Daß Germanistik auch Sprachwissenschaft umfaßt, kommt allenfalls dann in den Blick, wenn man nach Verantwortlichen für die Rechtschreibreform sucht.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
2004-09-30
29. 9. 2004
Die Baudirektion hat sich eines drängenden Problems angenommen: «Eine Adresse für jedes Gebäude», verlangt die kantonale Baudirektorin Dorothée Fierz (FDP). […] Einheitlichkeit von Adlikon bis Zumikon ist den Leuten von Fierz auch bei der Schreibweise wichtig. So sollen Strassen mit Personennamen nach der Praxisänderung in der Stadt Zürich (2001) auch im übrigen Kanton durchgekuppelt werden, damit ausserkantonale Besucher nicht verwirrt werden. […] Also Gottfried-Keller-Strasse, nicht Anna Heer-Strasse. Der Rechtschreibreform folgen die kantonalen Experten nicht sklavisch: Aus der Stengel- muss nicht die Stängelstrasse werden. […] Eine Schweizer Spezialität sind die Strassen mit geografischen Namen auf -er: Sie werden in einem Wort geschrieben, also Aargauerstrasse und nicht Aargauer Strasse. Und auch nicht Aargauer-Strasse. Ein ganz heikles Thema sind die Ä, Ö und Ü, die am Wortanfang zwar erlaubt, bei Strassennamen aber tabu sind: Deshalb gibt es die Uetliberg-, nicht aber die Üetlibergstrasse. Für die Fachleute von Fierz ist das Thema so delikat, dass sie auf eine Empfehlung verzichten und den Gemeinden raten, sich mit anderen abzusprechen.
2004-09-28
Weniger aus Interesse an der Orthographie als aus Interesse am Umgang der Politik mit empirischer Sozialforschung hat der Verfasser sich bei Exponenten der Reform nach den existierenden Studien zur "Fehlerfrage" erkundigt. Während eine stattliche Zahl reiner Meinungsbefragungen besteht, scheint nur eine quantitative empirische Studie zu existieren: Sie wurde 1996/97 am Wiener Gymnasium Sacré Coeur mit 27 Schülerinnen im Alter von 15 bis 16 Jahren durchgeführt. […] Zwei Dinge erscheinen dem interessierten Beobachter bemerkenswert: Erstens, welche unerhörte Karriere eine Studie machen kann, die (vermutlich mangels Finanzen) elementare methodologische Normen missachtet. Dies wirft in erster Linie ein Licht auf die Bildungsbehörden (und die Bildungsforschung), die ein gewaltiges flächendeckendes Reformprojekt quantitativ unbegleitet lassen, sich in der Folge dennoch unbeirrt auf angeblich vorhandene positive Forschungsergebnisse berufen. […] Man müsste zusätzlich zu den Fehlern im Schreiben die Fehler und die Effizienz im Verstehen von Geschriebenem untersuchen. […] Schade, dass diese einzigartige Gelegenheit zu kontrollierter Reform vertan wurde.
Gewiss hätte man mehr empirisch forschen können, wobei dieses «man» alle einschliesst, auch prof. Baumberger. Und man könnte immer noch. Allerdings wird man die vermutung kaum widerlegen, dass man gegen eine regel, die es nicht mehr gibt, auch nicht mehr verstossen kann. Ob eine regel nötig ist, entscheidet in der tat nicht die schule, aber das behauptet auch niemand. (Die erlernbarkeit einer norm ist allerdings auch eine voraussetzung für ihr funktionieren.) Über das verstehen von geschriebenem gibt es freilich schon ein bisschen fachliteratur.
In diesem Beitrag versucht ein Praktiker sich kritisch auf die rein sprachwissenschaftlichen Kriterien dieser Reform zu beschränken. […] Die wichtigste Kritik an der seit 1996 laufenden Rechtschreibreform betrifft deren inhaltliche Inkonsistenz: Die Regeln sind auch in diesem Juni in wesentlichen Bereichen geändert worden. Nach vielen Änderungen, die sich nur den verschiedenen Auflagen der Wörterbücher entnehmen liessen, haben im Juni die deutschen Kultusminister, die offenbar auch für die Schweiz entscheiden, weitgehende Eingriffe in das Regelwerk gutgeheissen.
Es müssen «wieder Ordnung und Zuverlässigkeit herrschen»! Lehrmittel müssen angeblich geändert werden, weil etwas «wieder zugelassen», «auch möglich» ist. Es ist nicht wichtig, ob die schüler etwas sinnvolles lernen; wichtig ist, dass man es «rekursfest korrigieren» kann. Stirnemann hätte anlässlich der fernsehsendung Zischtigsclub merken können, dass er mit seiner aus Deutschland importierten angstmacherei in der Schweiz nicht ankommt. Leider hat er es nicht gemerkt, und die NZZ auch nicht; sie lässt ihn überflüssigerweise ausbreiten, was er im fernsehen nicht an den mann und vor allem nicht an die frau bringen konnte.
Kurz vor der entscheidenden Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Rechtschreibreform hat die Präsidentin der KMK, die rheinland-pfälzische Kultusministerin Ahnen (SPD), einen Entwurf für einen international besetzten „Rat für deutsche Rechtschreibung“ vorgelegt.
Wenn die Kultusminister glauben, den Kritikern der Rechtschreibreform mit diesem Vorschlag für den "Rat für deutsche Rechtschreibung" den Wind aus den Segeln zu nehmen, dann irren sie. […] Dieser Rat ist nichts anderes als die Fortsetzung der Zwischenstaatlichen Kommission mit anderen Mitteln.
Vom kommenden Sonntag, dem 3. Oktober, an werden sämtliche Zeitungen und Zeitschriften des Axel Springer Verlags wieder in bewährter Rechtschreibung erscheinen.
Schirmbeck und Karasholi waren sogar der Ansicht, daß Deutsche besonders leicht Arabisch lernen können, weil sie den Umgang mit Konsonanten gewohnt seien. Warum auch nicht? In einem arabisierten Deutschland erledigte sich die Rechtschreibreform.
2004-09-27
Der Berliner Kultursenator Flierl (PDS) kritisierte den geplante Kündigung Niedersachsens als „abstruse und überzogene Reaktion“. Die KMK sei das Forum der Auseinandersetzung mit dem Bund. „Wenn Niedersachsen dieses Instrument zerschlägt, fördert es etwas, was es gar nicht will: den Zentralismus oder den Rückfall in die Kleinstaaterei“, sagte der PDS-Politiker. Die Debatte zur Rechtschreibreform sei sicher kein Glanzstück der KMK gewesen. „Aber deshalb dieses Instrument zu sprengen, ist falsch“, bekräftigte der Kultursenator.
Schließlich werden im ideologisierten Kampf gegen die "Sprache der Hochwohlgeborenen" (so der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering) Millionen für eine Rechtschreibreform – die eine klare Mehrheit der Bevölkerung ablehnt und die niemand ernsthaft braucht – ausgegeben, um Sprachwissenschaftler rot-grüner Couleur großzügig finanziell auszustatten und abzusichern.
Mit seiner Ankündigung, die Verwaltungsvereinbarung über das Sekretariat der Kultusministerkonferenz kündigen zu wollen, hat Ministerpräsident Wulff seinem Engagement gegen die Rechtschreibreform einen Bärendienst erwiesen. […] Das Rechtschreibchaos wird deshalb spätestens dann in vollem Ausmaß ausbrechen, wenn die Übergangsfrist am 1. August 2005 endet. Dann werden hilflose Deutschlehrer nach Regeln suchen, die es nicht gibt, und Eltern die Gerichte anrufen.
Wenn beispielsweise die renommierte Turiner Tageszeitung "La Stampa" den deutschen Irrwitz der Rechtschreibreform zu erklären versucht, ist eine Breitseite gegen diese "komplizierte und harte Sprache" obligatorisch. […] Die Mehrheit der Italiener zieht es weiterhin vor, über ein Volk den Kopf zu schütteln, das sich mit einer autoritären und für jeden Italiener unaussprechlichen Rechtschreibreform das Leben schwermacht. Eine Umfrage unter den italienischen Trendköchen Berlins stellte klar, daß niemand von ihnen so tief sinken wird, "Spagetti" auf die Speisekarte zu schreiben.
Das Argument, die Schüler brauchten eine vereinfachte Rechtschreibung – und nicht etwa mehr Übung –, weil sie in der alten zu viele Fehler machten, mußte der KMK einleuchten, weil es ihrer eigenen politischen Logik folgt.
Das argument kautet korrekt: Die schüler (und wir alle) brauchen eine gute rechtschreibung, unabhängig davon, ob man den schülern eine schlechte beibringen könnte.
Es war der FDP-Politiker Jürgen Möllemann, der ein Bild für die Kultusministerkonferenz prägte: Sie arbeite mit dem "Tempo einer Griechischen Landschildkröte", sagte der gelernte Lehrer einmal. "Schnarchnasig", ein "Bremser-Gremium": Immer wieder gibt es Kritik an dem Gremium, die vom Streit um die Rechtschreibreform noch forciert wurde.
[…] Christian Wulff ist ein großer Populist. Am vergangenen Samstag hat er erklärt, sein Land werde die Kultusministerkonferenz (KMK) verlassen – sie sei ihm zu bürokratisch, zu konservativ, zu theoretisch, zu rechthaberisch und zu teuer. Wer so spricht, der scheint sein Segel in den Wind der Reform gehängt zu haben […]. […] ebenso wenig, wie man dem Einwohnermeldeamt vorwerfen kann, bürokratisch zu sein, kann man die Konferenz der Kultusminister mit dieser Kritik treffen: Schließlich ist sie als bürokratische Institution geschaffen worden […]. Die Konferenz hat sicherzustellen, dass ein- und derselbe Bildungsabschluss in Hessen oder Berlin genauso anerkannt wird wie in Bayern oder in Baden-Württemberg. Und sie hat die gemeinsamen Belange des föderal organisierten deutschen Bildungswesens im Ausland zu vertreten […]. Im Lauf der Jahrzehnte […] lagerten sich weitere Kompetenzen an die beiden primären Aufgaben an. […] Es wird im Zuge dieser Ausweitung geschehen sein, dass die dümmste aller Bildungsreformen, die neue Rechtschreibung, in die Entscheidungsgewalt dieser Institution fiel.
2004-09-25
Entschiedene Kritik an der Rechtschreibreform hat die Bundesvereinigung der Oberstudiendirektoren geübt. Sie fordert die Kultusministerkonferenz auf, endlich zu akzeptieren, daß der Rechtschreibreform die nötige gesellschaftliche Zustimmung fehlt […]. Der größte Fehler sei es gewesen, Rechtschreibung von oben und „per Dekret“ ändern zu wollen.
Wenn nun Pisa dafür herhalten muß, die ideale Schulform zu "entdecken", so zeigt das, wie katastrophal es um Bildung und Intelligenz unserer Kultusminister bestellt ist (siehe auch Rechtschreibreform, Mengenlehre, Orientierungsstufe, Gesamtschulen).
2004-09-24
[…] hat sich am Donnerstag die Bundestagsvizepräsidentin Vollmer (Grüne) zur Rechtschreibreform geäußert. Frau Vollmer forderte, die Kultusminister sollten sich bei den Schulkindern für die Rechtschreibreform entschuldigen. "Was jetzt fällig ist, ist eine Entschuldigung bei den Kindern dafür, daß sie das Falsche lernen mußten"
Identischer brief: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2021-04-18. Unsere stellungnahme wurde natürlich nicht zur kenntnis genommen
2004-09-23
Zur Auseinandersetzung über die Rechtschreibreform äußerte Schröder, er könne die Bedenken gegen sie „gut nachvollziehen“. Doch sehe er keine Kompromißmöglichkeiten. Allenfalls könne der von den Kultusministern geschaffene Beirat zur Rechtschreibreform „das eine oder andere Detail“ korrigieren.
Der Kanzler zur Rechtschreibreform. „Mein Eindruck ist, daß die Kultusministerkonferenz Wert auf ihre alleinige Kompetenz legt. Der einzige Weg, den ich sehe, ist die Möglichkeit, daß der jüngst von den Kultusministern geschaffene Beirat bei der weiteren Umsetzung der Rechtschreibreform das eine oder andere Detail korrigiert. Weitere Möglichkeiten für die Bundesregierung sehe ich nicht.
Das Forschungsinstitut "Medien Tenor" hat seine Preise für Spitzenleistungen in Journalistik und Kommunikation verliehen. Den Preis für Agenda-Setting bekam diese Zeitung für ihre Rolle beim Thema "Rechtschreibreform".
2004-09-21
Es stehe der Politik gut an, einen schweren Fehler öffentlich einzugestehen, sagte Wulff.
Gewiß fällt es dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff (CDU) leichter als anderen, öffentlich zuzugeben, daß auch die Ministerpräsidentenkonferenz sich viel zuwenig um die Rechtschreibreform gekümmert hat, denn er war bei den damaligen Beschlüssen noch gar nicht dabei. Immerhin ist ihm aber nicht verborgen geblieben, daß die mangelnde Akzeptanz der Reform in der Bevölkerung zu gewichtig ist, um sie einfach zu übersehen.
„Ich bin fassungslos, in welcher Art und Weise die KMK jeden Versuch bekämpft, zu einer Korrektur der mißratenen Rechtschreibreform zu kommen“, sagte Wulff in einem Zeitungsgespräch.
2004-09-20
Müntefering sei Dank: Der Kampf um die Rechtschreibreform ist ein Stück Klassenkampf. […] Es ist ein sehr schlechtes Indiz für unsere Reformfähigkeit, daß es noch nicht einmal möglich ist, diese vermurkste Reform, dieses sinistre Stück Obrigkeitsstaatlichkeit zu reformieren.
19. 9. 2004
Ich hoffe sehr, dass es zu klaren Vorgaben an die Kultusministerkonferenz kommt, einen erheblichen Teil der Neuregelungen über Bord zu werfen. In der jetzigen Form darf die Rechtschreibung nicht verbindlich werden. Wir dürfen das Chaos nicht zementieren. […] Ich bin fassungslos, in welcher Art und Weise die KMK jeden Versuch bekämpft, zu einer Korrektur der missratenen Rechtschreibreform zu kommen. Das ist an Borniertheit und Abgehobenheit nicht mehr zu überbieten. […] Ganz unabhängig vom Ringen um die Rechtschreibreform überlegen wir, den Staatsvertrag über die Kultusministerkonferenz zu kündigen.
2004-09-18
Anders am Abgrund laboriert Jonathan Meese mit seiner unheiligen Walhalla aus Groteskköpfen auf Edelholzsockeln, in Reih und Glied gestellt vor einer Wand mit deliranten Sprüchen, jenseits von Sinn und Rechtschreibreform.
2004-09-17
Zukünftig werde ich den Kunden Übersetzungen in der neuen und in der alten Schreibweise anbieten und vermerken, daß ich für die Version in der neuen Schreibweise keine Garantie für Korrektheit mehr übernehmen werde. Ich sehne den Tag herbei, an dem wieder einigermaßen Klarheit herrschen wird. Diese kann, wie tausendfach belegt, mit der neuen Rechtschreibung nicht erreicht werden.
16. 9. 2004
Die Germanisten tagten und beschworen oder vertrieben die Geister. Kaum eine Wissenschaft dürfte derzeit einen schlechteren Leumund haben — Stichwort: PISA, Stichwort: Rechtschreibreform —, aber von der Jahrzehnte währenden Krise des Fachs kein Wort mehr.
Biografische Annäherungen an Rainer Maria Rilke. […] In dem Gedicht "Wendung" plädiert das Ich im Selbstgespräch für eine Wendung von der Anschauung zur Liebe: "Werk des Gesichts ist gethan, / Thue nun Herz-Werk / An den Bildern in dir". (Rilke boykottierte übrigens 25 Jahre lang die letzte Rechtschreibreform des Jahres 1901.)
2004-09-15
Über Andreas Schleicher, den stellvertretenden Leiter der Abteilung "Indikatoren und Analysen" bei der OECD, läßt sich eines gewiß nicht sagen, daß er politisch-strategisch klug vorgehe. Schon zwei Tage vor der Veröffentlichung des neuen Bildungsberichts 2004 "Bildung auf einen Blick" hat Schleicher erfolgreich die gesamte Bildungspolitik gegen sich aufgebracht und der Kultusministerkonferenz die Lähmung der bildungspolitischen Entwicklung in Deutschland vorgeworfen. Es ist immer leicht, auf ein Gremium einzuschlagen, das wegen der mißglückten Rechtschreibreform ohnehin nicht gerade angesehen ist, doch wer ernsthaft und konstruktiv Verbesserungsvorschläge für ein Bildungssystem unterbreiten will, sollte es sich mit den Hauptakteuren nicht von vornherein verderben.
13. 9. 2004
So betrachtet, bekommt Sinnloses plötzlich Sinn. War etwa die Rechtschreibreform nur ein Testballon? Zu testen, wie viel Schwachsinn diesem Volk pro Kopf und Duden zugemutet werden kann, ohne die Schwelle des Stillhaltens zu überschreiten?
11. 9. 2004
Das grimmsche Wörterbuch ist ein Heiligtum der deutschen Sprache, ein nationales Monument und, ähnlich wie der ungleich kompaktere Duden, ein «work in progress», das jedes menschliche Mass übersteigt. […] Sprachwissenschaftler und Schriftsteller schätzten das Buch der Bücher als unverzichtbare Rüst- und Wunderkammer der deutschen Sprache, auch wenn die eigenwillige Typo- und Orthografie (so verschmähten die Grimms den «albernen gebrauch groszer buchstaben und das ss») nicht jedem behagte. […] Sprachwandel und Bedeutungsverschiebungen, Gründung und Teilung Deutschlands, Kriege, Revolutionen, Rechtschreibreformen: Das Meisterstück deutschen Philologenfleisses hat alles überlebt, verdaut und in 331 000 Stichwörtern aufgehoben.
10. 9. 2004
Die 23. Auflage des Duden ist ein rechtes Chrüsimüsi und somit der Rechtschreibreform (äh, welche Auflage?) in puncto Ballawatsch durchaus gewachsen.
Nicht zum ersten Mal hat sich eine grosse Medienkoalition gebildet. Erinnert sei an den orchestrierten Aufschrei wegen der Rechtschreibreform und die Kampagne gegen Ansprüche auf Korrekturen bei Interviews […]. Wo so viel Einmütigkeit herrscht, muss man skeptisch sein.
9. 9. 2004
Es liegt für einmal nicht an der unsäglichen neuen Rechtschreibung, die der «Spiegel» inzwischen als «absurdes, höchst überflüssiges Reformwerk» bezeichnet. Denn auch im neusten Duden finden wir den guten alten «Geisterfahrer», der allda als «jmd. der auf der Autobahn auf der falschen Seite fährt» klar definiert ist. Im Schweizer Radio hingegen hat irgendeinmal irgendjemand aus unerfindlichen Gründen den klar definierten «Geisterfahrer» aus dem Wortschatz gekippt oder geklaut und durch den völlig unpräzisen «Falschfahrer» ersetzt […]. Ein «Falschfahrer»? Das ist doch auch einer, der abbiegt, wo er nicht dürfte […].
In den Jahren seither gibt es kein Thema, bei dem ich so wenig Kritik gehört habe wie bei der Rechtschreibreform. […] Von daher bleibe ich bei meiner Überzeugung: Die Reform ist akzeptiert worden. […] Ich sehe weder in der Kultusministerkonferenz noch in der Ministerpräsidentenkonferenz eine Mehrheit für eine Rückkehr.
7. 9. 2004
Die Bildungskommissionen der Räte sorgen sich um die Rechtschreibung. Sie fürchten, «dass Praxis und Schule total auseinander driften» […]. «Bei uns beginnt jetzt die Jagd», sagt der Urner CVP-Ständerat Hansruedi Stadler. «Aber die meisten Urner Jäger werden weiterhin Gemsen schiessen; dass einer eine Gämse erlegt, dürfte die Ausnahme sein.» Dem witzigen Urner macht die babylonische Verwirrung um die neue Rechtschreibung ernsthaft Sorgen: Am Donnerstag will er das Problem in der Wissenschafts- und Bildungskommission (WBK) seiner Kammer bei einer Aussprache mit den kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) thematisieren.
Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) des Nationalrates steht hinter der Rechtschreibreform. Eine Petition mit dem Titel «Rechtswissenschafter für die bewährte Rechtschreibung», welche die Rückkehr zur alten Rechtschreibnorm forderte, lehnte die Kommission mit 18 gegen 1 Stimme bei 2 Enthaltungen ab […].
6. 9. 2004
"Ich bin extrem realistisch", sagt Aust selbst. "Wenn ich zu irgend etwas aufgrund bestimmter Informationen eine bestimmte Position habe und feststelle, daß sich die Dinge geändert haben, bin ich jederzeit bereit, meine Position zu revidieren." So war es auch in der Frage der Rechtschreibung, bei welcher "Spiegel" und Springer zur alten Schriftlehre zurückgekehrt sind.
Und dann doch nicht, wegen des realismus.
2004-09-04
Mit Spannung erwartet wurde die 23. Auflage schon deswegen, weil seit der Einführung der neuen deutschen Rechtschreibregeln am 1. August 1998 bereits mehr als sechs Jahre vergangen sind, die siebenjährige Übergangsfrist also bald zu Ende ist […]. Die Ergänzungen der amtlichen Regelung, die wiederum am Schluss des Buches enthalten ist, betreffen in erster Linie die Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die Gross- und Kleinschreibung. […] Bei der Gross- und Kleinschreibung umstritten war und ist der Entscheid, was sogenannte […] feste Begriffe sind, die gross geschrieben werden sollten. […] Leider wird mit dieser Ergänzung die Möglichkeit der Gross- bzw. der Kleinschreibung bei den festen Begriffen wieder geöffnet. Die Diskussionen darüber, was feste Begriffe sind, werden wieder kein Ende nehmen, wie wenn nicht klar gewesen wäre, was mit erster Hilfe gemeint ist […].
Ach, Sie wollen bloss wissen, was ich zu den kilchspergerschen Auftritten in den vergangenen Tagen meine. Zu seiner neuen TV-Show und der von ihm initiierten «Bordell-Debatte» im «Blick». Immerhin: ein phänomenales Wort. Andere Zeitungen haben Holocaust-Debatten oder Rechtschreibreform-Debatten, der «Blick» hat eine Bordell-Debatte. Nein, ich finde nicht wie Kilchsperger, dass ein 34-Jähriger, der noch nie für Sex bezahlt hat, nicht richtig gelebt haben kann.
Kompromiss gefordert bei Rechtschreibung, TA vom 31. 8. […] Erst kürzlich habe ich mich beim Lesen eines Krimis, gedruckt in neuer Rechtschreibung, wieder geärgert. Da wurde auf jeder fünften Seite ein Verb mit der Endung auf -eln wie folgt konjugiert: «Ich schüttele den Kopf. […]» Dies ist eine Verballhornung der deutschen Sprache und sicher keine Verbesserung. Also Leute, macht euren Kompromiss, aber rassig!
Also leute, alles könnt ihr nicht der rechtschreibung anlasten, weder der neuen noch der alten. Im duden stand schon immer ...[e]le; ortografisch ist nur von belang, dass bei wegfall des e kein apostrof zu setzen war und ist.
3. 9. 2004
Die Reform hat - das wissen eigentlich alle - mehr Vorteile als Nachteile. […] Liebe Medien, liebe Politikerinnen und Politiker, liebe Leserbriefschreiberinnen und -schreiber, eure Lust am Diskutieren über Sinn und Unsinn der Rechtschreibreform geht vollständig an den tatsächlichen Herausforderungen, mit denen sich die Schule zurzeit konfrontiert sieht, vorbei.
2004-09-02
Redeten die fünf Gesprächsteilnehmer eine gute Stunde lang mit stupender Beharrlichkeit aneinander vorbei, so waren sie sich doch in einem Punkte einig: Die Reform, so wie wir sie heute kennen, hat niemand gewollt. […] Abgesehen von solcher Einmütigkeit ereiferte man sich auf beiden Seiten, ohne dass indessen immer klar geworden wäre, worin der Anlass solcher Aufwallungen bestand. […] Dass es ein «Reförmli» gewesen sei, darin war man sich einig. Und mehrheitlich auch darin, dass an diesem «Reförmli» noch lange und viel herumgebastelt werden muss.
Im Zuge der Rechtschreibreform wurden alle Großschreibungen bei Duz-Formen abgeschafft. […] Was den einen eine Erleichterung, ist anderen ein Ärgernis. Das großgeschriebene Du war doch schließlich eine Respektsbekundung, die nun mirnichts, Dirnichts entfällt, sagen die Gegner des kleingeschriebenen „du“. […] So einen Unfug könnten sie nicht verantworten, sagen sie, und glücklicherweise müssen sie das auch nicht, denn die Abschaffung des großgeschriebenen „Du“ mag zwar inzwischen an den Schulen gelehrt werden; wie aber jemand in seiner privaten Korrespondenz verfährt, ist Gott sei Dank immer noch ganz allein seine Sache, da kann ihm keine Kultusministerkonferenz dieser Welt hineinreden. Viel schwerer aber haben es die Journalisten, die sich immer wieder fragen müssen, wie sie die Duz-Anrede im Interview oder in Zitaten zu schreiben haben. Die Antwort lautet: klein! Und das war schon immer so, also auch vor Einführung der Rechtschreibreform.
Für die private korrespondenz, die ja eigentlich privat ist, musste man dann aber den obrigkeitshörigen deutschen das «Du» offiziell «erlauben».

Ein Rechtschreibetest wird zum Gesellschaftsspiel. Das Fernsehen überträgt live. Wer sich derart lustvoll der korrekten Orthografie verschrieben hat, dem kann es angesichts des Gezänks um die Rechtschreibung im Nachbarland nur die Sprache verschlagen. Une querelle d’Allemand bedeutet im Französischen nichts anderes als ein Streit ohne Grund. Selten hatte dieser alte Ausdruck mehr Berechtigung als in Bezug auf den deutschen Sprachstreit. Eine Politik, die die Orthografie zwecks Vereinfachung ändert, betreibt aus französischer Sicht eine Verarmung der Sprache. Zwar können zehn Prozent der französischen Schüler nach der Grundschule nicht richtig lesen, doch keinem Politiker fiele es deshalb ein, die Sprache Voltaires zu simplifizieren. […] Was wollte man auch an einer Sprache reformieren, die Rivarol auf den cartesianischen Punkt brachte, als er 1784 deklamierte: Alles, was nicht klar ist, ist nicht französisch.
1. 9. 2004
Japanisch ist offenbar gar nicht schwer: «Nach der Arbeit zur Verabredung im Grünen», lautet der Titel. Doch in Japan beklagt man den rapiden Verfall der Sprache. Verballhornte Lehnwörter aus europäischen Sprachen gelten als «cool», verderben aber die gesittete Hochsprache. Um die Orthografie machen sich Japaner recht wenig Sorgen - ihre Schriftsprache ist ohnehin zu kompliziert, um sie richtig zu beherrschen. Drei «Alphabete» sind zu erlernen, auseinander zu halten und stilgerecht zu kombinieren […]. Historisch betrachtet mangelt es nicht an Versuchen, dieses verwirrende Sprachsystem zu vereinfachen oder das Westliche wieder zurückzudrängen. Dafür hätte man aber in einer Reform wenigstens die Zahl der chinesischen Kanji-Zeichen auf ein leichter beherrschbares Mass reduzieren müssen - die Gelehrten fanden jedoch nie zu einer gemeinsamen Basis. […] Das Tokioter Bildungsministerium beklagt Vokabulararmut, unkorrekte Aussprache, grobe Wortwahl, Erstarrung in Formeln und verbale Hülsen. Angesichts dieser vernichtenden Bilanz wäre Japan wohl dringend reif für eine radikale Sprachreform.
9. 2004
Zur Kostenfrage haben sich die Reformer, die diesbezüglich keine Fachleute sind, beim ursprünglichen Projekt meines Wissens nicht ernsthaft geäussert.
Wir haben immer ernsthaft gesagt: Eine rechtschreibreform kostet nichts. Wir haben auch immer mit möglichen einsparungen durch eine bessere rechtschreibung sowohl in der schule als auch im büro- und druckbereich argumentiert, aber materielle argumente stiessen auf wenig gegenliebe.
Menasse: Ich glaube, wir kommen nicht darum herum, über die Aufreger-Themen der jüngsten Zeit zu reden, also über alles, was Recht ist: Die Rechtschreibreform und die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren. Javor: Was die Rechtschreibreform betrifft, bin ich für eine radikale Lösung. Nieder mit den Zauderern. Als Vorbild sollte man sich Sprachen suchen, die seit über 2.000 Jahren ohne Reform ausgekommen sind. Hebräisch und zum Teil auch Jiddisch werden bekanntlich ohne Vokale geschrieben und sind dennoch verständlich. Das sollten sich die Reformer hierzulande als Beispiel nehmen. Stell dir doch einmal vor, wie viel Platz und Kosten man sich ersparen könnte, wenn man ab sofort im Deutschen keine Selbstlaute mehr verwendete. Auch unsere „Gemeinde“ wäre schon auf Grund des eingesparten Papiers wesentlich kostengünstiger und vor allem dünner.