Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Zu Wolf Schneider, «Ein Kaubeu am Rein», NZZ-Folio, 4. 1995
Nachweis unter presse und internet
«Hat nur ein einziges geschlecht der neuen schreibweise sich bequemt, so wird im nachfolgenden kein hahn nach der alten krähen.» Dieser feststellung Jacob Grimms widerspricht auch Wolf Schneiders plädoyer für die bestehende ortografie («NZZ-Folio» vom april 1995) nicht — im gegenteil! Selbst wenn man von seiner monokausalen (und damit demagogischen) begründung des sprachbewusstseins ausgeht, bleibt eine frage offen: Wo ist das sprachbewusstsein geblieben, das von Thür, Droguerie, Façade und gar von den sehr deutschen wortbildern mit ß und fraktur geprägt wurde? Es ist offenbar nach kurzer zeit keiner erwähnung mehr wert!
Soviel zur fylogenese des sprachbewusstseins. Und die ontogenese? Wolf Schneider mag die «12 500» zu ändernden wortbilder intus haben (oder wenigstens 12 499,5; bei «Diphtong» hat er sich schon halb umgewöhnt), aber wie steht es mit den schulanfängern? Ein sprachbewusstsein haben sie anscheinend noch nicht — welches soll ihnen die schule vermitteln? Das ist die frage, die die bildungspolitiker in Wien diskutiert haben. Da es ausser Diphthong noch zwei, drei weitere probleme gibt und auch in einer bilderschrift die interpunktion, die bildertrennung am zeilenende und merkwürdigerweise sogar die grossschreibung des bildanfangs vielen menschen schwierigkeiten bereiten, sind gewisse «belästigungen» nicht zu vermeiden. Besonders dann nicht, wenn man breitere bevölkerungskreise in die lage versetzen will, sich gleichberechtigt schriftlich zu äussern. «The ability to write — a root of democracy», steht auf einer amerikanischen briefmarke. Die wenigen existierenden bilderschriften sind in diesem punkt bekanntlich keine vorbilder, während die buchstabenschrift einen kulturellen wert darstellt, den zu erhalten und zu fördern unsere pflicht ist.
Selbstverständlich wollen die «rührigen Rechtschreibreformer» nicht, dass man die rührigen schriftsteller eines tages nicht mehr lesen kann. Das kann man aber der geplanten minireform, die sich auf einer durchschnittlichen NZZ-seite höchstens ein halbes dutzend mal und bei manch anderer zeitung überhaupt nicht auswirkt, beim schlechtesten willen nicht vorwerfen. Abgesehen davon, gibt es auch in neuerer zeit viel lesenswertes, die linguistische fachliteratur zum beispiel, die leider manchem schriftsteller auch in herkömmlicher schreibung etwas fremd ist.
Sowenig statisch wie das sprachbewusstsein ist auch der Rhein, der übrigens von den derzeitigen reformbestrebungen nicht betroffen ist. Bei uns fliesst er mit, an quelle und mündung ohne h.
Bund für vereinfachte rechtschreibung, Rolf Landolt, Zürich (vorsitzer)