Und Günter Kunert freut sich: «Die Sprache triumphiert über die Kultusministerbürokratie.» Wird da nicht Rechtschreibung mit Sprache verwechselt?
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
31. 7. 2000
Und weil neben der Rechtschreibreform und dem Verschönerungsverein seines oberösterreichischen Heimatdorfs Pichl der Eisvogel im Mittelpunkt der klugen Spracherkundungen steht, erlaubt sich Brandstetter anregende Gedankenflüge über viele Themenfelder […].
„In Deutschland weiß keiner mehr, wie man richtig schreibt", so Thomas Steinfeld in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Juli 2000 über die Folgen der Rechtschreibreform. Recht hat er: In einer einzigen Kolumne bringt er es auf sieben zum Teil gravierende Fehler.
Bundesbildungsministerin Bulmahn (SPD) und die Kultusminister der Bundesländer lehnen eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung ab. […] Forderungen mehrerer Politiker, die Reform im Bundestag zu erörtern, lehnte die Ministerin ab. Rechtschreibregeln seien "keine politische Entscheidung".
Das Ergebnis der Reform war vorauszusehen: Sie konnte nicht überzeugen, trotz allen von oben ausgeübten Drucks, trotz aller Bereitschaft zu vorauseilendem Gehorsam, die in Deutschland offenbar so leicht nicht auszurotten ist. Zu vieles an den neuen Regeln ist unsinnig, widersprüchlich, unverständlich oder verletzt das Auge; zu vieles unpraktisch. Auch ds Aufkeimen verschiedener Hausorthographien war vorauszusehen. Das ständige Nebeneinander von alter und neuer Schreibung muß Verwirrung stiften (ohne daß mit der neuen viel gewonnen wäre). In dieser Lage ist der Beschluß der F.A.Z., zur alten Schreibung zurückzukehren, ein mutiger, hochwillkommener Befreiungsschlag, und er wird auch in einem kaum vorhersehbaren Ausmaß so empfunden.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat sich entschlossen, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Auch wir begrüßen diese Entscheidung und freuen uns über die neue deutsche Anarchie.
hätte es nicht darum gehen sollen, deutsch zu einer leichter erlernbaren sprache zu machen. für deutsch- und nichtdeutschsprechende. das ist ja nun sicher nicht erreicht worden.
Jaaaa, ich würde auch gerne Jubeln! […] Der Schulterschluß der FAZ mit dem Neuen Deutschland, das rüstig-zackige „Erwarten uneingeschränkte Solidarisierung mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in dieser Orthographie-Sache“ der roten Greise Hacks, Heym und Kant, die Seite an Seite mit Schirr- und Nonnenmacher im Zeichen des ß gegen die Kultusminister ziehen, spiegeln den Geist in dem man Schlachten gewinnt - wenn es doch nur welche zu schlagen gäbe!
Seitdem ich (auf deutsch) schreibe, folge ich, revolutionär-experimentell wie ich nun einmal bin, meiner eigenen Rechtschreibreform, in dem ich mich überall dort, wo mir Ortographie, Valenz etc. nicht flexibel genug sind, einfach über diese hinwegsetze. […] Das kann ich tun, denn zum Glück bin ich weder Journalist noch Schulkind und somit - ein freier Mensch.
Ein Abwenden von den Reformregeln und eine Rückkehr zur alten Schreibweise machten keinen Sinn, sagte der Landtagsabgeordnete Thomas Stritzl am Wochenende. Er ging damit auf deutlichen Gegenkurs zum CDU-Bundestagsabgeordneten Dietrich Austermann, der sich gegen die neue Rechtschreibung ausgesprochen hatte.
Hier bereitet die Staatsschule die Kinder nicht mehr auf die gesellschaftliche, also auch sprachliche Wirklichkeit vor, sondern sie nimmt mittels der Schule selbst Einfluss auf diese Wirklichkeit. […] Denn die Lehre der Rechtschreibreform 1998/2005 ist doch offenkundig: Es wird von der Öffentlichkeit nicht mehr toleriert, wenn der Staat auf dem Gebiet der Kommunikationsweise sein Panier aufpflanzt. Dieser Staat wäre daher gut beraten, sich schnellstens und, solange es möglich ist, geordnet aus dem Gebiet der Sprachregulierung zurückzuziehen. Gelassen möge er sehen, was der Mehrheit der Sprachbenützer beliebt. Dann würde ein orthographischer Entschluss, getroffen in einer Redaktionsstube, der Politik auch kein Wochenende mehr vermiesen.
Und wie wäre es ohne reform? Nähme die staatsschule dann keinen einfluss auf die sprachliche wirklichkeit? Wo lernen denn die kinder schreiben? Zu hause? Es geht heute wie früher um die von einem Presse-gastkolumnisten formulierte frage: «Aber wer entscheidet dann, wie Schüler und Beamte schreiben?»
30. 7. 2000
Vor allem sollten sich aber die Kritiker im Klaren sein, dass es wohl zu einer Neuauflage des Streits um die Großschreibung kommen dürfte, die den Experten und Pädagogen, denen die Reform ohnehin schon immer zu wenig weit gegangen ist, sehr gelegen käme und was die am wenigsten erfreuliche Folge der jetzigen Auseinandersetzungen wäre, womit ein typisches Merkmal der deutschen Sprache […] wieder einmal bedroht sein könnte.
29. 7. 2000
Neben den Sachfragen geht es in der Debatte auch um die Frage, wer das Sagen hat im Lande: die Mannheimer "Duden"-Experten oder die Frankfurter FAZ-Experten? […] Die gemeinsame Front von FAZ und der deutschen Intelligenzija ist für beide Seiten mit einem Prestigegewinn verbunden.
Gerade die Kultusminster werden vom früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) stark angegriffen. Sie seien die Verursacher des Chaos, schreibt er am Wochenende in der "Nordsee-Zeitung". Die Kultusministerkonferenz habe sich zu einer dritten, in der Verfassung nicht vorgesehenen Ebene zwischen Bund und Ländern entwickelt. Dies führe zu einer Eliminierung der Grundelemente des Föderalismus.
Ein einziges Mal habe ich mir ein Buch in der neuen Schreibweise gekauft, es aber nicht ausgelesen, weil mir jeglicher Lesegenuss abhanden gekommen war. Deshalb bin ich sehr froh, dass die FAZ […] den Mut hatte, zur alten und meines Erachtens besseren und sogar leichteren Schreibweise zurückzukehren. Ich hoffe, dass weitere Verlage denselben Schritt tun, und ich auch die "Berliner Zeitung" bald wieder mit Freude lesen kann.
Ob diese Einheitlichkeit besser gewahrt wird, wenn ein einzelnes großes Blatt aus dem mühsam erreichten Konsens der Zeitungen ausschert, muss fraglich bleiben.
Die Rückkehr der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zur bewährten Rechtschreibung kann das orthografische Durcheinander keinesfalls vergrößern, da die alte Rechtschreibung ja noch allgegenwärtig ist.
Die Rechtschreibreform ist keine Reform, sondern eine Denaturierung. Und die so genannten Reformer sind keine Reformer, sondern Rosstäuscher.
Erst wenn sich alle an die neuen Regeln halten, kann die Reform gelingen.
Nein. Die schüler müssen sich daran halten, weil sie das schon immer mussten. Die schüler werden älter, und dann halten sich alle daran
Obwohl der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Durner, die Rechtschreibreform befürwortet, fordert er klare Regelungen und eine Beseitigung aller Ungereimtheiten in den verschiedenen Nachschlagewerken. Für Lehrer sei es nicht hinnehmbar, dass es keine klaren Regeln gebe. Das mache das Unterrichten und Benoten schwer, meint Durner. Doch solche Unklarheiten lassen sich durch noch so viele Nachbesserungen an der Reform nicht beseitigen, zumal gründliches Nachbessern in diesem Fall unweigerlich zu einer Rücknahme der Reform führen müsste.
Die Kultusminister nehmen die Schüler als Geiseln, um die Bevölkerung zu erpressen: Sie soll eine teure Reform annehmen, die, um mit Roman Herzog zu sprechen, "überflüssig wie ein Kropf" ist.
Auch altgediente Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Zeitung können sich nicht daran erinnern, dass es jemals eine solche starke und nahezu einhellige Leser-Reaktion gegeben habe: Seit Bekanntgabe des Beschlusses dieser Zeitung in der Donnerstag-Ausgabe, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, erreichten uns rund tausend Briefe, Telefaxe und E-Mails sowie ungezählte Telefonanrufe. Fast alle, die geschrieben haben, begrüßten die Entscheidung; 52 Leser kritisierten sie (Stand Freitagmittag).
[…] Projekt jahrzehntelanger Gremienselbstläufer […], das vor allem durch die unglücklichen Regeln zur Getrenntschreibung einen beträchtlichen Teil an Differenzierungsmöglichkeiten aus der deutschen Sprache tilgte.
Ihre Entscheidung wird sicherlich die wünschenswerten Folgen haben: dass nämlich diese hybride Ausgeburt von Pedantismus und Politik, die so genannte und sogenannte Rechtschreibreform, nach und nach im Sand der Zeiten versinkt.
Warum nicht ganz zurück zu Omas Rechtschreibung? Die Deutschen sind anscheinend nicht reformfähig.
Herzlichen Glückwunsch und Dank den Redakteuren und Herausgebern der F.A.Z., die mit diesem mutigen Schritt gezeigt haben, dass die Journalisten ihre besondere Verantwortung für unsere Sprache ernst nehmen.
Ich habe die F.A.Z. immer schon geschätzt, doch seit der Umstellung auf die neuen Regeln habe ich die Freude daran verloren, überhaupt noch eine Zeitung zu lesen.
Zu meinen, man könne das gesamte Grammatikuniversum den eigenen Vorstellungen von Richtigkeit unterwerfen, war keine Reform, sondern Anmaßung.
Ich bin als Sekretärin beschäftigt und habe für mich persönlich die neue Rechtschreibung nicht akzeptieren können/wollen.
[…] kann ich Ihnen nur aufs Herzlichste gratulieren, zur Rechtschreibung von vor 1999 zurückzukehren. Ihre Zeitung, die einmal einen Sprachkritiker wie Karl Korn in ihren Reihen wusste, ist zu linguistischer Führung in der Pressewelt zurückgekehrt.
Als Lehrer für Deutsch, Politik und Philosophie kann ich die mutige und vernünftige Entscheidung der F.A.Z. nur begrüßen. Sie haben in das Dickicht von Irrtum, Lüge und Anmaßung auf souveräne Weise eine Schneise der Wahrheit und der Hoffnung geschlagen.
[…] Vorgeschichte der Reform. Die Verfasser wollten jahrzehntelang etwas ganz anderes: Kleinschreibung, durchgreifende Fremdworteindeutschung, Tilgung der Dehnungszeichen und schließlich die Einheitsschreibung „das” (auch für die Konjunktion). Nachdem ihnen die Kultusbürokratie alle diese Ziele aus der Hand geschlagen hatte, arbeiteten sie schnell und lieblos etwas anderes und im Wesentlichen gerade das Gegenteil ihrer Herzenswünsche aus, um nicht mit leeren Händen dazustehen. Und dieses liederliche Flickwerk verteidigen sie jetzt mit allen verbliebenen Kräften […].
Nachdem dem Leser bereits die Lust an der gedruckten Schrift vergangen war, ist das eine gute Nachricht für Geist und Auge.
Ich selbst habe mich – auch im Dienst – strikt geweigert, „neu” zu schreiben, und werde dies auch künftig so halten […].
Es ist Ihnen zu wünschen, dass Sie mit Ihrer Entscheidung eine Lawine lostreten. Sie machen sich um die deutsche Sprache in historischem Ausmaße verdient.
Als Fazit ist festzustellen, dass die Berichterstattung nicht zur Aufklärung der Bevölkerung beigetragen hat; sie hat vielmehr zur kompletten Verwirrung geführt, weil sich kaum ein Medium die Mühe gemacht hat, die Neuregelungen so darzustellen, wie sie tatsächlich von der Kommission verabschiedet wurden. War das Nachlässigkeit, oder ist hier eine Absicht zu vermuten?
Dank der F.A.Z., dass sie als Erste die Konsequenzen gezogen haben aus den Erfahrungen mit der missratenen Rechtschreibreform. Sie üben damit Solidarität mit ihren Lesern und den allermeisten Buchverlagen, mit Lehrern, Professoren und Schriftstellern, die seit vier Jahren Widerstand leisten.
Seit dem Fall der Mauer habe ich mich über kein öffentliches Ereignis so sehr gefreut wie über die Entscheidung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die korrekte Orthographie wieder einzuführen.
Ihre Ankündigung, […] zur bewährten, traditionellen Rechtschreibung des Deutschen zurückzukehren und Ihre Leser nicht mehr zu zwingen, die Absurditäten der im allgemeinen Sprachgebrauch bisher nicht durchgesetzten und wohl auch kaum durchsetzbaren Neuregelung der Kultusministerkonferenz tagtäglich vor Augen geführt zu bekommen, ist erfreulich und setzt ein Signal auch für andere Zeitungen.
Die neue Rechtschreibung brachte einen Verlust an Präzision und sprachlogischer beziehungsweise argumentativer Stringenz – einer Stringenz, auf die die Wissenschaft angewiesen ist. Zudem zeigte sich, dass […] viele sehr gute Studierende die Reform nicht annahmen […].
Dank sei der F.A.Z., dass sie wieder zu den bewährten Normen einer friedlichen Sprachentwicklung zurückfindet.
Warum haben Sie die Reform denn vor einem Jahr übernommen? Damals wäre Protest in Form einer Verweigerung sinnvoll gewesen. Heute wirkt er kindisch.
Seit „Inkrafttreten” der Rechtschreibreform galt in meiner Abteilung die Anordnung, dass dort mindestens bis zu meiner Pensionierung die alte Schreibweise zu gelten habe und kein nach neuem Gesetz abgefasster Arztbrief meine obligate Unterschrift erhielte […].
Als Deutschlehrer werde ich seit Jahren tagtäglich in der schulischen Praxis mit all den unausgegorenen Widersprüchlichkeiten der neuen Orthographie konfrontiert.
Die Entscheidung Ihrer Zeitung, die Rechtschreibreform wieder rückgängig zu machen, ist grotesk.
Hoffentlich finden Sie viele Nachahmer.
Ich freue mich wieder aufs Zeitunglesen.
Das war die bis heute beste Nachricht aus dem öffentlichen Raum: dass die F.A.Z. zur alten Rechtschreibung zurückkehren wolle. Wenn mich auch Ihr Einschwenken auf die Linie der neuen Rechtschreibung im vergangenen Jahre empört hat, so ehrt es doch einen jeden, der – auf einem Holzweg sich befindet – umkehrt.
Diese Missgeburt Rechtschreibreform hatte mein Sprachgefühl täglich reichlich strapaziert.
Merke: Man vergreift sich nicht an der Mutter.
Es wäre nicht zu spät: Noch wenden 90 Prozent der Bundesbürger die alte Rechtschreibung an. Wie übrigens die meisten deutschsprachigen Schriftsteller lassen sie sich ihre Korrespondenz und Privatsprache nicht von irrsinnigen Regeln diktieren, die in Hinterzimmern ausgebrütet worden sind und erst kurz vor ihrem Inkrafttreten in der Öffentlichkeit diskutiert wurden.
Die FAZ kehrt zur alten Rechtschreibung zurück. Andere Redaktionen nannten diese Entscheidung "idiotisch", Welche Schreibweise würden Sie gerne in Ihrer Zeitung sehen?
Im neu aufgeflammten Streit um die Rechtschreibung haben Gegner und Befürworter ein Einschreiten der Politik verlangt. Da es um die "Sprache für das ganze Land" gehe, müsse sich "jetzt endlich der Bundestag mit dem Thema befassen", forderte der CDU-Bundestagsabgeordnete Dietrich Austermann, der die Reform ablehnt.
Das Thema ist wieder im Gespräch, und die Gegner der neuen Rechtschreibung wittern Morgenluft. Die mit ihrem geplanten Volksbegehren gescheiterte Bürgerinitiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" sieht in der Diskussion den Anfang vom Ende der neuen Orthographie. Die taz sprach mit der Sprecherin Petra Ahrens über Elternfrust, alte Niederlagen und neue Hoffungen.
Recht haben all diejenigen, die nun fordern, der Bundestag müsse sich mit der Angelegenheit beschäftigen. Das hätte bereits anfangs der Rechtschreibreform geschehen müssen.
Kann das deutsche Volk wirklich dulden, dass man jetzt Schifffahrt mit drei f schreibt? Nein, kann es nicht. „Nur über meine Schriftstellerleiche!", donnert der von uns hoch geschätzte Ralph Giordano. Dumm nur, dass es schon vor der Reform Wörter mit drei Konsonanten gab — Balletttruppe, Pappplakat oder Sauerstoffflasche zum Beispiel.
Vielleicht sollte man das Debakel mit unserer Rechtschreibreform über den Umweg einer Fremdsprache angehen, des Englischen. Welche Mutproben werden denen abverlangt, die dieses Idiom rechtschreiben (recht schreiben?) wollen! Keine Reform kommt ihnen zu Hilfe.
Noch nicht: Spelling Society.
Die Einheit der Schreibung unserer Sprache ist abhanden gekommen: Wir haben Zustände wie um 1780. […] Wir brauchen eine Sprachakademie, die gegen politische Einflüsse und gegen die Lobbyarbeit von Lehrerverbänden und Wörterbuchverlagen immun ist. Wie sollte eine solche Sprachakademie beschaffen sein? Sie sollte sich nicht auf die Regelung und Entwicklung der Rechtschreibung beschränken, sondern sich auch um die Entwicklung von Terminologien kümmern, in denen man schon heute keine vollständigen deutschen Wortschätze mehr hat. […] Die gescheiterte Rechtschreibreform sollte ein Anlass sein, über diese Alternative nachzudenken.
Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger, Elfriede Jelinek und andere begrüßten die Entscheidung der "Frankfurter Allgemeinen", zur alten Rechtschreibung zurückzukehren.
28. 7. 2000
Als Sprachlehrer für Englisch und Deutsch und Inhaber eines Übersetzungsbüros konnte ich die echten Beweggründe für die Einführung einer neuen Rechtschreibung nie richtig verstehen.
Und weil uns das Leben überhaupt inkl. Rechtschreibung ein einziges Interpretationsproblem zu sein scheint, das nie zu lösen und schon gar nicht zu beseitigen ist, warten wir mit einiger Ungeduld auf den neuen Duden (Auslieferung 25. August). Andere warten nicht. In Deutschland, wo der Kampf zwischen Sprachbewahrern und Sprachmodernisierern Leidenschaften entbunden hat, die die europäischen Nachbarn geradezu erstarren liessen, sind die vermeintlich geräumten Vorposten an der Orthographie-Front sogleich wieder besetzt worden.
Lesenswerte glosse aus schweizerischer sicht (ganzer artikel im BaZ-archiv).
Auch die grossen Printverlage in der Schweiz wie NZZ Verlag, TA Media AG und Ringier Verlag wollen an der Rechtschreibreform festhalten.
Martin Müller, Primarlehrer Arbon: «Die Vereinfachungen sind so minim, dass der Erfolg dieser Reform ausgeblieben ist.
Enthusiasmierte Anrufer liessen die Telefone in der Redaktion nicht mehr stillstehen, berichtet Literaturchef Thomas Steinfeld: «Die Leute sind wie befreit.» Auf die Frage, ob die Rückkehr zur herkömmlichen Orthographie konsequent vollzogen werde, antwortet er: «Einige Modifikationen werden wir uns vorbehalten — aber das tun Sie bei der NZZ ja auch.»
Nach einem Jahr friedlich-gleichgültigem Nebeneinander von alter und neuer Rechtschreibung erklärte gestern die "FAZ", ab dem 1. August wieder nach dem alten Regelwerk zu schreiben. Nachdem sich die meisten Schriftsteller (und mit ihnen viele Verlage) dem Verwaltungsakt widersetzt hatten, scheint nun das Scheitern der Reform zum Greifen nahe.
Gestern empfand ich ein lange nicht erlebtes und lange vermisstes frohes Gefühl, als ich von der Rückkehr der F.A.Z. zur alten Rechtschreibung hörte […].
Die F.A.Z. hat begriffen, dass es bei der so genannten Rechtschreibreform überhaupt nicht um eine Neufassung von Regeln ging, deren Normierung wünschenswert oder gar notwendig gewesen wäre, sondern um eine unverfrorene Attacke auf die Substanz der deutschen Sprache selbst.
In zehn Jahren kriegen Sie keine Nachwuchsjournalisten mehr, die die alte Rechtschreibung beherrschen.
Noch bevor die so genannte "Puttkamer-Ortographie" als amtliches Regelbuch erschien, lag 1880 Dudens "Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache" vor. Dabei handelte es sich allerdings weder um ein sprachwissenschaftlich kontrolliertes Regelwerk noch um das Dokument einer Rechtschreibreform. Duden war abgleichender Sammler und Sortierer mehr als Normgeber.
Auch die Mehrheit der Bürger lehnte die durch die Hintertür eingeführte Neuerung ab.
Zahlreiche deutschsprachige Zeitungen kündigten aber gestern an, sich der F.A.Z. vorerst nicht anschließen zu wollen. Zwar zeigten sich einige, wie Franz Sommerfeld, Chefredakteur des "Kölner Stadt-Anzeigers", "fasziniert von der Partisanenaktion" der Zeitung. Dennoch gebiete die Verantwortung gegenüber den jungen Zeitungslesern das Festhalten an den neuen Regeln. […] Bei den Schweizer Zeitungen sorgte die Ankündigung der F.A.Z. zunächst nicht für Aufregung.
Der Kampfruf "Zurück zur alten Rechtschreibung" schallt wie Donnerhall. […] richtet die "FAZ" genau das an, was sie an der Reform kritisiert: Sie selbst gefährdet vom 1. August an Tag für Tag die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung. Sie erhöht die Mauer zwischen denen, die der Reform folgen, und denen, die sie ablehnen. Sie unternimmt damit einen eindeutig politischen Schritt, um eine Situation zu verändern, die ihr nicht passt, und sie reißt mit dieser Machtdemonstration einen Spalt in die Zeitungslandschaft, zumal absehbar ist, dass so bald kein weiteres Blatt umschwenken wird.
Der Konkurrenzdruck zwischen beiden konservativen überregionalen deutschen Tageszeitungen wächst. Warum sonst hätte "Die Welt" das Gerücht in ebendiese setzen sollen, die Reform werde überarbeitet, warum sonst will die FAZ Vorreiter bei der Umkehr sein als allein, um sich ins Gespräch zu bringen?
Selbst Tony Blair verhaspelt sich ständig, siehe sein kürzlich bekannt gewordenes Memorandum vom 29. April, wo er unter anderem schreibt. "We need a strategy that is almost discrete (sic)". Phonetisch geht "discrete" vollkommen in Ordnung, wie in "complete", nur leider ist es falsch geschrieben: "discreet" wäre richtig gewesen, wie in "sheet". Aber wie soll ein britischer Premierminister das bei der chaotisch unberechenbaren Rechtschreibung des Englischen wissen, ohne einen eigenen linguistischen Berater?
Zur zentralen Figur bei den Bemühungen um die "Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" wurde der Jurist Adalbert Falk. Als preußischer Kultusminister berief er im Auftrag Bismarcks fünf Jahre nach der Reichseinigung von 1871 eine Konferenz ein […] Groben Abweichungen von der "Volkssprache" hatte […] Adalbert Falk einen ministeriell Riegel vorgeschoben. Es könne nicht infrage kommen, beschied er die Reformanhänger, in den Schulunterricht eine Orthografie einzuführen, die "außerhalb der Schule kaum oder nur beschränkte Aufnahme fände". Diese Auffassung hat im jüngsten Streit um die Rechtschreibreform keinen Widerhall mehr gefunden.
Doch – sie hat eine echte reform verhindert.
Pragmatisch und vernunftgesteuert statt fundamentalistisch und gefühlstrotzig kann in diesem Fall nur heißen: Perfektion des Status quo, nicht Wiederherstellung des alten Zustandes. Auf der Basis dessen, was Schulkinder seit vier Jahren lernen und worauf sich inzwischen das gesamte Verlagswesen umgestellt hat, muss man nun im Einzelnen modifizieren, statt alles komplett zu negieren.
27. 7. 2000
Im Feuilleton der «FAZ» wurde gestern vom Leder gezogen wie in einem Wörterbuch des Boulevards: «Bankrott, gemeingefährlich, Skandal» — gemeint ist immer die neue Rechtschreibung: «Diese Reform ist ein einziges Fiasko. […] zweifelhaft ist, ob das Beispiel der «FAZ» […] Schule machen wird und weitere grosse Zeitungen sich anschliessen und die Neuschreibung beenden werden. Somit käme dank der «FAZ» in den Dschungel der unterschiedlichen Rechtschreibungen lediglich eine weitere Orthografie hinzu — nämlich die alte.
Schon bevor die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» die Rückkehr zur alten Form verkündete, machte man sich auch bei der «Südostschweiz» Gedanken über Anpassungen. Gegenwärtig wird darüber diskutiert, ob die Zusammen- und Getrenntschreibung wieder nach den alten Regeln erfolgen soll.
Am Dienstag teilte die FAZ mit, dass sie per 1. August zur alten Rechtschreibung zurückkehrt. […] Wenig beeindruckt von dieser Mitteilung zeigt man sich beim Kantonalen Erziehungsdepartement in St. Gallen. «Bei uns gibt es im Gegensatz zu Deutschland keinen heiligen Krieg um die Reformen. Wir gehen die Sache pragmatisch und gelassen an», sagt Felix Baumer, Leiter des Amtes für Volksschulen. […] Das gegenwärtig herrschende Nebeneinander von alter und neuer Form sieht Baumer gar als Chance: «Es ist jetzt ein günstiger Moment, in den Schulen Grammatik und Rechtschreibung zu lehren. Texte können verglichen werden, und die Kinder können darüber reden.» Die Schulen im Kanton hätten grössere Probleme zu lösen als jene der neuen Rechtschreibung, so Baumer. Wenn ein zwölfjähriger Kosovare Deutsch lernen müsse, sei es nicht wichtig, ob es «Gämse» oder «Gemse» heisse.
In den kommenden Wochen werde Reuters beobachten, wie sich die Kunden, aber auch die Politiker zu Änderungen bei der reformierten Rechtschreibung äusserten.
Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Rechtschreibreform kehrt mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) eine der renommiertesten deutschen Tageszeitungen zur alten Rechtschreibung zurück.
Eigentlich sind es ja 4 jahre. Oder 1 jahr nach inkrafttreten bei der presse.
Die Erfinder der Reform wollten mit ihr vor allem dieses: mehr erlauben und nicht mehr verbieten. Warum nicht Ernst machen damit? Warum nicht neben der neuen die alte Rechtschreibung erlauben und neben der alten die neue? Man kann das finster „Chaos“ nennen […]. Man kann das aber auch begrüßen und fröhlich „Vielfalt“ dazu sagen. Die Lage wird jedenfalls nicht übersichtlicher dadurch, dass diejenigen, die laut „Chaos“-Alarm schlagen, jetzt mitten im Sommerloch beginnen, ein Chaos noch zu vergrößern, das es ohne ihren Alarm zweifellos nicht gäbe.
Ihren ersten Geburtstag hätte die Rechtschreibreform dieser Tage feiern sollen - da kommt die Todesanzeige: Vom 1. 8. an wird die FAZ zur alten Rechtschreibung zurückkehren. […] Jetzt haben wir also glücklich wieder das Chaos, ja mehr Chaos als zuvor.
Die neue Rechtschreibung rettet die Einheitlichkeit nicht, vielmehr zerstört sie sie.
Unsere Schüler lernen die falsche Rechtschreibung. Wenn sie das Klassenzimmer verlassen, stoßen sie auf eine Orthographie, die dem Diktat ihrer Lehrer nicht entspricht. Die Masse des in der alten Orthographie verfassten Schriftguts ist auf absehbare Zeit unendlich viel größer als alles, was in der neuen entstanden ist.
Damals war das internet zwar nicht mehr neu, aber für viele «neuland», wie sich die deutsche kanzlerin noch 2013 ausdrückte.
Es herrsche Verwirrung! In Deutschland! Dilettanten seien am Werk gewesen! Und: Geld habe es auch noch gekostet! Milliarden! Am besten hat uns der Schlusssatz des Kommentars gefallen: "Sie (die Rechtschreibrefom) war das dümmste und überflüssigste Unternehmen in der deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg: ein gemeingefährlicher Akt." Fragt sich nur, was der Zweite Weltkrieg eigentlich damit zu tun hat, außer natürlich, dass er auch dumm, überflüssig und ein gemeingefährlicher Akt war. Aber doch eigentlich kein Unternehmen innerhalb der deutschen Kulturpolitik, oder?
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat eine neue Initiative zur Abschaffung der Rechtschreibreform gestartet. Es sei höchste Zeit, "mit dem Rückbau zu beginnen", heißt es in einer Resolution, die an viele Redaktionen versandt wurde und den ausdrücklichen Hinweis enthält: "Wir bitten herzlich, diesen Text nur in der Schreibung, in der er abgefaßt ist, abzudrucken."
Angesichts des "Drunters und Drübers", das in der neuen Rechtschreibung herrscht, hat der Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk gestern gefordert, "die Rechtschreibkommission wegen erwiesener Unfähigkeit zu entlassen".
Ab 1. August kehrt das renommierte Blatt zur alten Rechtschreibung zurück.
Die Presse, die das neue gar nie eingeführt hat, freuts natürlich. Hier ein tipp von einem, für den sprache wichtiger ist als schreibung: Es müsste heissen «Am 1. August kehrt …» oder «Ab 1. August gilt …».
26. 7. 2000
Auch der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, Christian Meier, äußerte sich kritisch. Einerseits wäre eine ernsthafte Reform der Reform zu begrüßen, andererseits befürchtet er die Inkonsequenz der Verantwortlichen. "Am besten wäre es, die Reform vollständig zurückzunehmen", sagte Christian Meier, "aber ich befürchte, das wird nicht geschehen, da die Autoren der Reform und die Kultusminister ihr Gesicht weiter verlieren würden." Meier hofft auf einen "Rückbau" der Reform, die er "unerträglich" findet.
„Die deutschen Rechtschreibregeln werden erneut reformiert“ titelte gestern die Tageszeitung „Die Welt“ und druckte einen Artikel des prominenten Reformgegners Theodor Ickler mit der Unterzeile: „Die Rechtschreibkommission kehrt stillschweigend zur alten Orthografie zurück.“ Diese Berichte, von den Nachrichtenagenturen zitiert, durch Hörfunk und Fernsehen verbreitet, sorgten dafür, dass die Mitarbeiter der Mannheimer „Duden“-Redaktion gestern den ganzen Tag die Telefone nicht verlassen konnten. Hintergrund der Aufregung ist die Vorbereitung der neuen Auflage des „Dudens“, die am 25. August erscheinen soll.
Es handelt sich nämlich um einen Schildbürgerstreich der Sonderklasse, wenn Teile der Reform nach zwei Jahren schon wieder zurückgenommen werden müssen.
Milliarden hat dieser Bankrott der deutschen Rechtschreibung gekostet, sie hat viele Tausende an Arbeitsstunden gefordert, sie hat in mehreren Schüben Berge von Büchern hervorgebracht, die innerhalb von kurzer Zeit überholt waren, und sie hat nie die Unterstützung der Bevölkerung besessen. Sie war das dümmste und überflüssigste Unternehmen in der deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg: ein gemeingefährlicher Akt.
25. 7. 2000
Mister Quest, der amerikanische Stammgast, kam irritiert an die mitternächtliche Rezeption geschlendert. Er war der einzige, der in der Sauna Badehose trug. Er wollte wissen, ob er „crazy“ sei oder die anderen. […] Am Abend des „Main-Spitze“-Besuches befand er sich mit Michaela in angeregtem Geplauder über die Rechtschreibreform unter besonderer Berücksichtigung des Doppel-S.
Auch Christel Wirschheim aus Saarbrücken nutzt seit einigen Jahren die Bücherbörse. "Die Rechtschreibreform und immer neue Auflagen von Büchern machen es fast unmöglich, Schulmaterial in der Familie weiterzugeben."
Der Freiburger Professor Joseph Keul ist der bekannteste Sportmediziner Deutschlands gewesen — und einer, der polarisiert. […] Im Fragebogen der "Frankfurter Allgemeinen'' gab er vor zwei Jahren Antworten, die typischer nicht sein könnten. Welche Reform er am meisten bewundere? "Die Rechtschreibreform, die keiner will.''
Die umstrittene Rechtschreibreform ist großen Teilen der Bevölkerung offenbar nicht vermittelbar und wird deshalb von Experten stillschweigend überarbeitet. Nach Informationen der WELT hat die Rechtschreibkommission aus negativen Erfahrungen gelernt und plant bereits tief greifende Änderungsvorschläge.
Insgesamt, so hat die Bonner Sprachwissenschaftlerin Maria Theresia Rolland ermittelt, werden zurzeit mindestens 23 unterschiedliche Orthografien angewandt.
Ist da unsere schon mitgezählt?
Es kostet nur einen Federstrich, die erzwungene Scheinblüte der ohnehin welken Neuschreibung zu beenden und wieder so zu schreiben, wie es unter gebildeten Erwachsenen üblich ist.
In der Welt ist die reform schon tausend tode gestorben.
Selbst kleinere Korrekturen pflegen den Unmut der Sprachschützer hervorzurufen, wie der Streit um die Feminisierung von Berufsbezeichnungen ("Madame la ministre") gezeigt hat. Deshalb überrascht es um so mehr, dass sich seit einer Woche rund 3000 Französischlehrer aus 108 Ländern auf ihrem Kongress in Paris die Köpfe darüber heiß reden, ob es vielleicht doch sinnvoll sei, die französische Orthografie zu "modernisieren", das heißt: zu vereinfachen.
2000-07-24
Im Vorwort zu einer Festschrift für Nikolaus Harnoncourt (Christoph Wolff [Hrsg.]: "Die Gegenwart der musikalischen Vergangenheit". […]) stellt Christoph Wolff gar den Begriff der "historischen Aufführungspraxis" […] in Frage. Während sich im englischsprachigen Raum die Formulierung "historically informed performance practice" durchgesetzt hat und damit die Nähe zu politisch korrekten Formulierungen (etwa: "orthographically challenged people") gesucht und gefunden wird, gibt es im Deutschen Nachholbedarf. Mit seinem Vorschlag der "historischorientierten" Aufführungspraxis stemmt sich Wolff in bewundernswerter Weise gegen den Getrenntschreibungswahn der Rechtschreibreform. Allein, er und die Reformer haben mit ihren Schöpfungen dasselbe Problem: Wie betont man sowas?
22. 7. 2000
Nicht einmal originale Straßenschilder überdauern alle Zeiten. […] Vor allem scheint […] das "ß" auszugehen. Selbst der persönliche Name von Heinrich Karl Otto Straßburg, 1862 geborener Erfinder der Straßburgpassage, bekommt mittlerweile per Rechtschreibreform ein Doppel-S übergebraten. Die DDR wusste schon, warum sie sich nicht auf solche Schreibkrämpfe einließ: HO-Passage schrieb jeder richtig …
21. 7. 2000
Das mit der verschiedenen Schreibweise des Familiennamens ist übrigens kein Versehen. Sie sei, als die Rechtschreibreform in Kraft trat, von ihrem Arbeitgeber gefragt worden, wie sie ihren Namen künftig schreiben wolle. Sie entschied sich für Weiss, im Gegensatz zum Rest der Familie, der sich weiterhin Weiß schreibt.
Die Mundarten besitzen ein eigenständiges Wertungssystem und unterliegen keiner Normierung und Beschränkung. Die Schriftsprache hat sich in den Amtsstuben, in den Fürstenhäusern und in der begüterten Oberschichten entwickelt. […] Durch den […] Buchdruck gewann die normierte Schriftsprache allmählich die Oberhand. Diese Entwicklung, zu der auch die neuerliche Rechtschreibreform gehört, dauert bis heute an und ist noch nicht abgeschlossen.
20. 7. 2000
Müssen die französischen Rechtschreibregeln vereinfacht werden? Diese Frage beschäftigt die annähernd 3000 Französischlehrer aus aller Welt, die zurzeit in Paris zu ihrem zehnten Kongress zusammengekommen sind. Der Präsident der „Internationalen Föderation der Französischlehrer“ (FIPF), der Belgier Alain Braun, hat die Debatte über die Notwendigkeit einer Rechtschreibreform angestoßen.
Das erzählt uns die Geschichte vom "Weißen Rössl", die jetzt von der Landesbühne Hannover im Kleinen Gartentheater (vormals: Probebühne) in Herrenhausen mal wieder aufgezäumt wird. Bei der Landesbühne schreibt sich der alte Theatergaul übrigens noch "Rößl" — und ist auch sonst sehr gestrig. Denn leider verweigert sich diese Produktion nicht nur der Rechtschreibreform (wofür man noch Verständnis haben kann), sondern auch jedem Denkansatz.
17. 7. 2000
Der junge Mensch ohne Ausbildung von heute sei der Langzeitarbeitslose von morgen, sagte der Referent. Ihm sei es unbegreiflich, wie es zu einem Mangel an Fachkräften im Computerbereich und der Informationstechnik kommen konnte. "Das Kultusministerium befasste sich zehn Jahre lang mit der Rechtschreibreform, während andernorts längst zeitnah und bedarfsgerecht ausgebildet wurde."
Ernst Husse von der Schulaufsicht beim Regierungspräsidenten Münster bittet die Eltern um Geduld: »Wir sind in der Übergangsphase« — der Gesetzgeber habe eine Umstellung bis 2005 vorgesehen. Wegen des geringen Umfangs der Reform hält er die Auswirkungen an den Schulen »für nicht so gravierend«.
15. 7. 2000
Zu den Lieblingsbeschäftigungen gehörte es damals noch, die Wand mit möglichst flotten Sprüchen zu bekritzeln. Kostprobe: „Tagsüber penne, und nachts schlafe (en stund)". Die Rechtschreibreform kam ihnen gerade recht, denn „da koste geschreuwe wos de wellt".
Der Ortsvorsteher der Feldkircher Fraktion Tisis, Herbert Sonderegger, findet die Rechtschreibreform gelinde gesagt "einen totalen Quatsch". […] Ganz anders sieht dies der amtierende Bezirkshauptmann von Feldkirch, Dr. Bernhard Wiederin. Er ist überzeugt, dass die Rechtschreibreform grundsätzlich positiv zu bewerten ist und sehr viele Vereinfachungen gebracht hat.
13. 7. 2000
Darüber hinaus will das LexiKom seinen Lesern nicht nur bei der Erklärung, sondern auch bei einheitlichen Schreibweisen Hilfestellung leisten. Unter Berücksichtigung der Rechtschreibreform und in Anlehnung an die Schreibregeln der Nachrichtenagenturen hat die Redaktion die wichtigsten neuen Rechtschreibregeln zusammengefasst und zudem spezielle Schreibregeln für Firmennamen und Begriffe entwickelt, die nun im Buch und im Internet (www.lexikom.de) erstmals veröffentlicht werden.
8. 7. 2000
Vor keine Probleme stellte ihn die neue Rechtschreibung, eine Reform, die ihm zu wenig weit ging.
Es geht doch wirklich nicht um "Rechtschreibfrieden", sondern um die Wiederherstellung einer der deutschen Sprache angemessenen Rechtschreibung. Kein ernst zu nehmender Kritiker will ohne Wenn und Aber zu den alten Duden-Schreibungen zurück. Inzwischen liegen ein aufgeklärtes Regelwerk und ein entsprechendes Wörterbuch vor.
Nur ist das eben aus unserer sicht ein zurück zu den alten dudenschreibungen.
Es darf nicht sein, dass eine kleine Bürokratentruppe, verstärkt durch willige Germanisten, weiterhin die deutsche Sprache okkupiert. Auf weitere empirische Studien, wie Eisenberg sie vorschlägt, kann die Sprachgemeinschaft verzichten.
Ihre Leistung ist vor allem deshalb erstaunlich, weil Sie das sinnentstellende Getrenntschreiben tagtäglich und vor allem wider besseres Wissen fast ohne jeden Rückfall in die alten Regeln ertragen haben.
Unter den sieben Schildern in der Schlossanlage nimmt das am Haupttor eine Sonderstellung ein. Hier ist der Text wiedergegeben, wie er vor genau 475 Jahren in die Marmortafel über dem Tor eingraviert worden ist. Diese Inschrift ist ein Zeitdokument an dem deutlich wird, wie sehr die Rechtschreibung einem steten Wandel unterworfen ist.
5. 7. 2000
Verschwörungen überall. […] Es beginnt scheinbar ganz harmlos und doch in einem Kernbereich der deutschen Seele — der Rechtschreibung. (Keine Angst, wir legen nicht die alte Platte auf: die Kultusminister und die Schifffahrt mit drei f's.) Welche unsäglichen Qualen, welche unüberwindlichen Probleme sie bislang auch bereitete, mit dem Einsatz moderner Bürokommunikation schien es so, als beginne eine neue Ära ohne Demütigung durch orthographische Schwächen, denn: Fast-Monopolist Microsoft macht's möglich. Deren meist verbreitetes Software-Paket bietet ein Rechtschreibkorrektur-Programm […].
1. 7. 2000
Die bisher vorliegenden punktuellen Erfahrungen reichen nicht aus, wenn das Ziel darin bestehen soll, den Rechtschreibfrieden wieder herzustellen. […] Die Ergebnisse einer empirischen Erhebung müssten dazu führen, dass im Jahr 2005 gezielt Änderungen an den amtlichen Schreibweisen vorgenommen werden. […] Und die Kritiker könnten sicher sein, dass ein Um- und Rückbau in die richtige Richtung ginge, selbst wenn er nur die größten Absurditäten beseitigte.
Oder ein weiterausbau in die richtige richtung?
30. 6. 2000
Lehrstellenbewerber haben es zusätzlich schwer, weil die überall verlangten Rechtschreibkenntnisse durch die Rechtschreibreform äußerst problematisch geworden sind. Man weiß nie, wie ein Personalchef es haben will. […] Die bloße Bekundung von Unterwerfungsbereitschaft durch möglichst viele ss-Schreibungen genügt manchem, andere fühlen sich gerade dadurch abgestoßen.
Wenn rechtschreibung etwas mit unterwerfung zu tun hat, ist es in der tat problematisch.
28. 6. 2000
Ich hoffe sehr, dass die F.A.Z. zum August wieder umstellt auf die qualitativ höherwertige und leserfreundliche "alte" Schreibweise.
23. 6. 2000
Ein Haus der Liebe im Bayerischen Wald, in dem ein junges Paar ungestört sein will. Denn es ist "friesch voheiratet". Der Leser Albrecht Märkisch aus Büsnau hat im Urlaub die Ehehütte mit der etwas anderen Rechtschreibung entdeckt. Das sei wohl die "Rechtschreibreform auf bayrisch", spöttelt er. […] Liebe fragt nicht nach der Orthografie. Anfangs stören kleine Fäler das Eheglick ohnehin nicht. Das kommt erst, wenn man nicht mehr so friesch voheiratet ist, gell.
Das wirklich Ärgerliche an der neuen Rechtschreibung ist doch verdammt noch mal das Verschwinden jeder etymologischen Sicherheit. Weiß doch kein Mensch mehr, ob fantastisch jetzt von Fanta kommt.
21. 6. 2000
Ich möchte die Kritik an der Einführung des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule noch schärfer formulieren. Es handelt sich um einen Schildbürgerstreich, der noch verrückter ist als die so genannte Rechtschreibreform.
20. 6. 2000
Deutsch ist durch die Rechtschreibreform nicht einfacher geworden. […] Am Dienstag, 27. Juni, veranstaltet die Schwäbisch Hall Training GmbH ein gemeinsam mit der Dudenredaktion erarbeitetes Training für Kommunikationsfachleute […]
Frage: Beachten Sie beim Schreiben die neuen Rechtschreibregeln? Ihr langjähriger Arbeitgeber, der Spiegel, tut es ja, obwohl er das ursprünglich nicht recht wollte. Hellmuth Karasek: Ich habe schon die alte Rechtschreibreform nicht beachtet. Da man aber inzwischen alt neben neu darf, mogle ich mich durch.
Außerdem wird ein Block mit vier Marken zu 20 Franken aufgelegt und als Besonderheit: "1 Kleinbogen in edlem Rahmen, numeriert und handsigniert", so die Post (und kümmert sich nicht um die neue Rechtschreibung "nummeriert") — er kostet stolze 185 Franken (1642,36 S).
19. 6. 2000
Der 2. Preis geht an die Klasse 8b von der Katholischen Theresienschule in Weißensee. Die 13-Jährigen haben in wochenlanger Gemeinschaftsarbeit eine Zeitung vom 31. Mai 2020 erstellt: selbst geschrieben, layoutet und produziert. Wichtigste Neuerung: Im Jahr 2020 ist die Groß- und Kleinschreibung außer bei Eigennamen und Satzanfängen längst abgeschafft.
18. 6. 2000
Ab heute zeigt die 7. Architektur-Biennale von Venedig, wie Architektur auf menschliche Grundbedürfnisse reagieren kann. […] "Weniger Estetik, mehr Etik" — so liest sich das Motto in einer die Rechtschreibreform weiterführenden deutschen Übersetzung in einer 280 (!) Meter langen fantastischen Projektion zum Thema in den Seilereien des Arsenals — ist klarerweise kein monomanisches Unternehmen.
16. 6. 2000
Aldeburgh (ausgesprochen «Oldbra» gemäss der unergründlichen Flexibilität und Exzentrizität der englischen Orthographie) ist ein seltsamer Ort für ein Festival.
14. 6. 2000
Bei Ihrem aktuellen Kinofilm ist mir der Titel aufgefallen. "Katastrofenfilm" mit "f" – entweder ist Otto Legastheniker oder Verächter der neuen Rechtschreibung. — Otto: Ich hab da wohl einen Fehler gemacht. Ich dachte, das wäre die neue Rechtschreibung.
Wir dachten auch schon, das sei die neue rechtschreibung. Aber dann verfügte kultusminister Zehetmair im Spiegel vom 11. 9. 1995: «Es wäre eine Katastrophe, wenn es zu Katastrofe käme.»
2000-06-13
Wer von Tenue correcte etwas versteht, sieht sofort, wieviel der andere davon versteht. Es ist wie bei der Rechtschreibung. Wie kommt es also, dass die Mehrheit trotzdem meint, sich über Kleiderregeln hinwegsetzen zu können? Doch nur, weil der Zeitgeist so tut, als seien sie passé. Dabei fallen Dress codes gerade im Business durchaus ins Gewicht.
Der frühe Tod der Mutter hatte den jungen Ernst Jandl hart getroffen. "sie starb, als ich 14 war, und dies war die erste der katastrophen, aus denen sich mein leben seither zusammensetzt", notierte der Dichter Anfang der 80er Jahre in charakteristischer Kleinschreibung.
Es soll […] Kollegen geben, die alles nach alten Regeln runterschreiben und dann einfach per Computer-Befehl jedes Eszett nach kurzem Vokal in ein flottes ss ändern.
10. 6. 2000
Ausgerechnet der Autor, der Rechtschreibregeln für sich selber nicht zu kennen schien, gehörte bis zuletzt zu den vehementen Gegnern der Rechtschreibreform.
Mit welchen Erwartungen die wohl alle nach Belgien und Holland aufgebrochen sind? Der Journalist an sich ist ja von Berufs wegen neugierig und fragt sich: […] Wer hat 100 Mark darauf gesetzt, dass Deutschland Europameister wird? Wer hat schon die neue deutsche Rechtschreibung fehlerfrei intus?
Sehr kritisch äußerte er sich 1996 zur geplanten Rechtschreibreform, die er für unnötig und verfehlt hielt.
9. 6. 2000
Die Rechtschreibreform hat nach Auffassung der Initiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" zu einer explosionsartigen Vervielfachung der Fehler geführt.
4. 6. 2000
Es sind nicht nur die „alte“ (d. h. bewährte und moderne) und die „neue“ (d. h. künstlich archaisierende) Rechtschreibung, deren Nebeneinander die Schüler ebenso wie die Erwachsenen verwirrt und jede Schreibsicherheit verhindert, sondern die Reformer nehmen sich das Recht, in ihren Schriften jeweils so zu schreiben, wie sie es schon immer für richtig gehalten und nur leider nicht durchgesetzt haben.
Ja, in unserem fall ist es die natürlich archaisierende eigennamengrossschreibung.
3. 6. 2000
Wie an manchen anderen Tagen kommt mir Siegfried Lenz, einer unserer Othmarscher Nachbarn, auf seinem Weg in die Waitzstraße entgegen, und es entspinnt sich eine kurze Diskussion am Gartenzaun. Der Schriftsteller ist eingeladen, das Wiederauftauchen der Mammut-Bohrmaschine vom Elbtunnel mitzuerleben. Eine bewundernswerte Technik — darüber sind wir uns einig und noch über ein anderes Thema: Nein, die neue Rechtschreibung machen wir nicht mit!
Sicher wird sich mancher fragen, wieso eine derartig komplizierte Schrift existieren kann aber hinter dem Erhalt von Schriftsystemen steht wie in vielen anderen Ländern auch die Macht der Gewohnheit. Hat man das Lesen einmal erlernt, wird nicht mehr das einzelne Schriftzeichen betrachtet, sondern eine Sinneinheit in ihrer Gesamtheit aufgenommen. Wer immer noch nicht überzeugt ist, der braucht nur an die Diskussion, die die neue Rechtschreibung oder um die Abschaffung der Groß- und Kleinschreibung in Deutschland ausgelöst hat, denken.
Wenn außer De-skription auch noch Des-kription und sogar Desk-ription möglich sein soll, muss man am Sinn der so genannten Reform erneut zweifeln. Hätte man da die Worttrennung nicht ganz freigeben sollen?
Es ist keineswegs richtig, daß „das Nebeneinander von alter und neuer Rechtschreibung den Schülerinnen und Schülern keinerlei Probleme bereitet“.
2. 6. 2000
In der modernen Rechtschreibung kann man sich zwischen zwei s-Schreibweisen am Wort- bzw. Silbenende entscheiden: Zwischen s und ß. Die Endung ss gibt es nicht. In der mittelalterlichen Schreibung der selbsternannten Reformer, die in Wirklichkeit jedoch Reaktionäre sind, kommt eine weitere Variante hinzu, die ss-Endung.
1. 6. 2000
Und Gott, Tod und Teufel? Religion und Interpunktion sind Glaubenssache, meinte schon Goethe als früher Befürworter der Rechtschreibreform.
Der Wegfall einer klaren und einfachen Regel [„Am Silben- oder Wortende steht statt ss ß“] vereinfacht die Orthographie keinesfalls, wenn wie hier in Situationen, die vorher einfach entscheidbar waren, nunmehr komplizierte Einzelfallregelungen beherrscht werden müssen.