Einen reinen Informationsstand präsentiert der Bund für "Deutsche Sprache und Schrift" e. V. Dort liegen Flugblätter aus zu Fragen der deutschen Schrift, ihrer Geschichte und richtigen Anwendung sowie zur Sprache. Ein Thema wird "der tiefere Inhalt der Rechtschreibreform" sein, erläutert Holger Schmidt, Ansprechpartner für Ostsachsen.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
31. 8. 1999
Arbeitslos gewordene Mitglieder der Kommission zur Reform der Rechtschreibung haben sich ein neues Betätigungsfeld gesucht und wollen nun die bisher vier Jahreszeiten um eine fünfte erweitern. Die neue Jahreszeit soll "Gnorzing" heißen und wird "das Beste aus allen alten Jahreszeiten in sich vereinigen".
30. 8. 1999
Solche sprachliche Missgeburten kann man antreffen in Zeitungen, bei denen die Rechtschreibreform in Kraft gesetzt worden ist […]. […] bei der Getrennt- und Zusammenschreibung hat die Reform wohl am stärksten ins Regelgefüge eingegriffen.
Nein, das regelgefüge ist bei der worttrennung am zeilenende und der s-schreibung stärker tangiert. Hier geht es um einen eher graduellen unterschied: In welchem ausmass will man die rechtschreibung als bedeutungsträger ge- bzw. missbrauchen. Muss man das homonym sein differenzieren? Im letzten jahrhundert bejahte man diese frage (seyn = hilfsverb, sein = pronomen); heute geht es ohne. Ebenso geht es ohne differenzierung bei das schwarze Schaf und bei frisch gebacken. Die neuregelung folgt also einem begrüssenswerten trend. Er ergibt sich einfach daraus, dass eine übertriebene differenzschreibung in der praxis nicht funktioniert und damit den zweck nicht erfüllt.
28. 8. 1999
Alle reden über Goethe. Wir nicht. Wir lassen ihn selber sprechen. Wir baten Deutschlands größten Dichter zum Interview. […] Was denken Sie über die Rechtschreibreform? Mir war die konsequente Rechtschreibung immer ziemlich gleichgültig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an; sondern darauf, dass die Leser verstehen, was man damit sagen wollte! Und das haben die lieben Deutschen bei mir doch manchmal getan.
Eine Academie française, also eine autoritäre, apodiktisch urteilende, politisch lenkende Instanz wollte er [die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung] niemals sein. Eine Autorität ist er geworden. Er verdankt es nicht zuletzt den Preisen, die er vergibt […]. Erst der amtierenden Kultusministerkonferenz blieb es vorbehalten, diese Autorität in Frage zu stellen, als sie die Einwände der Akademie gegen die neue Rechtschreibung vom Tisch wischte.
"Nein, ich wende sie nicht an" - klare Worte von Bildungssenator Lemke. Gerade aus seinem Munde kommen sie etwas unerwartet. Die Begründung: "Ich spreche nach den alten Regeln fehlerfrei Deutsch. Na ja, fast fehlerfrei. Aus Zeitgründen kann ich mich da jetzt nicht einarbeiten."
27. 8. 1999
Mit einem 70-prozentigen Finanzierungsanteil von Bund, Land und Stadt Darmstadt — der Rest kommt aus der Privatwirtschaft — spricht die öffentliche Hand ein gewichtiges Wort mit im Kuratorium. Akademie-Präsident Christian Meier hinderte das in der Auseinandersetzung um die neue Rechtschreibung nicht daran, mit den deutschen Kultusministern hart ins Gericht zu gehen, ohne allerdings darauf sonderlich Einfluss nehmen zu können.
Die Gebrüder Schultes ließen sich die fantasievollen Namen ihrer Zigarren, Zigarillos, Zigaretten, Rauch-, Kau- und Schnupftabak allesamt patentieren und damit unter den Schutz des "Waarenzeichens" stellen (die zwei a in Waarenzeichen fallen nicht unter das Diktat der Rechtschreibreform 1999, sondern stehen auf den Urkunden des Kaiserlichen Patentamts).
"Bunt gemischt" liest sich alles, was im Leutenbacher Rathaus verfasst wird. Sein Vorgänger, so Bürgermeister Jürgen Kiesl, habe "noch große Seminare gemacht". […] Er habe bereits einen Brief an den Gemeindetag schreiben lassen, damit die rechtliche Verpflichtung der Gemeinden zur Anwendung der neuen Regeln überprüft werde. […] Aufgrund der kommunalen Selbstverwaltung müsse es seiner Meinung nach sowieso in der Entscheidung der Gemeinden liegen, wie sie sich verhielten.
Dann könnten doch gemeinden auch die eigennamengrossschreibung ausprobieren, wie es vier schweizer gemeinden zeitweise (z. b. Biel vor 65 jahren) gemacht haben?!
26. 8. 1999
Nach Recht und Gesetz müssen die Lehrer von heute an zwar weiter die alten Regeln lehren — trotz absehbarer Gesetzesnovelle. Es gebe aber immer einen pädagogischen Spielraum, der in der Verantwortung des Lehrers liege, meinte ein Abgeordneter. Im Klartext: Die Pädagogen könnten schon früher die reformierte Schreibweise anwenden, allerdings auf eigenes Risiko.
Immer wenn Walter kommt, ist auch mit einer frisch ausgebrüteten Idee zu rechnen. Dieses Mal hat er sich die Rechtschreibreform vorgenommen. Dabei hat er ein bisher Sinn stiftendes Element entdeckt, dessen Gebrauch laut Walter dazu führt, dass der Gemeinsinn stiften geht. Es geht um den Strich. […] In einem Interview hat er jetzt bemängelt, "wir", also Sie, ER und ich, seien leider "immer noch ein Bindestrichland". […] Baden-Württemberg, sagt Walter, müsse künftig aus Gründen der Identität zusammengeschrieben werden. […] Sehen Sie hier oben, Walterdöring, was Sie ohne Bindestrich anrichten?
Vorreiter ist das Landratsamt, das bereits seit dem 1. Januar des Jahres offiziell den neuen Regeln folgt. "Jeder wichtige Bereich hat einen Duden bekommen, jeder Mitarbeiter ein kleines Druckwerk mit den Änderungen", sagt Pressesprecherin Tatjana Buck. […] Die Umsetzung "klappt immer besser", schätzt sie die Orthografie im Landratsamt ein. Eine Dame würde es mit dem Doppel-s gar übertreiben: Die Frauenbeauftragte Heidi Boner-Schilling schreibe als gebürtige Schweizerin standhaft überhaupt kein Eszett — das wird geduldet.
25. 8. 1999
Abgesehen davon, daß man beim Scrabble-Spielen wunderbar schummeln und Bonuspunkte einheimsen kann, solange noch die Schreibweisen beider Rechtschreibungen gültig sind (bis zum Jahr 2005), wird es beim Kreuzworträtseln schon etwas schwieriger. Und die Gameshow-Fans können sich bereits jetzt auf die erste "Glücksrad"-Folge im Fernsehen freuen, die nach den Regeln der neuen Rechtschreibung gespielt wird.
Keine andere Behörde trifft die Reform der Rechtschreibung so wie das Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) in Lauenburg. […] "Daran werden wir uns gewöhnen", meint die Leiterin des WSA Lauenburg, Bettina Kalytta. Ein erster Schritt wurde jetzt getan. "Den Kopf unseres Briefpapiers haben wir bereits nach der neuen Schreibweise gestaltet", sagt Kalytta.
Auf eine langjährige Tradition verweist Marie-Luise Jahr von der Roßschlächterei in Pegau. "Wir sind seit 66 Jahren Familienbetrieb, da schreiben wir uns doch nicht gleich mit dreifach-s." Ähnlich reagiert Gabriele Alexander vom Hotel "Weißes Roß" in Groitzsch. "Uns gibt es schon seit 1642 unter diesem Namen. Wir wollen das nicht ändern." Doch als sie auf der Speisekarte den Schriftzug von 1870 sieht, stutzt sie: Früher schrieb man "Weisses Ross", was heute aber auch nicht korrekt ist.
Wenn Die Welt — ich kann's nicht verstehen warum — die neue Rechtschreibung mitmacht, dann sollte Die Welt wenigstens bei argen Verschlimmbesserungen in Klammem angeben, was gemeint ist.
24. 8. 1999
Eine Farce ist das, sicher. So überflüssig wie eine Rechtschreibreform oder eine Sonnenfinsternis. Weil in Wirklichkeit gar nichts verhandelt wird, sondern alles schon mehr oder weniger beschlossene Sache ist. Aber auch eine höchst symbolische Installation, die sehr tief in unsere Gefühlslagen reicht, wie zum Beispiel an den höchst aufgeregten Anrufen während der einschlägigen Radiosendungen zu belegen ist.
23. 8. 1999
Das Panoptikum hat sich am Wochenende bei einer Best-of-Show anlässlich des zehnjährigen Bestehens mit aktuellen und ehemaligen Mitgliedern im Posthof selbst überboten. […] Sebastian Wagner und Wolfgang Judith als genervte Besucher des Okrifteler Kinos beschweren sich über den Schnösel "Im Sperrsitz vor mir". Gemäß der Rechtschreibreform wird "Vom Winde verweht" neu synchronisiert. Da bleibt es nicht beim Austauschen von Buchstaben, nein, ganze Wörter werden gewechselt: "Deine Eulen, Jupp, sie öffnen mir den Furz."
Computer lieben das Eindeutige. Für sie sind Kreppapier und Krepppapier zwei verschiedene Worte, die beispielsweise von einer Datenbank-Software unterschiedlich eingeordnet werden.
Aber wie das eben so ist mit dem eindeutigen: Hier geht es um wörter.
So manch einer wurde am Wochenende in der Kerweredd von Bobstadts Kerwevadder Rupert Getrost auf die Schippe genommen. […] Seinen Unmut über die Rechtschreibereform ließ Getrost freien Lauf. Da er stets die Hausaufgaben seiner Tochter kontrollieren muss, hat er mit Schwierigkeiten zu kämpfen: "In einer Zeit von leeren Kassen, sollte man so einen Blödsinn lieber lassen", erklärte der Kerwevadder.
Hier hat man mit oder ohne "blödsinn" in sachen kasus und komma mit schwierigkeiten zu kämpfen.
21. 8. 1999
Um nicht nur eine, zwei, höchstens drei Kopien zu verfertigen, sondern zehn oder hundert, war ein anderer Weg zu beschreiten: man hektografierte. Wollte beispielsweise ein Achtundsechziger während der Studentenrevolte ein Flugblatt mit Sprüchen von Mao oder Marcuse verbreiten, so brauchte er zuallererst eine mit Wachs beschichtete Matrize (die sich bis heute so schreibt, also bei der Rechtschreibereform kein -tz- abgekriegt hat).
Bei dieser Wahl treten 26 Direktkandidaten an, vor vier Jahren waren es nur sechs. Die hohe Zahl liegt nach Auskunft des Landeswahlamtes vor allem an den Gegnern der Rechtschreibreform, die diesmal angetreten sind, nachdem deren Organisation als Partei nicht zur Wahl zugelassen worden war.
In der Fachsprache wird das als "Laut-Buchstaben-Zuordnung" bezeichnet. Ein Gastronom trieb dieses Prinzip nun aber auf die Spitze. Wahlweise bot er "Jegerschnitzel" oder "Geschnizeltes" an.
Anforderungen im Berufsleben und gesellschaftlicher Wandel schlagen sich deutlich im Kurs- und Seminarangebot der Volkshochschule nieder. […] Was eigenartigerweise für viele kein Thema ist: die neue deutsche Rechtschreibung. Vom 8. September an wird ein entsprechender Kurs angeboten, doch die Nachfrage ist gering.
Die Oberpfälzer Nachrichten haben nachgefragt. […] Das Einwohnermeldeamt gibt sich verrätselt. […] Genaueres lässt sich der Dame nicht entlocken. "Ich verbinde sie weiter", hat sie kaum gesagt, da erklingt auch schon, was bei der Recherche am häufigsten zu hören war: Warteschleifenmusik. Die Schleife dreht und dreht sich und irgendwann kommt man doch zur Landung: Bei Sigrid Vogelstetter vom Personalrat […]. "Bis zum Jahr 2000 gilt auf jeden Fall noch die alte Regelung, amtseinheitlich, denn es sollten schon alle gleich schreiben." Und dann? "Dann werden wir was neues hören."
Was neues ist jedenfalls die kleinschreibung der substantivierung.
Alle reden über die Rechtschreibreform, wer aber stöhnt mit uns, den Produzenten des geschriebenen Wortes, die im Zuge des downsizing den geliebten Korrektor (Menschen) verloren und dafür ein Korrekturprogramm (Maschine) bekommen haben?
Als kürzlich im Deutschen Theater Mozarts "Il Rè pastore" in der Staribacherschen Bearbeitung aufgeführt wurde, begannen einige Münchner Kritiker vor Begeisterung fast zu taumeln. Das kam daher, dass "Mozart groovt" und im Saal sogar "heftiges Zucchero-Feeling" aufkam (SZ). […] Die Rechtschreibreform hat ähnliche Wallungen ausgelöst wie Mozarts Groove, weswegen manche Kollegen vorsichtshalber gleich richtig falsch schreiben, ehe sie lange im Wörterbuch herumblättern. Ein paar Beispiele: […] "Bayer ertrank beim Kajak fahren" (AZ); "Nichts der Gleichen" (tz); die dpa schließlich erfand, wohl von einer Gämse gestoßen, die Vokabel "abwägig". Ein kurioser Fall ereignete sich eben jetzt hier in der SZ, indem es sich bei der Besprechung von Marcel Reich-Ranickis Buch als nötig erwies, den Namen des Autors zu trennen. Unser Rechtschreibprogramm hielt Ranicki für etwas Ähnliches wie Zucker und trennte folglich "Rani-cki". Da der Mann indessen weder Zucker ist noch so ausgesprochen wird, hätte man dem Programm mit einem Befehl zur Seite springen und den Namen in "Ranic-ki" trennen müssen.
Rüdiger Nehberg hat gelernt, ohne die Zivilisation auszukommen. Für die Landrechte der Indianer läßt er sich jetzt zum dritten Mal über den Atlantik treiben. […] Das wird Monate dauern, weil sich Nehberg und sein 28jähriger Partner Lars Spanger von der Strömung und günstigen Passatwinden vom Senegal nach Brasilien treiben lassen wollen. […] "Man nimmt sich viel Zeit", sagt Nehberg. Zur Unterhaltung wird er einige Brockhaus-Bände und die neue deutsche Rechtschreibung in verschiedenen Varianten studieren.
20. 8. 1999
Auch dass maccheroni und spaghetti schon im Italienischen Pluralformen sind, genügt hierzulande manchem nicht, und er hängt vorsorglich ein -s dran. Makkaronis, Spaghettis, nach neuer Rechtschreibung auch Spagettis, wobei einem Italiener sich die Haare sträuben müssen, weil das g nun wie dasjenige von Giro zu lesen wäre. Zu den Aussprachemerkmalen, die den Deutschen verraten, gehören noch der Anlaut, Schpag(h)ettis, […].
Zu den merkmalen, die den deutschen verraten, gehört noch die grossschreibung, also 3 gründe für gesträubte haare bzw. für die erkenntnis, dass spagetti ein deutsches wort ist, egal woher es kommt.
Die Lörracher Behörden planen eine allmähliche Umstellung. Eilig hat es dank der Übergangsfrist keiner, die neuen Regeln einzuführen, ergab eine Umfrage der Badischen Zeitung.
Nun war zu lesen, das Konzept des kleinen Fernseh-Varietés sei überarbeitet worden. Bangigkeit machte sich breit: Ist der Alltag nicht schon unübersichtlich genug geworden mit Steuer- und Rechtschreibreform und der Kaperung von teuren Fußball-Rechten durch den kleinen Privatsender tm 3?
"Mindest zwei Jahre braucht man", sagt Andreas Guder, Experte für die Übermittlung von chinesischer Schrift, "um wenigstens Chinesisch gut lesen zu können." Von Schreiben gar nicht zu reden. Kurios, aber wahr: Gerade die Schwierigkeiten des Erlernens der chinesischen Orthographie sind der Hauptgrund, warum Chinesisch ausgerechnet in Südostasien immer mehr an Einfluss verloren hat.
Im Kampf gegen die Rechtschreibreform ist "Die Presse" trotz der abendländischen Erbitterung, mit der sie ihn führte, weitgehend allein geblieben.
19. 8. 1999
Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe, wie viele andere, ziemlich mühe mit der neuen ortografie. […] Als anhänger der gemässigten kleinschreibung finde ich, dass eine grosse chance vertan worden ist, die deutsche rechtschreibung wirklich einfacher und damit allen zugänglich(er) zu machen.
Der Coup der steuerfinanzierten Sessel... sagen wir ...hocker war erfolgreich.
Wenn unser Staat trotz wirklich fundamental wichtiger Probleme sich mit solchem Killefitz […] beschäftigt […], gibt es nur eine legitime Reaktion des Volkes: Verweigerung!
Könnte man nicht auf die ganz hässlichen neuen Wörter wie Tipp, Majonäse, Fassette verzichten?
Die Rechtschreibreform hingegen ist kein Thema für die Grazer Freunde der deutschen Sprache. "Da ist innerhalb des Vereines kein gemeinsamer Nenner zu finden", vermutet Werner Pfannhauser, Professor für Lebensmitteltchemie an der TU Graz und Obmann des Vereines, "schade ist, dass mit dieser Reform ein Stück Kultur verloren geht, beispielsweise durch das Ändern der ,ß'-Regeln".
18. 8. 1999
24 sind es hier, die sich ab jetzt mit der neuen Rechtschreibreform auseinander setzen dürfen.
Die Initiatoren des Volksbegehrens gegen die Rechtschreibreform wollen auf eine Anfechtung des Begehrens offenbar verzichten.
17. 8. 1999
Den Zeitungsleser erwartet also eine babylonische Sprachverwirrung sondergleichen, anscheinend verursacht durch eine Akademiker-Kaste, die sich damit vor Arbeitslosigkeit schützen will.
Genau für die Anwendung der neuen Rechtschreibung im hiesigen Arbeitsumfeld hat der Luzerner Lehrer Ignaz Wyss ein handliches Buch verfasst, in dem er - nicht hunderprozentig designsicher, aber übersichtlich und anwendungsfreundlich - den Einstieg in den Umstieg erleichtert.
Ergo hat das 1212 Seiten umfassende Dossier, mit dem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in der vorigen Woche seine WM-Bewerbung für 2006 angemeldet hat, wenig Eindruck hinterlassen. […] Und ob Fifa-Boss Sepp Blatter […] das überhaupt alles lesen und – was viel wichtiger wäre – als Schweizer nach der Rechtschreibreform auch verstehen kann?
Denken wir uns einen Herrn Mußmann. […] Er hat aufmerksam die Diskussion um die Rechtschreibreform verfolgt und weiß, dass seit kurzem die Zeitungen kein "ß" mehr in Wörtern wie "dass", "Hass", "Nuss" oder "Verdruss" schreiben.
Da stand plötzlich auf der Anzeigentafel: "Steht auf, wenn ihr Saarbrücker seit!" […] Aber keine Panik, nur ein kleiner Wortverdreher - das passiert jedem mal.
Über den Wolken ist die Verständigung grenzenlos; alle Missverständnisse bleiben darunter - denn alle Piloten sprechen Englisch. Die Frage ist nur, wie? […] Von den 37 großen Flugzeugkatastrophen seit 1996 wurden mindestens 13 durch Sprachprobleme verursacht. […] Anders als viele meinen, ist Englisch keine einfache Sprache. Schreibweise und Aussprache haben wenig miteinander zu tun. Wer Englisch lernt, kann von einer Rechtschreibreform nur träumen. Massive Ausspracheprobleme, willkürliche Betonung der Silben und mehr als 150 unregelmäßige Verben machen selbst gestandenen Fliegern zu schaffen.
16. 8. 1999
Mit der Abschaffung der geltenden Schreibweisen hat die Politik die Axt an einen der letzten Grundwerte unserer Gesellschaft gelegt. Nicht, dass vorher alle dem Duden bis aufs i-Tüpfelchen gefolgt wären. […] Man wusste: Perfektion war nicht erreichbar. […] Jetzt soll also alles viel einfacher geworden sein. Schon das entlarvt jeder als dreiste Lüge. […] Darüber hinaus blendet die neue Rechtschreibung mit einer falschen Toleranz. […] Die ohne Not herbeigezwungene Reform fördert nicht das rechte Schreiben, sondern die Scheinheiligkeit und die Doppelmoral.
"Wir haben uns da noch keine Gedanken gemacht", erzählt Bernhard Schulz, der Leiter der Verkehrsbehörde im Hofheimer Rathaus. […] Wie viele der 540 Hofheimer Straßenschilder nach der neuen Rechtschreibung ausgetauscht werden müssten, weiß Bernhard Schulz nicht. Es mache durchaus Sinn, räumt er ein, um im gleichen Atemzug zu bedenken zu geben, dass ein Austausch aber natürlich eine Kostenfrage sei. […] Insofern werde die Stadt Hofheim Straßenschilder nur austauschen und nach der neuen Rechtschreibung beschriften lassen, wenn einmal Defekte vorliegen und ein Austausch ohnehin erforderlich werde. […] Sollten aber neue Straßen benannt werden müssen, so werde man auf die Neuregelungen selbstverständlich Rücksicht nehmen.
Welche Erkenntnisse hat uns dieser Sommer bisher beschert? Nun, wir wissen jetzt definitiv, dass es ein Leben nach Nostradamus und der Sonnenfinsternis gibt, dass Strom gelb ist, dass im Fernsehen so viele Wiederholungen wie noch nie laufen und daß — ups, jetzt ist es uns doch noch einmal heraus gerutscht — die Rechtschreib-Reform doch nicht ganz so schlimm ist wie befürchtet.
13. 8. 1999
Der Lesefluss ist gehemmt, die Konzentration lässt schneller nach, ich brauche mehr Zeit zum Lesen, und da ich die nicht habe, lese ich einen geringeren Anteil der Artikel Ihrer Zeitung. […] Was früher Genuss war, wird zum Stress.
Dass aber die F.A.Z. sich diesem bürokratischen Monstrum untertänigst unterwirft und ihre Leser verwirrt und vergrault, hätte ich nie gedacht.
[…] aber dann hätte man das "ß" gleich komplett streichen können und von mir aus auch sollen. Auch wo es was Sinnvolles (Sinn Volles?) wäre, kann die Reform-Mafia nichts Richtiges machen.
Es ist sicher falsch, wenn Steinfeld die Meinung vertritt, dass die gegenwärtige Rechtschreibreform ein Kind der Systemveränderer vor zwanzig, dreißig Jahren sei. […] War noch in der schön lesbaren Schrift von Wilhelm Wilmanns "Die Orthographie in den Schulen Deutschlands" […] die Überzeugung vorhanden, dass die Wissenschaft der Germanistik eine gewisse Glaubwürdigkeit bei ihren Bemühungen beanspruchen dürfe, so sitzen die wahren Germanisten heutigentags in anderen Hallen. […] in der Physik oder Astronomie käme niemand auf den Gedanken, die wissenschaftliche Argumentation mit der Elle der gesellschaftlichen Wünsche nach einfacher Begreifbarkeit der theoretischen Positionen zu messen.
Wenn man schreibt: "wie Leid es mir tut", müsste man ja auch schreiben: "wie Gut es mir tut".
Ein subtil ausgedachter Racheakt für die jahrzehntelang zäh verfolgte, schließlich aber misslungene Kleinschreibung. Vielleicht, um auf diesem Neuschreib-Umweg dem Kleinschreib-Endziel doch noch nahe zu kommen?
Es sei daran erinnert, dass die eigennamengrossschreibung (substantivkleinschreibung) für den BVR ein nah-, nicht ein endziel ist. Das wort «schließlich» kommt wohl daher, dass einfache gemüter ihre eigene zeit als abschluss der geschichte sehen.
Es ist tatsächlich ein vorauseilender Gehorsam, der typisch für die Deutschen ist und jegliche Zivilcourage vermissen lässt. Das Argument der F.A.Z., man müsse der Rechtschreibung der Nachrichtenagenturen Rechnung tragen, da man vieles von ihnen übernehme, ist scheinheilig.
Doch Ihre Entscheidung, sich nunmehr nach den neuen Rechtschreibregeln zu richten, ist nichts anderes als "vorauseilender Gehorsam" — und ein Armutszeugnis für Ihre anspruchsvolle Zeitung. […] Es bleibt ein Gefühl ohnmächtigen Ärgers, das nunmehr täglich die Lektüre Ihrer Zeitung begleiten wird.
Der letzte Versuch, eine Volksabstimmung über die Reform herbeizuführen, ist in Berlin nicht "gescheitert", sie ist vielmehr mit allen erdenklichen Mitteln vom Senat vereitelt worden.
Leserbriefe von Bürgern, die sich explizit gegen die "Rechtschreibreform" wenden, werden von den Redaktionen auf "Neuschreib" umgesetzt, Romane deutschsprachiger Autoren, die sich nahezu alle gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen haben, desgleichen.
Der kuriose Fall geschah nach der Rechtschreibreform. Sonst wäre man wohlmöglich noch auf die Idee gekommen, "Bankreuber" in die Wörterbücher einzutragen, da der Überfall von aussergewöhnlicher Reue begleitet war: Ein 35-Jähriger hatte am 18. November 1998 eine Sparkasse in Gießen überfallen und mit der Beute eine Taxifahrt nach Frankfurt finanziert, um sich am Landgericht umgehend einem Richter zu stellen.
Auf welchen gemeinsamen Nenner lassen sich die Auseinandersetzungen um den Krieg im Kosovo und das Ladenschlußgesetz, um das russische Beutekunstgesetz und um den Schwangerschaftsabbruch, um die Einführung der Rechtschreibreform und um Rechtsextremismus in Deutschland bringen? Es sind die jüngsten eindrucksvollen Belege für eine um sich greifende Mißachtung geltenden Rechts: sowohl des Völkerrechts als auch des Staatsrechts, sowohl des Grundgesetzes als auch allgemeines Gesetze, sowohl internationaler Vereinbarungen als auch einschlägiger Gerichtsurteile.
Die Details dieses rücksichtslosen Durchsetzungsprozesses […] sind in der Tendenz so demokratiefern, daß man sich gezwungen sieht, von einem tendenziell verfassungsfeindlichen Vandalenakt zu sprechen. […] Die Reform selbst sei "praktisch identisch mit der des Reichserziehungsministers Rust aus dem Jahre 1944". Aber das muß uns nicht wundern. Totalitär Gestimmte von links oder rechts unterscheiden sich zwar begründungsideologisch, nicht aber machttechnisch. Schon gar nicht, was das alte Ziel betrifft: der Neue Mensch! Doch darf man diesen Zusammenhang überhaupt herstellen, wenn es lediglich um eine Rechtschreibreform geht? Man muß es. Keine Diktatur beginnt am Tag der Machtübernahme; alle beginnen mit dem Zerbrechen von Zivilcourage durch staatsgestützte Parteibürokratien lange zuvor.
Keine Angst! Ich kommentiere nicht die neue Rechtschreibreform, die eigentlich nur ein Reförmchen ist und täglich für Verwirrungen sorgt.
Man könnte meinen, das Ziel des BVG-Großversuches zum elektronischen Fahrschein sei es, die Schmerzgrenzen der Rechtschreibreform auszuloten oder die Gesetze der Interpunktion außer Kraft zu setzen: "tick.et" heißt der neue Fahrausweis, "elektronisches Ticketing" das System.
[…] dass in Zeiten wirtschaftlicher Not die Eigeninteressen vor die der Branche gehen. So haben sich Bibliographisches Institut/Brockhaus gründlich verrechnet, als sie mit aller Macht die Rechtschreibreform vorantrieben und über alle Querelen darüber massive Umsatzeinbußen erlitten.
12. 8. 1999
Mir ging es um die Frage, ob Rechtschreibung in der Schule bedeutet, es wird gelehrt, wie man draußen schreibt, oder ist Rechtschreibung das, was eine Kommission für richtig hält?
Eine interessante anregung, dass die schule das lehren soll, was draussen geschrieben wird. Vielleicht würde dann noch mehr gross geschrieben (zu Verkaufen, es ist Zwecklos); vielleicht auch weniger, denn unser BVR ist ja auch draussen.
Rund 140 Zeitungsleser haben an unserem Preisausschreiben zur Rechtschreibreform teilgenommen. Aber: Kein Einziger von ihnen konnte alle Neuerungen vollständig identifizieren. […] Als besonders hohe Hürden erwiesen sich dabei Wörter wie "stattdessen" (alt: "statt dessen") oder "existenziell" (alt: "existentiell"). Auch neue Trennungen ("ers-ter" statt "er-ster") erkannten nur sehr wenige.
"Die Speisekarte bleibt so, wie sie ist. […] Die Rechtschreibreform ist absolut albern, die Sprache entwickelt sich schließlich seit Jahrzehnten selbst." Guido Richard ist Chefkoch im Berliner Restaurant Borchardt.
11. 8. 1999
Ein Blick in das neuerdings Gedruckte zeigt, dass nur das Allerauffälligste nach den neuen Regeln geschrieben wird, das doppelte "ss", das dreifache "fff", kurzum nur das, was hässlich ist und in die Augen springt. Selten aber wird getrennt geschrieben, was jetzt zu trennen wäre; selten wird groß geschrieben, was noch als klein geschrieben in Erinnerung ist.
Im Zuge der Rechtschreibreform hat der Deutsche Beamtenbund Hessen (DBB) seine Mitglieder aufgefordert, die zunehmende Verhunzung der deutschen Sprache durch Aufnahme immer neuer Anglizismen zu bekämpfen.
Aber Vanille, Erdbeer, Schoko sind nichts im Vergleich zum ungekrönten Renner von Reuter-Eis — dem "Kalten Kuß". Seit sage und schreibe 50 Jahren gibt es die kühle Reutersche Erfindung, und selbst die Rechtschreibreform konnte ihr bisher nichts anhaben: Keck, ja fast ein bisschen trotzig schimmert noch immer das "ß" von der Verpackung. Ob nun "ss" oder "ß", der großen Fangemeinde dieser leckeren Eisvariation ist die Reform völlig schnuppe, Hauptsache es schmeckt.
Das Infinitiv-Komma bleibt uns also noch lange erhalten, jedenfalls in der Zeitung. Das wird aber kaum auffallen. Leser der Sportseiten werden es gar nicht bemerken, denn die Sportberichtserstattung ist nahezu "infinitivfrei".
In krassem Gegensatz zu den ministeriellen Zahlen sind die Ergebnisse einer schulpraxisnahen Untersuchung von Arnd Stein. […] Die neue Rechtschreibung ist im Wesentlichen die alte. Kinder, die Schwierigkeiten hatten, werden diese auch künftig haben. Die Rechtschreibreform ist eine Mogelpackung. Sie besticht durch das extreme Missverhältnis zwischen dem Einsatz von Mühe und Geld und ihrem (schul)lebenspraktischen Nulleffekt. Man sollte nicht versuchen, sie den Kindern als große Erleichterung anzudrehen.
10. 8. 1999
Bevor die Stadt nun in hektische Betriebsamkeit ausbricht und Aufträge an Schildermaler erteilt, sei ihr ein Anruf bei der "zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung" in Mannheim ans Herz gelegt. […] "In Zukunft sollte man solche Teile der Benennung von Straßen, Plätzen usw., die selbst keine Eigennamen darstellen, nach den amtlichen Regeln schreiben."
Nur die Frankfurter Stadtverwaltung bleibt eine Insel — vorerst. "Es fällt mir nicht leicht, Schifffahrt mit drei F zu schreiben", gesteht Wilfried Olgemann, der Referent von Personaldezernent Horst Hemzal (CDU). […] Natürlich gibt es bei der Stadt wie immer Oberschlaue, die vorpreschen. Umweltdezernent Tom Koenigs (Grüne) lässt den Schriftverkehr seines Dezernats schon nach den neuen Regeln fertigen. Das Personaldezernat lässt sich auch nicht lumpen: "Wir haben", so Olgemann stolz, "den neuen Duden gekauft".
An was werden wir uns in drei, vier Jahren erinnern, wenn wir an den Sommer 1999 zurückdenken? Nein, nicht an den Kanzler Schröder, der wird längst Geschichte sein, sondern an die Sonnenfinsternis und an die Rechtschreibreform. Nichts hat uns nachhaltiger zu einem Volk von Gleichen geformt wie diese beiden Ereignisse: Kollektiv mussten wir die reformierte Blindenschrift erlernen.
9. 8. 1999
Die letzten Proteste verlieren an Niveau. Eine Initiative verteilt Flugblätter, anonym, und die Antworten bitte hauptpostlagernd. Auch die Reformgegner sollten wissen, wann sie verloren haben. Wir haben in Deutschland wahrlich wichtigere Probleme zu lösen als permanent Konrad-Duden-Gedächtnisspiele zu veranstalten.
Das Herumjammern und Abwarten einiger anderer Tageszeitungen interpretiere ich als ein Nicht-Umlernen-Wollen vieler JournalistInnen, die zwar anderen Berufsgruppen oft zu wenig Flexibilität, Reformwillen etc. attestieren, aber selbst […] nicht das nötige Engagement aufbringen wollen.
Die alte Schreibweise war in vielen Punkten stupid. Die neue ist es auch. Zudem ist die ß-Schreibung ein Trauerspiel. (Für mich besteht darin das größte Ärgernis der Rechtschreibreform.)
Auch die neue ß/ss-Schreibung ist entbehrlich: Sie ist nie besser, aber manchmal schlechter lesbar, und widerspricht in einigen Fällen der österreichischen Betonung.
sprache sollte zur kommunikation dienen und nicht zur maßregelung oder iq-test.
7. 8. 1999
Und mir als Kolumnist hat die BaZ-Mediengruppe ein Heft geschickt, aus dem hervorgeht, wie ich in Zukunft was zu schreiben habe. Ich werde mich selbstverständlich genau daran halten, aber nicht an die neuen Regeln, sondern an das Deutsch, das ich mein Leben lang geschrieben habe.
Die Silbentrennung gehört zu den Gebieten, auf denen die Rechtschreibreform für neue Unübersichtlichkeit sorgt. […] Dass sie nun s-t trennt, leuchtet ein […]. Anders sieht es mit dem Prinzip der Wortstammtrennung aus: es wird de facto aufgehoben. […] Es versteht sich von selbst, dass ein Blatt von Format da nicht mittun darf. […] In gepflegten Texten haben Chi-rurgen und Pä-dagogen, die es inte-ressant finden, ei-nander mit dem Helikop-ter auf der Mai-nau zu besuchen, nichts verloren.
Hier soll nicht über Sinn und Unsinn der Ladenschlussregelungen (die im Grunde ja Ladenöffnungsbestimmungen sind) räsoniert werden. […] Aber es sei ein Wort gegen die deutsche Reglementierwut erlaubt, die auch in der so genannten Rechtschreibreform ihre seltsamen Blüten treibt, bei Befürwortern wie Gegnern. […] Dabei gehört Einkaufen zur Spassgesellschaft (mit ss wohlgemerkt, denn wir in Süddeutschland sprechen das a in Spass kurz, deswegen muss unsere regionale Rechtschreibung den neuen Regeln widersprechen).
Die Umstellung der Süddeutschen Zeitung […] offenbart […] ein obrigkeitsstaatliches Denken von erschreckendem Ausmaß. Chefredakteur Gernot Sittner legt es an den Tag, wenn er verkündet: "Verstöße gegen die neuen Regeln werden nicht geahndet, zumindest nicht bis zum Jahr 2005." Er scheint zu erwarten, dass von 2005 an eine Bundessprachpolizei Bußgelder für die Nichtanwendung des Neuschriebs ausstellen wird.
Aber jeder Lehrer, der Schüleraufsätze auf die Fehlerzahl untersucht und gewissenhaft Statistiken führt, wird feststellen, dass von einem wunderbaren Rückgang der Fehlerzahl nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil: Die Fehlerzahl steigt im Durchschnitt leicht an! Eigentlich wäre gegen alle Kultusminister und Ministerialbeamten, die das, Märchen von der Schreiberleichterung verbreitet haben, ein gerichtliches Nachspiel erforderlich.
Getreu dem Wahlspruch eines japanischen Autoherstellers "Nichts ist unmöglich" machten sich einige Experten an die Arbeit. Das Ergebnis ist, bis auf die neuen Kommaregeln, atemberaubend. Jedenfalls erfüllt es den ursprünglichen Anspruch, einfacher zu sein, keineswegs, ist günstigstenfalls anders.
Ich möchte […] ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Aufgabe einer jeden Rechtschreibnormierung darin besteht, für jedes Wort möglichst eine und nur eine korrekte Schreibweise festzulegen […]. Wenn die in Deutschland an der Macht befindliche Sprachwissenschaft nicht in der Lage ist, eine sachlich fundierte und dem Geist der Sprache entsprechende Reform auszuarbeiten, so ist das traurig.
Wortvergewaltigungen, unlogische Zusammenhänge, oft hirnrissige Trennungen sowie unerklärbare Wortkombinationen sind jetzt an der Tagesordnung.
Ich verstehe unter "maßhalten" etwas anderes als unter "Maß halten"!
"Interesse" kommt von "zwischen sein": inter-esse, […] und wer‘s anders trennt, kriegt eines auf die ...").
Jedermann in England, Italien oder sonstwo, besonders in Frankreich, wo es sogar Gesetze zum Schutz der Sprache vor Fremdeinflüssen gibt — von denen wir uns ruhig eine Scheibe abschneiden sollten —[,] würde sich heftig dagegen wehren, wenn ein Provinzpolitiker eine Reform der Sprache gegen das ganze Volk beschlösse. Deswegen ist es beschämend, wenn sich von 3,4 Millionen Berlinern nur 80 000 gegen die Verhunzung ihrer Schriftsprache zur Wehr setzten beziehungsweise setzen konnten.
Beispiele, in denen ich weiter auf alte Art oder abwechselnd in neuer und alter Orthographie schreibe: Orthographie ("Ortografie" wäre für mein Sprachgefühl erträglich, "Orthografie" nicht), Delphin, Telephon, placieren (weder nach neuer noch nach alter, sondern nach uralter Rechtschreibung), Differentialrechnung, Graphentheorie (Teilgebiet meines Faches, der Mathematik), hot Dog, multiple Choice, […]
Die Nachrichtenagenturen […] wollten Fremdwörter aus lebenden Sprachen nicht eindeutschen. Als Beispiel gibt die SZ ausgerechnet Necessaire an. Diese Form ist aber bereits eingedeutscht. Die französische Schreibweise wäre nécessaire mit kleinem Anfangsbuchstaben und Akzent.
Nein, keine empörten Stimmen, keine Vergällten — die erwarteten Leserbriefe und Protestanrufe sind ausgeblieben. Wo seid Ihr, Erbsenzähler, die Ihr penibel jeden Fehler entdeckt, Buch führt und die gesammelte Liste der falschen Schreibungen einschickt?
Wir haben schon immer geahnt, dass nach Rechtschreibreform und Sonnenfinsternis nichts mehr so sein wird, wie es war.
Also sollen Dipsy, Tinky Winky, Laa-Laa und Po offensichtlich Erwachsene an den Kinderkanal binden. […] Vielmehr werden auch Eltern rasch begreifen, sich mit Stammellauten wie Eh-oh und Uh-oh zu verständigen. Und der Rechtschreibreform folgt endlich die konsequente Modernisierung auch der deutschen Restsprache.
Die ersten Tage in "neuer Rechtschreibung" haben die Zeitungsredaktionen wacker überstanden. "Hoppalas" nahmen die Leser langmütig hin. […] In der ersten Woche nach der Umstellung konzentrierten sich alle Schreiber dieses Landes besonders auf die Einhaltung der Regeln, die so gebieterisch über sie hereingebrochen sind. […] "Die Presse" hat sich an dieser "Reform" nicht beteiligt, gestützt durch die jüngste Leser-Umfrage. Aber sie hat natürlich spiegelverkehrt die selben Probleme wie jene Redaktionen und Nachrichtenagenturen, die umgestellt haben (umgestellt wurden).
Dieselben schreibt man allerdings alt und neu zusammen.
Herzlichen Glückwunsch und Dank der "Presse", daß sie getan hat, was selbstverständlich sein sollte: nämlich die Leser befragen, wenn so etwas Einschneidendes vorgenommen werden soll wie die sogenannte Rechtschreibreform.
Es ist aber auch nicht anzunehmen, daß angesichts einer immer stärker um sich greifenden geistigen Nivellierung nach unten ein stärkeres Engagement für ein Kulturgut "Deutsche Sprache" zu erwarten ist.
6. 8. 1999
Wenn ich nur daran denke, wie lange es bei mir gedauert hat, bis ich kapiert hatte, dass man "nummerieren" nur mit einem "m" schreibt. Und jetzt gilt plötzlich das Stammlaut-Prinzip und man schreibt "nummerieren" jetzt so, wie ich mir das erfolgreich abgewöhnt hatte.
Klaus Schrotthofer, stellv. Chefredakteur, beantwortet Leserfragen. […] Herr Gins, Siemensstadt: […] Viele Leser hätten sich gefreut, wenn die Berliner Zeitung den Unsinn der Rechtschreibreform nicht mitgemacht hätte […]. Ja, auch manchen Journalisten fällt die Umstellung schwer. Aber es wäre kaum möglich gewesen, als einzige Zeitung bei der alten Rechtschreibung zu bleiben, während fast alle anderen Medien und Agenturen umstellen.
"Oh Gott, daran hat bei uns ja noch niemand gedacht", lacht Gabriele Dehmer, Leiterin des Frankfurter Straßenbauamts. […] Die Leiterin des Straßenbauamts geht davon aus, daß die neue Rechtschreibung zukünftig bei der Bestellung von Schildern angewandt wird.
Das Interesse unserer Leser an den neuen Rechtschreibregeln übertrifft alle Erwartungen. Bereits wenige Tage nach dem Angebot, sich durch eine kostenlose Broschüre über die neue StZ-Schreibweise zu informieren, ist die erste Auflage von 2000 Exemplaren vergriffen.
Die neue Schreibweise gilt erst seit ein paar Tagen, aber jetzt schon zeigen sich zwei Phänomene. Erstens: das Chaos ist größer als anfangs erwartet. Zweitens: es macht nichts. […] Kein Schaden, wenn künftig die Orthographie ein bißchen weniger wichtig wird.
5. 8. 1999
Die wirkliche Katastrophe in der neuen Pariser «BN» ist das Informations- und Suchsystem. […] Allein die französische Orthographie stellt jeden Informatiker vor irrwitzige Probleme.
Auch diese Zeitung hat mit der vorliegenden Ausgabe umgestellt. Weil jedoch bei uns wie anderswo selten von behänden Gämsen die Rede ist, die sich aufwändig schnäuzen und dank überschwänglicher Tipps ihr Potenzial erhöhen, werden viele Leser den Vollzug kaum bemerken. […] Streiten wir also nicht weiter darüber, ob uns die Reform gefällt oder nicht. Wir haben etwas bekommen, was wir nicht wollten und auch nicht brauchen. Wo es uns nicht passt, können wir ja davon abweichen.
Der Verfall der deutschen Kultur droht, glaubt man einzelnen Anrufern. Ruth Geier denkt dagegen praktisch. "Sprache ist ein Werkzeug, um Dinge auszudrücken und sich selber zu präsentieren", sagt die Germanistin.
Welche Meinung haben Bewohner des Landkreises Schweinfurt? Obwohl Werner Aumüller und Ulrike Bayer aus Obereuerheim einräumen, dass vieles durch die Rechtschreibreform vereinfacht sei, bezeichnen sie diese als "Quatsch". Einerseits sei es schwer, all die Änderungen zu verinnerlichen [,] und andererseits "ist es einfach unsinnig, dass keine einheitliche Lösung gefunden werden konnte und die Rechtschreibreform nicht in ganz Deutschland gilt", beschwert sich das Pärchen.
Unserem "Du" wird seit der Rechtschreib-Reform in der Anrede auch keine so große Bedeutung mehr beigemessen: Duzt man jemanden, so besteht kein Anlass mehr, durch Großschreibung besondere Ehrerbietung zu bezeugen.
Der deutsche Protestantismus sollte beim Anwenden der neuen Rechtschreibung eine Vorreiterrolle einnehmen. Dafür hat sich der Leonberger Dekan Hartmut Fritz in einem Schreiben an alle Pfarrämter und kirchlichen Einrichtungen seines Kirchenbezirks ausgesprochen.
Während seit Sonntag die Nachrichtenagenturen und die meisten Zeitungen auf das neue Regelwerk umgestellt haben, wird es in der Werbung wohl ein buntes Nebeneinander von Alt und Neu geben.
Das britische Blatt mokiert sich über die deutsche Rechtschreibreform. […] Die Art, wie diese Fragen entschieden werden, scheint unsere nationalen Vorurteile zu bestätigen.
Als wissenschaftlichen Leiter der Rechtschreibkommission freut es mich sehr, dass ich Ihnen zur geradezu vorbildlichen Umstellung auf die neue Schreibung gratulieren kann.
Durch das Reförmchen (bzw. Reformerl; wurde der austriakische Diminutiv nicht im EU-Beitrittsakt festgeschrieben?) ist zumindest die enge Beziehung zwischen Orthografie und Selbstverantwortung sichtbar geworden.
Anstatt Absurditäten wie Teeei hervorzuheben (schreiben Sie doch weiterhin Tee-Ei, wenn es der Lesbarkeit dient), wäre es meiner Meinung nach lohnender, über die gerade von Schriftstellern beklagte angebliche Sprachverarmung nachzudenken.
Die eindeutschende Schreibweise Majonäse steht schon seit mehr als 60 Jahren so im Duden.
4. 8. 1999
Mit der Leserfreundlichkeit haben auch die Reformgegner stets argumentiert, anders als die Reformbetreiber, deren zentraler Impuls darauf zielt, das Schreibenlernen zu erleichtern. Der Dissens ist grundsätzlich und scheint unüberbrückbar.
Es ist das schicksal jeder rechtschreibreform, wegen angeblich schlechterer lesbarkeit abgelehnt zu werden — das war schon bei der abschaffung der fraktur so, die natürlich viel besser lesbar war. Das schreibenlernen ist uns ein anliegen, aber nur einfache gemüter denken monokausal.
In den Bundesbehörden und -verwaltungen ist seit dem 1. August die neue Rechtschreibung Amtssprache und wird in jedem amtlichen Schriftverkehr verwendet. Der Berliner Senat bietet noch kein einheitliches Erscheinungsbild.
Es ist bedauerlich, dass die Diskussion um die Rechtschreibreform derartig emotional geführt wird. Es geht hier nicht um einen Eingriff in die Sprache, sondern lediglich um eine Reform der Schreibweise.
Pünktlich ein Jahr nach der offiziellen Einführung der Neuerungen nahmen sich die Medien der neuen Regeln an und versuchen seit vier Tagen, sich und die Bevölkerung an das teilweise befremdliche Schriftbild zu gewöhnen. Wie schnell mahlen die Mühlen der Behörden? Der FT fragte in Amtsstuben im Landkreis nach, was in Sachen neue Rechtschreibung passiert.
Muss das Sporergäßchen künftig Sporergässchen heißen? […] Auf Straßen und Plätze haben die geänderten Regeln keine Auswirkungen, meinen die Fachleute. […] Wie Familiennamen mit ß durch die Reform nicht verändert werden, so hätten auch die Straßenbezeichnungen "als Ganzes" Bestandsschutz.
Und wenn nun in einem neubaugebiet ein neues gässchen entsteht? Gewiss wird man nicht nur wegen der neuregelung schilder austauschen, aber ein gäßchen wird selbstverständlich zum gässchen. Wem soll denn mit einer in alle ewigkeit fortgesetzten sonderschreibung gedient sein? Oder wird der name auch beibehalten, wenn ein gässchen zur vierspurigen durchgangsstrasse ausgebaut wird?
Die seit Montag auch in den deutschsprachigen Tageszeitungen umgesetzte neue Rechtschreibung gehört offenbar nicht zu den Themen, die viele Leserinnen und Leser der Zeitungsgruppe Main-Post besonders bewegen. Gerade mal zwei Dutzend Anrufe registrierten die Vertreter der Redaktion gestern Vormittag am Servicetelefon. […] "Mehr Reform" gewünscht hätte sich auch ein Leser aus Würzburg, nach dessen Ansicht nur eine grundsätzliche Kleinschreibung (Eigennamen und Satzanfänge ausgenommen) eine wirkliche Vereinfachung bringen würde.
Bei unserer gestrigen Telefonaktion, bei der Leser Fragen stellen konnten, wurde auch grundsätzliche Kritik an den neuen Regeln geübt […]. Die meisten Fragen an Professor Dieter Herberg und Dr. Klaus Heller vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache drehten sich allerdings um die Inhalte der Reform.
Heißt die jetzige Schloß- im Zuge der Durchsetzung der Rechtschreibreform beispielsweise in den Städten Neustrelitz und Mirow künftig richtigerweise Schlossstraße?
Na ja, schön findet sie hier eigentlich niemand — die Rechtschreibreform. Und hilfreich auch nicht. In den vorpommerschen Dörfern Lüßmitz, Lüßvitz, Bußvitz und Voßberg nimmt man sie aber gelassen hin — solange der Ortsname nicht angetastet wird. "Dat würd' echt to wid gahn", wie ein oller Fahrensmann aus Lüßvitz auf der Insel Rügen meint. "Wieso de ut Sassnitz sich ümnannt hebb'n, dat weet ick ok nich."
Ist es nessessär, über die Rechtschreibreform noch weitere Worte zu verlieren? Schon, aber nur ein paar, sind die Neuregelungen doch ein dankbares Thema, wenn in geselligen Runden der Gesprächsstoff ausgeht: Ja, da werden Millionen verdient, Wörter vergewaltigt und Sinne entstellt.
Nach Auffassung des Reformgegners Friedrich Denk hat in den Medien die Umstellung noch nicht geklappt. Schon auf den ersten Blick habe er Fehler gefunden.
Die Briten sind für lexikalischen Pragmatismus, die Franzosen halten sich an die Akademie Française, die Deutschen warten auf Befehle von oben. Nur stellt sich jetzt heraus, dass sie das gar nicht tun.
Klar, dass sich niemand an die feinen Herrschaften aus der griechischen Wissenschaft und Kunst herangewagt hat. Philosophie, Philharmonie und Rhythmus bleiben bis auf weiteres unnahbar und unangetastet.
Statt Tschüss Peymann! heisst's Adieu Mortier! Der Steinkauz findet, daß die Herren einander sehr ähnlich sind, wenn auch festzustellen ist, dass der Belgier das schönere Deutsch spricht. Und Französisch sowieso: Er weiß, dass man Chance sagt und nicht Schangse, welche Variante bekanntermassen (oder -maßen?) nicht einmal in der Rechtschreibreform eine Schanze hatte. So, womit auch der Steinkauz seinen Senf zum Tema (oder heißt — heisst?!? — es noch immer Thema?) der Woche gegeben hat.
3. 8. 1999
Die printmediale Einführung der Rechtschreibreform beispielsweise kommt mit dem Charme anarchischer Beliebigkeit daher. Das Diktat der Presseagenturen, vom 1. August an die neuen Schreibungen über die Ticker zu schicken, zeitigt seit gestern ein öffentliches Üben in den meisten Blättern. […] Die angewandte Rechtschreibreform und die forcierte Aufweichung des Ladenschlussgesetzes sind nur zwei Beispiele dafür, dass sich die Republik im Übergang befindet.
Die Einführung der neuen Rechtschreibung bei den meisten deutschen Zeitungen ist nach Ansicht des Reformgegners Friedrich Denk ein "schwarzer Tag für die deutsche Sprache, die deutsche Literatur, die Zeitungen und die Demokratie." […] Das am Montag in München vorgestellte Werk des Erlanger Professors Theodor Ickler soll die "allgemein übliche Rechtschreibung" in Deutschland festhalten, wie Matthias Dräger von der Bürgerinitiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" sagte. "Nach der Reform haben die Millionen, die sich der Neuregelung verweigern, sonst kein Nachschlagwerk mehr […]", sagte Ickler.
Die Frankfurterin Ingeborg Zahn kann über die Wichtigtuer, die das Thema aufbauschen, nur lachen. "Im Grunde sind es nur ein paar Regeln, die man sich merken muss. Die sogenannten Experten erklären das oft viel zu kompliziert. Ich benutze ganz einfache Merksätze", sagt die 55-jährige, die als freie Korrektorin arbeitet. […] Zu den häufigsten Fehlern gehört ihrer Meinung nach die Schreibung von "am besten". "Die meisten schreiben das ,b' groß. Dabei handelt es sich doch um eine Steigerungsform von ,gut' und nicht um ein substantiviertes Adjektiv", so die begeisterte Korrekturleserin.
Es ist einem schier unmöglich, nachdem man sich Blochwitz' Texte 'reingezogen hat, noch vergnatzt über das Mäuslein zu sein, das ein kreißender Berg von vermeintlichen Sprachexperten geboren hat. Die Leichtigkeit, mit der der Autor sich des Reförmchens annimmt und uns klar macht, dass "muss" jetzt immer mit "ss" zu schreiben und was sonst noch zu beachten ist, baut Brücken zu noch Ungewohntem, fremd Aussehendem.
Ich muss zwar manche Wörter anders schreiben, aber regelmäßig im Duden nachschlagen, ob sie nicht doch so wie früher geschrieben werden.
Einen Tag nach der Übernahme der Rechtschreibreform durch die meisten deutschsprachigen Zeitungen hat die Initiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" in München ihren "Ersatz für den Duden" vorgestellt. Die "Deutsche Einheitsorthographie" wurde von dem Erlanger Linguistik-Professor Theodor Ickler verfasst.
Matthias Dräger […] setzt auf die EU. Er hofft, dass der Europäische Gerichtshof die Reform noch stoppt.
Überwiegend mit Zustimmung reagierten gestern Leserinnen und Leser auf die Einführung der neuen Rechtschreibung in der OP. […] Auf einer Zeitungsseite werden wir den gesamten August die Änderungen im Vergleich zur alten Rechtschreibung durch Kursivschrift kennzeichnen — um so die Gelegenheit zu geben, sich spielerisch näher mit den Regeln der neuen Rechtschreibreform vertraut zu machen.
Einen Tag nach der Übernahme der Rechtschreibreform durch die meisten deutschsprachigen Zeitungen hat die Initiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" in München ihren "Ersatz für den Duden" vorgestellt.
Der Rathausmitarbeiter versichert, dass bei neuen Straßennamen auf jeden Fall gleich die neue Konsonantenschreibung berücksichtigt werde. Als günstig für die Stadt Stuttgart erweist sich nach Ansicht von Baumann die große Zahl an Personennamen, wie Johannes-Brenz-Platz oder Theodor-Heuss-Straße, da diese vor allen orthografischen Reformen gefeit sind.
In Berlin treffen sich in dieser Woche 3000 Esperanto-Anhänger aus 65 Ländern. Die Geschäftsführerin des Deutschen Esperanto-Bundes, Ursula Niesert, hat den Weltkongress mit organisiert. […] SZ: Sind sie von der Rechtschreibreform betroffen? Niesert: Nein. Unsere Grammatik ist seit der Erfindung vor über hundert Jahren unverändert. Nur der Wortschatz erweitert sich.
Ums Besondere geht es, seit sich Bjørn Lillegraven, Redner der Münchner Corpsstudenten, die das Konzert veranstalten, auf der Bühne im Samtvorhang verheddert hat. "Auch in Zeiten der Rechtschreibreform und sonstiger Versuche der Nivellierung: Was ist so verwerflich an Eliten?" rief er in den Saal. Das fragt sich auch Michael Samtleben vom Corps Saxo-Thuringia: "Man braucht eine kleine Schicht von exquisiten Leuten auf allen Gebieten."
Die kleine schicht von exquisiten leuten auf dem gebiet der rechtschreibung findet sich im Bund für vereinfachte rechtschreibung.
Die gute Nachricht zuerst: Die Rechtschreibreform trifft den Bundesrat nicht. Abschaffen schreibt man auch fürderhin nicht mit drei "f". Die schlechte: Heide Schmidt redet vom Auflösen, Van der Bellen, Lugner und sogar der prominente Sozialdemokrat Nowotny, von dem wir immer dachten, daß er unter dem Namen Konecny im Bundesrat sitzt.
A echta Bayer schert si um di Rechtschreibreform von dene Preuß'n an Schmarr'n! Peter Gauweiler etwa hat andere Sorgen mit Sprachtraditionen. Als CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag forderte er, schleunigst einen Bericht zur "Rettung der bayerischen Sprache" zu erstellen.
2. 8. 1999
Dabei handelt es sich keineswegs um eine umwälzende Neuerung, denn von den rund 120 000 deutschen Wörtern, wie sie der "Duden" auflistet, ändern nur gerade deren 185 ihre Schreibweise und in vielen Fällen gilt sogar die Freiwilligkeit.
Jetzt wird es für nahezu 100 Millionen Menschen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz mit der deutschen Rechtschreibreform richtig ernst: In den meisten Zeitschriften und Zeitungen — darunter auch der AZ — werden alle Texte nach den neuen Regeln veröffentlicht.
Keiner der radikalen «Verbesserungs»-Vorschläge aus den Anfängen der Orthografie-Diskussion hat sich letztlich durchsetzen können. Auch in Zukunft wird in der Basler Zeitung ein typisch italienisches Nudelgericht «Spaghetti» heissen. […] Dass in der Schweiz eine andere Sprachkultur gewachsen ist als bei den deutschprachigen Nachbarn, darf sich getrost in einem anderen Sprachbild dokumentieren. […] In der BaZ bleibt der Denker schön altmodisch «Philosoph», und der Bildermacher wird schön neuzeitlich zum «Fotografen» verschlankt.
Die Rechtschreibreform gilt jetzt auch für unsere Zeitung. Was ändert damit? Und was bezweckt die ganze Sache? […] Schmatz: Wir haben mehrere Zeitungsseiten unter Berücksichtigung der neuen Orthografie korrigiert und festgestellt, dass es pro Seite durchschnittlich sechs bis sieben Änderungen gibt. Also werden die Neuerungen den Leserinnen und Lesern nicht ins Auge stechen.
Eine kleine AZ-Umfrage hat ergeben, dass es auch in der Europastadt Aachen in vielen Bereichen vorerst weitgehend beim Alten bleibt — zumindest, solange der Trend zur reformierten Schreibe sich noch nicht durchgesetzt hat. […] «Ich habe den Eindruck, dass wir momentan dringendere Probleme angehen müssen», meint auch Manfred Piana, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes, lapidar. Und ist sich zumindest darin mit Achim Plaum, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei der Sparkasse, einig — nicht zuletzt im Hinblick auf die Herausforderungen an Kollege Computer in Sachen Jahrtausendwende. […] Dass sein Dienstherr — das Wissenschaftsministerium — dem Gelehrten längst befohlen hat, im offiziellen Schriftwechsel grundsätzlich die neuen Regeln zu beachten, ficht Christian Stetter nicht an. «Das ist doch absurd. Von mir aus kann die Ministerin mir bei dienstlichen Schreiben ja einen Rechtschreibfehler anmalen . . .»
Wir übernehmen die «modifizierte» Rechtschreibung — was bedeutet, dass nicht jeder Unsinn der Rechtschreibreform mitgemacht wird. […] So wird denn in Zukunft bei uns Katarina Witt «Eis laufen», aber der Artist «seiltanzen». Warum das so sein soll, hat auch der Streit der vergangenen Monate nicht erhellen können. Aber wir werden uns daran gewöhnen. Alfred Brehm schrieb vor gut 100 Jahren sein «Illustrirtes Thierleben», und die deutsche Sprache hat keinen Schaden dadurch genommen, dass inzwischen ein «e» hinzukam und ein «h» wegfiel.
Um Nachsicht bei Fehlern, «Verständnis für Rückfälle» und um Gelassenheit angesichts der Reform baten am Sonntag mehrere Zeitungen.
Seit fast einem Jahr ist Schleswig-Holstein eine Rechtschreibinsel. […] Doch jetzt peilt ausgerechnet die CDU, die im Vorjahr vehement das Volksbegehren gegen die Rechtschreibreform unterstützt hatte, einen raschen Kurswechsel hin zur modernen Schreibweise an.
Korrekte Rechtschreibung, nach allen Regeln der Reform, wird bei uns gross geschrieben, ich meine groß geschrieben - oder doch, unreformiert, großgeschrieben?
Die Reform hat nun gesiegt, und zwar auf dem Verwaltungsweg. Das ist ein würdiger Triumph für ein Unternehmen, das vor zwanzig, dreißig Jahren aus dem Idealismus entstanden war, den Sprachlosen in dieser Gesellschaft könne mit den Mitteln der Rechtschreibung zu Anerkennung und Stimme verholfen werden. Denn auf diese Idee geht der Vorsatz zurück, mit Hilfe des Staates einen Bruch in der Entwicklung der deutschen Schriftsprache zu verfügen. Von den großen Plänen der Reform, in deren Zentrum einst die Kleinschreibung der Substantive stand, ist kaum etwas geblieben.
Man mag der reformierten Rechtschreibung Schlechtes nachsagen, soviel man will, ein Vorzug ist unbestreitbar: Sie vermehrt die Zahl der Möglichkeiten und insofern die Freiheit. […] Der alte Duden war der Kodex einer hobbesianischen Welt: Die Autorität der Mannheimer Redaktion, nicht die Wahrheit ihrer sprachwissenschaftlichen Prämissen machte ihre Verlautbarungen zum Gesetz. Künftig muss die Sprachgemeinschaft die Zweifelsfragen selbst entscheiden, in denen nun niemand mehr maßgeblich ist, in einem alltäglichen Plebiszit.
In der Ökonomie ändert sich mit der neuen Rechtschreibung relativ wenig. […] Die Verfasser von Bilanzen müssen allerdings etwas umdenken. Denn aus Überschuß wird Überschuss. Der Verlust hingegen prangt unverändert im allerdings gewandelten Abschluss.
Auch bei uns in den Redaktionen herrscht Kopfschütteln über manches, das sich die Reform-Germanisten ausgedacht haben. Die eine oder andere Ungereimtheit wird eines Tages von selbst der Macht des Faktischen erliegen, weil sie nicht angenommen wird.
Doch wer ein richtiger Deutscher ist, strebt nach Regeln, die in erster Linie klar und erst in zweiter Linie plausibel zu sein haben. […] Die "neue" Rechtschreibung von 1998/99 soll einfacher sein als die "alte" von 1901/1902. Ist sie einfacher? Für Klein Fritzchen im Deutschunterricht wohl kaum. Ausnahmen wurden aufgehoben, andere dafür neu geschaffen.
Heute ist es so weit, heute ist Premiere! […] Vom heutigen Montag an setzt die HAZ die Rechtschreibreform um. Sie tut dies ohne Euphorie, eher gleichmütig, weil sich auch die in Deutschland wirkenden Nachrichtenagenturen entschlossen haben, von nun an die neuen Regeln anzuwenden. […] Neben dem schier undurchdringlichen Dickicht der Getrennt- und Zusammenschreibung, das trotz vieler Änderungen hübsch weiterwuchert, wurde das Regelwerk freilich auch gelichtet.
Jetzt kommt die Reform in den Alltag. […] Diese Rechtschreibreform ist nie eine Sache des Volkes gewesen. […] Bei der Umstellung der Postleitzahlen zum Beispiel war mit Millionenbeträgen um Akzeptanz geworben worden, bei der neuen Rechtschreibung hielten es die Kultusminister aber nicht einmal für nötig, Broschüren für ein besseres Verständnis ihrer Pläne zu drucken. […] Weil es nach dem langen Streit außer in den Schulen überall an Akzeptanz und Einsicht fehlt, wird es lange Zeit Verwirrung geben. […] Aber war es nicht schon lange so? Das Institut für deutsche Sprache in Mannheim hat gerade erst vor ein paar Jahren fast der Hälfte aller Deutschen für ihre Rechtschreibkenntnisse die Noten "mangelhaft" oder "ungenügend" gegeben. Sie pflegten also längst ihre eigene Orthografie. Dass die Reform keine echte Hilfestellung bietet, weil sie halbherzig ausgefallen ist und auf eine radikale Erleichterung der Schreibung verzichtet, ist daher das Problem — und nicht, dass private Briefe nicht den gleichen Regeln folgen wie Behördenschreiben und dass Alt und Neu vielleicht auf einer Zeitungsseite nebeneinander stehen.
Die heutige Reform ist keine Nacht-und-Nebel-Aktion. Mit den Vorarbeiten begann man schon in den 70er Jahren in Berlin, Rostock und Mannheim.
Die Reform ist im Fluss und nicht mehr aufzuhalten. […] So empfiehlt sich eine vorwiegend von Zuversicht getragene Philosophie der Orthografie. Zu lange wurden deren Veränderungen von Gegnern verteufelt, so lange, bis selbst beim Gutwilligsten jede ordentliche innere Einstellung dazu flöten ging. […] Wir mussten den Blick auch auf unsere Leser von morgen richten. Die Zukunft soll gleichsam Empfehlung für alle sein, die orthografischem "Schnelllauf" oder "See-Elefanten" nicht das Geringste abgewinnen können.
Um unseren Lesern Gelegenheit zu geben, sich mit Fachleuten über die Reform zu unterhalten und Fragen zu stellen, haben wir Dr. Klaus Heller vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache für eine Telefonaktion eingeladen. Am morgigen Dienstag, 3. August, wird er zwischen 16 und 18 Uhr zusammen mit seinem Kollegen Professor Dieter Herberg in unserer Redaktion am Telefon sein.
Landkreis-Sprecher Jörg Rau geht noch weiter. Obwohl die Kreisverwaltung mit dem Stichtag 1. August offiziell die neue Rechtschreibregelung in ihrem Schriftverkehr eingeführt […] hat, will Rau sich bis auf weiteres an die alten Regeln halten. "Ich lehne diese Reform ab, weil ich es für absolut unverständlich halte, sich mit einem derartigen Aufwand und derartigen Kosten mit solchen Dingen zu befassen. Die Sprache wird vom Leben geschrieben, und nicht von irgendwelchen Gesetzgebern."
Vgl. dreikonsonantenregel. Im übrigen hat hier wohl das leben ein komma zuviel gesetzt.
Volksaufstände (die Nußdorfer haben da ja eine gewisse Tradition zu wahren) sind nicht zu erwarten, weil die Väter und Mütter der Rechtschreibreform die Eigennamen von ihrem Tun unberührt ließen. Doch ist dies kein Freibrief für alle Zeiten. So legte sich das ehrwürdige Cöln in modernen Zeiten das proletarische K zu, ohne dass die Gebeine der heiligen drei Könige bis ins Mark erschüttert wurden.
Beginnend mit dieser Ausgabe hält sich auch der SPIEGEL - weitgehend - an die Regeln der neuen Rechtschreibung, obwohl er vor knapp drei Jahren (nicht ganz unernst) signalisiert hatte, er werde "die Reform ignorieren, es bleibt beim gewohnten Deutsch". Warum? Zum einen, weil die "Reformer" in der Zwischenzeit ihre eigene Reform noch einmal reformiert und einigen Schwachsinn beseitigt haben; zum anderen, weil, zeitgleich mit den Nachrichtenagenturen, nahezu alle deutschen Zeitungen und Zeitschriften nun in Neu-Deutsch schreiben und der SPIEGEL nicht als Mahnmal gegen eine überflüssige Reform allein in der Presselandschaft stehen kann und will.
Als das SZ-Magazin vor ein paar Jahren in einem Anflug von vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Kultusministern, die die Reform zu verantworten haben, sich in einer kompletten Ausgabe bereits an die neuen Regeln hielt, fiel das kaum auf. Und von den mehr als 700 Wörtern, die dieser Artikel umfasst, hat sich bei nicht mehr als 20 nun die Schreibweise verändert (die mehrmalige Verwendung zum Beispiel von "Orthografie" und "dass" mitgerechnet).
Die taz-Korrektur hatte die Umstellung sorgfältig vorbereitet und mit der Redaktion abgestimmt. Es wäre dennoch vermessen zu behaupten, nun sei allen alles klar.
Falls Sie die Zeitung nicht von hinten lesen, werden Sie gemerkt haben, dass Ihr Lieblingsblatt heute die Rechtschreibreform eingeführt hat. […] In der fiirtn und leztn Fase köntn dii Wörter fiileicht fon alem übrign Balast befreit wern, nemlich fom ein oder andren Umlaut, man were in der Lage, sich meer an dii Umgangsschprache anzuleen. […] Eine derart faeinfachte Schprache were für dii EU als Hauptschprache beschtimt interesant.
Eine Fortschrittstat ist diese Rechtschreibreform nun wirklich nicht. Zu halbherzig einerseits, zu grotesk andererseits. […] Deshalb allerdings die Bevölkerung zum Widerstand aufzurufen, wie es Die Presse seit Monaten tut, ist ein Scheinaufstand gegen eine Scheinreform. Ist ein verzopfter Sturm im Wasserglas. […] Wenn man also sagt, diese Reform machen wir nicht mit, sollte man nicht auf dem Alten bestehen, sondern müsste den notwendigen Fortschritt proben.
Es läuft an allen Ecken und Enden des Musikwesens das Strauß/ss-Jahr und dank Inkrafttreten der Rechtschreibreform gibt es pünktlich neuartige Einsichten. Strauß Johann wäre korrekt, Strauss Richard daneben, wenn es sich um zwei Vögel handelte und nicht um zwei Eigennamen.
1. 8. 1999
In diesem Online-Special (www.express.de/aktuell/extra/rechtschreibung) finden Sie umfassende Informationen zur neuen Rechtschreibung der Zeitungen. […] Die Zeitungen setzen nur etwa 95 Prozent der neuen Regeln um. […] Deshalb heißt dieser Sonderteil "Die neue Rechtschreibung für Erwachsene", für Schulkinder gelten die amtlichen Regeln.
Die vollständige Umsetzung der Reform wird aber noch Zeit benötigen. Viele Redaktionen bitten die Leser um Nachsicht, falls sich am Anfang noch Fehler einschleichen.
Jedes Wort, das aufgrund der Neuregelung schwer lesbar bzw. von der Bedeutung her falsch geschrieben ist und daher auch falsch verstanden wird, schafft Verwirrung und stört die Zufriedenheit des Lesers mit seiner ihm ansonsten liebgewordenen Zeitung. Der Beschluß der Nachrichtenagenturen ist von vornherein nicht auf Endgültigkeit angelegt, sondern auf Änderung. Heißt es doch, daß man die Entwicklung „beobachten“ und ggf. „reagieren“ wolle. Da die meisten Neuschreibungen schlichtweg falsch sind, weil sie gegen Semantik und Grammatik der Sprache verstoßen, ist eine Beobachtungsphase nicht vonnöten, man kann gleich „reagieren“. Die Nachrichtenagenturen und die Zeitungen könnten also sehr schnell den Beschluß fassen, den Zeitungslesern ihr Vergnügen am Zeitungslesen durch Rückkehr zur bisherigen Schreibweise zurückzugeben.