Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

Rekordgeschäfte und drohende Pleiten: die Ökonomie der Rechtschreibreform
Umsetzung der neuen Regeln kann richtig ins Geld gehen, aber das Scheitern des Sprachwerks wäre wohl noch teurer / Verlage denken an Schadenersatzansprüche
Seit gut einem Jahr ist sie eigentlich beschlossene Sache: Die Rechtschreibreform soll am 1. August 1998 in Kraft treten und bis 2005 komplett umgesetzt sein. Doch seit der jüngsten Frankfurter Buchmesse, bei der Schriftsteller wie Günter Grass oder Martin Walser auf Initiative des Weilheimer Deutschlehrers Friedrich Denk die Reform angriffen, geriet die Planung ins Wanken. Nun fordern Zehntausende in Unterschriftenaktionen den Stopp für das Werk der Kultusminister. Der Bundestag wird sich demnächst mit einem gegen die neuen Regeln gerichteten Antrag von 70 Abgeordneten befassen. Und jetzt werden die Spracherneuerer auch noch von Richtern gebremst. Für die Wirtschaft geht es in dem ganzen Tohuwabohu vor allem um eins: Was kostet a) die Reform und b) deren Scheitern.
Von Sonja Contzen
„An Wainachten komt das Kristkint in die Hoiser.“ Unter dem Betreff „Rechtschraibreform“ faxte der über dieses Projekt inzwischen wohl mehr amüsierte als frustrierte Offenbacher Musikverleger Manfred Fensterer am Mittwoch seine Einschätzung des Wunschtraums der Reformer an die ser geerten Damen und Heren der Frankfurter Rundschau: alles so schraiben, wi mans schpricht.
Fensterer, der musikwissenschaftliche Arbeiten verfaßt und redigiert, müßte für die Anpassung seiner Werke an die neue Schreibweise zwar nur bescheidene 3000 bis 5000 Mark aufwenden – aber „rausgeschmissenes Geld“ wäre das nach Überzeugung des Inhabers von „edition mf“ allemal. „Was ich verkaufe, ist nicht Text, sondern Inhalt“, schildert Fensterer seine Prioritäten. Er will die Reform(er) mit Mißachtung strafen und die Umstellung verweigern: Die neue Orthographie interessiere ihn nicht.
Ganz anders die Metallgesellschaft (MG). Stets auf Innovation bedacht, bescheinigte sich der Frankfurter Mischkonzern schon in seinem im Februar veröffentlichten Geschäftsbericht 1995/96, dass er einen guten Abschluss vorlegen könne und überhaupt Potenzial habe. Die von Vorstandschef Kajo Neukirchen im Grußwort – Grußwort bleibt auch nach neuem „Recht“ Grußwort und wird nicht Grusswort – erklärte Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen könnte in diesem Fall etwas voreilig gewesen sein: Wenn die Reform doch noch gekippt werden sollte, was nach der Entscheidung des Wiesbadener Verwaltungsgerichts nicht ausgeschlossen ist. Dann hätte die innovative MG ein geschichtsträchtiges Unikat geschaffen, dessen Wert für Sammler bald ins Unermeßliche steigen dürfte. Und den damit verbundenen Ruhm gäbe es für den Urheber zum Schnäppchenpreis: Zwar hat sich das Unternehmen auch auf externen Sachverstand gestützt, aber im wesentlichen, so MG-Sprecher Andreas Martin, beläuft sich der Aufwand des Vorgriffs auf die Rechtschreibreform „auf den Kauf eines neuen Duden“.
Doch der Vorreiter Metallgesellschaft reitet allein auf weiter Flur. Ganz überwiegend hält es die Wirtschaft – sofern sie nicht etwa als Verlag direkt betroffen ist – mit dem Kristkint-Schraiber Fensterer: Null Bock auf Buchstabensalat. Die Unternehmen fallen am helllichten Tag eher durch ein ausgeprägtes Desinteresse für Portmonee und Kommunikee, Selbstständigkeit und Nummerieren, Schikoree und Spagetti auf. Ganz zu schweigen von Katarr und Hämorriden. Was die Rechtschreibreform ökonomisch bedeutet? Für den Elektromulti Siemens zum Beispiel scheint das bisher kein Thema zu sein: Nicht nur wann, sondern ob überhaupt die neuen Regeln im Konzern eingeführt würden, sei unbekannt – und diese Auskunft gab die Münchner Zentrale vor dem vorläufigen Reformstopp der Wiesbadener Richter, der das Projekt natürlich auch über Hessen hinaus gefährden könnte. Nach diesem Urteil könnte sich das Zögern allerdings als kluge und kostensparende Entscheidung erweisen.
In vielen anderen Unternehmen ist die Vorbereitung auf die neue Buchstaben- und Kommaordnung ähnlich „weit“ gediehen. Bei der Deutschen Bank etwa löst die entsprechende Anfrage mehrtägige hausinterne Recherchen aus, aber auch danach weiß der Geldriese seine zu erwartenden Umstellungskosten nicht zu beziffern. Auch bei der Frankfurter Sparkasse halten sich die einschlägigen Aktivitäten in Grenzen: „Ich glaube, wir haben ein paar neue Duden angeschafft“, tut „1822“-Sprecher Adolf Albus kund.
Die Zurückhaltung verwundert, soll doch das Jahrhundertwerk der Kultusminister bereits in 364 Tagen in Kraft treten, wenn auch mit Übergangsfristen. Und nicht nur Schüler sollen ja Laute und Buchstaben, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung neu erlernen. Auch jeder Vertragsvordruck und Werbeprospekt, Bedienungsanleitungen und Formulare, Standard-Geschäftsbriefe und das „Kleingedruckte“ müssen theoretisch umgeschrieben und neu produziert werden, Computerprogramme und CD-Roms ebenso. Bei Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Zeitschriften sind Redaktionssysteme und Datenbanken auf den neuen Stand zu bringen.
Erschreckende Zahlen
Das kann richtig ins Geld gehen. Kosten sehen der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) oder der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor allem für das Umschreiben von Software auf die Wirtschaft zukommen. Was der ganze Spaß kostet, wollen denn auch etliche Betriebe wissen, die den DIHT-Referenten für berufliche Bildung, Jörg Engelmann, auf die Reform ansprechen. Überwiegend registriert er aber angesichts der öffentlichen Diskussion in den Unternehmen eine abwartende Haltung. Mit Ausnahme einer schon vorliegenden Zusammenfassung der neuen Rechtschreibung plant die Dachorganisation der Industrie- und Handelskammern denn auch bisher keine weiteren Aktionen.
Verbindliche Angaben zu den volkswirtschaftlichen Kosten des Reformwerks sind Mangelware. Teilweise kursieren erschreckende Zahlen: kleinere dreistellige Millionenbeträge als angeblicher Aufwand allein für Broschüren zur Information der Öffentlichkeit. Zu den dicksten Brocken gehört zweifellos der Aufwand für neue Schulbücher. In elf Bundesländern ist die Umsetzung der Reform schon in vollem Gange. Vor allem Erst- und Fünftkläßler müssen seit dem Schuljahr 1996/97 die neue Schreibweise pauken. Doch die von zuständigen Ministerien in Bundesländern genannten Zahlen wirken so, als gäbe es die Reform fast zum Nulltarif. In Bayern und Nordrhein-Westfalen etwa wird behauptet, das Projekt habe mit Ausnahme von 12 500 beziehungsweise 90 000 Mark für Informationsmaterial bisher die Haushalte nicht zusätzlich belastet. „In den letzten zwei Jahren wurde an Deutschbüchern gespart, deshalb hat man jetzt Geld für reformierte Lesefibeln übrig“, berichtet Stefan Krimm vom Kultusministerium in München. Chemie- oder Physikwerke sollen erst mal nicht neu angeschafft werden, da sich sachlich nichts ändere. Bis zum Jahr 2005 müßten diese Bücher sowieso im „natürlichen“ Verfallsturnus ersetzt werden.
Die Kosten der Rechtschreibreform sind eine Sache, die Kosten ihres Scheiterns wären eine andere. Nicht nur der Duden oder die Neue deutsche Rechtschreibung sind schon (auch) in neuer Orthographie gedruckt und millionenfach verkauft worden, auch Tausende Schulbücher liegen zumindest längst in reformierter Form auf Lager. Sollten sich die Politik oder Gerichte endgültig der Position etwa von Bundespräsident Roman Herzog anschließen, die von der Kultusministerkonferenz verordnete Neuregelung sei „überflüssig wie ein Kropf“, und diese deshalb aus dem Verkehr ziehen, wird es richtig teuer: „Dann müßten quasi über Nacht die neuen Bücher eingestampft werden und neue ‚alte‘ Bücher her“, warnt Joachim Neuser vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Schule und Weiterbildung. Außerdem wäre im Falle einer Schadenersatzklage von Verlagen „ein zusätzliches Mehr an Kosten zu erwarten“.
Entschädigungsansprüche werden in der Tat gerade geprüft, nämlich von Schul- wie Jugendbuchverlagen, die sich aufgrund der durchaus spürbaren Nachfrage, auch von Eltern, zu schnellem Handeln veranlaßt sahen – und glaubten, sich dabei auf die Vorgaben der Minister verlassen zu können. Die Überarbeitung eines Unterrichtsbuchs, so der Verband der Schulbuchverlage, schlage im Schnitt mit einem Aufwand von etwa 12 000 Mark zu Buche. Insgesamt habe man bisher für die Umstellung von rund 5000 Titeln mindestens 50 Millionen Mark investiert. Bis Ende 1997 sollen sich Anzahl wie Kosten verdoppelt haben. Nicht nur dieses Geld wäre bei einer Reform der Reform für die Katz gewesen. Zusätzlich säßen die Anbieter dann nach ihren Berechnungen auf einem unverkäuflichen Warenlager im Wert von 200 Millionen Mark. Alles in allem droht der Branche, wie sie in einem Hilferuf an den Bundestag deutlich machte, ein Verlust in der Größenordnung von zwei Fünfteln des Jahresumsatzes.
Alarmiert ist angesichts des Gezackers um die Schreibregeln auch die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen AvJ. Viele Verleger von Kinder- und Jugendliteratur hätten aufgrund der hohen Nachfrage und des starken Konkurrenzdrucks ihr Sortiment früher angeglichen als ursprünglich geplant. Eine Rücknahme des neuen Regelwerks, so AvJ-Sprecherin Marion Andert, liefe für viele kleinere Verlage auf „den ökonomischen Tod“ hinaus.
Ganz so schlimm wird es Microsoft nicht erwischen. Aber viel Zeit und Geld hätte die Softwareschmiede bei einem Aus für die Reform ebenfalls fehlinvestiert. Schon Anfang 1996, so Firmensprecher Stefan Leiprecht, hatte die deutsche Tochter der Gates Company begonnen, ihre Textverarbeitungsprogramme anzupassen. Heute wird auf Wunsch von Computernutzern die reformierte Version mitinstalliert. Zahlen zum eigenen Aufwand nennt Microsoft nicht, aber für die Schulung der Übersetzer, die Überarbeitung der Programme, das Testen der neuen Software, das Umformulieren von Handbüchern und anderes mehr dürfte einiges zusammengekommen sein, nachdem die Teams neun Wochen mit dem neuen Deutsch beschäftigt waren. Würde die Reform gekippt, wäre das alles zwar keineswegs umsonst gewesen – aber vergebens.
Während die einen viel Geld in den Wind schreiben müssen oder, wie die erwähnten kleineren Verlage, sogar um ihre Existenz fürchten, haben andere dank neuer Rechtschreibung erst einmal ertragreichere Erfahrungen gesammelt. Durch die Herausgabe des „reformierten“ Duden und der angeglichenen CD-Rom konnte der Verlag Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus mit einer 30prozentigen Umsatzsteigerung auf 211 Millionen Mark das vorige Jahr als sein bisher erfolgreichstes feiern. Inzwischen scheint der Bedarf aber einigermaßen gedeckt zu sein, oder die Kunden sind durch die anhaltende Debatte verunsichert: Vor kurzem berichteten die Mannheimer von einem „erkennbaren Absatzrückgang“.
Ähnlich ergeht es Bertelsmann. Die Auflegung der Neuen deutschen Rechtschreibung bescherte der Buchabteilung des Medienkonzerns zunächst einen Boom, dem aber mittlerweile ein drastischer Umsatzrückgang folgte. Zum einen liege das an dem politischen und juristischen Hickhack, zum anderen an den in der Presse ausgebreiteten Unstimmigkeiten bei der Auslegung der Regeln, so Bertelsmann-Fachredakteurin Sabine Krome. Da werde von 10 000 Abweichungen geredet, tatsächlich seien es weniger als 1000, und diese werde man Zug um Zug aus dem Weg räumen. Einen Reformstopp zu diesem späten Zeitpunkt hält Krome für „nicht vertretbar“.
Einseitige Betrachtung
Vor einem solchen Schritt warnt auch der Geschäftsführer der Kommission für die deutsche Rechtschreibung, Klaus Hel1er: „Abgesehen von den psychischen Faktoren, mit denen die Schüler, die jetzt schon nach der neuen Orthographie lernen, dann konfrontiert werden, wird es vor allem für die Verlage maßlos teuer.“ Daß die Buchproduzenten viel Geld investiert haben, steht für ihn fest. Andererseits zweifelt Heller manche Hochrechnung der anfallenden Kosten insofern an, als dabei meist nur die eine Seite betrachtet werde. „Die verdienen auch daran, doch diese Zahlen werden nicht genannt.“
Auch für Industrie und andere Wirtschaftszweige sieht Heller die finanzielle Belastung nicht als das zentrale Problem. Es sei „völlig legitim, die Übergangszeit bis 2005 zu nutzen und so die höher Kosten, die bei einer Sofortumstellung anfallen würden, durch sukzessive Erneuerung zu umgehen“. Das gleiche gelte für Behörden: Formulare könnten ebenfalls schrittweise angepaßt werden. „Die schon in neuer Schreibweise erscheinenden kommen dann einfach einen dementsprechenden Vermerk“, erklärt der Rechtschreib-Guru die Vorgehensweise.
So etwa praktiziert es beispielsweise der Deutsche Genossenschaftsverlag, der die Volks- und Raiffeisenbanken unter anderem mit Plastikgeld und Formularen versorgt. Bereits vom 1. Januar 1998 an will der Wiesbadener Dienstleister die Vordrucke nach der neuen Schreibweise erstellen. Doch würden auch dann die alten nicht weggeschmissen, sondern erst aufgebraucht, versichert DG-Verlag-Sprecher Manfred Knauff.
Die Firma, die berufliche „Vielschreiber“ demnächst in Seminaren auf Neudeutsch trimmen will, hat sich mit dem Sprachwerk der Kultusminister schon besonders intensiv befaßt. Zusammen mit der Gesellschaft für deutsche Sprache gibt sie „Das 1 x 1 der deutschen Rechtschreibreform“ heraus, das für fünf Mark über die genossenschaftlichen Geldhäuser vertrieben wird. Sollte der Inhalt der Broschüre sich durch politische oder juristische Entscheidungen als kulturelles Intermezzo erweisen, tröstet sich Knauff, hätte der Verlag mit den Büchlein immerhin ein bißchen Umsatz gemacht.
Und für Sammler gäbe es ein weiteres begehrenswertes Objekt, das im Bücherregal gut neben den Geschäftsbericht der Metallgesellschaft passen würde.
[bildlegende:] Der Streit über die Orthographie (alt) und die Orthografie (neu) verunsichert nicht nur Schülerinnen und Schüler. (Bild: Bauer/ap)
