Wir, die wir im Schuldienst stehen, staunen immer wieder über das kreative Potenzial, das bei den Verantwortlichen der Erziehungsdirektion vorhanden ist. Das kreative Potenzial nämlich, stets neue Bereiche zu finden, wo eine fröhliche Wurstelei angestellt und Verwirrung gestiftet werden kann. […] Jüngstes Beispiel nun aber: die Einführung beziehungsweise Nichteinführung der neuen Rechtschreibung auf den 1. August.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
31. 8. 2005
Auf weniger Ablehnung als die Rechtschreibreform scheint eine andere, ebenfalls nur vermeintliche Vereinfachung unserer Sprache zu stoßen, die sich allerdings mit dem Anschein von Weltläufigkeit ummäntelt. Gemeint ist der zunehmend zu beobachtende Gebrauch des so genannten „Denglisch“ […]. Zu Recht hat eine Reihe von namhaften Wissenschaftlern […] dagegen protestiert und sich für den Erhalt der deutschen Sprache in Forschung und Lehre ausgesprochen. […] Andernfalls könnte es eines nicht allzu fernen Tages sein, dass ein, wie jüngst in Berlin gesehen, Autoaufkleber mit dem Hinweis „Forsicht, Schule fengt an“ gar nicht mehr als witzig empfunden wird.
Ich hoffe immer noch, daß es den gemeinsamen Bemühungen kompetenter Literaten, Wissenschaftler, Verlage und anderen gelingt, uns diese "Deform" zu ersparen. Sie war von Anfang an die Kopfgeburt einiger Sonderlinge, die offensichtlich nach Ruhm trachteten.
30. 8. 2005
Ähnlich wie bei der sogenannten "Rechtschreibreform" entwickelt sich eine arrogante, unbelehrbare, zur Korrektur unfähige Kultusministerkonferenz, die sich immer mehr den Interessen und Anliegen der Bürger entfremdet, zu einer Agentur der Beförderung von Demokratieverdrossenheit.
27. 8. 2005
Auch mit seinen Meinungen hält Blüchel nicht hinter dem Berg: die Rechtschreibreform mag er nicht, der ärztlichen Forschung grollt er, er schüttelt den Kopf über die deutsche Nervenkrise: Was soll aus Deutschland werden? Dereinst ein Hort der Dichter und Denker, der Erfinder und Entdecker, der Sozialarchitekten, der risikofreudigen Unternehmer und innovativen Wissenschaftler jetzt ein Land ohne Hirne, ohne Ideen und Kreativität, ohne Schwung und Eigeninitiative? Das mag so sein oder nicht aber was hat es mit Bionik zu tun?
24. 8. 2005
Die Film-Musik bestätigt mit den Bildern der erstorbenen Landschaft an der Zonengrenze zwischen Hof und Lübeck im Sommer 1975, dass auch das enge Deutschland so weit und unendlich sein kann wie ein aus Kino und der Jukebox zusammengeträumtes Amerika. Die Liebhabergruppe […] ist in den Sechzigern noch mit dem RocknRoll-Sänger Roy Black aufgetreten, hat sich über Feuerwehrbälle und Volksfeste nicht gerade hochgearbeitet, hat später Filme von Michael Verhoeven und Erwin Keusch begleitet und sogar Gymnastiklehrstunden im Bayerischen Fernsehen untermalt, um sich dann im Lauf der Welt aufzulösen. Alle fünf Bandmitglieder sind in so genannten bürgerlichen Berufen untergetaucht, Jurist geworden oder, wie Linstädt, Hauptabteilungsleiter Musik des Bayerischen Rundfunks. Einer, schlimmer geht es bald nimmer für einen Künstler, klagt gegen die Rechtschreibreform.
Bei der Rechtschreibreform taut Grass sichtlich auf, wirft verschmitzte Seitenblicke auf die Ministerin und verteidigt die Sprachvielfalt einer Kulturnation, die gleichermaßen ein besser als und ein besser wie Stoiber erlaubt.
23. 8. 2005
Es gilt, im Begriff der Rechtschreibung zwischen "amtlich" und "richtig" zu unterscheiden (zwischen Recht und recht). Die amtliche Schreibung ist […] beliebig und beliebig änderbar. Sie wird durch "Führerbefehl" oder Ministererlaß festgelegt. […] Über richtig und falsch entscheidet dagegen das Urteil des kompetenten Muttersprachlers. […] Während die richtige Schreibweise immer amtlich werden kann, gilt dies umgekehrt nicht.
Es ist schön, wenn man so genau weiss, was richtig und wer kompetent ist.
20. 8. 2005
Wie kommen die Kultusminister überhaupt dazu, unsere Rechtschreibung den Urteilen einer Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz zu überantworten, die mit weltfremden Argumenten eine ungeliebte Neuregelung durchsetzen will? Eine ebenso interessante Frage ist aber: Wie kommen Meier und andere Gegner der Reform dazu, uns weiter die alte Regelung verordnen zu wollen?
18. 8. 2005
Die jungen Moderatoren Jule, Anja, Kim und Andreas fläzen sich schon mal im Zebra-Sofa des Mainzer Studios. Sie touren mit dem logo!-Mobil durchs Land, werfen Kinderreportern lässig Mikrofone zu, pflegen Schulhof-Sprache: Musikpiraten sind uncool, bei der Rechtschreibreform gibt es Zoff, Firmen sind sauer.
16. 8. 2005
Der Deutsche Sprachpreis 2005 geht an die Journalistin Heike Schmoll. […] Schmoll, die seit 1989 dem Ressort Innenpolitik der FAZ angehört, setze sich zudem für «die bewährte Rechtschreibung des Deutschen» ein, heisst es in der Begründung für den Preis.
Die Hauptfrage, mit der sich weder die Reformer noch die Kultusminister auseinandergesetzt haben, lautet: Welches Prinzip soll für die Orthographie gelten? Präskription oder Deskription? Beides zugleich geht nicht. […] Seit 1996 gibt es in den Wörterbüchern einen Mischmasch der beiden einander widersprechenden Prinzipien […]. Der Deutsche Bundestag beschloß am 26. März 1998: "Die Sprache gehört dem Volk!" Das bedeutet Deskription.
So wäre die buchstabenschrift nicht erfunden worden, aber damals gab es weder die schulpflicht noch den deutschen bundestag, nur das volk und eventuell irgendwelche rechtschreibdiktatoren.
15. 8. 2005
Da halten Politiker vor großen Versammlungen von Leuten Reden, die sowieso gekommen sind, weil sie den Redner gut finden. […] Kandidatenwatch.de will da Abhilfe schaffen: Statt fünf oder noch mehr Wahlprogramme nach politischen Positionen zu durchforsten, die man teilt oder ablehnt, kann man auf der Webseite seinen persönlichen Bundestagskandidaten oder seine Kandidatin fragen, was die denn so vorhaben mit der eigenen Stimme. Was sie von der Rechtschreibreform halten, ob ihnen Kinderbetreuung oder Kündigungsschutz wichtiger ist, wie sie zur Stammzellforschung stehen. […] Für den Bürger ist das sehr angenehm, kann er doch endlich mal loswerden, was ihm schon immer auf den Nägeln brennt […]. Oder er kann ein bisschen sticheln, etwa indem er einen Abgeordneten, der vor allem für einen peinlichen Fehler auf seinem Plakat bekannt geworden ist, nach seiner Meinung zur Rechtschreibreform fragt.
13. 8. 2005
Bei der Einführung der Rechtschreibreform scheint mir ein wesentlicher Aspekt kaum erwähnt zu werden. Immer wird nur über die Kosten bei Schulbüchern debattiert, als ob Schulbücher der Inhalt unserer Literatur wären. […] Zusammengefaßt, entsteht hier ein großer Vermögensverlust […]. Wie soll die ganze vorhandene wissenschaftliche Literatur behandelt werden?
Die gute nachricht: Die wissenschaft publiziert englisch. Die schlechte nachricht: Die englische ortografie sollte auch reformiert werden.
Seit längerer Zeit verfolge ich in Ihrer hervorragenden Tageszeitung die Entwicklung bezüglich der sogenannten Rechtschreibreform. Was hier geschieht, zählt in meinem Leben zu den schäbigsten Dingen, welche ich bisher erleben mußte. […] Wenn Politiker bei der Sprachreform undemokratisch und unbelehrbar zu sein scheinen, dann werden sie das gleiche Fehlverhalten bei anderen wichtigen Dingen in unserem Leben an den Tag legen - das macht wirklich Angst.
Wirklich angst macht die tatsache, dass viele leute nur 1 zeitung lesen.
Bern ist wie Freiburg und Wallis einer der drei zweisprachigen Kantone […]. Das mag zur Zurückhaltung auch im sprachlichen Bereich beitragen. Als dramatisch wird das hier nicht empfunden. Eher als originell.
Hallervorden: Ich gebe auch Ansichten preis zur Politik, zur Rechtschreibreform, zur Art, wie Fernsehen gemacht wird.
12. 8. 2005
«Für die Schülerinnen und Schüler ist die neue Rechtschreibung nicht neu, sondern die einzige, die sie kennen.» […] Eicher unterstreicht, dass weder Lehrerschaft noch Schulkinder durch die endgültige Einführung der neuen Rechtschreibung ab Anfang dieses Monats verunsichert würden. […] Anita Zweifel Müller, Fachlehrerin für Deutsch am Berufs- und Weiterbildungszentrum (BWZ) in Rapperswil und Mitglied des BWZ-Fachvorstands Deutsch unterstreicht ebenfalls, dass die definitive Einführung der neuen Rechtschreibung und die Beibehaltung zweier Schreibvarianten in wenigen Ausnahmebereichen zu keiner Unsicherheit in der Schule führe. Ihre Schülerinnen und Schüler waren zwar in den ersten beiden Primarklassen noch nach der alten Form unterrichtet worden, «aber sieben von neun Jahren wurden sie konsequent nach der neuen Rechtschreibung unterrichtet.» Zweifel Müller macht auch noch auf etwas anderes aufmerksam: Nur fünf Prozent der Rechtschreibung seien nun verändert worden. Viel mehr Probleme hätten Schülerinnen und Schüler mit den restlichen 95 Prozent.
Irgendwann könnten sich aber sogar auch die Wogen rund um «Spadschetti» und Portmonees glätten. Spätestens dann, wenn die Französinnen und Welschen irgendwelchen aus dem Deutschen entlehnten Wörtern jedes «h» absprechen. Sie hätten dazu immerhin mehr Grund als wir. Und eine Rechtschreibereform im italienischen Sprachraum könnte zum Beispiel aus dem Wiener Schnitzel, das deutschsprachige Touristen bekannterweise auch im sonnigen Süden gerne verzehren, ein Schnizzel machen. Wer könnte es den Italienerinnen und Italienern, den Tessinerinnen und Tessinern verdenken? Es wäre schlicht gerecht.
Wenn schon, dann nicht Schnizzel, sondern schnizzel und noch besser schnizel wie im russischen: шницель (šnicel').
Jobst Plog: Schon die Bertelsmann AG besitzt mit ihrer Tochter RTL ja erheblichen medienpolitischen Einfluss doch der aktuelle Vorstoß Springers hat da eine andere Qualität. Der Anteil des Hauses Springer an der politischen Presse in Deutschland liegt bei mehr als 22 Prozent. Es gibt viele Beispiele, wie sich die Springer-Zeitungen zu Kampagnen formiert haben so wie beim Kampf gegen die Rechtschreibreform.
8. 8. 2005
Hier geht es nicht nur um den eventuellen Verlust von wirtschaftlichem (Produkt- und Preis-)Wettbewerb, hier geht es um Pressevielfalt und Meinungsfreiheit. Medien haben einen doppelten Charakter: Sie sind zum einen Wirtschaftsunternehmen und zum anderen Unternehmen der Aufklärung. Sie sind die Instrumente, die eine Demokratie lebendig machen und am Leben halten […]. Der Konzentrationsprozess, der im Medienbereich sehr weit fortgeschritten ist, berührt deshalb stets unmittelbar die Demokratie. […] Und wenn sich nun der Axel Springer-Verlag als größtes deutsches Zeitungshaus einen mächtigen Fernsehkonzern einverleibt, dann gibt es noch einen Grund mehr zur Sorge. Springer ist ein politischer Konzern. In Erinnerung ist die Kampagne gegen die Rechtschreibreform. […] Die eigenen Interessen haben notfalls Vorrang, auch in der Berichterstattung. Und die traditionelle Nähe des Konzerns zu den deutschen Konservativen tut ein Übriges. Das heißt, wir haben es hier mit einem Konzern zu tun, der sich nicht nur als Profit-, sondern auch als Propagandamaschine versteht.
7. 8. 2005
Nehmen wir etwa den VfB Stuttgart, wo mit Jesper Grönkjaer und Jon Dahl Tomasson zwei internationale Stars anheuerten. Vielleicht erweist sich deren Verpflichtung schon in ein paar Monaten als teurer Schwabenstreich, aber noch obsiegt allerorten die Neugier auf Unerhörtes, nie Gesehenes. Dazu gehört sogar das elegante Wiedererscheinen des Giovanni Trapattoni - die passende Antwort der Bundesliga auf die Rechtschreibreform.
Nein, ich glaube nicht, daß die Rechtschreibreform, wie immer sie ausfällt, in irgendeinem Sinne Einfluß auf die Schriftsteller haben wird. Es sollte ja gerade umgekehrt sein, daß also Schriftsteller Einfluß auf die Reform ausüben. Aber wahrscheinlich ist es schon zu spät.
Wann immer ich Bettina Schausten sehe, werde ich von Wut, Trauer und Betroffenheit geradezu geschüttelt. Warum, Frau Schausten, möchte ich dann brüllen, warum hat das Politbarometer noch nie bei mir angerufen? […] Fragen Sie mich doch mal, was ich von Edmund Stoiber halte, der sogenannten Rechtschreibreform, von den Radfahrern in Berlin oder von Christian Wulff aus Niedersachsen, dem Umfaller bei der Reform der Reform, weshalb der, wenn Sie mich fragen, nie auf Platz eins der Politikerliste kommen dürfte.
6. 8. 2005
Beim Lesen der Berichte Ihrer Zeitung und der meisten Leserbriefe könnte man seit Jahren den Eindruck bekommen, daß es für große Teile der deutschen Bevölkerung kein bedeutenderes Thema als die Rücknahme der Rechtschreibreform gibt. Tatsächlich gibt es aber außer in der Schriftstellerszene und in der F.A.Z. kaum jemand, der sich hier sorgt.
Ähnlich in der «Hamburger Morgenpost»: […] Was Medienmacht bedeutet, haben die Deutschen erlebt, als Springer-Chef Mathias Döpfner im Alleingang versuchte, über alle Instanzen hinweg die Rechtschreibreform zu kippen.
Der bedenkliche Zugriff des Springer-Verlags auf das private Fernsehen: Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört, wenn die Meinungsvielfalt erhalten bleiben soll. […] So verkündete der Verlag mehrfach plakativ die generelle Ablehnung der Rechtschreibreform oder polemisierte gegen das „Caroline-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das einen größeren Schutz der Privatsphäre vor Reportern in Deutschland forderte. Solcher Druck soll erkennbar Eindruck bei Regierenden machen – auf dass sie also zum Beispiel komplett zur alten Rechtschreibung zurückkehren oder aber gegen ein Straßburger Urteil zu Felde ziehen.
Es war der Moment, als Westerwelle ein dickes Buch namens Wechsel-Lexikon Deutschland erneuern von A-Z in die Kameras hielt […]. Das verbindet man sofort mit Duden oder Langenscheidt, zwei tief im Unterbewusstsein verwurzelten Traditionsmarken und ganz allgemein mit der Pflege der Worte […]. Auf den zweiten Blick drängen sich schon unangenehmere Assoziationen auf: Entspricht das derzeitige Chaos der Deutschland-Reform nicht exakt dem Chaos der Rechtschreibreform? Bei Gott, natürlich! […] Selten hat die aktuelle Politik ihren Charakter als Mogelpackung so offen zur Schau gestellt wie hier.
Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Ismaninger Hauptschule hat ihren Weg der Selbstdarstellung in der Musik gefunden. […] In Zusammenarbeit mit der Volkshochschule und Musikschule entstand schließlich ein eigenes Lied im Hip-Hop-Stil, dass die Neuntklässler kürzlich öffentlich präsentierten. […] Bürgermeister Michael Sedlmair meinte angesichts der äußerst deutlichen Wortwahl im Lied, da hat man keine Probleme mit der Rechtschreibreform. Da singt man, da rappt man, wenn man etwas sagen will.
4. 8. 2005
Bayern und Nordrhein-Westfalen leisten Widerstand. […] Zum anderen stellen die abweichenden Bundesländer die Frage nach dem Sinn der Kultusministerkonferenz. […] Vielleicht beschert uns ja der September ein wirkliches Bundeskulturministerium. Dessen erste Handlung sollte es sein, in der Frage der Rechtschreibung das Vernünftige zur Norm zu machen
Die neue Rechtschreibung wurde schon am 1. Juli 1996 von den Kultusministern angenommen und zum Beispiel in Bayern spätestens am 1. August 1998 eingeführt, an den meisten Schulen schon früher, und zwar unter dem damaligen Kultusminister Hans Zehetmair, dem jetzigen Vorsitzenden des Rats für deutsche Rechtschreibung. Daran erinnert sich Zehetmair nicht mehr (so alt ist er doch eigentlich noch gar nicht). Er möchte noch einiges geändert haben und befindet, krankschreiben solle wieder zusammengeschrieben werden. Aber krankschreiben wird seit 1996 zusammengeschrieben und wurde nur in der so genannten alten Rechtschreibung getrennt geschrieben.
Eisenberg kann nur einen Vorschlag von Eisenberg als angemessen akzeptieren.
Widerwärtig war mir damals schon […] die an faschistische Ausgrenzung gemahnende Teilung der Gesellschaft in Studierte und Nichtstudierte: die plebs misera hat Fotografie zu schreiben, für die Elite bleibt es bei Photogrammetrie, Photosynthese, oder wollen wir Philosophen uns mit euch Analfabeten gemein machen? Und gleich widerwärtig die brutale Germanisierung von französischen Wörtern […].
3. 8. 2005
Der Kanton Bern hatte Mitte Juli der EDK vorgeschlagen, die bisherige Übergangsfrist für das Regelwerk zu verlängern. Alles andere sei nicht praxistauglich und schaffe Verunsicherung bei Lehrerschaft und Schülern, lautete die Begründung.
Die Entscheidung der Herren Stoiber (CSU) und Rüttgers (CDU), die Rechtschreibreform in ihren Ländern nicht am 1. August in Kraft zu setzen, stellt eine populistische Maßnahme mit Bezug auf die für September 2005 erwarteten Bundestagswahlen dar. Die Erläuterungen der beiden Ministerpräsidenten zu ihrer Entscheidung sind äußerst dürftig und leicht zu durchschauen.
Frevel betreibt die geschätzte Zeitung in den Titelzeilen ihrer Kommentare allerdings an der guten alten Frakturschrift, indem sie sich seit einiger Zeit dem langen "s" verweigert. […] Durch die Unterscheidung zwischen rundem und langem "s" sind "Wachstube" und "Wachstube" auch optisch zwei verschiedene Vokabeln. Die F.A.Z. sollte zur regelkonformen S-Schreibung zurückkehren — nicht zuletzt, um in ihrem Widerstand gegen die Rechtschreibreform glaubwürdig zu bleiben.
2. 8. 2005
Die Reform fällt daher allein in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kunst. An dessen Spitze steht Liesel Gehrer von der ÖVP. Sie kann auf eine Umfrage des Fessel-Instituts verweisen, wonach 78 Prozent der Lehrer der Ansicht sind, daß "die neue Rechtschreibung den Unterricht einfacher gemacht" habe. […] Gleichermaßen sieht sich die Ministerin von Ergebnissen aus der Bevölkerung bestätigt. Demnach gaben 64 Prozent der Befragten an, sie wendeten die neue Rechtschreibung schon an; in der Altersgruppe bis 29 Jahre sagten dies sogar 73 und von den Sechzigjährigen und Älteren immerhin 43 Prozent. […] Wie in Deutschland sind Schriftsteller und Publizisten die vehementesten Widersacher der Reform.
Gegner der Rechtschreibreform kritisieren, daß von einem Tag zum anderen zahlreiche Literatur-Klassiker als weitgehend falsch geschrieben eingestuft werden. „Mit dem 1. August erhöht sich die Zahl der Rechtschreibfehler in Thomas Manns „Zauberberg“ von annähernd null auf etwa 8000“, kritisierte die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS).
Vermutlich hat die «Forschungsgruppe» eine verfügung von Thomas Mann gefunden, dass nach ihm die welt anzuhalten ist. — Etwas haben die «forscher» allerdings vergessen: Der «Zauberberg» wurde sicher auch mal in fraktur gedruckt. Damit könnte man auf eine viel grössere zahl von «fehlern» kommen.
1. 8. 2005
[…] auch mein Vertrauen in die Demokratie in Deutschland ist beschädigt. So viel Diktatur in der Demokratie, wie sie seit Einführung der Rechtschreibreform im Jahre 1996 auf dem Gebiet der Sprache ausgeübt worden ist, habe ich nicht für möglich gehalten.
«Was mich erstaunt – und ich habe das seit neun Jahren beobachtet –, ist, dass dies immer im Sommer passiert», vertraut Gerhard Stickel dem 'Tagesspiegel' an. «Dies» meint den Streit um die Rechtschreibreform, deren neuen Regeln heute in Kraft treten.
Die Psychologen Verena Engl, Florian Hutzler und Arthur Jacobs von der Freien Universität Berlin haben getestet, wie lesefreundlich Texte in der reformierten Schreibweise sind. […] Jacobs: Die Befunde sind gemischt. […] Die Kinder haben Wörter, die nach den neuen Regeln verfasst wurden, in einigen Fällen besser gelesen, etwa bei der Getrenntschreibung und der S-Lautschreibung […]. Anders war es beim Erhalt der Stammschreibung in Zusammensetzungen wie Balletttänzerin. In solchen Fällen hatten die Kinder genauso wie die Erwachsenen mehr Probleme, diese Wörter flüssig zu lesen. […] Im erbitterten Streit über die Rechtschreibung wäre es jedenfalls generell gut, mehr empirische Studien zu den Vor- und Nachteilen der neuen Schreibweisen zu haben. Bisher wird die Diskussion ja überwiegend theoretisch geführt.
Montag: Schweini, richtig schreiben! Heude dritt die Rächtsschreibrefoam in Graft. Deshalb Diese Woche jetzt.de ab jetzt in korrekter, neuer Schreibe.
Egal, wie viele Gremien noch tagen, egal welche Bundesländer ausscheren und egal, wie sich die Kultusminister letztlich entscheiden: Die wahre Rechtschreibreform findet schon längst statt im Internet und auf den Handydisplays. […] Die T9-Worterkennung im Handy kann leider Hauptwörter nicht von Verben unterscheiden deshalb wird in SMS bis auf den Satzanfang alles klein geschrieben. Die Großschreibung von Hauptwörtern kennen nur wenige Sprachen außer dem Deutschen. Aber wir arbeiten gerade an einer Lösung für dieses Problem, verspricht Lisa Nathan, Produktmanagerin der T9-Software.
Bloss nicht! Übrigens sind es nicht wenige sprachen, sondern, genau genommen, keine.
In Bayern und Nordrhein-Westfalen, den beiden bevölkerungsreichsten Bundesländern, wird die Rechtschreibreform am 1. August noch nicht verbindlich. Die Schulleiter im Landkreis sehen zwar keine Nachteile für die Schüler, doch das ewige Hin und Her ist einfach schädlich, sagt Hans-Georg Mühlbauer, Direktor des Gymnasiums Geretsried. Wenn Peter Altstidl, Leiter der Hammerschmiedschule in Wolfratshausen, einen Wunsch in Sachen Rechtschreibreform frei hätte, dann sollten die Regeln noch sehr viel mehr vereinfacht werden. Generell machten die Schüler aber durch die Reform weniger Fehler.
Dabei war die Reform doch gut gedacht. […] Das Ergebnis aber ist ernüchternd. Die Rechtschreibung wirkt nun vollends undurchschaubar und chaotisch. […] Die Mehrheit der Bevölkerung findet es deshalb gut, dass Bayern und Nordrhein-Westfalen die Übergangszeit […] einfach um ein Jahr verlängern. Nur, was dann? Soll die Reform danach zurückgenommen werden? Die Rückkehr zu den alten Regeln würde die Deutschen ja nicht ins Rechtschreib-Paradies zurückversetzen. Sie würde ihnen nur ein anderes Fegefeuer bescheren. […] Manche Regeln sind jetzt tatsächlich einfacher. […] Anders als die Kritiker behaupten, hat man bei der Reform auf Radikalkuren verzichtet, wie sie immer wieder diskutiert wurden. […] Auch die bei manchen Reformkritikern kursierende Idee, bislang habe sich die Rechtschreibung gleichsam im Sprachgebrauch von allein gemacht, muss relativiert werden. […] Regeln, die zu viele nicht verstehen, sind sinnlos. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich schon heute mehr als zwei Drittel der unter 30-Jährigen nach den neuen Schreibweisen richten, wie eine Umfrage ergab.
In Deutschland wird die Rechtschreibung in der Öffentlichkeit auf erstaunliche Art und Weise überbewertet. […] Bei der derzeitigen Reform empört von staatlichem Zwang zu reden, ist ein historischer Irrtum. Auch die alte Rechtschreibung ließ doch dem einzelnen Schreiber keine Wahlfreiheit. Rechtschreibung ist immer schon normativ vorgegeben worden. Im Spätmittelalter waren es Druckereien und Verlage, die den Ton angaben, später, als die allgemeine Schulpflicht im Lauf des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, die Schulbehörden, also staatliche Organe. […] Vermeintlich neue Kommaregelen, die es in Wahrheit schon lange vor der Reform gab, werden kritisiert. Tatsächlich merken Leser, die am Nachrichteninhalt interessiert sind, gar nicht oder nur selten, ob sie einen Artikel in der alten oder der neuen Schreibweise lesen. […] Auch nach dem Jahr 1902 […] stritt man jahrelang. Damals wurde das h in Worten wie thun oder Thür abgeschafft. Wilhelm II. weigerte sich elf Jahre lang, Briefe in der neuen Schreibweise anzunehmen, und behinderte die Reform, so gut er konnte. Dann kam der Erste Weltkrieg, da hatte er andere Sorgen.
Grundschullehrer berichten, dass für Kinder das Schreiben mit den neuen Regeln einfacher gworden ist, sagt Marianne Demmer von der reformfreundlichen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die Illusion, dass mit der Reform die Fehlerzahlen dramatisch absinken, ist Illusion geblieben, sagt dagegen Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des reformkritischen Philologenverbandes. […] Tatsächlich gibt es nur eine Studie, die Schreibleistungen von Kindern vor und nach der Reform vergleicht. […] Demnach machen die Schüler jetzt zwar mehr Fehler aber nur, weil sie die alten Schreibweisen noch in Büchern oder Zeitungen finden und nicht wissen, bei welchen Wörtern die neuen Regeln gelten. Deswegen neigen Schüler zum Übergeneralisieren, sagt der Erziehungswissenschaftler Harald Marx […]. Die Studie testete jedoch nur die s-Schreibung. Wie Schüler mit anderen neuen Regeln zurechtkommen, bleibt eine offene Frage.