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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

presseartikel → 3. 2002
nachgeführt , 2020-04-28
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Aus presse und internet

30. 3. 2002

: Wider die Reformer-Clique. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 75, s. 11, Briefe an die Herausgeber
Warum aber schlägt der Verfasser solch einen resignativen Ton an? Gewiß stimmt die Erfahrung der letzten Jahre nicht eben hoffnungsfroh. Dennoch sollte sich kein guter Demokrat mit der Einsicht zufrieden­geben, daß sich ausgerechnet die für das Schulwesen zuständigen Minister als dauerhaft lernunfähig erwiesen haben.
: Ohne Antwort vom Kulturstaatsminister. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 75, s. 11, Briefe an die Herausgeber
Obwohl das Bundesverfassungs­gericht […] die Verbindlichkeit der neuen Rechtschreib­regeln auf den Bereich der Schulen beschränkt hatte, verkündete das Bundesministerium des Inneren […] die Einführung der neuen Regeln für die Amtssprache der Bundesverwaltung. […] Ich bin […] davon überzeugt, daß die Vorschrift, im dienstlichen Schriftverkehr die neuen Rechtschreib­regeln zu benutzen, weder sprach­wissenschaftlicher noch juristischer Überprüfung standhalten wird. […] Deshalb habe ich am 8. April 2001 eine vierseitige Eingabe auf dem Dienstweg an meinen Dienstherrn gesandt. Da mein Dienstherr der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kultur­besitz ist, habe ich an den Vorsitzenden dieses Gremiums, Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, geschrieben. Bis heute habe ich keine Antwort in der Sache erhalten.

Hier ist eine: Die beamtin verwechselt die positionen von chef und angestelltem. Die legendäre berner patrizierin madame de Meuron pflegte in diesem punkt klarheit zu schaffen, indem sie besucher fragte: «Sit dir öpper oder nämed dir lohn?» (Sind Sie jemand oder beziehen Sie einen lohn?) Der Standard, 2. 10. 2001.

: Sprachreform nie zu Ende. Die Rheinpfalz, , Grünstadt, Kommentar
Wer die zahlreichen Gesprächsrunden im Fernsehen aufmerksam verfolgt, der wird […] eines inzwischen einheitlich feststellen können: Noch ist die jüngste (schriftliche) Rechtschreib­reform nicht richtig verdaut, da steht uns ganz offensichtliche eine weitere, sozusagen mündlich-optische, bevor. Künftig sollen dann wohl auch Satzzeichen mitgesprochen und augenfällig kenntlich gemacht werden. Vorreiter auf diesem Wege sind die Anführungs­zeichen.

28. 3. 2002

: Rechtschreibung — geheime Staatssache? [I]. Rheinischer Merkur, , 57. jg., nr. 13, s. 18, Leserforum
Es ist psychologisch verständlich, wenn die Reformer das Scheitern ihrer Bemühungen nicht eingestehen wollen. Den Ver­antwortlichen für das orthographische Chaos darf jedoch nicht erlaubt werden, das Herum­pfuschen an der deutschen Sprache im staatlichen Auftrag fortzusetzen.
: Rechtschreibung — geheime Staatssache? [II]. Rheinischer Merkur, , 57. jg., nr. 13, s. 18, Leserforum
Die Verwirrung, die vor allem in der Groß- und Klein­schreibung beziehungs­weise in der Getrennt- und Zusammen­schreibung entstanden ist, ist wirklich nicht lustig.
: Rechtschreibung — geheime Staatssache? [III]. Rheinischer Merkur, , 57. jg., nr. 13, s. 18, Leserforum
Ein Chaos kann man nicht korrigieren. Wie kann man ein Narrenkleid in ein Abendkleid umschneidern?
: Rechtschreibung — geheime Staatssache? [IV]. Rheinischer Merkur, , 57. jg., nr. 13, s. 18, Leserforum
In Wirklichkeit wollten die Reformer etwas ganz anderes: Kleinschreibung, Tilgung der Dehnungs­buchstaben, Fremdwort­eindeutschung, Einheits­schreibung „das“. Sie haben, als sich die Auftrag­geber sperrten, Hals über Kopf diese unausgegorene Neu­regelung ausgearbeitet, um nicht mit völlig leeren Händen dazustehen.

27. 3. 2002

: Mit Setzwein in Jean Pauls Welt eingetaucht. Lesereise von Bernhard Setzwein an ostbayerischen Schulen; Erinnerung an Klassiker. Der neue Tag, , Kreis Schwandorf
Die Wirkung von Literatur­preisen, die Gestaltung des Urheber­rechts oder die Rechtschreib­reform wurden diskutiert.
: Mediale Schreihälse als Vorbilder für Sprache? Zum Artikel Note "Gut für die Reformer", "SZ" vom 6. März. Saarbrücker Zeitung, , Völklingen
Mit der Großschreibung wird der Satzbau optisch anschaulicher, reliefartig plastisch und über­schaubarer. Deshalb bin ich strikt gegen ihre Abschaffung. […] Was mir allerdings die Zornesröte ins Gesicht treibt ist der Hinweis, dass bereits viele Werbeleute zur Klein­schreibung über­gegangen seien. Gerade diese vorlauten, auf­dringlichen medialen Krachmacher und Schreihälse sollen richtungs­weisend sein für unsere Sprachkultur?
: Das Allerdümmste negieren (I). „Rückbau“ und „Dessen Komma du nicht verstehst“, SZ vom 20. und vom 22. Februar. Süddeutsche Zeitung, , s. 13, Leserbriefe
Immerhin könnte die SZ zusammen mit vielen Autoren die allerdümmsten Neuheiten einfach negieren und zu den alten Formen zurück­kehren. Zum Beispiel sind Alleinerziehende ein fester Begriff so wie Allein­stehende, die ja auch nicht allein Stehende sind.
: Das Allerdümmste negieren (II). „Rückbau“ und „Dessen Komma du nicht verstehst“, SZ vom 20. und vom 22. Februar. Süddeutsche Zeitung, , s. 13, Leserbriefe
Die Rechtschreib­reform ist die schlimmste demokratieprinzipien­widrige Entscheidung unseres Staates […].
: Das Allerdümmste negieren (III). „Rückbau“ und „Dessen Komma du nicht verstehst“, SZ vom 20. und vom 22. Februar. Süddeutsche Zeitung, , s. 13, Leserbriefe
Schrift ist zum Lesen da, und Orthografie hat dem größt­möglichen Verständnis des Lesenden zu dienen. Natürlich kann jeder „schreiben, wie er will und wie er denkt, dass er verstanden wird“ […]. Aber diese Freiheit wird mir beim Lesen nicht zugestanden. Ich muss beim Lesen orthografischen Unsinn mit in Kauf nehmen. Es tut weh in den Augen, in der Seele und im Verstand.
: Eine Hand voll Regeln ist zu wenig. „Rückbau“ und „Dessen Komma du nicht verstehst“, SZ vom 20. und 22. Februar. Süddeutsche Zeitung, , s. 13, Leserbriefe
Von Haus aus Mathematiker, habe ich […] mit großen Korpora zu tun, und besonders beim Untersuchen der signifikanten Zusammenhänge zwischen Wörtern kann man nur zu dem Schluss kommen: Wenn man Sprache […] betrachtet, kann alles passieren. Es gibt nahezu keine Regeln ohne Ausnahmen. Und genau da scheitert die Rechtschreib­reform: Indem sie vorgaukelt, die Sprache (oder die Schrift­sprache) durch einfache Regeln fassen zu können. Es geht einfach nicht. Und darauf weisen weder die Rechtschreib­kommission noch Experten, einschließlich Prof. Theodor Icklers, hin. […] Aber so sehr sich Ickler über die umständlichen Formulierungen des Fehler­eingestehens der Kommission amüsiert, so wenig erwähnt er (und erwähnen seine Leserbrief­schreiber im Internet), dass die alte Recht­schreibung ebenso inkonsistent war.

Und mit zu vielen regeln geht es auch nicht, wie die erfahrung zeigt. Vielleicht hat der matematiker verständnis für die folgende überlegung. In der technik gibt es nur einen weg, kommunikation in den griff zu bekommen: arbeitsteilung gemäss einem modell mit unabhängigen, austauschbaren schichten (layers). Dieser idee liegt die erfindung der buchstabenschrift zu grunde. (Man kann auch in fraktur, steno, braille, kyrillischer schrift deutsch schreiben.) Dagegen hat man mit tendenzen, sprache und schreibung durcheinander zu bringen (semantik in der schreibung), schlechte erfahrungen gemacht — dadurch wird das system unnötig komplex. Hier haben sich Ickler und die seinen festgerannt (SZ vom 31. 12. 2001 samt anmerkung), und hier ist ihnen der beifall der leserbrief­schreiber gewiss. Dagegen ist die neuregelung auf dem richtigen weg, allerdings «behutsam» oder (noch) inkonsequent, und da sind ihr die prügel gewiss.

: Fakultative Zusammenschreibung (I). Neue Orthografie: „Rückbau“ und „Dessen Komma du nicht verstehst“, SZ vom 20. und vom 22. Februar. Süddeutsche Zeitung, , s. 13, Leserbriefe
Er liest aus dem Bericht nur das heraus, was er seit Jahren nach einem bestimmten Grundmuster mit immer neuen Variationen seiner Fan-Gemeinde predigt: Die Reformer und ihre Auftraggeber, die Kultusminister, sind unfähige Deppen, denen die Geheimnisse der Orthografie auf Dauer verborgen bleiben. […] Ickler dekretiert in der Zusammenschreibungs­frage „Beliebigkeit“ (Schoebe). Es ist auch bekannt, dass Ickler in seinem Rechtschreib­wörterbuch nun tatsächlich die von ihm so oft geforderte „Einheitlichkeit“ der Rechtschreibung aufgibt. Der Hauptkritiker der Rechtschreib­reform ist offensichtlich nicht in der Lage, irgendwelche dem Schreibbrauch zugrunde liegenden Strukturen zu erkennen.
: Fakultative Zusammenschreibung (II). Neue Orthografie: „Rückbau“ und „Dessen Komma du nicht verstehst“, SZ vom 20. und vom 22. Februar. Süddeutsche Zeitung, , s. 13, Leserbriefe
Im SZ-Feuilleton gibt es doch Interessanteres darzustellen als die gebetsmühlenartig wiederholten Attacken des Theodor Ickler gegen die neue Rechtschreibung.
: Lediglich minimale Anpassungen des Codes. Die neueste Rechtschreibung: Rückbau, SZ vom 20. Februar. Süddeutsche Zeitung, , s. 13, Leserbriefe
Ickler behauptet: „Der feste Begriff schwerbehindert“ sei „durch die ... neue Getrenntschreibung beseitigt“ worden. Beseitigt? Meint er ernsthaft, die Verschriftung von Wörtern (frz. code graphique) vermöge etwas an der Zahl der Wörter einer Sprache zu ändern? […] Dass Homographien für die Verständigung unmittelbar verderblich seien, ist eine abwegige Vorstellung; Ickler ignoriert die hohe Redundanz der natürlichen Sprachen (israelische Leser bewältigen wegen des Fehlens von Vokal­zeichen in ihren Zeitungen Homographien in jeder Zeile). Die deutsche Groß­schreibung der Substantive, die hier die Schwierigkeit schafft, war schon immer problematisch; und das ist sie nach wie vor, weil man sich nicht entschließen konnte, sie bei der Reform über Bord zu werfen. […] Ickler hat einige Schwächen der heutigen Recht­schreibung aufgespießt, die er seit Jahren mit großem Getöse ausbreitet, hat aber immer verschwiegen, dass gerade in den inkriminierten Gebieten die deutsche Recht­schreibung noch nie ideale Lösungen zu bieten hatte.

26. 3. 2002

: Die FAZ steht vor einer Schockwelle der Veränderungen. Mit Jeske und Barbier gehen die Grandseigneurs der Redaktion; als weitere Sparmaßnahme soll das defizitäre Anzeigenblatt "Sunny" eingestellt werden. Die Welt, , Medien
Viele spüren die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, wenn sie das Altertümliche ihrer Zeitung pflegen wie die Großmutter ihr Amulett — eine Schimäre im Schrein der Erinnerung, ein rheinisches Bieder­meier inmitten der Berliner Republik. Daran hat Schirrmacher mit sicherem Instinkt für die eigene Kulturkrise gerüttelt und ist spektakulär gescheitert. Die Blamage zeigt, inwieweit die Un­veränderlichkeit in der Form, in den Maßstäben, im Ort, in der Sprache, die als einzige noch der alten deutschen Recht­schreibung huldigt, Stärke und Schwäche zugleich ist. Sie bindet die alten und treuen Leser zur verschworenen Gemeinschaft. Aber sie lässt sie zugleich mit sich ersticken. Gäbe man andererseits aber den Wünschen einer jüngeren Leserschaft nach, verlöre man sich selbst. Die FAZ steckt im Dilemma alter Tanten, denen die Alternative zwischen Arsen und Spitzen­häubchen bleibt.

25. 3. 2002

: «Rechtschreibreform nichts für den Staat.» Berliner Morgenpost, , nr. 83, s. 17, Feuilleton
Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) hält die staatliche Einmischung in die Rechtschreib­reform für einen Fehler. Der Staat sollte sich heraushalten, sagte Nida-Rümelin der «Welt am Sonntag».
: "Es bleibt schwach indisch." Schwäbische Zeitung, , Ellwangen
Geistreich, witzig, eloquent und treffsicher, mit viel Pfiff und jeder Menge Biss präsentierte sich die Ulmer Kabarett­gruppe "Kulturbeutel" bei ihrem amüsanten Gastspiel in der "Bar am Nil". […] Neben dem Afghanistan-Abenteuer und der Friedenspolitik der Grünen wurden auch die Agrarwende, Big Brother (mit "Abtretung der Menschenrechte") und die Rechtschreib­reform auf die Schippe genommen.
: Eine wahre Geschichte (74). Ein bisschen Spaß mit „Hörzu“. Süddeutsche Zeitung, , s. 19, Medien
Die Zeit der Überraschungseier naht, und deshalb entblätterte Hörzu jetzt einen Schokohasen, der aussieht wie Roberto Blanco. […] Hörzu beschreibt den Künstler hinter dem Mann, „den wir nur von der Schokoladenseite kennen“, und die Titel­zeile heißt: „Ein bißchen Spaß muß sein“. Die Schreibweise wiederum lässt aufmerken, denn bisher ist Hörzu nicht als Gegner der Rechtschreib­reform aufgefallen, und im Text über den Schlagersänger steht blitzblanco korrekt: „Ein bisschen Spaß muss sein.“
Schreibreform: Der Staat ist fehl am Platz. Die Presse, , nr. 16230, s. 21, Kultur/Medien
"Aus der Rechtschreibung sollte sich der Staat raushalten, diese Lehre sollten wir aus der Reform ziehen", sagte der SPD-Politiker der Zeitung "Welt am Sonntag".

24. 3. 2002

: "Der Staat soll sich aus Rechtschreibung raushalten." Staatsminister Nida-Rümelin zur Pisa-Studie und Kultur als Wahlkampfthema. Welt am Sonntag, , nr. 12, s. 5, Politik Inland
Nida-Rümelin: Der Hauptfehler war, dass eine Kommission im staatlichen Auftrag in die Rechtschreibung eingegriffen hat. Aus der Rechtschreibung sollte sich der Staat raushalten. Diese Lehre sollten wir aus der Reform ziehen. In der Vergangenheit hat es mit der Duden-Redaktion auch ohne den Staat ganz gut geklappt.

Es klappt ganz gut, solange niemand etwas ändern will. Unter dieser voraussetzung könnte man das problem der buchpreisbindung der redaktion des Börsenblattes überlassen und die debatten um gentechnik, abtreibung usw. der redaktion des Pschyrembel. Vgl. auch Das aktuelle zitat.

23. 3. 2002

: Capri de Luxe. Vor fünfzig Jahren eröffnete Nicolino Di Camillo in Würzburg die erste Pizzeria auf deutschem Boden. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 70, s. 10, Deutschland und die Welt
Dafür haben sich alle vier Söhne Bing Crosbys ins Gästebuch eingetragen, samt einer Reihe von Stars der Fünfziger […]. Und wenn an diesem Sonntag, dem Jubiläumstag in der Elefantengasse 1, […] "DJ Rainer" Platten von damals auflegt, sind bestimmt auch welche von Helmut Zacharias dabei. Der war 1957 mit den "Drei Travellers" zu Gast und hat Nick Di Camillo ein ebenso großes wie bemerkens­wertes Kompliment hinterlassen: "Du und Deine Spaghetti", schrieb der italophile Geiger mit eigener Hand, "realisieren der Welt größtes Gottesgeschenk — Italien." Über Nicks Pizzas hat er nichts vermerkt, "Spaghetti" aber schrieb er schon damals so, wie es die Deutschen knapp fünfzig Jahre nach ihrer ersten Pizza schreiben sollen: ohne "h".
: Ortsvorsteher: Wir feiern unser Jubiläum mit ein wenig Stolz. Porträt eines Dorfes, das seit 1972 zur Stadt Landau gehört, aber lieber weiter selbstständig wäre; was man sich bei einem Rundgang ansehen sollte. Die Rheinpfalz, , Landau
Im Zuge der Rechtschreib­reform wurde manch Altgewohntes geändert. Aber Nußdorf macht das "Spielchen" nicht mit. Die Herren Eichhorn, Thalmann, Diemert und Wambsganß bekräftigen: "Nußdorf hat sich immer mit 'ß' geschrieben. Daran wird sich nichts ändern. Es gab auch bisher nie eine Debatte, das 'ß' durch zwei 'ss' zu ersetzen."

22. 3. 2002

: Die vielen Stimmen Deutschlands. Im Geiste Herders: Warum eine Nationalstiftung not tut, und was ihre Aufgaben sein müßten. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 69, s. 44, Feuilleton
Denn wo ist der Ort, an dem man mit Geduld und wissenschaftlichem Eifer die Reste verklingender Redeweise gesammelt, forschend immer wieder ergänzt, in Tonbandaufzeichnungen bewahrt hätte? Anstatt uns mit einer so armseligen wie hausbackenen Rechtschreib­reform zu verunsichern, wäre es sinnvoll gewesen, der bislang jedem zu engen Regelwerk spottenden deutschen Sprache ihre Vielfältigkeit zu erhalten und einen wissen­schaftlichen Dienst zu erweisen, der dem auf föderalen Besonderheiten fußenden Staatswesen freudige Pflicht sein sollte.
: Kiiechen-Kreuz wie neu. Aktive Denkmalpflege des Heimat- und Verkehrsvereins Gusterath. Trierischer Volksfreund, , Kreis Trier-Saarburg
Das so genannte Kiiechen-Kreuz wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert errichtet, vor der ersten deutschen Rechtschreib­reform des Jahres 1900. Die Inschrift lautet: "Gegrüßt sei Jesus Christ. Errichter dieses Denkmahls bittet Vorübergehenthen um ein‚Gegrüßt seist Du Maria!‘ für die gefallene Kriegskamerathen der Kriege 1866 und 1870".
: Schütteres Seehundhaar und andere Blütenträume. Der Standard, , s. 30, Kultur
Die Ausstellung "Das flämische Stillleben 1550-1680" des Kunsthistorischen Museums im Palais Harrach verquickt die Lieblichkeit penibel erfasster Details mit der "Vanitas" irdischer Vergänglichkeit. […] Die neue Recht­schreibung macht es deutlich: Das Stillleben hat nichts mit Stil, aber viel mit Stille zu tun.

19. 3. 2002

: Scheitern oder weiterwursteln? Die Halbzeitbilanz der Rechtschreibreform. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 66, s. 8, Die Gegenwart
Im Jahr 2005 muß der Streit über die Rechtschreibung beendet werden. Ein Zurück zur alten Rechtschreibung wird die Politik nicht zulassen. Aber alle neuen Regeln werden sich in der Sprachgemeinschaft nicht durchsetzen — es sei denn, man stellt sich auf Jahrzehnte konkurrierender Rechtschreibung ein.

Es mag sein, dass einem wissenschafter zur rechtschreibdiskussion nur das wort «streit» einfällt, aber will er wirklich sich und uns sagen lassen, wann sie beendet werden «muss»? Was die politik zulässt, pflegt davon abzuhängen, wer gewinnt; dem verlierer bleiben das jammern und vielleicht der wille, weiterzumachen. Ob sich alles neue durchsetzt, wird man sehen. Den «streit» gibt es, weil sich nicht alles alte durchgesetzt hat. Auch wenn man annimmt, dass «konkurrierende rechtschreibung» etwas schlechtes ist (Leiss), ist doch festzuhalten, dass es immer konkurrenz gab, z. b. fraktur und substantivkleinschreibung. Das kann man natürlich ignorieren, aber dann hat man ja auch keine probleme damit.

: Jean Pauls Sprachrohr. Der Schriftsteller Bernhard Setzwein stellt Gymnasiasten seinen Lieblingsdichter vor. Der neue Tag,
Gab es zu Jean Pauls Zeiten keine einheitliche Orthografie, so sind wir Setzwein zufolge seit der Rechtschreib­reform wieder so weit.
: "Wir müssen manches zurücknehmen." Interview: Die hessische Wissenschaftsministerin Ruth Wagner (FDP) hält die Rechtschreib­reform für gescheitert und plädiert für eine Umkehr. Die Welt, , Deutschland
Wir haben also eine Sprachentwicklung, die sich einer Normensetzung durch den Bundestag oder die Kultusminister­konferenz entzieht. Man hätte bei der gewohnten Rechtschreibung bleiben und diese dem sich entwickelnden Sprachgebrauch anpassen sollen — das hätte viel mehr gebracht.

Wenn sich die entwicklung einer normensetzung entzieht, haben wir ja auch kein problem. Das einzige problem ist dann: Wer ist «man»?

16. 3. 2002

: Wegen dem schlechten Vorbild's. Aschaffenburger Streifzüge. Main-Echo, , Stadt Aschaffenburg
Außerdem tauchen immer wieder ein paar neue letzte Fragen auf, die noch niemand abschließend beantwortet hat. Drei Beispiele, erstens: Warum ist die Banane krumm? […] Drittens: Wie schreibt man nach der neuen deutschen Recht­schreibung das Wort »Rhythmus«? Mit einem »h« (Rythmus), wie in Frankreich (rythme) üblich, oder ganz ohne »h« (Rytmus)? Falsch, man schreibt's unverändert mit beiden »h«, aber kaum jemand weiß das noch. Oder traut sich's zu wissen. Die Bilanz der Rechtschreib­reform: Chaos, Verunsicherung, Anarchie. […] Am Nutzen mancher Reform­vorschläge haben wir längst gezweifelt. Wenn jemand nicht in der Lage war, »daß« von »das« zu unterscheiden, weshalb sollte es ihm mit »dass« gelingen?
: Ende der Kampfzone. Belgien will die Buchpreisbindung wieder einführen. Saarbrücker Zeitung, , Kultur
Buchpreisbindung, das klingt wie Rechtschreib­reform. Verschont uns damit!
: "ich bin ein großer dichter." Die Sprache versuchen: Neue Prosa des Bachmann-Preisträgers Michael Lentz. Die Welt, , Literarische Welt, Rezensionen Belletristik
Erwarten Sie keine verlässliche Interpunktion dabei. Vergessen Sie das beruhigende Auf und Ab der Groß- und Klein­schreibung. Fühlen Sie sich mit dem Autor frei von gewissen Verlässlichkeiten der deutschen Grammatik.

15. 3. 2002

: Brave Grüne ohne Botschaft. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 63, s. 1, Politik
Sofern nicht Unerwartetes geschieht, werden die Grünen sich an diesem Wochenende ein neues Grundsatz­programm geben. […] Die Sprache, in der das Programm verfaßt ist, ist die der anderen Parteien und nicht mehr der Aufstand gegen die Regeln der Recht­schreibung etwa durch die Erwähnung von "BürgerInnen".

Ist es wirklich die sprache der anderen parteien, kleine abweichungen von nicht verbindlichen regeln als «aufstand» zu bezeichnen?

13. 3. 2002

: Eselsbrücke bei "ß". Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 61, s. 15, Briefe an die Herausgeber
Ich halte die Meinung und die Konsequenzen der F.A.Z. im wesentlichen für bedenkenswert und richtig, möchte allerdings […] eines zu bedenken geben: Weitgehend durchgesetzt und bewährt hat sich die neue Regel, daß der Buchstabe "ß" nach langen Vokalen und Diphtongen […] erhalten bleibt, nach kurzen Vokalen jedoch zu "ss" wird (Maße, Masse). Ohne Anwendung dieser Regel […] scheint mir das Schriftbild der F.A.Z. doch ein bißchen "alt" auszusehen.

12. 3. 2002

Neuer Vorsitzender ist der alte: Hans Leitenbor. Donaudeutsche Landsmannschaft wählt Vorstand. Die Rheinpfalz, , Frankenthal
Von der Friedrich-Ebert-Schule habe der Frankenthaler Verband sieben Kisten Schul­bücher erhalten, die durch die Rechtschreib­reform keine Gültigkeit mehr haben. Sie werde er baldmöglichst an Schüler in Rumänien und Ungarn weiterreichen.

9. 3. 2002

neu : Plädoyer für eine plebiszitäre Schreibfreiheit. , , Kommentar (435 wörter)
Aus der Neu­regelung kann sich kein Sprach­gefühl entwickeln, das später einmal zu einer neuen Schreib­sichertheit führt. Ein hoher Grad von Beliebig­keit ist also für die nächste Zukunft ohnehin nicht zu vermeiden. Wenn man aber sowohl eine kultivierte Rechtschreibung will, wie sie die übrigen europäischen Sprachen kennen, wie auch mit der früheren und heutigen Gängelung Schluß machen möchte, führt kein Weg an einer plebiszitären Schreib­freiheit von etwa zehn Jahren vorbei.

Erstreckt sich die freiheit auf wörter wie «Rhythmus», für die schon immer zwei drittel kein gefühl entwickelten? Wir fühlen uns allerdings nicht gegängelt, sie so zu schreiben.

8. 3. 2002

: Der letzte Tag der Woche. Frankfurter Rundschau, , Medien
Gestern Abend stand Gründungs­vater und Primus inter Bosse, Manfred Bissinger, vor seiner Mann­schaft und musste erklären, warum es die Zeitung mit dem jetzt zynischen Slogan "hinterher ist man immer klüger" ab nächste Woche nicht mehr gibt. […] Als erste führte in Deutsch­land Die Woche den Vierfarb­druck für eine Wochen­zeitung ein. Die neue Recht­schreibung stand zuerst in der Woche. Geld­beträge wurden konsequent in Euro genannt.
: Die Literatur ist ihre große Leidenschaft. Die Werke der Wissenschaftlerin werden überwiegend von jungen Menschen gelesen. Kölner Stadt-Anzeiger,
Hier […] lebt und arbeitet Ingeborg Scholz, Literaturwissenschaftlerin, 88 Jahre alt. […] Rüstig und streitbar mischt sie sich ein, so auch als Mitglied des Vereins zur Wahrung deutscher Sprache. […] Und die Autorin beharrt auf der alten Recht­schreibung, denn „die neue ist fehlerhaft“. Dass man statt „Das wohlgenährte Schwein“ nun schreiben soll „Das wohl genährte Schwein“, womit der Ernährungszustand des Tiers auch in Frage gestellt sein kann im Sinne von „wohlmöglich“, dafür hat die Expertin für Sprach­kunst nur ein energisches Kopfschütteln übrig.

Hat jemals jemand „Das wohl genährte Schwein“ so geschieben und so gemeint?

: Jetzt ist die richtige Zeit für Korrekturen. Rheinischer Merkur, , s. 1
Drei Jahre sind eine zu kurze Zeit, um „sehr eingefahrene Verhaltensweisen“ bei Schreibern und Lesern zu ändern. […] Es gilt also, nach­zubessern, nicht aber, wie manche Kritiker bereits forsch fordern, den vorreformatorischen Zustand wiederherzustellen. Immerhin waren dessen Ungereimtheiten ja ein gewichtiger Grund, die jahre­langen Beratungen endlich abzuschließen und ein Reformwerk vorzulegen. Dass Korrekturen nötig würden, war wohl jedem klar. Damit sollte jetzt begonnen werden, nicht erst nach dem 31. Juli 2005, wenn die Übergangsfrist endet.
: Rechtschreibreform als unendliche Geschichte? Die Dinge ernstnehmen: Ein Plädoyer für die Wiederherstellung einer sinnvollen Orthographie. Die Welt, , nr. 57, s. 28, Feuilleton
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist so naheliegend, daß es fast peinlich ist, immer wieder darauf hinweisen zu müssen. Wenn man die bisherige Rechtschreibung zunächst einmal so erfaßt und darstellt, wie sie wirklich war und in den seriöseren Medien immer noch ist, erweist sie sich als wesentlich einfacher, als ihre Darstellung im Duden vermuten läßt. Sie zeigt auch erst dann ihre unglaubliche, im Laufe von Jahr­hunderten entwickelte erzielte Feinheit und Leser­freundlichkeit. Die deutsche Recht­schreibung ist zwar Menschen­werk, aber sie ist keinem Gesamtplan entsprungen, sondern ein typisches Phänomen der dritten Art, wie die Sprache selbst. Je mehr man sich damit beschäftigt, um so mehr staunt man über die genialen Einzelheiten. Anders die Reformer: Sie haben zuerst Regeln aufgestellt und dann ohne Rücksicht auf das Gewachsene die Schreib­weise einzelner Wörter daraus deduziert.

Aufgestellt? Es waren schon welche da. Abgesehen davon: Was früher wachsen durfte, wird ja nun wohl auch weiter wachsen dürfen. Beim wachsen ist es aber nicht ganz zu vermeiden, dass etwas nachher anders aussieht als vorher. Aber das ist eine teoretische überlegung; praktisch krankt die reform an zu viel rücksicht auf das gewachsene.

: Fröhlicher Wildwuchs. Die Zeit,
Man kann den Verlust der Einheitlichkeit beklagen, zumal mit Rücksicht auf die Schule, muss sich aber doch vor Augen führen, dass die Schrift­praxis damit nur in die Zeit vor der ersten Rechtschreib­reform von 1903 zurückfällt, als ebenfalls verschiedene Schreibweisen nebeneinander existierten […]. Der deutschen Literatur hat das nicht geschadet; und ganz falsch wäre es, wie manche Reformgegner zu glauben, dass mit der Reform die eine heilige und alte Schreibung des Deutschen verloren gegangen sei. Eine solche hat es nie gegeben; wer das vorzuspiegeln versucht, verrät nur einen Hang zum autoritären Charakter, der sich vom Strafinstrument einer verbindlichen Orthografie nicht verabschieden will.

7. 3. 2002

: Kommt die Reform der Reform doch noch? Spiegel Online, , Kultur
Josef Kraus fordert dagegen, dass die KMK mit ihrer Entscheidung über eine weitere Reform der Rechtschreibung nicht bis 2005 warten soll, wie es bislang geplant ist. Der Schwebezustand sei "das Dümmste", was passieren könne. "Noch drei weitere Jahre und die Kinder werden es schwer haben, Sprache als etwas Exaktes zu bewerten", warnt Kraus.

5. 3. 2002

: Reform der Reform? Rechtschreibexperte weist Kritik an Regelwerk zurück. Neues Deutschland,
ND sprach mit dem Kommissionsvorsitzenden, dem Siegener Germanistikprofessor Gerhard Augst, über den Bericht. […] Wir schlagen überhaupt keine Änderungen vor. Wir berichten darüber, wie sich die Rechtschreib­reform durchgesetzt hat.
: Richtig falsch. Die Rechtschreibreform in Kinder- und Jugendbüchern. Neues Deutschland, , Feuilleton
Die intuitive Sprachkenntnis, das sogenannte Sprachgefühl, wird durch systematische Einübung des Falschen unweigerlich zerrüttet. Dieser Schaden wiegt schwerer als die vergeudeten Milliarden. Aber auch der nie berechnete materielle Schaden ist nicht gering zu veran­schlagen: In ganz Deutschland bitten Leih­büchereien um Spenden für die angeblich dringend notwendige Auswechselung »veralteter« Kinder­bücher gegen reformierte.
: Die Wirtschaft und die Rechtschreibung. Neues Deutschland, , Feuilleton
Die Veröffentlichung und Kommentierung des geheimen dritten Berichts hat die Reformer kalt erwischt. Ihre wütenden Dementis erklären sich am einfachsten, wenn man bedenkt, daß die neu entflammte Diskussion vor allem eins ist: geschäfts­schädigend.
: Gabriel García Márquez zum 75. Thüringer Allgemeine, , Kultur
Mit radikalen Forderungen, die "Orthographie in Rente zu schicken" und die "Grammatik zu vereinfachen", verschreckte er die spanisch­sprachigen Autoren beider­seits des Atlantiks.

4. 3. 2002

: Mit Unsicherheiten leben. Was steht im Kommissionsbericht zur Rechtschreibung? Frankfurter Rundschau, , Feuilleton
Der Kultusminister­konferenz ist der dritte Bericht der "Zwischen­staatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung" nicht einmal eine Erwähnung in ihrem Abschluss­kommunique wert. […] Auf etwa 90 der 120 Seiten stellt der Bericht empirische Befunde über die Einführung der neuen Rechtschreibung zusammen — in den Schulen und Behörden, für die das geänderte Regelwerk verbindlich ist, in Zeitungen, in Buch­verlagen und im privaten Gebrauch. Diese Erhebung lässt keines­wegs den Schluss zu, die neuen Regeln werden weithin von der Öffentlichkeit ignoriert, wie es zuletzt in Zeitungs­berichten hieß. […] Die Kultusminister­konferenz solle schleunigst den Bericht ins Netz stellen, empfiehlt Augst, um der künstlichen Aufregung durch sachliche Information ein Ende zu bereiten.
: Rechtschreibung für freie Bürger. Die Welt, , Forum, Leitartikel (607 wörter)
Die Sprache lässt sich nicht per Logik und bildungs­reformerischem Gerechtigkeits­anspruch bis in die kleinste Regung hinein staatlich reglementieren. […] Warum überlässt man bestimmte Zweifels­fälle der Getrennt- und Zusammen- sowie der Groß- und Klein­schreibung nicht der Eigen­verantwortlich­keit der Deutschen? […] man […] verzichte […] auf die Komma-Haar­spaltereien beim erweiterten Infinitiv und aufs Hinein­prügeln von Ka-tze statt Kat-ze. Dies überlasse man dem Einzelnen, ebenso Schreibungen wie „Schifffahrt“, „aufwändig“ oder „fantastisch“. Warum nicht zwei Möglichkeiten zulassen? Im Zweifel werden sich verantwortungs­bewusste Bürger schon selbst helfen.

Abgesehen vom falschen beispiel «Ka-tze», hat der autor recht: Der freie bürger kann selbst entscheiden. Nur war das schon immer so. Der staat reglementiert nur für die schule.

: Ein Blick in die Alchimistenküche der Orthografie. Die Geheimniskrämerei um den Zwischenbericht der Rechtschreib-Kommission; der Text steht im Internet. Westdeutsche Allgemeine Zeitung, , Kultur
"Es war eines der Ziele der so genannten Rechtschreib­reform", hat der der Erlanger Germanistik-Professor Theodor Ickler unlängst beklagt, "orthografische Entscheidungen aus den Hinterzimmern des Privatunternehmens Duden herauszuholen". Stattdessen sei die Rechtschreibung erst recht esoterisch geworden.

3. 3. 2002

: Wie ist es denn nun richtig: Schloßstr. oder Schlossstr.? Rechtschreibreform sorgt weiter für viel Verwirrung. Leipziger Volkszeitung, , Delitzsch/Eilenburg
Die Sekretärin des Delitzscher Oberbürgermeisters, Ute Brück, kommt täglich mit der Frage nach der korrekten Schreibweise in Berührung […]. "Ich sehe das Schloss und auch die Schlossstraße nicht als Eigennamen", sagt Ute Brück, "und passe sie deswegen der neuen Schreib­weise an. Doch in diesem Punkt sind sich die Kollegen nicht ganz einig." […] Die Reform soll eigentlich zu Vereinfachung der Schrift­sprache beitragen, so dass LVZ auch bei Deutsch­lehrerin Dagmar Apitzsch nachfragte, ob dieses Ziel erreicht wurde. Doch für sie ist es keine wirkliche Reform: "Die Reform ist nicht konsequent wie eine komplette Klein­schreibung, die diskutiert wurde. Nur so etwas Durch­greifendes hätte eine Vereinfachung gebracht. […]"
: Wenn unsere Sprache stirbt. Im Wahlkampf muss auch über die missratene Rechtschreibreform gestritten werden. Welt am Sonntag, , Forum, Leitartikel
Die Tatsache, dass im dritten Kommissionsbericht zur deutschen Orthografie drei Jahre nach Einführung der Reform deren Mängel offenbar werden, kann niemanden verwundern. Verärgern aber muss dies jeden. Besonders angesichts einer Generation von Kindern und Jugendlichen, die ihre Schul- und Wörterbücher ebenso wie ihre Eltern und Lehrer in Sachen Orthografie als unsichere Kantonisten erleben. Aus diesen Kindern werden mit dem Hin und Her der Reform etatistische Legastheniker. Sie erleben Sprache und Text als Opfer von Willkür und Missmanagement — gegängelt von der Politik und kuriosen, scheinbar überholten Institutionen wie der Kultusminister­konferenz. […] Die deutsche Sprache lebt: Die Rechtschreibe­reform hat sie jedoch nicht verjüngt, sondern krank gemacht. Ihre Zurücknahme bietet kaum Heilungschancen. Dazu sind die Wunden und Narben der letzten Jahre im Sprachkorpus zu groß. Jetzt muss die Politik Rahmen­bedingungen schaffen, in denen die Selbstheilungs­kräfte der Sprache mobilisiert werden und eine Chance haben.

2. 3. 2002

neu : Ratlosigkeit über die Rechtschreibreform. Die Kultusminister schieben Entscheidungen auf. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 52, s. 4, Politik (947 wörter)
Die meisten Minister geben hinter vor­gehaltener Hand zu, die Folgen dieser Reform unterschätzt zu haben. […] Einig sind sich alle Minister darin, daß nicht politisch entschieden werden kann, ob es nun "not tun", "Not tun" oder "nottun" heißt. Die Reform sei vom Bundes­innenministerium ausgegangen, sagen sie entschuldigend in Berlin. Die meisten unter den Kultus­ministern geben sogar zu, daß sie privat die bewährte Schreibung bevorzugen. Die Kultus­minister würden die Ver­antwortung für die Rechtschreib­reform am liebsten abgeben – aber an wen?
: Die neue Leidwährung. Hannoversche Allgemeine Zeitung,
So glatt ist die Rechtschreib­reform aber nicht abgelaufen. Inzwischen muss man sich sogar fragen, ob sie überhaupt statt­gefunden hat. […] Gerade kursiert ein vertraulicher Bericht der „Zwischen­staatlichen Kommission für deutsche Recht­schreibung“, wonach die sowieso schon bescheidenen Neuerungen noch immer nicht in der Schrift­sprache verankert seien. Die Umstellung in Schulen, Behörden und Medien sei nicht abgeschlossen. Hinzuzufügen wäre: Alle anderen schreiben sowieso, wie sie wollen – nach bestem Wissen und nur mit begrenzt schlechtem Gewissen.
: Deutsche Sorgen. Die Rheinpfalz, , Kultur, Kommentar
Der Deutschen liebstes Ablenkungsmanöver wird ausgekramt; die sogenannte Rechtschreib­reform, die Missgeburt, das Reförmchen, steht mal wieder am Pranger. Fast war sie ja schon vergessen, in der Ekelskala weit abgeschlagen hinter Fußball­trainer- und Politiker-Haarproben, Besenkammer-Babys, ermordeten Busenwundern und ähnlichen W(N)ichtigkeiten. Doch jetzt: ein Zwischenbericht! Und noch vertraulich dazu! Er besagt etwas Unerhörtes: dass nämlich selbst die Väter (?) der neuen Schreib­regeln einräumen, die Reform sei noch nicht in der Schriftsprache verankert.
: Schipanski: Keine Rückkehr zu alter Rechtschreibung. Reformdebatte erreicht Kultusminister­konferenz. Die Welt, , Deutschland
Die Diskussion über die umstrittene neue Rechtschreibung hat am Freitag auch die Kultusminister­konferenz (KMK) in Berlin beschäftigt. Die Präsidentin der KMK, die thüringische Forschungsministerin Dagmar Schipanski, sagte, sie habe das Thema auf Grund der erneuten Debatte in den Medien außerhalb der Tages­ordnung angesprochen. Eine Diskussion über Verbesserungen der neuen Schreibweise werde es nach ihrer Einschätzung geben, sobald die zuständigen Kollegen in Österreich und in der Schweiz den Bericht der "Zwischen­staatlichen Kommission für deutsche Recht­schreibung" eingesehen und bewertet hätten. Eine Rückkehr zur alten Schreibweise schloss Schipanski aber aus
: Namen und Nachrichten. Lange ohne öffentliche Meinung. Die Welt, , Hamburg
Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) mag ein treuer Gefolgsmann seines Parteichefs Guido Wester­welle sein. In einem Punkt möchte er ihm aber nicht folgen, nämlich bei seiner Schelte gegen die Rechtschreib­reform. […] "Der Senator hat zu diesem Thema keine zu veröffentlichende Meinung", teilte der Behörden­sprecher Hendrik Lange am Freitag mit. Das mag an dem Zwiespalt liegen, in dem sich sein Senator befindet: Westerwelle hatte nicht nur auf die Rechtschreib­reform geschimpft, sondern auch eine "Entmachtung" der Kultusminister­konferenz gefordert. Und in der sitzt Rudolf Lange.
: As. Oberösterreichische Nachrichten,
Nun aber haben die gloriosen Reformer der deutschen Rechtschreibung verfügt, die Kürze des "a" im einfachen As auch durch eine Verdoppelung des dem "a" folgenden Konsonanten "s" zu signalisieren, woraus das schöne Wortbild "Ass" entstand. […] So weit, so gut gemeint. Dass "Ass" in der heute alles über­tünchenden englischen Sprache ein Wort darstellt, dessen Über­setzung im Deutschen auch mit "A" beginnt und mit einem "sch" aufhört — dazwischen befindet sich noch ein schöner Rolllaut —, ist den Schöpfern des neuen Wortbilds möglicher­weise entgangen. Womit sie — möglicherweise — selbst zu jenen Assen zählen, die man in der englischen Sprache zu Recht mit dem zweiten "s" versieht.

1. 3. 2002

: Im Rückwärtsgang. Rechtschreibreform bald realitätsnäher? Neue Zürcher Zeitung, , nr. 50, s. 62, Feuilleton
Schlagzeilen in der deutschen Presse, die Reform­kommission stelle mit dem Bericht ihr Werk nun selbst in Frage, sind von den Betroffenen umgehend dementiert worden. […] Bankrott­erklärungen sind freilich von den Betreibern und Profiteuren der Reform nimmermehr zu erwarten, am aller­wenigsten von der in Deutschland politisch verantwortlichen Kultusminister­konferenz. […] Werner Hauck, Leiter der Sprach­dienste in der Bundeskanzlei in Bern und eines von drei Schweizer Mitgliedern in der Reform­kommission, plädiert denn auch dafür, «aus der Kriegsatmosphäre» herauszutreten. Wo es die Sache fordere, werde es sicherlich zu Änderungen an der Reform kommen. Aber das «Bombardement» der Kritiker führe nur zu «Verkrampfungen» bei den Kultus­ministern, die dann womöglich erst recht «kein Jota» zurück­weichen würden.
: Die Reform der Reform. Badische Zeitung, , Leitartikel
Das Wort ist heraus. Und es beschreibt so bürokratisch schön wie kein anderes den derzeitigen Zustand der deutschen Rechtschreib­reform: "Toleranz-Metaregel". Gemeint ist die Unüber­sichtlichkeit, die seit dem Inkraft­treten des neuen Regelwerks im Sommer 1998 regiert. […] Die Reform scheint den Sprach­experten weiterhin reformbedürftig. […] Bleibt da am Ende überhaupt noch etwas übrig, das den Namen "Reform" verdient? Oder wird die deutsche Sprache über den im Augenblick kaum noch zu vergrößernden Wirrwarr von amtlichen Regeln, halbamtlichen Emp­fehlungen und Privat­orthographien […] in die Freiheit von jeder Regel­verbindlichkeit entlassen? Müssen wir Abschied von einer einheitlichen deutschen Schrift­sprache nehmen?
: Schreiben kann jeder. Der Zwischenbericht über die Rechtschreibreform weckt populistische Forderungen. Berliner Zeitung, , Meinung
Da werden Änderungen erwartet. Die Kritiker deuten dies bereits als Reform der Reform. Die Ver­fasser des Regel­werks erklären solche Nach­besserungen für normal, weil die Übergangsfrist zur Einführung der Regeln noch bis 2005 läuft. […] Es kann einem nur logisch erscheinen, dass sie sich in dieser Frist noch nicht durchgesetzt hat. Die Mehrzahl der Deutschen kauft auch nach allen Nachrichten über BSE und Anti­biotika weiterhin Fleisch aus der Massentier­haltung. […] Die Neu­regelung der deutschen Recht­schreibung sollte vereinfachen, das war das Anliegen ihrer Schöpfer. Zunächst hat sie tatsächlich verwirrt. In ein paar Jahren sieht das vielleicht ganz anders aus.
neu : Verwirrt und befreit in der neuen Rechtschreib-Anarchie. Der dritte Kommissionsbericht über ein Debakel. Frankfurter Allgemeine Zeitung, , nr. 51, s. 4, Politik (1291 wörter)
Intensiv diskutiert der Bericht die Groß- und Kleinschreibung. Der "Regierende Bürgermeister", der "Heilige Vater" werden als Funktions­bezeichnungen und Ehrentitel unter den systematischen Ausnahmen genannt. Aber wenn es sich nicht um wirkliche Eigennamen handelt, dann ist die Kleinschreibung vorgesehen: "künstliche Intelligenz", "neues Jahr". Daß diese Regelung vom Duden unterlaufen worden sei, muß die Kommission selbst zugeben. Zum Beispiel hieß es dort die "Erste Hilfe", aber die "erste Wahl", der "Letzte Wille", aber "jemandem die letzte Ehre erweisen". Um nicht von der Vorgabe der Klein­schreibung der Attribute abzuweichen, werden jetzt Begriffe wie "der Neue Markt", die "Rote Karte", die "Gelbe Karte", die "Letzte Ölung", die "Heilige Messe", das "Ewige Licht" unter der Rubrik der Fach­sprachlichkeit wieder zugelassen. Fach­sprachen sind nämlich von der Regelung aus­genommen. Wer künftig solche festen Fügungen wieder groß schreiben will, muß sie also nur als Fachsprache deklarieren; das geht fast immer.
: Korrekturen an Reform der Rechtschreibung. Hamburger Abendblatt, , Feuilleton
Der Verband Deutscher Schriftsteller mahnte eine neue radikale Reform an. Nach jahrelangem Gerangel müsse jetzt ein klares Konzept her, sagte der Verbands­vorsitzende Fred Breiners­dorfer.
: Gescheitert. Diskussion um Rechtschreibreform. Neues Deutschland,
Wenn jetzt über eine Reform der Reform debattiert wird, offenbart dies vor allem eins: Sie ist daran gescheitert, dass sie keine Legitimation hatte und hat. […] Das zweite Problem […] lag in der Reform­resistenz dieser Gesellschaft. Die gemäßigte Klein­schreibung etwa wurde rasch den konservativen Grals­hütern der deutschen Schrift­sprache geopfert.
: Bildungslücken. Ostthüringer Zeitung, , Themen der Woche
Die Rechtschreib­reform ist also vom Volk nicht so angenommen worden, wie sich das ihre Erfinder vorgestellt hatten. Dabei hatten sie über ein Jahrzehnt hartnäckig und aufopferungs­voll an den neuen Regeln gearbeitet! Aber wie zum Trotz schrieb selbst der jüngste deutsche Literatur-Nobelpreis­träger seine neue Novelle nach den alten Regeln. […] Alles in allem sei die Reform endgültig gescheitert, folgerte Westerwelle messer­scharf, und dafür müsste die Kultusminister­konferenz ent­machtet werden.
: "Rückkehr würde Chaos anrichten." Direktoren wollen alte Rechtschreibung nicht wiederhaben. Saarbrücker Zeitung, , Dillingen
Nicht zurück, sondern weit nach vorne will Alfred Metz, Direktor des Saarlouiser Robert-Schuman-Gymnasiums. Er wünscht sich eine noch mutigere, weiter gehende Reform als die bisherige. So fordert er eine gemäßigte Klein­schreibung (danach würden nur noch Eigen­namen groß­geschrieben). Das Spanische sieht Metz hier als Vor­bild. Wenn Deutsch als Welt­sprache erhalten bleiben solle, müsse man es Aus­ländern auch leichter machen, es zu lernen.
: Neue Beratungen über Lehren aus Pisa-Studie. Kultusminister der Länder befürchten Einflussnahme des Bundes. Süddeutsche Zeitung, , s. 6, Nachrichten
FDP-Chef Guido Westerwelle warf der Kultusminister­konferenz vor, falsche Prioritäten in der Bildungspolitik zu setzen und sich zum Beispiel zu lang mit der Rechtschreib­reform beschäftigt zu haben. Er sagte der Tageszeitung Die Welt: „Eine Kultusminister­konferenz, die die Frage, ob man Schifffahrt mit zwei oder drei f schreibt, für wichtiger hält als die Bekämpfung des Unterrichts­ausfalls, gehört entmachtet.“
: Lesen und Schreiben in der Grauzone. Was die Rechtschreibreform mit dem Sozialstaat verbindet. Die Welt, , Feuilleton (478 wörter)
Da nun die Rechtschreib­reform nicht das einzige gescheiterte Projekt der Neuregulierung ist, sondern sich in jene lange Schlange einreiht, in der auch Stadt­planung, Sozial­staat und Frauen­quote stehen, so wäre zumindest zu überlegen, ob man hier nicht ähnlich verfahren sollte, wie es für jene und andere Bereiche vor­geschlagen wird. Dort wird nach dem Scheitern der großen Reform­projekte nicht einfach eine Rückkehr zu Vorkriegs­ordnungen gefordert. Vielmehr seien die Spielräume des Einzelnen zu vergrößern. Müssen wir wirklich festlegen, ob man Pleite geht, pleitegeht oder pleite geht? Warum sollen wir die "f"s in Schifffahrt zählen?