Der Rechtschreibzug in Chats ist abgefahren, und er wird nie wieder zurückkommen. Mit den Gründen kann man Germanistikseminare füllen, es sind so viele, dass ein Auflehnen sinnlos ist.
Zurück wohin? Stichwort schreiben.
Der Rechtschreibzug in Chats ist abgefahren, und er wird nie wieder zurückkommen. Mit den Gründen kann man Germanistikseminare füllen, es sind so viele, dass ein Auflehnen sinnlos ist.
Zurück wohin? Stichwort schreiben.
Herr Meidinger, wie kann es sein, dass Menschen einen Schulabschluss machen, aber trotzdem nicht richtig schreiben und lesen können? [Meidinger:] Das ist ein Zeichen für ein Teilversagen in unserem Schulwesen. Die Erkenntnis haben wir schon länger, dass ein Teil der Schülerinnen und Schüler nach Abschluss der Grundschule, aber auch ein Teil der 15-Jährigen, dermaßen schlechte Lesefähigkeiten hat, dass sie grundsätzlich in ihrem späteren Leben keine Chance haben, einen passenden Beruf zu finden oder am politischen oder kulturellen Leben teilzunehmen. Das sind rund 20 Prozent.
Dieser Buchstabe existiert nur in der deutschen Sprache. Er sieht lustig aus und bereichert das Schriftbild.
[…] SPD. Sie sollen selbst bis in die 1990er-Jahre Mitglied der Partei gewesen sein. Wie kam es, dass Sie eingetreten, und vor allem: Wie kam es, dass Sie wieder ausgetreten sind? [Kunze:] Wie es kam, dass ich eingetreten bin, weiß ich gar nicht mehr. Das war in der Studentenzeit. Das machte man halt damals so. Ausgetreten bin ich wegen der Rechtschreibreform.
Wer wie ich seit mehr als 60 Jahren im täglichen Streit und Streben des Journalismus steht, darunter vor der Pensionierung im Auftrag des damals größten Zeitungshauses im Kampf für und gegen die neue Rechtschreibung, der härtet ab, den kann so leicht nichts mehr erschüttern.
Luthers Deutsch hatte nicht nur Auswirkungen auf den Wortschatz, den er mit Begriffen wie Feuereifer, Herzenslust, Machtwort, Schauplatz, geistreich, Sündenbock bereicherte, sondern auch auf Grammatik und Orthografie. Seine Rechtschreibung vereinheitlichte er mit jeder neuen Bibelausgabe im Zusammenspiel mit Wittenberger Druckern. Während er im „Septembertestament“ noch zwischen zeytt und zeyt oder vnnd und vnd geschwankt hatte, entschied er sich zunehmend für die jeweils kürzere Variante.
Gottsched setzte die Regeln für die Großschreibung der Hauptwörter (den Ausdruck erfand er) durch. Auch das Stammwortprinzip machte er endgültig zur Norm. […] Wie Duden oder Luther hat Gottsched nichts radikal Neues erfunden. Er orientierte sich an Vordenkern, etwa dem Rechtschreibtheoretiker Hieronymus Freyer und dem Grammatiker Justus Georg Schottelius. Und an teilweise schon etabliertem Sprachgebrauch.
Doch das, was ihm zu Beginn seiner Laufbahn als Rechtschreibreformer vorschwebte, hatte vorerst wenig mit dem zu tun, was er später in seinem Wörterbuch propagierte. Duden war zunächst ein Radikaler. Auf der Berliner Konferenz zur „Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" im Jahr 1876 kämpfte er für ganz neuartige Regeln. Bei seinen orthografischen Ideen sträuben sich Sprachästheten heute die Haare.
Die jetzige Neuregelung von 1996 bis 2006 trägt ähnlich kompromisshafte Züge wie die alte Regelung. […] Anfang der 90er Jahre begann dann der politische Entscheidungsprozess […]. Das mündete dann in die Wiener Orthografiekonferenz vom Juli 1996, auf der […] eine Orthografiereform auf der Grundlage einer überarbeiteten Fassung der Regelungsvorlage des Arbeitskreises beschlossen wurde. Die überarbeitete Fassung wich vor allem aufgrund einer Stellungnahme der Kultusministerkonferenz und einer öffentlichen Anhörung in Bonn im Mai 1993 darin von der ursprünglichen Fassung des Neuregelungsvorschlages ab, dass die vom Arbeitskreis empfohlene Einführung der „gemäßigten Kleinschreibung“ […] durch eine modifizierte Großschreibung […] ersetzt wurde. Die Einführung dieser Neuregelung in den Schulen und in den Schreibgebrauch der Behörden und damit auch den öffentlichen Schreibgebrauch führte dann neuerlich zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit […]. Daran beteiligt waren natürlich Sprachwissenschaftler, aber auch Journalisten, Schriftsteller, Lehrer, Politiker und viele andere Angehörige der deutschen Sprachgemeinschaft. In den Wortmeldungen wurden mit unterschiedlicher Gewichtung und Heftigkeit die erwähnten Aspekte und Bestimmungsfaktoren einer Orthografiereform thematisiert und die jeweils für ausschlaggebend gehaltenen Gesichtspunkte mit mehr oder weniger großer Intensität vertreten. Die Spannbreite der Äußerungen reichte vom rationalen und abwägenden Diskurs bis zur Verabsolutierung der eigenen Position und zu emotionalen Bekundungen, die jeder Sachkunde und rationalen Grundlage entbehrten. In Anbetracht der Heftigkeit des Widerstands gegen die Neuregelung in den Medien und speziell von Seiten mancher Schriftsteller wurde von den zuständigen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland mit Zustimmung Österreichs und der Schweiz, um den „Rechtschreibfrieden“ wieder herzustellen, 2004 anstelle der bisher für die Neuregelungsfassung zuständigen, relativ kleinen und nur aus Sprachwissenschaftlern und Didaktikern bestehenden Zwischenstaatlichen Kommission […] ein wesentlich größerer Rat für deutsche Rechtschreibung geschaffen […]. Danach ebbte die öffentliche Auseinandersetzung deutlich ab […] und die Neuregelung setzte sich relativ rasch und geräuschlos im öffentlichen Sprachgebrauch durch. Schon deshalb kann man nicht, wie es in konservativen Presseorganen immer mal wieder geschieht, von einem allgemeinen Katzenjammer über die Reform oder gar von ihrem völligen Misslingen sprechen. Diese Ansicht gibt es offensichtlich vor allem bei den entschiedenen Gegnern einer Orthografiereform. Ungeachtet solcher Behauptungen festigt sich die Neuregelung mit jedem Jahrgang, der die Schule verlässt, im öffentlichen Sprachgebrauch weiter und wird dann allmählich ebenso selbstverständlich, wie das seinerzeit mit der Neuregelung von 1901 der Fall war.
Der öffentliche Streit tobte, vor allem in Deutschland, viel weniger in Österreich oder in der Schweiz. Die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, die intern diskutierte, was zu dieser Zeit noch ‚konservativ sein‘ bedeute, beschloss und verkündete, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren […]. Die Kultusministerkonferenz wollte am Beschlossenen festhalten, doch auch sie geriet immer mehr in die Defensive. In dieser Situation wurde im Jahre 2004 der ‚Rat für deutsche Rechtschreibung‘ eingerichtet, der die Zwischenstaatliche Kommission ablöste und nicht mehr nur aus Sprachwissenschaftlern bestand. […] Man kann heute rückblickend sagen, dass zahlreiche Mitglieder des Rats sich über ihre Rolle nicht im Klaren waren.
Die Einrichtung des Rats für deutsche Rechtschreibung im Dezember 2004 bezeichnet einen Aufbruch und Neubeginn in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur erfolgte ein Paradigmenwechsel in der Perspektive auf die deutsche Rechtschreibung und ihre Normierung, auch die institutionelle Verantwortung für die amtlichen Regeln und die entsprechend zu kodifizierenden Schreibungen wurde einem 40-köpfigen Gremium von Vertreterinnen und Vertretern aus den Ländern und Regionen des gesamten deutschen Sprachraums übertragen, welche „die wichtigsten wissenschaftlich und praktisch an der Sprachentwicklung beteiligten Gruppen repräsentieren“ (Rat für deutsche Rechtschreibung 2015) sollten.
Nach den traumatischen Erfahrungen mit der Rechtschreibreform hat die Kultusministerkonferenz (KMK) den Rat für deutsche Rechtschreibung etabliert, um die Einheitlichkeit der Orthographie für Verwaltung und Schule im deutschsprachigen Raum zu sichern. Doch die Autorität des Rates, der sich im vergangenen Frühjahr ausdrücklich gegen gegenderte Schreibweisen mit Doppelpunkten, Sternchen (Asterisk) et cetera entschieden hatte, scheint zu schwinden.
Die Kommasetzung im Deutschen hat den Ruf, kompliziert und voller Ausnahmen zu sein. Viele sagen deshalb von sich, dass sie Kommas „nach Gefühl“ setzen. Wir schauen uns heute an, was passiert, wenn viele Menschen das gleiche Gefühl bei der Kommasetzung haben und dadurch ein neuer Typ der Kommasetzung entsteht: das Vorfeldkomma.
Bei aller Idealisierung, welche dieses Zeichensystem erfahren hat, von Gottfried Wilhelm Leibniz bis Ezra Pound, haben Linguisten gezeigt, dass diese logografische Schrift in mehrfacher Hinsicht für die Verschriftung einer Sprache unzureichend und einer Alphabetschrift unterlegen ist. Daher auch haben Chinas Reformer in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Einführung einer Lateinschrift gefordert. […] Noch 1936 betonte Mao Zedong gegenüber seinem Biografen Edgar Snow: «Wir glauben, dass wir früher oder später ohnehin das chinesische Schriftzeichensystem aufgeben müssen, wenn wir eine neue Kultur schaffen wollen, an der die Massen voll und ganz teilhaben.» Warum hatte dann trotz so vielen Befürwortern das Vorhaben doch keinen Erfolg?
Ich kann in einer Folge der „Deutschstunde“ unmöglich alle Beispiele zur Zeichensetzung aufführen. Deshalb beginnen wir mit einer guten Nachricht für die Älteren: Auch nach der Rechtschreibreform können Sie 99 Prozent der früheren Interpunktionsregeln weiterhin anwenden.
Die erste Pisa-Studie von 2000 war für die deutschsprachigen Länder ein Weckruf – doch das Sprachdefizit ist seither noch grösser geworden. […] Wenn in Deutschland von der deutschen Sprache die Rede ist, wittern Untergangspropheten regelmässig den allgemeinen Kulturverfall. Die schriftlichen Fertigkeiten der Jugend sind seit je Gegenstand grösster Sorgen um die Bildung des Landes, und seit es Social Media gibt, gesellt sich zur Diagnose einer drastisch gesunkenen Allgemeinbildung sowie nachlassender Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen das Phänomen von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen.
Im Besitz des Lohrer Schulmuseums sind drei Rechtschreibtafeln aus den 1970er-Jahren. Seit der Rechtschreibreform haben sich die Regeln grundlegend geändert.
«Grundlegend» ist stark übertrieben.
Die neue Bundesregierung hat sich die „Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte“ als Ziel in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. […] Als Dekolonisierungs-Institut läuft sich aber auch das staatlich finanzierte Institut für Deutsche Sprache (IDS) warm. Es empfiehlt sich der Regierung bereits dadurch, dass es seinerzeit den Kultusministern dabei half, die Rechtschreibreform gegen den Willen der meisten Bürger durchzusetzen.
Nur eines wird hoffentlich unterbleiben: ein Sprachdiktat durch Behörden oder Gesetze. Das benötigt und das wünscht unsere Sprachgemeinschaft nicht. Die Politiker seien hier an die missratene Rechtschreibreform erinnert.
Diese «erinnerung» fehlt in der gedruckten ausgabe.