Warum aber schlägt der Verfasser solch einen resignativen Ton an? Gewiß stimmt die Erfahrung der letzten Jahre nicht eben hoffnungsfroh. Dennoch sollte sich kein guter Demokrat mit der Einsicht zufriedengeben, daß sich ausgerechnet die für das Schulwesen zuständigen Minister als dauerhaft lernunfähig erwiesen haben.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
30. 3. 2002
Obwohl das Bundesverfassungsgericht […] die Verbindlichkeit der neuen Rechtschreibregeln auf den Bereich der Schulen beschränkt hatte, verkündete das Bundesministerium des Inneren […] die Einführung der neuen Regeln für die Amtssprache der Bundesverwaltung. […] Ich bin […] davon überzeugt, daß die Vorschrift, im dienstlichen Schriftverkehr die neuen Rechtschreibregeln zu benutzen, weder sprachwissenschaftlicher noch juristischer Überprüfung standhalten wird. […] Deshalb habe ich am 8. April 2001 eine vierseitige Eingabe auf dem Dienstweg an meinen Dienstherrn gesandt. Da mein Dienstherr der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist, habe ich an den Vorsitzenden dieses Gremiums, Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, geschrieben. Bis heute habe ich keine Antwort in der Sache erhalten.
Hier ist eine: Die beamtin verwechselt die positionen von chef und angestelltem. Die legendäre berner patrizierin madame de Meuron pflegte in diesem punkt klarheit zu schaffen, indem sie besucher fragte: «Sit dir öpper oder nämed dir lohn?» (Sind Sie jemand oder beziehen Sie einen lohn?) Der Standard, 2. 10. 2001.
Wer die zahlreichen Gesprächsrunden im Fernsehen aufmerksam verfolgt, der wird […] eines inzwischen einheitlich feststellen können: Noch ist die jüngste (schriftliche) Rechtschreibreform nicht richtig verdaut, da steht uns ganz offensichtliche eine weitere, sozusagen mündlich-optische, bevor. Künftig sollen dann wohl auch Satzzeichen mitgesprochen und augenfällig kenntlich gemacht werden. Vorreiter auf diesem Wege sind die Anführungszeichen.
28. 3. 2002
Es ist psychologisch verständlich, wenn die Reformer das Scheitern ihrer Bemühungen nicht eingestehen wollen. Den Verantwortlichen für das orthographische Chaos darf jedoch nicht erlaubt werden, das Herumpfuschen an der deutschen Sprache im staatlichen Auftrag fortzusetzen.
Die Verwirrung, die vor allem in der Groß- und Kleinschreibung beziehungsweise in der Getrennt- und Zusammenschreibung entstanden ist, ist wirklich nicht lustig.
Ein Chaos kann man nicht korrigieren. Wie kann man ein Narrenkleid in ein Abendkleid umschneidern?
In Wirklichkeit wollten die Reformer etwas ganz anderes: Kleinschreibung, Tilgung der Dehnungsbuchstaben, Fremdworteindeutschung, Einheitsschreibung das. Sie haben, als sich die Auftraggeber sperrten, Hals über Kopf diese unausgegorene Neuregelung ausgearbeitet, um nicht mit völlig leeren Händen dazustehen.
27. 3. 2002
Die Wirkung von Literaturpreisen, die Gestaltung des Urheberrechts oder die Rechtschreibreform wurden diskutiert.
Mit der Großschreibung wird der Satzbau optisch anschaulicher, reliefartig plastisch und überschaubarer. Deshalb bin ich strikt gegen ihre Abschaffung. […] Was mir allerdings die Zornesröte ins Gesicht treibt ist der Hinweis, dass bereits viele Werbeleute zur Kleinschreibung übergegangen seien. Gerade diese vorlauten, aufdringlichen medialen Krachmacher und Schreihälse sollen richtungsweisend sein für unsere Sprachkultur?
Immerhin könnte die SZ zusammen mit vielen Autoren die allerdümmsten Neuheiten einfach negieren und zu den alten Formen zurückkehren. Zum Beispiel sind Alleinerziehende ein fester Begriff so wie Alleinstehende, die ja auch nicht allein Stehende sind.
Die Rechtschreibreform ist die schlimmste demokratieprinzipienwidrige Entscheidung unseres Staates […].
Schrift ist zum Lesen da, und Orthografie hat dem größtmöglichen Verständnis des Lesenden zu dienen. Natürlich kann jeder schreiben, wie er will und wie er denkt, dass er verstanden wird […]. Aber diese Freiheit wird mir beim Lesen nicht zugestanden. Ich muss beim Lesen orthografischen Unsinn mit in Kauf nehmen. Es tut weh in den Augen, in der Seele und im Verstand.
Von Haus aus Mathematiker, habe ich […] mit großen Korpora zu tun, und besonders beim Untersuchen der signifikanten Zusammenhänge zwischen Wörtern kann man nur zu dem Schluss kommen: Wenn man Sprache […] betrachtet, kann alles passieren. Es gibt nahezu keine Regeln ohne Ausnahmen. Und genau da scheitert die Rechtschreibreform: Indem sie vorgaukelt, die Sprache (oder die Schriftsprache) durch einfache Regeln fassen zu können. Es geht einfach nicht. Und darauf weisen weder die Rechtschreibkommission noch Experten, einschließlich Prof. Theodor Icklers, hin. […] Aber so sehr sich Ickler über die umständlichen Formulierungen des Fehlereingestehens der Kommission amüsiert, so wenig erwähnt er (und erwähnen seine Leserbriefschreiber im Internet), dass die alte Rechtschreibung ebenso inkonsistent war.
Und mit zu vielen regeln geht es auch nicht, wie die erfahrung zeigt. Vielleicht hat der matematiker verständnis für die folgende überlegung. In der technik gibt es nur einen weg, kommunikation in den griff zu bekommen: arbeitsteilung gemäss einem modell mit unabhängigen, austauschbaren schichten (layers). Dieser idee liegt die erfindung der buchstabenschrift zu grunde. (Man kann auch in fraktur, steno, braille, kyrillischer schrift deutsch schreiben.) Dagegen hat man mit tendenzen, sprache und schreibung durcheinander zu bringen (semantik in der schreibung), schlechte erfahrungen gemacht dadurch wird das system unnötig komplex. Hier haben sich Ickler und die seinen festgerannt (SZ vom 31. 12. 2001 samt anmerkung), und hier ist ihnen der beifall der leserbriefschreiber gewiss. Dagegen ist die neuregelung auf dem richtigen weg, allerdings «behutsam» oder (noch) inkonsequent, und da sind ihr die prügel gewiss.
Er liest aus dem Bericht nur das heraus, was er seit Jahren nach einem bestimmten Grundmuster mit immer neuen Variationen seiner Fan-Gemeinde predigt: Die Reformer und ihre Auftraggeber, die Kultusminister, sind unfähige Deppen, denen die Geheimnisse der Orthografie auf Dauer verborgen bleiben. […] Ickler dekretiert in der Zusammenschreibungsfrage Beliebigkeit (Schoebe). Es ist auch bekannt, dass Ickler in seinem Rechtschreibwörterbuch nun tatsächlich die von ihm so oft geforderte Einheitlichkeit der Rechtschreibung aufgibt. Der Hauptkritiker der Rechtschreibreform ist offensichtlich nicht in der Lage, irgendwelche dem Schreibbrauch zugrunde liegenden Strukturen zu erkennen.
Im SZ-Feuilleton gibt es doch Interessanteres darzustellen als die gebetsmühlenartig wiederholten Attacken des Theodor Ickler gegen die neue Rechtschreibung.
Ickler behauptet: Der feste Begriff schwerbehindert sei durch die ... neue Getrenntschreibung beseitigt worden. Beseitigt? Meint er ernsthaft, die Verschriftung von Wörtern (frz. code graphique) vermöge etwas an der Zahl der Wörter einer Sprache zu ändern? […] Dass Homographien für die Verständigung unmittelbar verderblich seien, ist eine abwegige Vorstellung; Ickler ignoriert die hohe Redundanz der natürlichen Sprachen (israelische Leser bewältigen wegen des Fehlens von Vokalzeichen in ihren Zeitungen Homographien in jeder Zeile). Die deutsche Großschreibung der Substantive, die hier die Schwierigkeit schafft, war schon immer problematisch; und das ist sie nach wie vor, weil man sich nicht entschließen konnte, sie bei der Reform über Bord zu werfen. […] Ickler hat einige Schwächen der heutigen Rechtschreibung aufgespießt, die er seit Jahren mit großem Getöse ausbreitet, hat aber immer verschwiegen, dass gerade in den inkriminierten Gebieten die deutsche Rechtschreibung noch nie ideale Lösungen zu bieten hatte.
26. 3. 2002
Viele spüren die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, wenn sie das Altertümliche ihrer Zeitung pflegen wie die Großmutter ihr Amulett eine Schimäre im Schrein der Erinnerung, ein rheinisches Biedermeier inmitten der Berliner Republik. Daran hat Schirrmacher mit sicherem Instinkt für die eigene Kulturkrise gerüttelt und ist spektakulär gescheitert. Die Blamage zeigt, inwieweit die Unveränderlichkeit in der Form, in den Maßstäben, im Ort, in der Sprache, die als einzige noch der alten deutschen Rechtschreibung huldigt, Stärke und Schwäche zugleich ist. Sie bindet die alten und treuen Leser zur verschworenen Gemeinschaft. Aber sie lässt sie zugleich mit sich ersticken. Gäbe man andererseits aber den Wünschen einer jüngeren Leserschaft nach, verlöre man sich selbst. Die FAZ steckt im Dilemma alter Tanten, denen die Alternative zwischen Arsen und Spitzenhäubchen bleibt.
25. 3. 2002
Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) hält die staatliche Einmischung in die Rechtschreibreform für einen Fehler. Der Staat sollte sich heraushalten, sagte Nida-Rümelin der «Welt am Sonntag».
Geistreich, witzig, eloquent und treffsicher, mit viel Pfiff und jeder Menge Biss präsentierte sich die Ulmer Kabarettgruppe "Kulturbeutel" bei ihrem amüsanten Gastspiel in der "Bar am Nil". […] Neben dem Afghanistan-Abenteuer und der Friedenspolitik der Grünen wurden auch die Agrarwende, Big Brother (mit "Abtretung der Menschenrechte") und die Rechtschreibreform auf die Schippe genommen.
Die Zeit der Überraschungseier naht, und deshalb entblätterte Hörzu jetzt einen Schokohasen, der aussieht wie Roberto Blanco. […] Hörzu beschreibt den Künstler hinter dem Mann, den wir nur von der Schokoladenseite kennen, und die Titelzeile heißt: Ein bißchen Spaß muß sein. Die Schreibweise wiederum lässt aufmerken, denn bisher ist Hörzu nicht als Gegner der Rechtschreibreform aufgefallen, und im Text über den Schlagersänger steht blitzblanco korrekt: Ein bisschen Spaß muss sein.
"Aus der Rechtschreibung sollte sich der Staat raushalten, diese Lehre sollten wir aus der Reform ziehen", sagte der SPD-Politiker der Zeitung "Welt am Sonntag".
24. 3. 2002
Nida-Rümelin: Der Hauptfehler war, dass eine Kommission im staatlichen Auftrag in die Rechtschreibung eingegriffen hat. Aus der Rechtschreibung sollte sich der Staat raushalten. Diese Lehre sollten wir aus der Reform ziehen. In der Vergangenheit hat es mit der Duden-Redaktion auch ohne den Staat ganz gut geklappt.
Es klappt ganz gut, solange niemand etwas ändern will. Unter dieser voraussetzung könnte man das problem der buchpreisbindung der redaktion des Börsenblattes überlassen und die debatten um gentechnik, abtreibung usw. der redaktion des Pschyrembel. Vgl. auch Das aktuelle zitat.
23. 3. 2002
Dafür haben sich alle vier Söhne Bing Crosbys ins Gästebuch eingetragen, samt einer Reihe von Stars der Fünfziger […]. Und wenn an diesem Sonntag, dem Jubiläumstag in der Elefantengasse 1, […] "DJ Rainer" Platten von damals auflegt, sind bestimmt auch welche von Helmut Zacharias dabei. Der war 1957 mit den "Drei Travellers" zu Gast und hat Nick Di Camillo ein ebenso großes wie bemerkenswertes Kompliment hinterlassen: "Du und Deine Spaghetti", schrieb der italophile Geiger mit eigener Hand, "realisieren der Welt größtes Gottesgeschenk Italien." Über Nicks Pizzas hat er nichts vermerkt, "Spaghetti" aber schrieb er schon damals so, wie es die Deutschen knapp fünfzig Jahre nach ihrer ersten Pizza schreiben sollen: ohne "h".
Im Zuge der Rechtschreibreform wurde manch Altgewohntes geändert. Aber Nußdorf macht das "Spielchen" nicht mit. Die Herren Eichhorn, Thalmann, Diemert und Wambsganß bekräftigen: "Nußdorf hat sich immer mit 'ß' geschrieben. Daran wird sich nichts ändern. Es gab auch bisher nie eine Debatte, das 'ß' durch zwei 'ss' zu ersetzen."
22. 3. 2002
Denn wo ist der Ort, an dem man mit Geduld und wissenschaftlichem Eifer die Reste verklingender Redeweise gesammelt, forschend immer wieder ergänzt, in Tonbandaufzeichnungen bewahrt hätte? Anstatt uns mit einer so armseligen wie hausbackenen Rechtschreibreform zu verunsichern, wäre es sinnvoll gewesen, der bislang jedem zu engen Regelwerk spottenden deutschen Sprache ihre Vielfältigkeit zu erhalten und einen wissenschaftlichen Dienst zu erweisen, der dem auf föderalen Besonderheiten fußenden Staatswesen freudige Pflicht sein sollte.
Das so genannte Kiiechen-Kreuz wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert errichtet, vor der ersten deutschen Rechtschreibreform des Jahres 1900. Die Inschrift lautet: "Gegrüßt sei Jesus Christ. Errichter dieses Denkmahls bittet Vorübergehenthen um ein‚Gegrüßt seist Du Maria!‘ für die gefallene Kriegskamerathen der Kriege 1866 und 1870".
Die Ausstellung "Das flämische Stillleben 1550-1680" des Kunsthistorischen Museums im Palais Harrach verquickt die Lieblichkeit penibel erfasster Details mit der "Vanitas" irdischer Vergänglichkeit. […] Die neue Rechtschreibung macht es deutlich: Das Stillleben hat nichts mit Stil, aber viel mit Stille zu tun.
19. 3. 2002
Im Jahr 2005 muß der Streit über die Rechtschreibung beendet werden. Ein Zurück zur alten Rechtschreibung wird die Politik nicht zulassen. Aber alle neuen Regeln werden sich in der Sprachgemeinschaft nicht durchsetzen es sei denn, man stellt sich auf Jahrzehnte konkurrierender Rechtschreibung ein.
Es mag sein, dass einem wissenschafter zur rechtschreibdiskussion nur das wort «streit» einfällt, aber will er wirklich sich und uns sagen lassen, wann sie beendet werden «muss»? Was die politik zulässt, pflegt davon abzuhängen, wer gewinnt; dem verlierer bleiben das jammern und vielleicht der wille, weiterzumachen. Ob sich alles neue durchsetzt, wird man sehen. Den «streit» gibt es, weil sich nicht alles alte durchgesetzt hat. Auch wenn man annimmt, dass «konkurrierende rechtschreibung» etwas schlechtes ist (Leiss), ist doch festzuhalten, dass es immer konkurrenz gab, z. b. fraktur und substantivkleinschreibung. Das kann man natürlich ignorieren, aber dann hat man ja auch keine probleme damit.
Gab es zu Jean Pauls Zeiten keine einheitliche Orthografie, so sind wir Setzwein zufolge seit der Rechtschreibreform wieder so weit.
Wir haben also eine Sprachentwicklung, die sich einer Normensetzung durch den Bundestag oder die Kultusministerkonferenz entzieht. Man hätte bei der gewohnten Rechtschreibung bleiben und diese dem sich entwickelnden Sprachgebrauch anpassen sollen das hätte viel mehr gebracht.
Wenn sich die entwicklung einer normensetzung entzieht, haben wir ja auch kein problem. Das einzige problem ist dann: Wer ist «man»?
16. 3. 2002
Außerdem tauchen immer wieder ein paar neue letzte Fragen auf, die noch niemand abschließend beantwortet hat. Drei Beispiele, erstens: Warum ist die Banane krumm? […] Drittens: Wie schreibt man nach der neuen deutschen Rechtschreibung das Wort »Rhythmus«? Mit einem »h« (Rythmus), wie in Frankreich (rythme) üblich, oder ganz ohne »h« (Rytmus)? Falsch, man schreibt's unverändert mit beiden »h«, aber kaum jemand weiß das noch. Oder traut sich's zu wissen. Die Bilanz der Rechtschreibreform: Chaos, Verunsicherung, Anarchie. […] Am Nutzen mancher Reformvorschläge haben wir längst gezweifelt. Wenn jemand nicht in der Lage war, »daß« von »das« zu unterscheiden, weshalb sollte es ihm mit »dass« gelingen?
Buchpreisbindung, das klingt wie Rechtschreibreform. Verschont uns damit!
Erwarten Sie keine verlässliche Interpunktion dabei. Vergessen Sie das beruhigende Auf und Ab der Groß- und Kleinschreibung. Fühlen Sie sich mit dem Autor frei von gewissen Verlässlichkeiten der deutschen Grammatik.
15. 3. 2002
Sofern nicht Unerwartetes geschieht, werden die Grünen sich an diesem Wochenende ein neues Grundsatzprogramm geben. […] Die Sprache, in der das Programm verfaßt ist, ist die der anderen Parteien und nicht mehr der Aufstand gegen die Regeln der Rechtschreibung etwa durch die Erwähnung von "BürgerInnen".
Ist es wirklich die sprache der anderen parteien, kleine abweichungen von nicht verbindlichen regeln als «aufstand» zu bezeichnen?
13. 3. 2002
Ich halte die Meinung und die Konsequenzen der F.A.Z. im wesentlichen für bedenkenswert und richtig, möchte allerdings […] eines zu bedenken geben: Weitgehend durchgesetzt und bewährt hat sich die neue Regel, daß der Buchstabe "ß" nach langen Vokalen und Diphtongen […] erhalten bleibt, nach kurzen Vokalen jedoch zu "ss" wird (Maße, Masse). Ohne Anwendung dieser Regel […] scheint mir das Schriftbild der F.A.Z. doch ein bißchen "alt" auszusehen.
12. 3. 2002
Von der Friedrich-Ebert-Schule habe der Frankenthaler Verband sieben Kisten Schulbücher erhalten, die durch die Rechtschreibreform keine Gültigkeit mehr haben. Sie werde er baldmöglichst an Schüler in Rumänien und Ungarn weiterreichen.
9. 3. 2002
Aus der Neuregelung kann sich kein Sprachgefühl entwickeln, das später einmal zu einer neuen Schreibsichertheit führt. Ein hoher Grad von Beliebigkeit ist also für die nächste Zukunft ohnehin nicht zu vermeiden. Wenn man aber sowohl eine kultivierte Rechtschreibung will, wie sie die übrigen europäischen Sprachen kennen, wie auch mit der früheren und heutigen Gängelung Schluß machen möchte, führt kein Weg an einer plebiszitären Schreibfreiheit von etwa zehn Jahren vorbei.
Erstreckt sich die freiheit auf wörter wie «Rhythmus», für die schon immer zwei drittel kein gefühl entwickelten? Wir fühlen uns allerdings nicht gegängelt, sie so zu schreiben.
8. 3. 2002
Gestern Abend stand Gründungsvater und Primus inter Bosse, Manfred Bissinger, vor seiner Mannschaft und musste erklären, warum es die Zeitung mit dem jetzt zynischen Slogan "hinterher ist man immer klüger" ab nächste Woche nicht mehr gibt. […] Als erste führte in Deutschland Die Woche den Vierfarbdruck für eine Wochenzeitung ein. Die neue Rechtschreibung stand zuerst in der Woche. Geldbeträge wurden konsequent in Euro genannt.
Hier […] lebt und arbeitet Ingeborg Scholz, Literaturwissenschaftlerin, 88 Jahre alt. […] Rüstig und streitbar mischt sie sich ein, so auch als Mitglied des Vereins zur Wahrung deutscher Sprache. […] Und die Autorin beharrt auf der alten Rechtschreibung, denn „die neue ist fehlerhaft“. Dass man statt „Das wohlgenährte Schwein“ nun schreiben soll „Das wohl genährte Schwein“, womit der Ernährungszustand des Tiers auch in Frage gestellt sein kann im Sinne von „wohlmöglich“, dafür hat die Expertin für Sprachkunst nur ein energisches Kopfschütteln übrig.
Hat jemals jemand „Das wohl genährte Schwein“ so geschieben und so gemeint?
Drei Jahre sind eine zu kurze Zeit, um sehr eingefahrene Verhaltensweisen bei Schreibern und Lesern zu ändern. […] Es gilt also, nachzubessern, nicht aber, wie manche Kritiker bereits forsch fordern, den vorreformatorischen Zustand wiederherzustellen. Immerhin waren dessen Ungereimtheiten ja ein gewichtiger Grund, die jahrelangen Beratungen endlich abzuschließen und ein Reformwerk vorzulegen. Dass Korrekturen nötig würden, war wohl jedem klar. Damit sollte jetzt begonnen werden, nicht erst nach dem 31. Juli 2005, wenn die Übergangsfrist endet.
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist so naheliegend, daß es fast peinlich ist, immer wieder darauf hinweisen zu müssen. Wenn man die bisherige Rechtschreibung zunächst einmal so erfaßt und darstellt, wie sie wirklich war und in den seriöseren Medien immer noch ist, erweist sie sich als wesentlich einfacher, als ihre Darstellung im Duden vermuten läßt. Sie zeigt auch erst dann ihre unglaubliche, im Laufe von Jahrhunderten entwickelte erzielte Feinheit und Leserfreundlichkeit. Die deutsche Rechtschreibung ist zwar Menschenwerk, aber sie ist keinem Gesamtplan entsprungen, sondern ein typisches Phänomen der dritten Art, wie die Sprache selbst. Je mehr man sich damit beschäftigt, um so mehr staunt man über die genialen Einzelheiten. Anders die Reformer: Sie haben zuerst Regeln aufgestellt und dann ohne Rücksicht auf das Gewachsene die Schreibweise einzelner Wörter daraus deduziert.
Aufgestellt? Es waren schon welche da. Abgesehen davon: Was früher wachsen durfte, wird ja nun wohl auch weiter wachsen dürfen. Beim wachsen ist es aber nicht ganz zu vermeiden, dass etwas nachher anders aussieht als vorher. Aber das ist eine teoretische überlegung; praktisch krankt die reform an zu viel rücksicht auf das gewachsene.
Man kann den Verlust der Einheitlichkeit beklagen, zumal mit Rücksicht auf die Schule, muss sich aber doch vor Augen führen, dass die Schriftpraxis damit nur in die Zeit vor der ersten Rechtschreibreform von 1903 zurückfällt, als ebenfalls verschiedene Schreibweisen nebeneinander existierten […]. Der deutschen Literatur hat das nicht geschadet; und ganz falsch wäre es, wie manche Reformgegner zu glauben, dass mit der Reform die eine heilige und alte Schreibung des Deutschen verloren gegangen sei. Eine solche hat es nie gegeben; wer das vorzuspiegeln versucht, verrät nur einen Hang zum autoritären Charakter, der sich vom Strafinstrument einer verbindlichen Orthografie nicht verabschieden will.
7. 3. 2002
Josef Kraus fordert dagegen, dass die KMK mit ihrer Entscheidung über eine weitere Reform der Rechtschreibung nicht bis 2005 warten soll, wie es bislang geplant ist. Der Schwebezustand sei "das Dümmste", was passieren könne. "Noch drei weitere Jahre und die Kinder werden es schwer haben, Sprache als etwas Exaktes zu bewerten", warnt Kraus.
5. 3. 2002
ND sprach mit dem Kommissionsvorsitzenden, dem Siegener Germanistikprofessor Gerhard Augst, über den Bericht. […] Wir schlagen überhaupt keine Änderungen vor. Wir berichten darüber, wie sich die Rechtschreibreform durchgesetzt hat.
Die intuitive Sprachkenntnis, das sogenannte Sprachgefühl, wird durch systematische Einübung des Falschen unweigerlich zerrüttet. Dieser Schaden wiegt schwerer als die vergeudeten Milliarden. Aber auch der nie berechnete materielle Schaden ist nicht gering zu veranschlagen: In ganz Deutschland bitten Leihbüchereien um Spenden für die angeblich dringend notwendige Auswechselung »veralteter« Kinderbücher gegen reformierte.
Die Veröffentlichung und Kommentierung des geheimen dritten Berichts hat die Reformer kalt erwischt. Ihre wütenden Dementis erklären sich am einfachsten, wenn man bedenkt, daß die neu entflammte Diskussion vor allem eins ist: geschäftsschädigend.
Mit radikalen Forderungen, die "Orthographie in Rente zu schicken" und die "Grammatik zu vereinfachen", verschreckte er die spanischsprachigen Autoren beiderseits des Atlantiks.
4. 3. 2002
Der Kultusministerkonferenz ist der dritte Bericht der "Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung" nicht einmal eine Erwähnung in ihrem Abschlusskommunique wert. […] Auf etwa 90 der 120 Seiten stellt der Bericht empirische Befunde über die Einführung der neuen Rechtschreibung zusammen in den Schulen und Behörden, für die das geänderte Regelwerk verbindlich ist, in Zeitungen, in Buchverlagen und im privaten Gebrauch. Diese Erhebung lässt keineswegs den Schluss zu, die neuen Regeln werden weithin von der Öffentlichkeit ignoriert, wie es zuletzt in Zeitungsberichten hieß. […] Die Kultusministerkonferenz solle schleunigst den Bericht ins Netz stellen, empfiehlt Augst, um der künstlichen Aufregung durch sachliche Information ein Ende zu bereiten.
Die Sprache lässt sich nicht per Logik und bildungsreformerischem Gerechtigkeitsanspruch bis in die kleinste Regung hinein staatlich reglementieren. […] Warum überlässt man bestimmte Zweifelsfälle der Getrennt- und Zusammen- sowie der Groß- und Kleinschreibung nicht der Eigenverantwortlichkeit der Deutschen? […] man […] verzichte […] auf die Komma-Haarspaltereien beim erweiterten Infinitiv und aufs Hineinprügeln von Ka-tze statt Kat-ze. Dies überlasse man dem Einzelnen, ebenso Schreibungen wie „Schifffahrt“, „aufwändig“ oder „fantastisch“. Warum nicht zwei Möglichkeiten zulassen? Im Zweifel werden sich verantwortungsbewusste Bürger schon selbst helfen.
Abgesehen vom falschen beispiel «Ka-tze», hat der autor recht: Der freie bürger kann selbst entscheiden. Nur war das schon immer so. Der staat reglementiert nur für die schule.
"Es war eines der Ziele der so genannten Rechtschreibreform", hat der der Erlanger Germanistik-Professor Theodor Ickler unlängst beklagt, "orthografische Entscheidungen aus den Hinterzimmern des Privatunternehmens Duden herauszuholen". Stattdessen sei die Rechtschreibung erst recht esoterisch geworden.
3. 3. 2002
Die Sekretärin des Delitzscher Oberbürgermeisters, Ute Brück, kommt täglich mit der Frage nach der korrekten Schreibweise in Berührung […]. "Ich sehe das Schloss und auch die Schlossstraße nicht als Eigennamen", sagt Ute Brück, "und passe sie deswegen der neuen Schreibweise an. Doch in diesem Punkt sind sich die Kollegen nicht ganz einig." […] Die Reform soll eigentlich zu Vereinfachung der Schriftsprache beitragen, so dass LVZ auch bei Deutschlehrerin Dagmar Apitzsch nachfragte, ob dieses Ziel erreicht wurde. Doch für sie ist es keine wirkliche Reform: "Die Reform ist nicht konsequent wie eine komplette Kleinschreibung, die diskutiert wurde. Nur so etwas Durchgreifendes hätte eine Vereinfachung gebracht. […]"
Die Tatsache, dass im dritten Kommissionsbericht zur deutschen Orthografie drei Jahre nach Einführung der Reform deren Mängel offenbar werden, kann niemanden verwundern. Verärgern aber muss dies jeden. Besonders angesichts einer Generation von Kindern und Jugendlichen, die ihre Schul- und Wörterbücher ebenso wie ihre Eltern und Lehrer in Sachen Orthografie als unsichere Kantonisten erleben. Aus diesen Kindern werden mit dem Hin und Her der Reform etatistische Legastheniker. Sie erleben Sprache und Text als Opfer von Willkür und Missmanagement gegängelt von der Politik und kuriosen, scheinbar überholten Institutionen wie der Kultusministerkonferenz. […] Die deutsche Sprache lebt: Die Rechtschreibereform hat sie jedoch nicht verjüngt, sondern krank gemacht. Ihre Zurücknahme bietet kaum Heilungschancen. Dazu sind die Wunden und Narben der letzten Jahre im Sprachkorpus zu groß. Jetzt muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Selbstheilungskräfte der Sprache mobilisiert werden und eine Chance haben.
2. 3. 2002
Die meisten Minister geben hinter vorgehaltener Hand zu, die Folgen dieser Reform unterschätzt zu haben. […] Einig sind sich alle Minister darin, daß nicht politisch entschieden werden kann, ob es nun "not tun", "Not tun" oder "nottun" heißt. Die Reform sei vom Bundesinnenministerium ausgegangen, sagen sie entschuldigend in Berlin. Die meisten unter den Kultusministern geben sogar zu, daß sie privat die bewährte Schreibung bevorzugen. Die Kultusminister würden die Verantwortung für die Rechtschreibreform am liebsten abgeben – aber an wen?
So glatt ist die Rechtschreibreform aber nicht abgelaufen. Inzwischen muss man sich sogar fragen, ob sie überhaupt stattgefunden hat. […] Gerade kursiert ein vertraulicher Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, wonach die sowieso schon bescheidenen Neuerungen noch immer nicht in der Schriftsprache verankert seien. Die Umstellung in Schulen, Behörden und Medien sei nicht abgeschlossen. Hinzuzufügen wäre: Alle anderen schreiben sowieso, wie sie wollen nach bestem Wissen und nur mit begrenzt schlechtem Gewissen.
Der Deutschen liebstes Ablenkungsmanöver wird ausgekramt; die sogenannte Rechtschreibreform, die Missgeburt, das Reförmchen, steht mal wieder am Pranger. Fast war sie ja schon vergessen, in der Ekelskala weit abgeschlagen hinter Fußballtrainer- und Politiker-Haarproben, Besenkammer-Babys, ermordeten Busenwundern und ähnlichen W(N)ichtigkeiten. Doch jetzt: ein Zwischenbericht! Und noch vertraulich dazu! Er besagt etwas Unerhörtes: dass nämlich selbst die Väter (?) der neuen Schreibregeln einräumen, die Reform sei noch nicht in der Schriftsprache verankert.
Die Diskussion über die umstrittene neue Rechtschreibung hat am Freitag auch die Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin beschäftigt. Die Präsidentin der KMK, die thüringische Forschungsministerin Dagmar Schipanski, sagte, sie habe das Thema auf Grund der erneuten Debatte in den Medien außerhalb der Tagesordnung angesprochen. Eine Diskussion über Verbesserungen der neuen Schreibweise werde es nach ihrer Einschätzung geben, sobald die zuständigen Kollegen in Österreich und in der Schweiz den Bericht der "Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung" eingesehen und bewertet hätten. Eine Rückkehr zur alten Schreibweise schloss Schipanski aber aus
Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) mag ein treuer Gefolgsmann seines Parteichefs Guido Westerwelle sein. In einem Punkt möchte er ihm aber nicht folgen, nämlich bei seiner Schelte gegen die Rechtschreibreform. […] "Der Senator hat zu diesem Thema keine zu veröffentlichende Meinung", teilte der Behördensprecher Hendrik Lange am Freitag mit. Das mag an dem Zwiespalt liegen, in dem sich sein Senator befindet: Westerwelle hatte nicht nur auf die Rechtschreibreform geschimpft, sondern auch eine "Entmachtung" der Kultusministerkonferenz gefordert. Und in der sitzt Rudolf Lange.
Nun aber haben die gloriosen Reformer der deutschen Rechtschreibung verfügt, die Kürze des "a" im einfachen As auch durch eine Verdoppelung des dem "a" folgenden Konsonanten "s" zu signalisieren, woraus das schöne Wortbild "Ass" entstand. […] So weit, so gut gemeint. Dass "Ass" in der heute alles übertünchenden englischen Sprache ein Wort darstellt, dessen Übersetzung im Deutschen auch mit "A" beginnt und mit einem "sch" aufhört dazwischen befindet sich noch ein schöner Rolllaut , ist den Schöpfern des neuen Wortbilds möglicherweise entgangen. Womit sie möglicherweise selbst zu jenen Assen zählen, die man in der englischen Sprache zu Recht mit dem zweiten "s" versieht.
1. 3. 2002
Schlagzeilen in der deutschen Presse, die Reformkommission stelle mit dem Bericht ihr Werk nun selbst in Frage, sind von den Betroffenen umgehend dementiert worden. […] Bankrotterklärungen sind freilich von den Betreibern und Profiteuren der Reform nimmermehr zu erwarten, am allerwenigsten von der in Deutschland politisch verantwortlichen Kultusministerkonferenz. […] Werner Hauck, Leiter der Sprachdienste in der Bundeskanzlei in Bern und eines von drei Schweizer Mitgliedern in der Reformkommission, plädiert denn auch dafür, «aus der Kriegsatmosphäre» herauszutreten. Wo es die Sache fordere, werde es sicherlich zu Änderungen an der Reform kommen. Aber das «Bombardement» der Kritiker führe nur zu «Verkrampfungen» bei den Kultusministern, die dann womöglich erst recht «kein Jota» zurückweichen würden.
Das Wort ist heraus. Und es beschreibt so bürokratisch schön wie kein anderes den derzeitigen Zustand der deutschen Rechtschreibreform: "Toleranz-Metaregel". Gemeint ist die Unübersichtlichkeit, die seit dem Inkrafttreten des neuen Regelwerks im Sommer 1998 regiert. […] Die Reform scheint den Sprachexperten weiterhin reformbedürftig. […] Bleibt da am Ende überhaupt noch etwas übrig, das den Namen "Reform" verdient? Oder wird die deutsche Sprache über den im Augenblick kaum noch zu vergrößernden Wirrwarr von amtlichen Regeln, halbamtlichen Empfehlungen und Privatorthographien […] in die Freiheit von jeder Regelverbindlichkeit entlassen? Müssen wir Abschied von einer einheitlichen deutschen Schriftsprache nehmen?
Da werden Änderungen erwartet. Die Kritiker deuten dies bereits als Reform der Reform. Die Verfasser des Regelwerks erklären solche Nachbesserungen für normal, weil die Übergangsfrist zur Einführung der Regeln noch bis 2005 läuft. […] Es kann einem nur logisch erscheinen, dass sie sich in dieser Frist noch nicht durchgesetzt hat. Die Mehrzahl der Deutschen kauft auch nach allen Nachrichten über BSE und Antibiotika weiterhin Fleisch aus der Massentierhaltung. […] Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung sollte vereinfachen, das war das Anliegen ihrer Schöpfer. Zunächst hat sie tatsächlich verwirrt. In ein paar Jahren sieht das vielleicht ganz anders aus.
Intensiv diskutiert der Bericht die Groß- und Kleinschreibung. Der "Regierende Bürgermeister", der "Heilige Vater" werden als Funktionsbezeichnungen und Ehrentitel unter den systematischen Ausnahmen genannt. Aber wenn es sich nicht um wirkliche Eigennamen handelt, dann ist die Kleinschreibung vorgesehen: "künstliche Intelligenz", "neues Jahr". Daß diese Regelung vom Duden unterlaufen worden sei, muß die Kommission selbst zugeben. Zum Beispiel hieß es dort die "Erste Hilfe", aber die "erste Wahl", der "Letzte Wille", aber "jemandem die letzte Ehre erweisen". Um nicht von der Vorgabe der Kleinschreibung der Attribute abzuweichen, werden jetzt Begriffe wie "der Neue Markt", die "Rote Karte", die "Gelbe Karte", die "Letzte Ölung", die "Heilige Messe", das "Ewige Licht" unter der Rubrik der Fachsprachlichkeit wieder zugelassen. Fachsprachen sind nämlich von der Regelung ausgenommen. Wer künftig solche festen Fügungen wieder groß schreiben will, muß sie also nur als Fachsprache deklarieren; das geht fast immer.
Der Verband Deutscher Schriftsteller mahnte eine neue radikale Reform an. Nach jahrelangem Gerangel müsse jetzt ein klares Konzept her, sagte der Verbandsvorsitzende Fred Breinersdorfer.
Wenn jetzt über eine Reform der Reform debattiert wird, offenbart dies vor allem eins: Sie ist daran gescheitert, dass sie keine Legitimation hatte und hat. […] Das zweite Problem […] lag in der Reformresistenz dieser Gesellschaft. Die gemäßigte Kleinschreibung etwa wurde rasch den konservativen Gralshütern der deutschen Schriftsprache geopfert.
Die Rechtschreibreform ist also vom Volk nicht so angenommen worden, wie sich das ihre Erfinder vorgestellt hatten. Dabei hatten sie über ein Jahrzehnt hartnäckig und aufopferungsvoll an den neuen Regeln gearbeitet! Aber wie zum Trotz schrieb selbst der jüngste deutsche Literatur-Nobelpreisträger seine neue Novelle nach den alten Regeln. […] Alles in allem sei die Reform endgültig gescheitert, folgerte Westerwelle messerscharf, und dafür müsste die Kultusministerkonferenz entmachtet werden.
Nicht zurück, sondern weit nach vorne will Alfred Metz, Direktor des Saarlouiser Robert-Schuman-Gymnasiums. Er wünscht sich eine noch mutigere, weiter gehende Reform als die bisherige. So fordert er eine gemäßigte Kleinschreibung (danach würden nur noch Eigennamen großgeschrieben). Das Spanische sieht Metz hier als Vorbild. Wenn Deutsch als Weltsprache erhalten bleiben solle, müsse man es Ausländern auch leichter machen, es zu lernen.
FDP-Chef Guido Westerwelle warf der Kultusministerkonferenz vor, falsche Prioritäten in der Bildungspolitik zu setzen und sich zum Beispiel zu lang mit der Rechtschreibreform beschäftigt zu haben. Er sagte der Tageszeitung Die Welt: Eine Kultusministerkonferenz, die die Frage, ob man Schifffahrt mit zwei oder drei f schreibt, für wichtiger hält als die Bekämpfung des Unterrichtsausfalls, gehört entmachtet.
Da nun die Rechtschreibreform nicht das einzige gescheiterte Projekt der Neuregulierung ist, sondern sich in jene lange Schlange einreiht, in der auch Stadtplanung, Sozialstaat und Frauenquote stehen, so wäre zumindest zu überlegen, ob man hier nicht ähnlich verfahren sollte, wie es für jene und andere Bereiche vorgeschlagen wird. Dort wird nach dem Scheitern der großen Reformprojekte nicht einfach eine Rückkehr zu Vorkriegsordnungen gefordert. Vielmehr seien die Spielräume des Einzelnen zu vergrößern. Müssen wir wirklich festlegen, ob man Pleite geht, pleitegeht oder pleite geht? Warum sollen wir die "f"s in Schifffahrt zählen?