willkommen
kontakt
impressum
suchen

Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

stellungnahmen → Zur geplanten einsetzung eines «beirats»
ortografie.ch ersetzt sprache.org ortografie.ch ersetzt in zukunft sprache.org
Der Bund für vereinfachte rechtschreibung nimmt stellung

Zur geplanten einsetzung eines «beirats» (10. 2000)

Eine breite abstützung von entscheidungen ist im prinzip zu begrüssen und eigentlich ein grosses anliegen des BVR. Dass der beirat dazu beiträgt, ist zu hoffen, aber nicht sicher. Gleich zwei geburtsgebrechen hat der hoffnungsvolle sprössling. Erstens: Das gleichgewicht von bewahrungs- und innovations­willen, das jeder menschlichen tätigkeit zugrunde liegen sollte, ist etwas fraglich in anbetracht dessen, dass es einigen leuten nur um eine bremser­funktion geht. Zweitens: Der beirat ist ein nationales gremium. In welchem verhältnis steht er zur zwischenstaatlichen kommission? Wie verhalten sich die anderen staaten? Richten sie auch einen beirat ein?

Unabhängig davon, was herauskommt, kann man schon aus der einsetzung des beirats erkenntnisse über die probleme beider seiten ziehen. Es geht um zwei grundprobleme politischer arbeit: um die legitimierung und den umgang mit fundamental­opposition.

Das legitimierungsproblem wurde vom BVR schon oft angesprochen, und es ist ungelöst. Ob der beirat es löst, ist eine andere frage. Wie auch immer, wenn es bei der konstitution der kommission nicht mit rechten dingen zugegangen wäre, müsste man andere massnahmen ergreifen, und zwar auf zwischen­staatlicher ebene. Wenn das nicht der fall ist, braucht es keinen beirat. Unserer meinung nach ist letzteres der fall, und nach wie vor oder vermehrt sehen wir in der kommission den ortografischen sachverstand versammelt.

Das problem der «anderen seite» ist den politikern ebenso bekannt und lässt sich leicht an einem anderen beispiel illustrieren. Bei der frage der abtreibung sind striktere und liberale lösungen denkbar; man muss irgendwie zu einem konsens und/oder zu einer entscheidung kommen. Dazu sind viele gespräche nötig, die sich beispielsweise in parlamentarischen kommissionen abspielen. Nun gibt es aber bekanntlich leute, die allein schon die idee der abtreibung ablehnen. Diese leute kann man verstehen, bedauern usw., so oder so kann man sich in unserer gesellschaft nicht für ein totales abtreibungs­verbot entscheiden. Damit sind die fundamentalgegner raus aus der politischen diskussion. Keinesfalls sind sie mit einer einladung zur mitarbeit in einer kommission zu trösten; denn wenn sie sich beispiels­weise auf eine diskussion über die soziale indikation einliessen, hätten sie ja schon die möglichkeit einer abtreibung anerkannt.

Für die abtreibungs-, scheidungs-, armeegegner und andere verfechter eines absoluten standpunkts ist es klar, dass sie ihre ziele auf anderem weg verfolgen und damit leben müssen, dass der staat etwas tut, das sie eigentlich nicht akzeptieren können. Gegner einer rechtschreib­reform befinden sich in der gleichen lage, nur merken es einige nicht und jammern hinterher, man hätte sie übergangen. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nicht in der rechtschreib­kommission! Und jetzt wieder nicht im beirat! Natürlich nicht! Die akademie und viele schriftsteller haben keineswegs bloss die angelegenheit «verschlafen», wie Christian Meier ihr fernbleiben auch noch begründete. «Rechtschreibung ist keine Staatssache» und «Nie wieder wird es einen Versuch des Staates geben, die deutsche Rechtschreibung neu zu definieren» (Steinfeld) — wie könnte man da in einer staatlichen rechtschreib­kommission mit­arbeiten? Da hilft auch kein beirat und kein beibeirat!

Selbst wenn man es nicht so absolut sieht, ist doch das haupt­argument der gegner, eine reform sei nicht nötig. Eine reformkommission besteht aber naheliegender­weise aus leuten, die eine notwendigkeit für ihr wirken sehen. Das gilt vor allem für die anfangsfase. Keinesfalls darf man im voraus signalisieren, man wolle dabei sein, denn das könnte die notwendigkeit einer kommission und damit einer reform mitbegründen. Ein späterer einstieg kommt wiederum deshalb nicht in frage, weil er als richtungswechsel verstanden werden könnte. Es ist einfach so: Wenn der, der eine änderung nicht für nötig und/oder für unmöglich hält, recht hat, dann gibt es keine. Wenn das unnötige und unmögliche doch geschieht, hat er eben nicht recht gehabt. Nicht recht haben ist aber keine gute basis für forderungen.

Warum ist der umgang mit der fundamentalopposition im fall der rechtschreib­reform schwieriger als in anderen bereichen? Entscheidungen im abtreibungs- und im scheidungsrecht kann man nicht beliebig aufschieben, bei der rechtschreibung aber durchaus. Entsprechend finden rechtschreib­reformen in so grossen zeitlichen abständen statt, dass experten, politiker und wahrscheinlich auch das volk schon rein verfahrensmässig überfordert sind. (In der Schweiz nimmt man das nicht tragisch, aber in Deutschland, wo es in sachen demokratie grosse empfindlichkeiten, aber nicht so viel routine gibt, war eine prozesslawine die folge.) Alle anderen politischen fragen haben einen zeit­horizont von wenigen jahren, höchstens wenigen jahrzehnten. So kann tatsächlich die meinung aufkommen, eine reform sei unmöglich oder gar unnötig. Nicht zuletzt deshalb stossen rechtschreib­reformen dort auf den grössten widerstand, wo sie am nötigsten wären. Solange die reformbestrebungen erfolglos sind, kommt das geschilderte dilemma nicht an die oberfläche. Wo auch immer die gründe für das scheitern liegen — gegner sind versucht, es auf ihre verweigerungsstrategie zurückzuführen. Auf jeden fall ist es nicht nötig, sich mit dem unnötigen anliegen zu befassen. Ein taktisches risiko ergibt sich daraus, dass in den langen fasen scheinbarer ruhe nicht nichts passiert und daher der richtige moment für den einstieg in die diskussion schwer zu bestimmen ist. Plötzlich ist es zu spät, und Friedrich Dieckmann klagt: «Auch bei Marcel Reich-Ranicki ist es mir damals nicht gelungen (kritisches Interesse zu wecken), er nahm den drohenden Unfug nicht ernst. ‹Das kommt sowieso nicht!› beruhigte er mich.» Es waren nicht mehrjährigen auslandsferien, wie ein politiker hämisch vermutete, sondern strategie, ja geradezu eine innere notwendigkeit. Nun ist das «nationale unglück» passiert. Selbst­verständlich kann das, was man für unnötig gehalten hat, nur «von oben diktiert» sein. Fehlte noch, dass man sich durch mitwirkung in einer kommission oder auch nur in einem beirat mitschuldig gemacht hätte!

Rolf Landolt, Bund für vereinfachte rechtschreibung