthographischen Regel fest, weil es darin «eine Brücke zum ruhmreichen alten Hellenentum» erblickt. Auch hierin zeigt sich, dass das Kulturerbe der Neugriechen gleichzeitig Würde und Bürde ist. Für die Schulkinder in Griechenland stellt die traditionelle Orthographie eine erhebliche Belastung dar. Aus diesem Grunde hat man es in der griechischen Oeffentlichkeit grundsätzlich positiv gewürdigt, dass die Regierung Papandreou unlängst beschlossen hat, hinsichtlich der Akzente und der Spirituszeichen eine Orthographiereform durchzuführen.
1982-02-27
Hinter dem Bözberg träumt der Effinger Sekundarlehrer Ernst Bopp, den längstverblichenen Gymnasialdirektor Konrad Duden im Ringen um die deutsche Rechtschreibung besiegen zu können. Weil seine schwächeren Schüler nicht wissen, welche Wörter gross und welche klein zu schreiben sind, will er kurzerhand die grossen Buchstaben abschaffen. Das Problem ist ebensowenig neu wie der Versuch, es zu lösen, indem man es aus der Welt schafft. […] Das eigentliche Problem liegt ja wohl darin, dass die Kinder kaum mehr lernen, das Schreiben als Ausdrucksmittel – als Kommunikationsmittel, wie man heutzutage sagen muss – zu beherrschen.
9. 11. 1981
Ostermundingen im Kanton Bern, Wyssachen im Emmental und nun auch Binningen in Basel-Land haben kapituliert; nach sechs bis acht Jahren der gemäßigten Kleinschreibung sind sie reumütig zum Duden zurückgekehrt.
11. 2. 1981
"Da sollte doch jemand endlich einen Anfang machen", dachte sich der heute 60jährige Gemeindeschreiber Hans Minder und tippte am 16. Februar 1972 ein amtliches Schreiben nach den Regeln der gemäßigten Kleinschreibung […] in die Maschine. Als der erwartete Proteststurm ausblieb, wurde mit sechs gegen eine Stimme der Beschluß gefaßt, vom 1. März 1973 an den amtlichen Schriftverkehr nur noch in Kleinschreibung zu veröffentlichen.
7. 2. 1981
Obwohl die seither gesammelten Erfahrungen mehrheitlich positiv ausgefallen sind, hat der Gemeinderat […] das Experiment […] abgebrochen. Der Grund dafür liegt vorab darin, dass die erhoffte Signalwirkung weitgehend ausgeblieben ist.
11. 10. 1980
Wir sind ja allzumal Sünder, und ich möchte den sehen, der in Fällen wie dem folgenden immer ohne den Griff zum Duden auskäme: in bezug auf, aber: mit Bezug auf. Die Nummer, aber numerieren. Eine rotgestreifte Jacke, aber die Jacke ist rot gestreift. […] Die wenigen Beispiele begründen hinlänglich den Wunsch nach einer Orthographieform. Aber eben: Wir sind noch lange nicht so weit – nicht nur Gottes Mühlen mahlen langsam …
11. 9. 1980
Niemand wird sich wundern, wenn in einer auf allen Gebieten so hochproduktiven Zeit der Wortschatz ständig gesichtet und frisch registriert wird, denn die Sprache ist ja nicht etwas ein für allemal gleichsam in der Luft Präexistierendes, sondern ganz im Gegenteil etwas, das sich in allen Aspekten laufend wandelt. […] Und zu guter Letzt auch noch das, was ich eigentlich einleitend hätte erwähnen sollen, weil es der Humanität der Duden-Leute ein so gutes Zeugnis ausstellt. Ich meine die im Vorwort enthaltene Anspielung auf den Wert (oder Unwert) einer «einheitlich geregelten Rechtschreibung». Diese sei, heisst es, «jedoch kein Selbstzweck, und sie ist erst recht kein Gradmesser für Begabung und Intelligenz. Lehrer wie Lernende sollten daher zu einer aufgeschlossenen Einschätzung gelangen, die Überbewertung von Rechtschreibfehlern abbauen und Rechtschreibung als das betrachten, was sie ausschliesslich sein soll: ein geeignetes Mittel zur Erleichterung der schriftlichen Kommunikation.»