Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Zu «Karren im Dreck», Focus, 27. 10. 1997, nr. 44
Es ist immer aufschlussreich, «Focus» von vorn bis hinten zu lesen. Auf seite 34 beklagt die präsidentin des bundestags, frau Süssmuth, dass die neue rechtschreibung von der «breiten Bevölkerung» nicht getragen wird. Auf seite 201 derselben nummer sieht man, dass sowohl der duden als auch das wörterbuch von Bertelsmann nach über einem jahr immer noch auf der bestsellerliste stehen. Da haben wir aber glück gehabt, denn wenn auch noch die breite bevölkerung die neuregelung akzeptieren würde, müsste man ja wohl alle wälder Europas zu papier verarbeiten!
Vermutlich werden die bestsellerwörterbücher nur von juristen gekauft; zahlreich genug sind diese ja möglicherweise. Ihnen ins stammbuch die folgende mahnung: «Es ist ebensosehr das Drängen auf absolute Sicherheit, das aus gewissen Unklarheiten der Orthographie einen unerträglichen Übelstand macht, wie jene Unklarheiten selbst.» — «Die Forderung nach völlig lückenloser Uniformität der Schreibung ist keineswegs zwingend; im Bereich der schönen, auch der wissenschaftlichen Literatur erheben sich sogar sehr ernsthafte Einwände gegen eine orthographische Einheitstyrannei. Es trifft nämlich nicht zu, daß eine gewisse Läßlichkeit der Rechtschreibung ein Chaos zur Folge haben würde.» Von wem stammen diese weisen worte? Von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung anlässlich einer früheren rechtschreibdebatte. Es erstaunt daher, dass frau Süssmuth von dieser seite die vollkommene einheit erwartet. Noch erstaunlicher wäre es, wenn sich die akademie dafür empfehlen würde, denn damals stellte sie klipp und klar fest: «Orthographie ist innerhalb einer Kulturnation eine Fertigkeit, die im Kindesalter erlernt und hernach, unter Erwachsenen, nicht mehr beredet wird.»
In fachlicher hinsicht gibt es die von der bundestagspräsidentin gewünschte instanz bereits: die von den kultusministern eingesetzte mannheimer kommission. Sie wird zur zeit heftig kritisiert, aber nur von leuten, die jede veränderung ablehnen. (Um nichts zu ändern, braucht es weder eine kommission noch eine akademie.) In organisatorisch/politischer hinsicht fehlt auch nach meinem empfinden tatsächlich etwas, eine art zwischenglied, das fachliche und politische (gerade auch internationale) aspekte unter einen hut bringen und das ewige legitimierungsproblem entschärfen könnte. Eigentlich ist auch dieses bereits erfunden. Die aufgabe könnte von den bewährten normeninstituten übernommen werden, die da sind: International organization for standardization ISO, Deutsches institut für normung DIN, Österreichisches normungsinstitut ON und Schweizerische normen-vereinigung SNV.
Rolf Landolt, Bund für vereinfachte rechtschreibung (gegründet 1924)