In einem Jahr, am 1. August 2005, soll die reformierte Rechtschreibung an deutschen Schulen verbindlich werden. Das hat die Kultusministerkonferenz am 3./4. Juni dieses Jahres einstimmig beschlossen. Dennoch werden zuvor noch einmal die Ministerpräsidenten (am 6. bis 8. Oktober in Berlin) und die Kultusminister (am 14./15. Oktober in Mettbach/Saarland) auf ihren turnusgemäßen Konferenzen über das Thema debattieren.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
31. 7. 2004
Immer mehr Eltern, die mit ihren Kindern versucht haben, sich an die neuen Schreibweisen zu gewöhnen, wären bereit, auf ihre Kosten neue Schulbücher zu kaufen. Sie haben inzwischen eingesehen, wie verfehlt, wie sinnentstellend und nuancenraubend die Rechtschreibreform sich auf die geschriebene Sprache auswirkt.
Gegen die umstrittene Rechtschreibreform will in Niedersachsen eine parteiübergreifende Volksinitiative mobil machen. Sie soll an diesem Sonntag gegründet werden. Auch acht Jahre nach ihrer Einführung würden die reformierten Regeln nur von einer Minderheit der Deutschen freiwillig angewandt, begründete die Gruppe "Wir gegen die Rechtschreibreform Niedersachsen" am Freitag ihre Aktion. Der Start der Volksinitiative sei für Anfang September geplant.
In Sommerlöchern wird alles wichtig, sonst werden Zeitungen nicht voll. […] Ein Kuddelmuddel an Konflikten, wie beim Thema Rechtschreibreform nicht anders zu erwarten, entstand parteienquerbeet. Als Bildungssenator zuständig, zeigte sich Klaus Böger »verblüfft«. Er habe zwar selbst Mühe mit den neuen Regeln, aber »Sprache ist ein lebendiger Prozess«. Das sieht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ganz anders, er will, dass an der Reform nicht mehr gerüttelt wird. Dessen Landesparteichef Müller hat sich praktischerweise für eine Mischung aus Alt und Neu entschieden. Und Kultursenator Thomas Flierl fände eine »vorsichtige Reform der Reform« nicht schlecht. Gut, dass privat jeder schreiben kann, wie er will.
Wie es weiter geht? Zunächst einmal hat KMK-Präsidentin Ahnen, leicht genervt von dem Durcheinander, gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärt, sie werde den Rat für Rechtschreibung schon im September berufen, also noch vor der nächsten KMK-Sitzung Anfang Oktober. Der Rat ist inzwischen die letzte Hoffnung, die Sache wieder ins Lot zu bringen, eine Geheimwaffe, die den Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen soll. Ob der noch schwache Wind um die Rechtschreibreform durch das Sommerloch an Stärke gewinnt oder abflaut, lässt sich nicht sagen - dafür ist die Großwetterlage zu unsicher. Der Leitwolf allerdings, der mit seinem Heulen das Rudel verunsichert hat, befindet sich derzeit für ein paar Wochen im Urlaub.
Die SZ im Landkreis sondiert mit einer Umfrage die Stimmungslage. Soll die Reform ganz oder in Teilen zurückgenommen werden, oder ist eine abermalige Kehrtwende unzumutbar?
Gerhard Augst verweist auf eine Erhebung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Derzufolge kamen im Jahr 2002 rund 75 Prozent der neu erscheinenden Bücher mit der neuen Rechtschreibung auf den Markt. Daran sei deutlich erkennbar, findet er, dass sich die neue Rechtschreibung flächendeckend durchgesetzt habe. Die derzeitige Aufregung sei daher völlig unangemessen, die Reaktionen einiger Ministerpräsidenten merkwürdig. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger wirft Lehrern vor, sklavisch an unsinnigen Vorschriften festzuhalten. Verleger und Redakteure wiederum hätten sich in vorauseilendem Gehorsam dieser deutschen Hanswurstiade gebeugt.
Nun ist die einheitlich normierte Rechtschreibung im Deutschen gerade einmal 100 Jahre alt, sind diese Dinge eher Lappalien oder, sofern sie nicht schon längst unmerklich in Fleisch und Sprachblut übergegangen sind, wenigstens an einem Vormittag erlernbar. Von der ursprünglichen Forderung nach einer konsequenten Kleinschreibung, einer phonetischen Transkription und der Abschaffung des Beistrichs war dieser Reförmling ja sowieso noch weit entfernt, trotzdem wurden ein paar Freiräume geschaffen, die jetzt zu revidieren völlig blödsinnig wäre. Ohne gleich Zé de Rocks "Neusprach" zu verfallen, wäre statt der Rücknahme eher eine zweite, konsequentere Reform zu überdenken. […] Diskussionswürdiger ist eher, ob eine normierende Rechtschreibung, die rechtsprecherisch unentwegt in falsch und richtig einteilt, überhaupt Sinn ergibt - ob es nicht vernünftig wäre, die an die korrekte Rechtschreibung geknüpften Vorurteile und Bewertungen zu hinterfragen. Denn von dieser oder auch der nächsten Rechtschreibreform wird die deutsche Sprache kaum und die Dichtung schon überhaupt nicht bedroht, da machen mir die Budgetkürzungen der Goethe-Institute, der Abbau der Auslandslektorate, der Kulturteil- und Feuilleton-Schwund sowie die Total-Anglisierung schon größere Sorgen.
30. 7. 2004
Es ist schon erstaunlich, was für Tiraden die Rechtschreibreform auf sich zieht. Als skrupellose «Mafia, die sich vor Jahren in irgendwelchen Hinterzimmern zusammengerottet hat, um mit der deutschen Sprache gründlich aufzuräumen», sahen sich die Betreiber der Reform vergangenen Montag in der «FAZ» beschimpft. Die politisch verantwortlichen Kultusminister seien Legastheniker und Ignoranten, die ihnen gehorchenden Schullehrer servile Feiglinge, schäumte Hans Magnus Enzensberger. Vielleicht muss man Schriftsteller sein, um über Misshandlungen des Sprachkörpers, wie sie die Reform verübt, derart die Contenance zu verlieren.
Vielleicht könnte man bei dieser gelegenheit erkennen, wer hier was verübt.
Unlogische Schreibweisen sind durch plausiblere, eingänglichere zu ersetzen. Aber die verheissene Befreiung von wirklichen oder vermeintlichen Fallstricken will, milde ausgedrückt, nur partiell gelingen. […] Und ein derart unausgegorenes, ineffizientes und unpopuläres Reformwerk soll am 1. August 2005 für Schulen und Universitäten verbindlich werden. Positiv ausgedrückt bleibt also noch ein Jahr Zeit, das Beste daraus zu machen. Vernünftige, auch gefühlsmässig überzeugende Anpassungen sind beizubehalten; absurde, erzwungen wirkende Neuerungen hingegen zu widerrufen. […] Wer das Sprachempfinden fördern und respektieren will, darf es nicht einer abgehobenen Prinzipienreiterei unterwerfen.
Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP): „Man kann nur hoffen, dass die Ministerpräsidenten, die den Mund gegen die Rechtschreibreform gespitzt haben, nun auch pfeifen und die so genannte Reform definitiv abblasen.“
Woran die Reform eigentlich krankt, das drückt die Beschlußvorlage der KMK sehr deutlich aus. Sie nennt es "das tragende Prinzip der Neuregelung, die korrekte Schreibung möglichst von einer Regel ableiten zu können". In Wirklichkeit leitet kein Schreibkundiger die korrekte Schreibung von Regeln ab; die Regeln, wie sie etwa im Duden stehen, sind den meisten Dudenbenutzern unbekannt. Regeln werden aus dem Usus abstrahiert, sie sind sozusagen die Theorie zu den Tatsachen der Orthographie. Theorien können falsch sein, Tatsachen nicht. Die Reformer sind aber erklärtermaßen ausgezogen, die Wirklichkeit im Namen ihrer Theorien zu "korrigieren" und dafür die "Regelungsgewalt" des Staates in Anspruch zu nehmen. Das ist fehlgeschlagen, mußte fehlschlagen. Aber selbst das Bundesverfassungsgericht, das dieses bedenkliche Vorgehen aufgrund eines falschen Bildes von der Sprache genehmigte, verbietet nicht, aus Fehlern zu lernen.
Er sei zwar auch gegen die Reform gewesen, erklärte Roland Koch in einem Gespräch, halte eine Rücknahme aber nicht mehr für machbar.
Die neuerliche Diskussion um die Rechtschreibreform beleuchtet der Züricher Tages-Anzeiger: „[…] Die neue Aufregung um die längst aufs Gleis gesetzte und mit hohem Tempo abgefahrene Rechtschreibreform ist ein Phantomgefecht, deutsches Sommertheater.“
Lauthals forderte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff einen "Schlussstrich" unter die Reform […]. Dabei gibt es, wie der hessische Kollege Roland Koch überraschend hellsichtig feststellte, ein Zurück zur alten Rechtschreibung ohnehin nicht mehr. Immerhin ist die neue seit Jahren in der Welt.
Die neu entflammte Debatte um die Rechtschreibreform ist unnötig wie ein Schweißfuß. Aber die "FAZ" hat Spaß.
[…] wenn von den Verteidigern der alten Orthographie an ausgesuchten Beispielen die Dummheit der Reform mit einem Scharfsinn vorgeführt wird, der schon fast fürchten lässt, weil man eine in Kompetenz und Präzision verwandelte Wut und Aggressivität spürt, die mir zwar deplatziert vorkommt, aber sehr real ist. […] Besser als früher kann ich mir inzwischen vorstellen — um doch auch einmal zu großen Worten zu greifen —, wie Religionskriege einmal geführt oder mit welchem persönlichen Einsatz und mit welcher Erbitterung Weltanschauungen im 20. Jahrhundert vertreten wurden.
2004-07-29
Vor allem Bürgerinnen und Bürger mittleren und höheren Alters wollten zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Bei der Umfrage waren nur die unter 30-Jährigen mehrheitlich für die Beibehaltung der neuen Schreibweise.
Nach einem entsprechenden Antrag des saarländischen Kultusministers Schreier von der CDU wird die Reform Tagesordnungspunkt der nächsten KMK-Sitzung am 14. und 15. Oktober sein.
Die Reform allerdings, die 1998 […] eingeführt wurde, hat viele Schwächen — was auch daran liegt, dass in einem schmerzhaften Abstimmungsprozess ein Kompromiss nach dem anderen gemacht wurde. Dieser Prozess setzte sich nach 1998 fort; in der Praxis zeigten sich Ungereimtheiten und Widersprüche […]. Im vergangenen Jahr beschloss die deutsche Kultusministerkonferenz eine Reihe von Modifizierungen und erlaubte Schreibweisen, die sie zuvor abgeschafft hatte. Diese Modifizierungen bewegten sich (wie überhaupt die ganze Reform) im minimalen — für Mathematiker: im infinitesimalen — Bereich. […] Weil so wenig verändert wurde, konnte sie die Reformwilligen nicht überzeugen, die Konservativen aber empören. […] Drittens haben die Reformer nie die Meinungsführerschaft erlangen können — was übrigens für alle in Deutschland gegenwärtig diskutierten Veränderungen gilt.
Nach dieser Vorlage entschloss sich der saarländische Kultusminister Jürgen Schreier am Dienstag zu einer Kehrtwende der eigenen Position. Erst Anfang Juni hatte er auf der Kultusministerkonferenz die Rechtschreibreform mit marginalen Änderungen verabschiedet – es war ein einstimmiger Beschluss. Zum 1. August 2005 sollten die Übergangsfrist enden und die neuen Regeln verbindlich werden. Diesen Prozess will Schreier jetzt aufhalten und die Reform im Oktober erneut auf die Tagesordnung setzen. Der Grund: Warum sollten die Regeln nicht durch einen Kraftakt so verändert werden, "dass sich einem bei den neuen Schreibweisen die Feder nicht mehr sträubt?" Es fragt sich, was Kultusminister für Federn haben, dass die sich immer erst nachträglich sträuben. Warum werden sie nicht vor den Beschlüssen in Stellung gebracht? Schreiben Minister nicht? Lesen sie nicht?
55 Prozent der Deutschen möchte nach einer Forsa-Umfrage für die Zeitschrift "Stern" zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren, 38 Prozent wollen bei der Reform bleiben.
Gesucht wird hier aber nach wie vor ein ganzes schönes Wort […]. Simpel, Dussel und eigentlich ebenso Tolpatsch – aber doch bitte nicht Tollpatsch, wie die unselige Rechtschreibreform(-) es will.
Wer aber wird die 23. Auflage erwerben? […] Wer klug ist, hält sich zurück. Denn die MPs werden ihre Richtlinienkompetenz aus dem Tabernakel kramen und mehrheitlich die Reformreform verordnen. Und schon ist die 23. Auflage Makulatur.
Ja: 55, nein: 38, weiss nicht: 7. – unter 30-Jährige: 44 / 50 / 6. 30- bis 44-Jährige: 54 / 40 / 6, 45- bis 59-Jährige: 59 / 37 / 4, 60 Jahre und älter: 64 / 28 / 8. 22./23. Juli; Quelle: Forsa
Immerhin sorgt in Deutschland die einheimische Ausprägung der menschlichen Kultur dafür, dass die Zahl der LRS-Fälle überschaubar bleibt – im englischen Sprachraum ist die Legasthenie doppelt so weit verbreitet. Das liegt unter anderem daran, dass das Englische für viele Grapheme – etwa „ough“ – gleich mehrere Lautformen kennt: Das Wortende von enough zum Beispiel wird völlig anders ausgesprochen als das Wortende von although.
Das nennt man nicht «menschliche kultur», sondern mehr oder weniger reformbedürftige rechtschreibung.
Sprache ist etwas Gewachsenes; eine verbindliche Schreibung dagegen immer ein Hoheitsakt. Wer zu einer alten Orthografie zurückkehren will, müsste erklären, warum er ausgerechnet die Duden-Schreibung nach 1901 will und nicht etwa zu Johann Christoph Adelungs Wörterbuch von 1786 zurückmöchte. Die Reformgegner haben nur die Bequemlichkeit ihrer Generation auf ihrer Seite. Sie könnten sich aber auch an der neuen Liberalisierung erfreuen.
Heute gibt es mehr Rechtschreibunsicherheit als je zuvor. Selbst die Präsidentin der Kultusministerkonferenz konnte, von Journalisten gefragt, das Wort Husten nicht trennen.
Soll das ein argument gegen die reform sein? Die alte dame darf weiterhin Hu-sten trennen oder auch Hust-en oder H-usten. Die frage ist, ob man die siebenjährigen weiterhin mit einer veralteten und unnötigen st-regel belästigen soll.
28. 7. 2004
Der saarländische Kultusminister Schreier (CDU) hat eine Revision des Beschlusses der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Rechtschreibreform vom Juni dieses Jahres gefordert.
Die F.A.Z. mutet bei diesem Thema an wie ein Dinosaurier, der nicht mehr in der Lage ist, sich an veränderte Gegebenheiten anzupassen. Man sollte endlich einsehen, daß es keinen Sinn macht, gegen Windmühlen zu kämpfen[,] und auf die neue Schreibweise umstellen.
Der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege (VRS) hat sich abermals für eine Rücknahme der Rechtschreibreform ausgesprochen und zugleich eine Darstellung des Verbands der Schulbuchverlage über die dabei entstehenden Kosten als "Schreckgespenst" zurückgewiesen.
Die Junge Union in Hessen hat sich dafür ausgesprochen, "das gescheiterte Projekt der Rechtschreibreform zu beenden", und Ministerpräsident Roland Koch (CDU) aufgefordert, […] das "chaotische Reformwerk" zu Fall zu bringen.
In der gegenwärtigen Gemengelage aus Populismus und Resignation, die im föderalen System zum Thema Rechtschreibreform zu herrschen scheint, müßte sich ein Rationalist wie Koch gefordert fühlen, mehr als nur müde abzuwinken. Schließlich geht es auch darum zu demonstrieren, daß Politik wenigstens insofern noch gestalten kann, als sie das Schlimmste verhindert.
27. 7. 2004
Die Bundesregierung ist nach Auskunft eines Regierungssprechers gegen Veränderungen der Rechtschreibreform. Der stellvertretende Regierungssprecher Steg sagte am Montag in Berlin, die Beschlüsse sollten "konsequent, so wie sie getroffen sind", umgesetzt werden.
Richtig ist, daß die Bundesregierung, wenn es darauf ankommt, zur bisherigen Rechtschreibung zurückkehrt. Wenn also Gerhard Schröder an den amerikanischen Präsidenten schreibt oder dem ehemaligen Minister Egon Bahr zum Geburtstag gratuliert, verzichtet er sinnvollerweise auf die unhöfliche Kleinschreibung der Anrede: "Lieber Egon, zu Deinem 80. Geburtstag gratuliere ich Dir sehr herzlich." (19. März 2002) Lehrer an deutschen Schulen müssen künftig einen Fehler anrechnen, wenn Schüler so schreiben wie der Bundespräsident oder der Bundeskanzler.
Im Vorwort zur zweiten Auflage seines Bestseller-Ratgebers "Time Management für Anwälte" (2004) schreibt Benno Heussen mit der Autorität seines Fachs von einer Insel der "Seeligen" […]. Verunsichert greife ich zum Duden, um nachzuschlagen, ob nicht die Schreibweise durch die neuen Regeln gedeckt ist.
Auch wenn das Bundesinnenministerium durch die Neuregelung der Behördensprache in die Rechtschreibreform involviert ist, bleibt die Rechtschreibreform Ländersache. Das gilt auch dann, wenn die Entscheidungsbefugnis über die Rechtschreibung in Schulen und Universitäten von der Kultusministerkonferenz in die Ministerpräsidentenkonferenz übergehen sollte – was angesichts der verfahrenen Lage nur zu wünschen wäre.
Wenn die ministerpräsidenten zuständig wären, wäre das ganze immer noch ländersache. Die bundesregierung befasst sich materiell nur insofern damit, als sie ihren beamten und angestellten vorschreibt, wie sie zu schreiben haben. Das hat mit der schule nichts zu tun und ist letztlich wie in einer firma eine privatrechtliche angelegenheit.
"Reform" ist eines der Lieblingsworte Roland Kochs. Vielleicht hat es damit zu tun, daß der hessische Ministerpräsident sich so schwertut, sich für eine Rücknahme der umstrittenen Rechtschreibreform stark zu machen.
Die Bundesregierung hat sich gegen Bestrebungen mehrerer Ministerpräsidenten gewandt, die Rechtschreibreform zu kippen.
[…] doch nun gibt es Bestrebungen, die Reform ihrerseits zu reformieren. Unter anderem haben sich bereits fünf Ministerpräsidenten […] dafür ausgesprochen, noch einmal deutliche Veränderungen im Regelwerk vorzunehmen – eine Idee, die Günther Meier, Leiter der Herzog-Tassilo-Realschule in Erding, voll unterstützt: „Die ganze Reform war sowieso überflüssig wie ein Kropf.“ Man habe die Gelegenheit verpasst, wirklich durchgreifende Änderungen wie beispielsweise die Einführung der generellen Kleinschreibung durchzusetzen.
Einer Emnid-Umfrage zufolge lehnen 77 Prozent der Bundesbürger die neuen Rechtschreibregeln ab.
Wahrscheinlich hat man suggeriert, Majonäse gebe es seit der rechtschreibreform.
Im gesamten E-Mail-Verkehr, der für viele zur wichtigsten Form der Schriftlichkeit geworden ist, sind die Regeln der Groß- und Kleinschreibung weit gehend außer Kraft gesetzt, statt "ä" schreibt man mit Rücksicht auf englischsprachige Computersysteme "ae", genauso wird das "ß" durchs "ss" ersetzt. Die Praxis schafft sich informell Regeln, und niemand interessiert sich für den Glaubenskrieg, den Sprachpfleger und -reformer zu gleicher Zeit darüber führen, ob man "nichts sagend" oder "nichtssagend" oder "Nichts sagend" schreiben solle und wie man es denn wohl beim (sinnlosen) Superlativ "am nichtssagendsten" zu halten habe.
26. 7. 2004
Vor einer Rücknahme der Rechtschreibreform hat die namhafte Leipziger Germanistin Hannelore Poethe gewarnt. […] Den Reformkritikern hält sie entgegen, dass gerade Getrennt- und Zusammenschreibung auch vor der Reform sehr kompliziert war.
Unterdessen hat sich der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel als bereits fünfter Ministerpräsident für eine Rücknahme der Reform ausgesprochen.
Altbundespräsident Walter Scheel (FDP) warnte derweil vor einer drohenden "Sprachanarchie". Er selbst habe immer wieder Versuche unternommen, die neue Rechtschreibung auszuprobieren, aber vieles habe überhaupt keinen Sinn ergeben und "einfach nur lächerlich" gewirkt.
[…] Mafia, die sich vor Jahren in irgendwelchen Hinterzimmern zusammengerottet hat, um mit der deutschen Sprache gründlich aufzuräumen. […] Wer sich als Herrscher über die Sprache aufspielt, hat nicht begriffen, daß es sich um das einzige Medium handelt, in dem die Demokratie schon immer geherrscht hat. Selbsternannte Autoritäten kann es da nicht geben.
Abgesehen davon, dass es um die rechtschreibung und nicht um die sprache geht, ist es doch in einer demokratie kaum verboten, dass sich selbsternannte autoritäten zusammenrotten.
Formell ist für die Reform die Kultusministerkonferenz zuständig. Aber die Ministerpräsidenten wollen das Thema bei ihrem nächsten Treffen im September debattieren. So könnte dem gesellschaftlichen Dissens über die Reform […] ein politischer Konflikt sowohl unter den Ministerpräsidenten als auch zwischen Ministerpräsidenten- und Kultusministerkonferenz an die Seite treten.
24. 7. 2004
Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) räumte ein, es sei wohl ein Fehler gewesen, dieses wichtige Thema allein der Kultusministerkonferenz zu überlassen[,] und setzt sich ein für eine Rückgängigmachung der Reform.
Zurück zu was? Zu dem hier?
Die Schüler, die sie anwenden, mögen Sommerferien haben, die öffentliche Kritik an der Rechtschreibreform jedoch wird immer heftiger. Schriftsteller und Politiker haben die Reform erneut scharf angegriffen und gefordert, zur alten Schreibweise zurückzukehren.
Früher gab es vielversprechende Politiker. Kann es den heutigen Politikern denn wirklich recht sein, ab Sommer nächsten Jahres nur noch viel versprechende zu sein?
Die allgegenwärtige Verwendung von Reformschreibungen beruht also größtenteils nicht auf Überzeugung der Schreibenden, sondern auf Zwängen und Vorgaben – dienstlichen Anweisungen ebenso wie Voreinstellungen der gängigen Textverarbeitungsprogramme.
Ja, natürlich! Die allgegenwärtige verwendung der rechtschreibung, ob alt oder neu, beruht grösstenteils nicht auf überzeugung der schreibenden, sondern auf zwängen und vorgaben – dienstlichen anweisungen ebenso wie voreinstellungen der gängigen textverarbeitungsprogramme.
In der Bild-Zeitung kritisierten Martin Walser, Adolf Muschg und Georg Klein das 1996 beschlossene Regelwerk. „Sie ist unnötig wie ein Kropf und hat keine Verbesserung gebracht, sondern nur mehr Unsicherheit geschaffen“, sagte Muschg.
Selbst ernannte Sprach-Sachwalter sorgen dafür, dass der Streit um die Rechtschreibung in eine neue Runde geht. Der Dauerzank um die Rechtschreibreform hat den Charme einer Opera buffa. Das auftretende Personal ist ebenso bekannt wie der Ausgang der Stücks. Auch die Rollen im Rechtschreibtheater sind fest vergeben.
23. 7. 2004
Immer mehr Politiker und Experten fordern eine Rücknahme der Rechtschreibreform und auch die Bevölkerung hat ein eindeutiges Urteil gefällt: Drei Viertel der Deutschen halten die neuen Regeln nicht für sinnvoll und lehnen die Reform ab, wie eine Umfrage gezeigt hat. Nur die Lehrer, die als Vermittler der neuen Regeln tagtäglich mit den Auswirkungen zu tun haben, vertreten keine eindeutige Position.
Die Wahrheit ist, daß die Reform nicht nur von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, sondern auch von fast allen deutschen Schriftstellern, dem deutschen PEN-Zentrum, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, den Goethe-Instituten, den deutschen Kunst- und Wissenschaftsakademien und so weiter. Und wahr ist auch, daß sie acht Jahre nach ihrer Einführung nur 13 Prozent der Bevölkerung für sich gewinnen konnte. Die Rechtschreibreform besitzt einfach nicht die erforderliche Akzeptanz und ist deswegen nicht mehr verfassungsgemäß.
"Maggie Thatcher's Großbritannien" in der F.A.Z. Das ist aber ganz alte Rechtschreibung (vor 1907), oder?
Die allgemeine Pisa-Panik hat bewirkt, daß jetzt zwar auch Englisch in der ersten Klasse unterrichtet wird, aber leider auch die neue Rechtschreibung. Das sieht dann so aus, daß im Lesebuch das Wort Spagetti steht. Gedruckt. Es wäre sicherlich auch möglich gewesen, das Wort richtig zu schreiben (das heißt, auf das g folgt ein h , damit es nicht Spatschetti heißt) […].
Die sogenannten Wesentlichkeitstheorie der Bundesverfassungsgerichts legt die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung zumindest nahe. Die KMK antwortete sinngemäß – und inhaltlich eher unflätig –, was denn dies den Bundestag und insbesondere den Rechtausschuß angehe.
22. 7. 2004
Inzwischen kommt die politische Trachtengruppe, die gegen den Föderalismus antritt, unmittelbar aus den Ämtern der Landeshauptstädte, ja aus den höchstens Ratszimmern selbst. In einer konzertierten Aktion haben die Ministerpräsidenten Stoiber (Bayern), Wulff (Niedersachsen) und Müller (Saarland) das formal durch die Kultusminister besiegelte Verfahren zur Verabschiedung der Rechtschreibreform wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Was jahrelang die Gemüter der Schriftbenutzer erhitzt und die zum Umlernen gezwungenen Schüler gequält hat, soll nun durch ein ministerielles Machtwort in die Revisionsschlaufe geschickt werden.
Es verlohnt, Wulffs Argumentation einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Seine Kernthese lautet: Nachdem "auf breiter Ebene" in der Kultusministerkonferenz eine "Generalkapitulation" stattgefunden habe, sei die Rechtschreibreform "abwegig und gescheitert", seien "Wiederbelebungsversuche" aussichtslos. Wie rechtfertigt nun der Ministerpräsident, daß unter anderem auch sein Kultusminister Busemann nach wie vor die Reform mitträgt?
Auch Frankreich wurde vor einigen Jahren von geldgierigen Rechtschreibreformern heimgesucht. Sie hatten aber keinen Erfolg, weil die Franzosen auf Kultur und Tradition großen Wert legen und sich zumindest in dieser Hinsicht von niemandem etwas vorschreiben lassen.
Während man an den Demarkationslinien der Kulturen die alte europäische Welt sturmreif bombt, vom Niedergang der USA mal ganz zu schweigen, bewältigt unsre deutsche Literatur weiterhin mit Vorliebe Vergangenheit, man könnte meinen, um sich vor dem Blick in die Zukunft zu drücken: Gerhard Mayer-Vorfelder übernimmt die SPD, Ex-Mannesmann-Chef Esser wird als Bundeskanzler vereidigt, Christoph Schlingensief inszeniert das Drama der Rechtschreibreform, Deutsche Elf unter Waldemar Hartmann im 8-2-0-System von Österreich vermöbelt...
21. 7. 2004
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Christina Weiss, sieht die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) weiter in der Verantwortung, die Rechtschreibreform zu korrigieren. "Die KMK ist dafür verantwortlich. Dort sollte die Debatte geführt werden", sagte Frau Weiss im Gespräch mit dieser Zeitung. Sie halte nichts davon, die Ministerpräsidenten mit der Überarbeitung der Reform zu befassen […]. Eine Volksabstimmung über die Rechtschreibreform, wie sie die FDP-Generalsekretärin Pieper verlangt hatte, lehnte die parteilose Ministerin als "populistische Forderung" ab.
Wolfgang Balk, Verleger des in München ansässigen Deutschen Taschenbuchverlags, hat sich in der jüngsten Ausgabe des Branchenmagazins "Buchmarkt" entschieden gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen. Balk nennt die Reform ein "kulturpolitisches Desaster ersten Ranges" […].
Der 1999, fast ein Jahrzehnt nach dem Tod seines Autors Ronald M. Schernikau erschienene Roman "legende" vermählt auf achthundert Seiten den magischen Realismus der Südamerikaner und den sozialistischen der ehemaligen halben Welt […]. Die neue Rechtschreibung gibt es in "legende" nicht, dafür waltet hier konsequente Kleinschreibung, vermutlich, weil der Verfasser damit, alles klein zu schreiben, einen Ausgleich dafür bereitstellen wollte, daß es so groß gedacht ist.
20. 7. 2004
Nur wenn nichts von dieser unseligen "Reform" bleibt, können wir sie nach jahrelangen Verwirrungen und Streitereien und völlig sinnlosen Unkosten endlich vergessen wie eine überstandene Krankheit.
Nicht nur für die vollständig verfehlte Rechtschreibreform sollte die Amtshaftung eingeführt werden, das heißt den Ideatoren und Propagatoren dieser sinnlosen Aktion, unter der zahllose Schulkinder, Lehrer und Sprachästheten zu leiden haben, sollten 40 Prozent ihres Ruhegehalts gestrichen werden.
Nur ein Beispiel für das Verschleiern grammatischer Zusammenhänge, das allen weh tut, die die deutsche Sprache lieben und beherrschen: Adverbien schreibt man klein. Das Adverb der Zeit "abend" wird heute jedoch in Zusammensetzungen wie "heute abend" groß geschrieben, weil es ein gleichlautendes Substantiv gibt. Eigentlich müßte nun auch das Adjektiv "fett" groß geschrieben werden, zu dem es ebenfalls ein gleichlautendes Substantiv gibt.
Lehrer und Rektoren im Landkreis Freising heißen die neue Rechtschreibung hingegen für gut und befürchten durch ihre Rücknahme negative Folgen oder halten die ganze Problematisierung gar für „überbewertet“.
Die Rechtschreibreform wird modifiziert werden – und die deutsche Seele hat Ruh. […] Es ist mal wieder von der schon halb gekenterten Rechtschreibreform die Rede. Und nach einigen Länderministerpräsidenten plädiert nun auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss dafür, die neue Rechtschreibung nach fünf Jahren Probelauf zu überdenken und sie keinesfalls wie geplant am 1. August 2005 in allen Schulen für endgültig zu erklären.
19. 7. 2004
Nach den Erfahrungen mit Ihrem Jahrhundertwerk werden zumindest in Deutschland staatliche Stellen es nie wieder wagen, gebildeten Bürgerinnen und Bürgern eine verhunzte Rechtschreibung aufzuzwingen.
Die meisten hätten die Regeln weder verinnerlicht, noch wendeten sie sie an, schrieb Frau Weiss in einem Zeitungsbeitrag. […] Allerdings spricht sich Frau Weiss auch für die völlige Abschaffung des scharfen S (ß) aus. Hier gehe die Reform ihr nicht weit genug.
Kurt Beck will offensichtlich nicht einsehen, daß wir Gefahr laufen, nach der verbindlichen Einführung der neuen Rechtschreibung zum 31. Juli 2005 (gilt übrigens nur für Schulen und Amtsstuben) eine babylonische Schriftsprachenverwirrung zu bekommen, wie sie vor der ersten Einführung verbindlicher Rechtschreibregeln 1902 nicht schlimmer war.
Deutschland braucht Reformen. Der Bundeskanzler hat dieses Credo in seinem geradezu ehern klingenden Manifest Agenda 2010 in Worte gefasst. […] Umso erstaunlicher ist es, dass jetzt ausgerechnet aus dem Bundeskanzleramt die Rücknahme einer Reform gefordert wird. Christina Weiss, Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, fordert die Ministerpräsidenten der Länder auf, die Reform der Rechtschreibung zurückzunehmen: "Es wäre ein Fehler, neue Schreibregeln gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen", schreibt sie in der "Bild am Sonntag". Mit dieser Begründung könnte ihr Chef gleich seine ganze Agenda 2010 auf dem Schutthaufen der Geschichte entsorgen.
2004-07-18
An manchen Punkten geht mir die Reform allerdings nicht weit genug. Warum ist das "scharfe S", das es nur in der deutschen Kleinschreibung gibt, nicht ganz abgeschafft worden?
17. 7. 2004
Elisabeth Klar ist Rektorin der Münchener Grundschule an der Rotbuchenstraße. […] Sind die neuen Regeln nicht sehr kompliziert für die Kinder? Klar: Ganz im Gegenteil. Lehrer, Eltern und Kinder hatten doch lange Zeit, sich darauf einzustellen.
Lustige frage. Wenn die antwort ja wäre, gäbe es wohl gar keine regeln.
Eine unserer Enkelinnen schrieb […] in einem Brief an meine Frau und an mich: "Eigentlich müßte ich ,Ihr', ,Euch', ,Euer' ja nun klein schreiben; aber ich kann mich gerade noch beherrschen." Wie soll das Pisa-Tief in Deutschland überwunden werden, wenn unsere Lehrer gezwungen werden, mit großer Mühe und viel Zeitaufwand Unsinniges zu vermitteln?
Warum zeigt die betroffene Leserschaft nicht ihre Marktmacht? Wie? Einfach den Zeitungen, Zeitschriften und so weiter, die diesen groben Unfug mitmachen, mit entsprechender Begründung das Abonnement kündigen.
Kein Verlag darf Theodor Fontane, Thomas Mann oder Franz Kafka einer reformierten Orthographie unterwerfen – was zur Folge hat, dass die Reform keineswegs […] im Jahr 2005 Gemeingut sein wird: Tatsächlich wird sich die alte Orthographie in literarischen Werken über Generationen erhalten, und die Schüler werden, sollte es die Reform noch geben, noch lange mit mindestens zwei Rechtschreibungen leben müssen.
Die von Wulff angeregte Fronde gegen die neue Rechtschreibung ist vorderhand noch ein gutes Stück davon entfernt, vollzählig und schlagkräftig zu sein. Dass er nicht allein bleiben würde, war bei der allgemein reformskeptischen Stimmung abzusehen, und so hat er auch ein paar potente Kampfgefährten an sich ziehen können. […] Der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair, seinerzeit ein Befürworter der Reform, würde „aus heutiger Sicht und noch deutlicherer Kenntnis der deutschen Wesensart die Sache ganz zum Scheitern bringen“.
16. 7. 2004
Die Rechtschreibreform ist mißlungen – aber wie wird man sie wieder los? Darüber wollen die Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer demnächst beraten. Einige überlegen, den Kultusministern die Zuständigkeit aus der Hand zu nehmen und selbst zu entscheiden. Das ist ein richtiger, ja der einzig mögliche Weg, um aus der Sackgasse herauszukommen.
Es wäre ein weg, aus der durchgangsstrasse in eine sackgasse zu kommen. Das wünschen ja die reformgegner.
Bei Lehrern und Schulleitern aus dem Landkreis Starnberg stößt die neu entbrannte Diskussion um die Reform auf Unverständnis. […] Die Behörde habe auch immer wieder Schulaufsätze auf die neue Rechtschreibung prüfen lassen und festgestellt, dass die Schüler gut damit zurecht kämen.
„Es besteht die große Hoffnung, dass die Politik einsehen wird, dass die Reform gescheitert ist“, sagte Denk gestern der SZ. […] Am Welfen-Gymnasium in Schongau sieht man das Thema „mit großer Gelassenheit“. Direktor Wolfgang Gebler sagt, er kenne die Diskussion in Weilheim, sehe die neue Rechtschreibung aber nicht als das große Problem […]. „Die neue Schreibweise ist eingeführt, die Schüler kommen damit zurecht und ich sehe keinen Sinn darin, jetzt wieder alles zu ändern“, meint er.
15. 7. 2004
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) bezeichnete den Vorstoss der Reformgegner als «einfältigen Populismus». Die Rechtschreibreform sei ein abgeschlossener Prozess.
Die erste Aufführung im diesjährigen politischen Sommertheater war dem Lied "Wir wollen unsere alte Rechtschreibung zurückhaben" vorbehalten. Einige Medien, unterstützt von einer Reihe Unions-Ministerpräsidenten, machen Stimmung für eine Aufhebung der Reform. Nach sechs Jahren, in denen sich die meisten Bürger an die neuen Schreibweisen gewöhnt und viele Schüler danach schreiben gelernt haben, soll der Uhrzeiger zurückgedreht werden, fordert ein Chor selbst ernannter Bildungsbürger. Die Initiative […] wäre keine Zeile wert, gäbe sie nicht ein weiteres schlechtes Beispiel für deutsche Bildungsdebatten ab. […] Ernsthafte Bildungspolitik sollte sich um andere Probleme kümmern. Was ist mit den Millionen Kindern in Deutschland, die eine andere Muttersprache haben oder deren Eltern Deutsch nur unvollkommen beherrschen? Für einen Handwerksmeister ist nicht wichtig, ob sein Azubi "aufwändig" oder "aufwendig" schreibt. Der Lehrling muss eine komplizierte Betriebsanleitung verstehen und E-Mails verfassen können.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen (SPD), hält es nicht für sinnvoll, die Rechtschreibreform zu stoppen. Dies würde die Bevölkerung verunsichern, meint die Mainzer Kultusministerin.
14. 7. 2004
In Deutschland ist eine neue Diskussion um die Rechtschreibreform entbrannt. Der bayerische Regierungschef Edmund Stoiber warnte in der «Bild»-Zeitung vor Anarchie in der Schriftsprache […].
Später kündigt die Ortstafel «Kemptthal» das erste Dorf an. Zwar hat die Rechtschreibung längst alle «Thäler» zu Tälern gemacht, aber Ortsnamen gehen nicht mit der Mode und sind seit je ausgesprochen resistent gegen Rechtschreibereformen.
Neben Stoiber spricht sich als einziger der Vorsitzenden der Bundestagsparteien der FDP-Vorsitzende Westerwelle eindeutig für eine Rücknahme der Reform aus. […] Zwar gibt es unter führenden Politikern persönliche Sympathie für die alte Schreibweise. Viele von ihnen bekennen, in ihren Texten die alte Form zu verwenden, die dann von ihren Büros aber auf den neuen Stand gebracht würden. Doch bedeutet das nicht, daß sie die Initiative gutheißen.
Wer vorher richtig schreiben konnte, kann es heute nicht mehr. […] Durch die Rechtschreibreform wurde also die "Analphabetenrate" von 50 Prozent auf 95 Prozent gesteigert.
Dass die Rechtschreibreform nicht weit genug geht und oft nicht logisch aufgebaut ist, darin sind sich alle Lehrer einig. So wäre es zum Beispiel laut Nitschke besser gewesen, das „ß“ ganz abzuschaffen, anstatt die Vokallänge als Kriterium zu wählen. Die Konrektorin der Grundschule Grafing, Renate Schwarz-Reis, hält vor allem die Behandlung der Fremdwörter für problematisch: „Korrekt ist ’Spagetti‘, aber auf jeder italienischen Speisekarte steht es mit ’h‘.“ Auch das deutsche Festhalten an der Großschreibung wird von vielen Pädagogen als unnötige Erschwernis betrachtet.
Im neu entfachten Streit um die Rechtschreibreform hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Doris Ahnen (SPD), vor einer Verunsicherung von Lehrern und Schülern gewarnt.
13. 7. 2004
Die Schulbuchverlage protestierten gegen den Vorstoss einiger deutscher Ministerpräsidenten, wieder zur alten Orthografie zurückzukehren.
Ich halte die Rechtschreibreform und vor allem die vielen neuen Optionen für ganz ausgezeichnet. […] Gut finde ich auch die vielen Optionen mit "8-fache", "8-Fache", "achtfache", die je nach der Verwendung in Roman, Brief, Notiz, Tabelle und so weiter ihre Berechtigung haben sollten. Mich würde interessieren ob die F.A.Z. für abweichende Meinungen zur klaren, reinen und originalen Sprache Maulkörbe verteilt.
Das eigentliche Politikum hat Ministerpräsident Wulff bereits einmal früher genannt: Eine schulische Entscheidung trifft eine ganze Kulturnation, und diese Reichweite haben die Kultusminister nicht ins Kalkül gezogen. Sie und ihre Beamten sind gewöhnt, Beschlüsse zu fassen und Lehrpläne zu beschließen, die nur für die Schulen gelten.
Auch eine schulische nichtentscheidung trifft eine ganze kulturnation, und diese reichweite haben die kultusminister zum glück einmal ins kalkül gezogen.
Zu "Hessen gegen Rücknahme der Rechtschreibreform" (F.A.Z. vom 30. Juni) ist anzumerken, daß der Zug wohl abgefahren sein mag, doch wegen einer falschen Weichenstellung auf dem falschen, nämlich einem Abstellgleis.
Angeführt durch Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff sehen die Reformkritiker mit der neuen Rechtschreibung Sprachchaos und Beliebigkeit einziehen. Doch ihr Vorstoß hat nur geringe Aussicht auf Erfolg. […] "Mit der Rechtschreibreform ist erhebliche Unsicherheit eingetreten", sagte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) der "Bild"-Zeitung: "Es kann nicht sein, dass im Ergebnis jeder schreibt, wie er will". Und sein niedersächsischer Kollege Wulff erklärte im gleichen Blatt: "Wir dürfen nicht zulassen, dass ein so hohes Kulturgut wie die deutsche Sprache verhunzt wird." Auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), und sein saarländischer Kollege Peter Müller gelten als Reformgegner. Nun soll die Ministerpräsidentenkonferenz im Herbst entscheiden, wie es weiter geht.
Wir schreiben schon lange so, wie wir wollen, nicht erst im ergebnis.
12. 7. 2004
Die Reform habe von Anfang an «Züge von Willkür» getragen, sagte die Grünen-Politikerin der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung».
11. 7. 2004
Mein grösstes Problem ist die Trennung. Oft muss man einen Satz mehrmals lesen, um die verstümmelten Wortgebilde sinngerecht zusammenfügen zu können.
Bei «Private», dem Magazin für Vermögensberatung und Private Banking, haben wir uns von Anfang an entschieden, diesen Blödsinn einer sogenannten Rechtschreibreform nicht mitzumachen. Wir werden auch nach dem offiziell dekretierten letzten Termin für die Umstellung am 1. 8. 2005 an der alten, richtigen Rechtschreibung festhalten.
Ganz schön rebellisch, böser Norbertli, sich so über die schulbehörden hinwegzusetzen! Aber dein lehrer wirds nicht merken: In deinen letzten 4 aufsätzen, äh editorials, musste er nur 4 mal zum rotstift greifen. Davon aber 2 mal auch nach der «alten, richtigen Rechtschreibung».
8. 7. 2004
Angesichts des offenbaren Unwillens der Kultusminister-Konferenz, eine Revision ihrer eigenen Beschlüsse herbeizuführen, setzen Sie wesentlich auf die Ministerpräsidenten als die "Vorgesetzten" der zuständigen Fachminister. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß die KMK ihre Beschlüsse 1996 der Ministerpräsidenten-Konferenz zur Beschlußfassung vorgelegt hat und daß diese […] zustande kam. Auch das Bundeskabinett hat in derselben Angelegenheit keine Einwände erhoben (und sei es mangels Rechtsgrundlage) […]. Etwas mehr Gedanken zu einem "Ausstiegsszenario" müßte man (auch die F.A.Z.) sich schon machen.
Die F.A.Z. berichtete über den lobens- wie unterstützungswürdigen Vorstoß des niedersächsischen Ministerpräsidenten, die Rücknahme der "Reform", das heißt die Rückkehr zur wirklichen Rechtschreibung, zur Chefsache der Ministerpräsidenten zu machen. […] Um so mehr verwundert und verärgert es mich in höchstem Maße, daß der Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, "den Zug für abgefahren hält" und er daher nichts zu unternehmen gedenkt.
7. 7. 2004
Ihre Glosse "Mehr übersetzen" […] nehme ich zum Anlaß, Ihnen einmal ganz herzlich für Ihren konsequenten Einsatz für die deutsche Sprache — in den letzten Wochen wieder insbesondere für eine vernünftige Rechtschreibung — zu danken. Ich hoffe, daß Sie Ihre Bemühungen trotz der Borniertheit der Verantwortlichen in den Kultusministerien fortsetzen werden.
6. 7. 2004
In der F.A.Z. vom 30. Juni ist ein nur allzu wahres Wort gefallen: Rechtschreibanarchie. […] Andererseits kann man aber auch von einer Sprachanarchie sprechen. Wie die deutsche Sprache verhunzt und zunichte gemacht wird, das ist eine Schande.
5. 7. 2004
Es ist ja nicht nur so, daß Schulkinder umlernen müssen, sondern Millionen von Erwachsenen werden dazu verdonnert, eigentlich neu lesen und schreiben zu lernen. Da ich aber keinen Satz zügig lesen kann — besonders die Silbentrennung irritiert sehr —, findet alles ohne mich statt. Ich kaufe weder ein Buch noch eine Zeitung mit der neuen Rechtschreibung.
4. 7. 2004
Die Initiative zu einer Veränderung des Regelwerks zu ergreifen, ist dagegen nicht Sache der gelehrten und politischen Obrigkeit. Die muss von der Basis kommen, und Veränderungen müssen vor einer Sanktionierung Punkt für Punkt sorgfältig evaluiert werden. So hat das früher der Duden gehalten.
Wie ist das mit der «gelehrten und politischen obrigkeit» und der «basis»? Der duden gehört nicht zu ersterem? Und der Bund für vereinfachte rechtschreibung? Da lebt der herr professor wohl zu sehr in dem von ihm selbst zitierten «elfenbeinturm».
2. 7. 2004
Jede Orthographie bildet die grammatischen Verhältnisse (Bedeutungen) mehr oder weniger genau und angemessen ab. Gleiches gilt für die Wiedergabe der lautlichen/phonematischen Verhältnisse in einer Sprache (und ihren Varietäten/Dialekten) mit Hilfe der Schrift. Da die Sprache sich ständig weiterentwickelt und wandelt, muss auch die Orthographie fortlaufend angepasst werden. Das hat nichts mit Unverbindlichkeit zu tun.
Lasst endlich die Redakteure wieder das Werkzeug benutzen, welches das einzige ist, mit dem sie vernünftig umgehen können: die moderne und bewährte Rechtschreibung. Die „reformierte“ – in welcher „re-re-re-reformierten“ Form auch immer – wird deren Standard niemals erreichen.
Wo sind die Professoren, Journalisten, Eltern, Schüler und Lehrer, die zivilen Widerstand üben, auf den Tisch schlagen und sagen: „Jetzt reicht’s“?
Woher nehmen Politbürokraten wie Kultusminister die Unverfrorenheit, über Sprache zu entscheiden, von der sie – ihre sprachtötenden Reden beweisen es tagtäglich – absolut nichts verstehen?
Es scheint nun alles egal zu sein, wie eine Sturmflut hat die Reform differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten der Schrift vernichtet.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch die Zulässigkeit der Reform an die allgemeine Akzeptanz gebunden […]. Da diese Akzeptanz ungeachtet gewaltiger Reformpropaganda und mehr oder weniger sanften Zwanges (auch durch die Voreinstellung der gängigen Textverarbeitungen) nicht gegeben ist, entfällt die rechtliche Grundlage. Die weitere Durchsetzung einer […] Neuschreibung an den Schulen ist verfassungswidrig.
Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage, ob und wann die SZ zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren wird?
Warum stehen nicht alle auf wie ein Mann und verweigern sich dieser Bevormundung und Indoktrination? Das Volk stünde (fast) geschlossen hinter ihnen! Es wäre ein Leichtes, einige wenige Telefonate und Abstimmungen zwischen den Verantwortlichen der Zeitungen, Zeitschriften und Verlagshäuser, und binnen 14 Tagen wären die unsinnigen Schreib-Anweisungen über den Haufen geworfen – und der deutsche Teil des Abendlandes gerettet.
Warum lässt man nicht einfach zwei Rechtschreibungen gelten, die frühere und die im Juli 1996 beschlossene, und überlässt es jedem, sich hier dieser, dort jener zu bedienen? Die zwei Orthographien sind nun einmal eine Tatsache der Gegenwart. Sie sollten in den Schulen beide vermittelt werden […].
Warum nur 2? Auch die fraktur und die eigennamengrossschreibung sind tatsachen.
Es dauert zwar noch eine Weile, aber die Zeit wird alles ans Licht bringen. Darauf können wir uns verlassen. Wahrscheinlich wachen unsere Entscheidungsträger erst dann auf, wenn Deutschland endgültig den Anschluss an den internationalen Bildungsstandard verpasst hat, vor lauter Nachschlagen in verschiedenen Wörterbüchern.
Wenn wir wissen, wo wir hinwollen, ist auch ein mühsamer Weg erträglich. Überall wird gesagt, dass wir Reformen brauchen. Ich selbst habe das auch gesagt. Aber viele Menschen können das Wort „Reform“ schon nicht mehr hören. Es ist uns offensichtlich nicht gelungen, das Ziel der Reformen zu erklären.
1. 7. 2004
Vor Jahren, man erinnert sich, gab es eine Rechtschreibereform […]. Die meisten Printmedien machten die neue Mode getreulich mit […]. Die anspruchsvollen, unter ihnen namhafte Autoren, verwahrten sich gegen die Verarmung. Um eine solche handelt(e) es sich. Den Sprachbenützern ganz allgemein wollte man den Sprachgebrauch erleichtern. Nicht, dass die durchgehende Kleinschreibung durchgekommen wäre (um die es anfangs der «Reform» ging), sondern halt «sonst». Im Sonstigen erblühten viele Möglichkeiten. Zum Beispiel: Wenn ein Geschlechtswort (der; die, das) vor einem Wort steht, schreibt man dieses gross, basta. Das ist eine auf Unbedarfte zugeschnittene Regel, berücksichtigt indessen kaum, dass man Verschiedenes auch verschieden ausdrücken kann […].
Das ist eine von einem unbedarften kommentator erfundene regel.
Verunsicherung, Resignation, Verlust des Vertrauens in die soziale Kommunikation und schließlich Gleichgültigkeit – diese Grundübel der deutschen Misere finden in der überflüssigen Rechtschreibreform ihren symbolischen Ausdruck. "Das alles ist erschreckend und traurig", sagt dazu Herr Wulff. Das Erstaunliche ist: Herr Wulff ist Ministerpräsident.
29. 6. 2004
Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Rechtschreibreform zu befassen. Die Zuständigkeit der Kultusministerkonferenz für die neue Rechtschreibung müsse beendet werden, forderte Wulff im Gespräch mit dieser Zeitung.
Die kultusministerkonferenz ist nicht für die rechtschreibung zuständig, sondern für den lehrplan der volksschule. Dafür soll die ministerpräsidentenkonferenz das geeignetere gremium sein?
25. 6. 2004
Damit soll nicht gesagt sein, dass das Ketchup, unbeschadet seiner halbherzigen Eindeutschung zu Ketschup bei der Rechtschreibreform, eine deutsche Errungenschaft sei.
Von ihrem Werk, in dem sie die Kleinschreibung konsequent anwandten, hatten die Brüder Grimm die romantische Vorstellung, es könne "mit andacht und verlangen" als eine Art Hausbuch gelesen werden.
2004-06-23
Warum tun sich denn nicht endlich alle großen deutschsprachigen Zeitungen zusammen, folgen dem Beispiel der F.A.Z. und weigern sich einfach, diesen Schwachsinn zu übernehmen?
Mag die Kultusministerkonferenz ihre Mißgeburt ab 2005 legalisieren. Es bleibt objektiv eine Mißgeburt.
21. 6. 2004
Dass eine Mehrheit der Deutschen gegen die Rechtschreibreform ist, war schon klar, ehe sie beschlossen wurde. Der Ehrgeiz von Experten traf sich mit dem Hochmut von Politikern, die träge Masse Mensch eben zu ihrem Glück zu zwingen. Solches geht meistens schief, wie man weiß. Den Abc-Schützen konnte man sagen: So schreibt man das jetzt! Aber allein schon die Schriftsteller wollten sich nichts befehlen lassen.
Was will uns die autorin damit sagen? Dass jemand den schriftstellern etwas befehlen wollte? Dass man den früheren abc-schützen (z. b. den heutigen schriftstellern) nichts sagte? Dass die heutigen abc-schützen nie erwachsen und schon gar nicht schriftsteller werden?
Einer Umfrage zufolge ist die Mehrheit der Deutschen (66 Prozent) dafür, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen.
20. 6. 2004
Nur 29 Prozent wollen demnach an den neuen Schreibweisen festhalten, so wie es die Kultusministerkonferenz beschlossen hat. Allerdings wollen der Umfrage zufolge 60 Prozent der unter 20-Jährigen lieber nach den neuen Regeln schreiben.
19. 6. 2004
Es gibt eine Handvoll zumeist intellektuell wirkende Einsender, die uns ihre Beiträge unter Verwendung des Zeichens «ß» schicken. Wir filtern dann dieses Gebilde möglichst aus den Texten raus, da wir es nicht im regulären Gebrauch haben. […] Auch der jüngste «Sprachspiegel» […] bezeichnet es als «Überbleibsel aus der deutschen Schrift (Kurrentschrift und Fraktur)». Nichtsdestotrotz plädiert der dortige Autor dafür, dass wir uns «der bereinigten deutschen ss/ß-Regelung anschliessen». Nun ist besagtem Autor wohl beizupflichten, wenn er ausführt, in der Schweiz wolle man mit dem Buchstaben «ß» aus «unsachlichen Gründen» nichts mehr zu tun haben. Vielleicht erstreckt sich diese Unsachlichkeit sogar darauf, dass man sich von de Deutschen nicht ein erneutes SS-Problem aufhalsen lassen will. […] Und so schicken wir im schöne Grüße (!), wenn’s sein muss auch Küsse (!), und lassen es dann am liebsten so, wie wirs gewohnt sind.
2004-06-17
Selbst wenn die Schulbuchverleger […] geglaubt haben sollten, die neue Rechtschreibung lasse sich leichter erlernen als die alte, so hätten doch gerade sie darauf hinweisen müssen, daß Rechtschreibung primär der unmißverständlichen Wiedergabe von Gedanken zu dienen hat und nicht einer etwaigen Vereinfachung des Deutschunterrichts.
15. 6. 2004
In seinem temporeichen, aber klar strukturierten Referat erläuterte Peter Gallmann zunächst die Notwendigkeit von Normen in der Rechtschreibung und die verschiedenen Typen von Regeln. Danach stellte er die von der Reform erreichten Ziele den aufgetretenen Problemen gegenüber, um schliesslich noch kurz auf Anpassungen und Diskussionen mit Kritikern der Neuregelung einzugehen. Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung von 1996 hat aus Sicht der beteiligten Experten einige der gesteckten Ziele erreicht.
In Analogie zu dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ leben die Kultusminister anscheinend immer noch in der Illusion, die reformierte Schreibung sei moderner als die bewährte, unreformierte.
Ist es vorstellbar, daß in einem anderen Kulturkreis als dem deutschen so mit Sprache umgegangen wird? Den Schülern sei die deutsche Rechtschreibung zu kompliziert, heißt es, aber keiner scheut sich, sie möglichst früh mit dem Schwachsinn der englischen Orthographie zu konfrontieren. Es ist nicht bekannt, daß die Franzosen das H am Anfang eines Wortes wegzulassen gedenken, nur weil es nicht ausgesprochen wird.
14. 6. 2004
Das Chaos ist entstanden, weil eine Kommission von Dilettanten ohne Sensibilität für Sprache eine Reform beschlossen hat, die schlicht unsäglich ist. […] Was uns nun aber als Reform präsentiert wird, verdient diesen Namen nicht; man mag sie als Etikettenschwindel, Alibiübung oder gar als Schwachsinn bezeichnen, ein schlechter Kompromiss ist sie auf jeden Fall. […] Warum fällt bei Fremdwörtern das ph mal weg, mal nicht: Ortografie, aber Philosophie, Stopp im Text, auf der Verkehrstafel Stop?
Bevor man andere leute als dilettanten bezeichnet, sollte man etwas genauer hinschauen: «Ortografie» schreibt man (leider) nicht so, und «Stopp» galt schon vorher. (Strassenverkehrszeichen sind nicht lokalsprachlich.)
13. 6. 2004
Doch jetzt stellt sich überraschend der erste Spitzenpolitiker hinter die Kritiker. Der niedersächsische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Chef Christian Wulff fordert, im letzten Moment die Notbremse zu ziehen und die Rechtschreibreform zu kippen! "Deutschland sollte bis auf wenige Ausnahmen zur alten Rechtschreibung zurückkehren und einen Schlussstrich unter diese unselige Diskussion ziehen", so Wulff zu Bild am Sonntag. […] "Nie wurde beachtet, dass Sprache gewachsenes Kulturgut und dem Zugriff der Politik in hohem Maße entzogen ist."
Nie wurde beachtet, dass die in der schule gelehrte amtliche rechtschreibung einfach so gewachsen ist und einfach so weiter wächst. Als vor jahren die realschule Muttenz BL die kleinschreibung einführte, beachtete der staat leider nicht, dass das ihm in hohem masse entzogen ist.
11. 6. 2003
Besonders die Rechtschreibreform bekam eines auf den Deckel: "Gültig, bis der Letzte, der so schreibt, ausgestorben ist", kommentierte der Brasilianer.
10. 6. 2004
In Deutschland ist die Rechtschreibreform abgesegnet, bei uns im Prinzip auch — aber damit geben sich die Gegner der Reform nicht zufrieden. Die deutschen Kultusminister haben entschieden, die Reform — mit einigen zusätzlichen Freiheiten — nach der Übergangsfrist definitiv einzuführen auf August 2005. Dieser Entscheid mache die Lage für die Schweiz jedoch nicht klar, erklärt der St. Galler Reformgegner Stefan Stirnemann vom «Arbeitskreis Orthographie» auf Anfrage. «Der springende Punkt ist, dass im nächsten Jahr nicht die Regeln von 1996 verbindlich werden sollen, sondern veränderte.» […] Von einem solchen Moratorium will die EDK allerdings nichts wissen.
2004-06-09
Die Ordensträger aus dem In- und Ausland verständigten sich nach Informationen dieser Zeitung darauf, das kommende, im Spätherbst erscheinende Jahrbuch nach den bewährten Regeln der Orthographie vor der jüngsten Rechtschreibreform zu verfassen.
7. 6. 2004
Nach der Abreise des Präsidenten fällt die Spannung wie bei einem überhitzten Soufflé zusammen. Die verbliebenen Gäste plaudern; der Hausherr ist heiter. Man bespricht die Rechtschreibreform und die Benzinpreise.
6. 6. 2004
Gerade haben die Kultusminister beschlossen, die Orthographie müsse liberaler werden. Im Namen von Kommissionen, Konferenzen und Konsens: Weg von der Rechtschreibung, hin zur Freischreibung. Getrennt oder zusammen, groß und klein, mit oder ohne Bindestrich – das kann man künftig so oder so halten. Ob mehr Beliebigkeit den Geist des jungen Menschen für die selbstbestimmte Freiheit jenseits der Hausaufgaben stärkt? Man mag’s nicht glauben. Ein Rat für Rechtschreibung soll nun klären, wie viel Orthographie in diesem Lande überhaupt noch sein muss.
5. 6. 2004
Für feste Begriffe wie Gelbe Karte oder Kleine Anfrage ist wieder die Grossschreibung erlaubt.
Wieder? Vor 1996 galt nur gelbe Karte.
Abseits der Rahmenhandlung witzelt ein Schüler über Alcopops und Rechtschreibreform und macht Anspielungen auf das Lio-Schulleben.
Keine der neuen Schreibweisen werde falsch, alle Schülbücher in neuer Orthographie könnten weiter genutzt werden. Den Kultusministern gehe es vor allem um eine Versachlichung der Debatte, erläuterte die Präsidentin der KMK, die rheinland-pfälzische Kultusministerin Ahnen (SPD).
Sollte der Rat nicht befugt sein, einzelne Regeln zu ändern, zu streichen oder gar die ganze Reform für mißlungen zu erklären, bleibt er eine politische Alibiveranstaltung.
Wer an Zahl und Gewicht der Probleme dieses Landes denkt und dann den jammervollen Verlauf dieser Rechtschreibreform an sich vorüberziehen läßt, muß alle Hoffnung fahrenlassen. Bevor das Gesundheitswesen und die anderen Sozialsysteme notdürftig reformiert sein werden, dürfte die Hälfte der Bevölkerung das Wörtchen Rente frohgemut mit ä schreiben. Auch egal? Mag sein, aber selbst wer sich für Fragen der Rechtschreibung nicht die Bohne interessiert, ist von diesem Desaster weit stärker betroffen, als er glauben mag. Nicht nur, weil die Sprache, die keinem von uns gehört, uns alle angeht, sondern auch, weil das Scheitern der Rechtschreibreform die vollständige Unfähigkeit unserer Politiker zur Korrektur offensichtlicher Fehler beweist.
Die Kultusminister hatten am Donnerstagabend einstimmig die seit 1998 an den Schulen und am 1. August 1999 in fast allen Medien eingeführte Rechtschreibreform bestätigt und auf Empfehlung von Experten abschließend marginale Änderungen an den neuen Schreibweisen vorgenommen. […] Der neue "Rat für die deutsche Rechtschreibung" wird die bisherige Zwischenstaatliche Kommission ersetzen. Über die Zusammensetzung des neues Rates sollen bis Dezember Gespräche geführt werden. Dabei müssen die an der Reform beteiligten Länder Österreich, Schweiz und Liechtenstein noch zustimmen. Das neue Gremium soll die Schreib-Entwicklung in der Bevölkerung beobachten und künftig alle fünf Jahre Bericht erstatten.
Wer in eine deutsche Schule geht, wird auch künftig anders schreiben müssen, als es alle namhaften deutschen Schriftsteller tun. Es werden ihm auch künftig Schreibweisen abverlangt, die grammatisch falsch sind.
4. 6. 2004
Und sie ist auch zum Problem geworden - nicht für die Landschaft, aber für die Schüler, die sich mit der Rechtschreibereform von der Gemse verabschieden und die Gämse kennen lernen mussten.
Die Deutschen erleben acht Jahre nach der Einführung der neuen Rechtschreibregeln ein Fiasko. Über die Hälfte von ihnen hat das Empfinden, nicht mehr recht schreiben zu können.
Über die hälfte wusste schon immer nicht, wie man «Lebensstandard» oder «Rhythmus» schreibt. Die entscheidende frage ist nun, auf welche hälfte sich Jähner bezieht.
Ohne Not hat man mit allerhand sozialtechnologischem Brimborium an etwas herumgedoktert, was auch ohne Reform ganz gut funktionierte.
Man muss sich ansehen, wie Sprache und Schrift sich entwickeln und welche Vereinheitlichungen sich dabei herausbilden. Nichts anderes hat Konrad Duden jahrzehntelang gemacht. Er wäre nie auf die Idee gekommen, seine Regeln am Schreibtisch zu konstruieren und sie dann der Sprache überzustülpen. Die Kommission dagegen hat sich nie die Mühe gemacht zu beobachten, wie die Menschen wirklich schreiben.
Konrad Duden kam auf sehr interessante ideen, die er später zu gunsten der einheit aufgab. Die kommission dagegen hat nichts konstruiert, sondern in erster linie beobachtet, wie die menschen wirklich schreiben. Aus unserer sicht hätte sie etwas mehr am schreibtisch (= teoretisch fundiert) konstruieren (= konsequenter regeln) können.
Auch sechs Jahre nach ihrer Einführung scheiden sich an der neuen Rechtschreibung die Geister. […] Heute werden die Kulturminister der Länder in Mainz einen Beschluss zum Bericht der KMK fassen.
3. 6. 2004
Lanciert wurde der Aufruf vom «Arbeitskreis Orthographie» St. Gallen und vom Verein «Sprachkreis Deutsch» in Bern. Zu den Erstunterzeichnern gehören neben acht Mittelschullehrern der Schriftsteller Adolf Muschg und der Basler Sprachwissenschaftler Rudolf Wachter […].
Die Sprachnation kann und wird es auf gar keinen Fall hinnehmen, daß die Politik auch noch die Regelungsgewalt über die Sprache an sich reißt und sich dabei sogar über grundlegende Spielregeln der Demokratie hinwegsetzt. Die orthographische De-facto-Gesetzgebung der KMK (und des ebenfalls beteiligten Bundesinnenministeriums) verstößt nämlich auch noch gegen das Prinzip der Gewaltenteilung, weil die exekutive Gewalt keine legislativen Befugnisse besitzt und niemand sie gemäß Artikel 80 des Grundgesetzes zum Erlaß von Rechtsverordnungen über die Orthographie der deutschen Sprache ermächtigt hat.
Es ist an der Zeit, Hoffnungen auf eine akzeptable Korrektur der Rechtschreibreform zu begraben. Es ist Zeit, daß weitere Zeitungen und Verlage zur bisherigen, bewährten und noch immer gültigen Rechtschreibung zurückkehren. Sie allein bietet Sicherheit für dauerhaft richtig geschriebene Texte.
Zu den ersten Unterzeichnern der Petition gehören der Sprachwissenschaftler Rudolf Wachter und Adolf Muschg.
"Mir war die konsequente Rechtschreibung immer ziemlich gleichgültig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an; sondern darauf, dass die Leser verstehen, was man damit sagen will", meinte Goethe. Doch was ist Goethe gegen ein deutsches Kommissionsmitglied! Sie haben die menschenfreundliche Idee Konrad Dudens, mit einem Regelbüchlein den Druckern und Setzern ihre Arbeit zu erleichtern, zu einem unförmigen, von Widersprüchen und Willkür keineswegs freien Wälzer aufgeschwemmt, ständig vermehrt von einer Rechtschreibindustrie, die den Leuten weismacht, die deutsche Kultur ginge unter, wenn einer wagte, "Keiser" statt "Kaiser" zu schreiben. Dass diese Schreibweise von den ebenso sprachkundigen wie sprachbewussten Beiträgern zum Grimmschen Wörterbuch ausdrücklich verzeichnet wird, stört die Puristen wenig. Sie wollen die Vorschrift und die Regel, und zwar auch dort, wo sie zur Sache und zur Klarheit nichts beiträgt.
2. 6. 2004
Bei 150 Mittelschulen werden zurzeit Unterschriften gesammelt, wie Peter Zbinden vom Sprachkreis Deutsch auf Anfrage sagte.
Die Politik, die deutsche zumal, steckt in einer peinlichen Lage. An Fragen der Rechtschreibung im Grunde desinteressiert, versteht sie nicht, warum die Diskussion darüber nicht zur Ruhe kommt. […] In Österreich herrschen weitgehend Indifferenz und Ruhe, in der Schweiz ist hie und da ein obstinates Grummeln vernehmlich. Kein Vergleich mit Deutschland. Dort besitzt der Protest kampagnenartige Züge; Akademien, Professoren und namhafte Verbände wie der PEN erwachen gerade in jüngster Zeit zu frischer Opposition. […] Die deutsche Politik hat zwar begriffen, dass die Orthographie kein Thema für sie ist. Je länger der Streit währt, desto mehr fühlt sie sich von der Materie überfordert. Anstatt jedoch ganz die Finger davon zu lassen, wünscht sie sich mehr Autorität für die Reform.
Eine Gruppe von Schweizer Gymnasiallehrkräften ruft die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) zu einem Moratorium bei der 1996 eingeleiteten Rechtschreibreform auf.
Claudia Ludwig will mehr Zeit. Zeit, um Stimmung gegen die neue Rechtschreibung zu machen. "Sie wird nie erlernbar sein", sagt die Vorsitzende der neuen Hamburger "Initiative zur Rettung der klassischen deutschen Rechtschreibung nach Konrad Duden".
1. 6. 2004
Schon vorher gab es Reformen, etwa die von 1901, die das th in Wörtern wie Tier abschaffte. Auch hier war eine staatliche Kommission tätig. […] Die Rechtschreibreform von 1998 wurde nicht widerspruchslos hingenommen. Wir leben ja schließlich in einer Demokratie, wo jeder seine Meinung sagen darf. Vor hundert Jahren, sollte man meinen, war das anders. Der Kaiser befahl und alle gehorchten. Weit gefehlt – die Diskussionen gingen weiter. […] Wäre es gut, wenn es eine Behörde gäbe, die Sprachsündern endlich einmal die Meinung sagte, dem Überhandnehmen von Fremdwörtern wehrte und dem Missbrauch von Apostrophen ein Ende setzte? Das wäre ein tiefer Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit und würde zu noch mehr Unruhe führen als die letzte Rechtschreibreform.
6. 2004
Die Wirkungen der neuen Regeln mögen im Alltag nicht so augenfällig sein; dort aber, wo Genauigkeit des Ausdrucks verlangt wird, in den Wörter- und Schulbüchern, in der Fach- und schönen Literatur, sind die Folgen überwiegend negativ.