Alles wird schlechter, die Tomaten, das Wetter sowieso, die Süßigkeiten werden kleiner, die Eissorten unserer Kindheit sind nicht mehr, die Rechtschreibung, seit sie zweimal durch den Fleischwolf Reform gedreht worden ist, wurde zu Faschiertem, aus dem man bestenfalls vermantschte Regeln klauben kann, immer unverständlicher ist auch die Sprache, durchsetzt von Wörtern aus der anglophilen Märchenwelt: thumbnail (dumme Nadel? oder thumber Nagel? nein, Daumennagel), money-shot, plugin, screenshot, briefing usw. […].
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
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Franzobel
Gott ist unbeweisbar, die politischen Strukturen bröckeln, alle Grenzen verstückelt, undurchsichtig das Weltall, die Lebensmittel nur noch Geschmacksverstärker, wer weiß, wie lang die Flüsse noch stromabwärts fließen, und auch sonst, wenn sogar Griechenland Europameister wird, kann man sich auf nichts und niemand mehr verlassen und dann auch noch die Rechtschreibung? Alles, was Recht ist. […] Die Argumente dagegen kamen aus allen Löchern, reichten vom Vorwurf der Inkonsequenz über die Ästhetik, Unvermittelbarkeit, hoher Kosten bis zum Wozu brauchen wir jetzt das. Im Kern aber wurde und wird Sprache wohl als etwas Gottgegebenes und Unabänderliches angesehen, als virtueller Gradmesser seiner eigenen Gültigkeit, Kindheitsrelikt, Restidentität, Erbgut, was auch in der immer latenten Angst vorm Sprachverfall zutage tritt - ohne einzusehen: Sprache ist lebendig, verändert sich, sonst würden wir immer noch so sprechen wie im Hildebrandslied oder im Muspili.
Nun ist die einheitlich normierte Rechtschreibung im Deutschen gerade einmal 100 Jahre alt, sind diese Dinge eher Lappalien oder, sofern sie nicht schon längst unmerklich in Fleisch und Sprachblut übergegangen sind, wenigstens an einem Vormittag erlernbar. Von der ursprünglichen Forderung nach einer konsequenten Kleinschreibung, einer phonetischen Transkription und der Abschaffung des Beistrichs war dieser Reförmling ja sowieso noch weit entfernt, trotzdem wurden ein paar Freiräume geschaffen, die jetzt zu revidieren völlig blödsinnig wäre. Ohne gleich Zé de Rocks "Neusprach" zu verfallen, wäre statt der Rücknahme eher eine zweite, konsequentere Reform zu überdenken. […] Diskussionswürdiger ist eher, ob eine normierende Rechtschreibung, die rechtsprecherisch unentwegt in falsch und richtig einteilt, überhaupt Sinn ergibt - ob es nicht vernünftig wäre, die an die korrekte Rechtschreibung geknüpften Vorurteile und Bewertungen zu hinterfragen. Denn von dieser oder auch der nächsten Rechtschreibreform wird die deutsche Sprache kaum und die Dichtung schon überhaupt nicht bedroht, da machen mir die Budgetkürzungen der Goethe-Institute, der Abbau der Auslandslektorate, der Kulturteil- und Feuilleton-Schwund sowie die Total-Anglisierung schon größere Sorgen.
Sprache ist auch Konvention. Sie ist kein betoniertes System, sondern ständig dabei, sich zu verformen.
Gott ist unbeweisbar, die politischen Strukturen bröckeln davon, die Mode erlaubt keine klassifizierenden Vorurteile mehr, undurchsichtig ist das Weltall, und auch sonst kann man sich auf nichts mehr verlassen, und da klopft auch noch die Rechtschreibreform an die heile Tür eines ansonsten brüchigen Gebäudes.
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