Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Kein bärendienst am leser
Zu Joachim Güntner, «(Bären-?)Dienst am Leser; zur letzten Etappe der Rechtschreibreform», Neue Zürcher Zeitung, 4. 8. 1999
Nachweis unter presse und internet
Es ist das schicksal jeder rechtschreibreform, wegen angeblich schlechterer lesbarkeit auf ablehnung zu stossen – das war schon bei der abschaffung der fraktur so, die natürlich viel besser lesbar war. Und nun ist es genau die 20. auflage des dudens, die eine optimale lesbarkeit garantiert. Selbstverständlich haben die, die für seine ortografie verantwortlich sind, an nichts anderes als an den leser gedacht, wogegen die reformer den leser vergessen haben. Wirklich? «Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben» («FAZ» vom 17. juli). Auch lesen! Würde man die sache genauer anschauen (was man beispielsweise im fall der eigennamengrossschreibung detailliert gemacht hat), käme man zur erkenntnis, dass die reformer die bedürfnisse des lesers mindestens so gut berücksichtigen. Dagegen lässt sich die argumentation vieler «anwälte der leser» auf die absolute ablehnung irgendeiner änderung reduzieren, was ahistorisch ist und nicht einmal in religiösen fragen akzeptiert werden kann.
Den interessengegensatz zwischen schreiber und leser gibt es vielleicht in einzelfragen, aber grundsätzlich ist er kein «unüberbrückbarer dissens». Gewisse reformgegner erliegen hier wohl einem simplifizierenden dualismusdenken, das die welt immer in good guys und bad guys einteilen muss – was dem einen nützt, muss dem anderen schaden. «Reinliche Beschränkung auf den eigentlichen Zweck ist überall gut, darum ist diejenige Orthographie die beste, welche, das historische Studium der Sprache den Gelehrten überlassend, nichts weiter will als treu und sonder Müh‘ das gesprochene Wort widergeben» (Konrad Duden, 1876). Dafür wurde die buchstabenschrift erfunden. Sie ist eine kulturelle errungenschaft, die – im interesse von schreibern und lesern – aufmerksamkeit und pflege verdient. Will man ein historisches gebäude erhalten, ist ja auch nicht untätigkeit das rezept. Man muss sogar dann etwas unternehmen, wenn (noch) nicht jeder besucher die notwendigkeit erkennt, und oft sind unangenehme entscheidungen zwischen originalzustand und späteren eingriffen nicht zu vermeiden.
Rolf Landolt, Bund für vereinfachte rechtschreibung
Veröffentlicht auf der seite Mail/Leserdienst von NZZ Online bis ca. 7. 9. 1999.