Die hannöverſche Regierung war die erſte, welche ein officielles Regelbuch für die Schulen veröffentlichte (1855). Ihr folgte die württembergiſche (1861). In Preußen beſchränkte man ſich zunächſt mit einem Erlaſſe gegen willkürliche Abweichungen einzelner Lehrer von dem Herkömmlichen (1862, wiederholt 1868).
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
staat
Michael Naumann, Die Zeit, 12. 8. 2004
Das gesprochene Wort kann seine kollektive Prägung nicht verleugnen – das geschriebene Wort hingegen bedarf spätestens seit Gutenbergs Revolution eines autoritativen Regelwerks – bei Strafe der Unlesbarkeit. Fragt sich nur, wer das Recht hat, solche Beliebigkeit einzudämmen. Für einen Staat, der Schulpflicht und Grundschulausbildung beaufsichtigt, liegt es nahe, dass er diese Aufgabe übernimmt. Ihre Lösung an linguistische Fachleute gewählter Politiker zu delegieren, statt sie publizistischen Sprach- und Machtliebhabern zu überlassen, leuchtet ein.
Zu den publizistischen sprach- und machtliebhabern: journalismus, verlagswesen.
Schon Konrad Duden hat sich an die Regeln und Schreibweisen gehalten, die 1901 amtlich festgelegt wurden. Auch die Dudenredaktion versteht sich als verlängerter Arm des Staates in Sachen Rechtschreibung.
Heinrich Erdmann, Zur orthographischen Frage,
[…] Ziel iſt die nationale Einheit, nationale Einigung auf allen Lebensgebieten. […] Darum muß und wird uns auch werden Eine deutſche Wortſchreibung von der Alp bis zum Meer. — Woher wir dieſelbe bekommen ſollen, kann gar nicht zweifelhaft ſein. Eben daher, woher uns all die Einheitserrungenſchaften der jüngſten Zeit gekommen ſind. Vom deutſchen Reich, das zu einem Vorgehen auf unſerem Gebiete nicht allein das Recht, ſondern auch die Pflicht hat.
Marc Felix Serrao, Neue Zürcher Zeitung, , s. 13
Die Deutschen sind ein staatsgläubiges Volk, nicht überall gleichermassen, aber im Vergleich etwa zur Schweiz oder zu den angelsächsischen Ländern schon sehr.
«Auch die plötzlich verklärte alte Rechtschreibung …»
Jens Jessen, Die Zeit, 3. 8. 2006
Auch die plötzlich verklärte alte Rechtschreibung war nur das Ergebnis einer vielfältig nachgebesserten, im Kern aber staatlich verordneten Reform vom Beginn des 20. Jahrhunderts.
Peter Eisenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 4. 2009
Mit der Orthographiereform von 1996 hat der Staat die Verantwortung für den Normierungsprozess an sich gezogen.
Nein, mit der von 1901 (in der Schweiz 1892).
Günther Birkenstock, DW-World.de (Deutsche Welle), 12. 1. 2011
Die schmerzhafteste Frage, die man heute stellen kann, ist die, ob eine staatlich diktierte Reform der Rechtschreibung denn überhaupt notwendig war.
Falsche frage. Die richtige frage: «Die schmerzhafteste Frage, die man heute stellen kann, ist die, ob eine Reform der staatlich diktierten Rechtschreibung denn überhaupt notwendig war.» Diese frage kann man mit ja beantworten.
«Rechtschreibung ist keine Staatssache»
Katharina Gelinsky, Frankfurter Allgemeine Zeitung,
Eines der Hauptargumente der Reformgegner lautet, daß der Staat nicht die Kompetenz habe, die Rechtschreibung im Sinne des Reformwerkes zu verändern. […] Sie berufen sich dabei auf die sogenannte Wesentlichkeitstheorie […].
Berliner Zeitung, 15. 11. 1997
Gröschner kritisierte, daß es im Grundgesetz keine Regelung zur Sprache gebe.
Christian Meier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. 7. 2000
Rechtschreibung ist keine Staatssache. Das Unternehmen der staatlich verfügten Rechtschreibreform beruhte von Anfang an auf einer gründlichen Verkennung staatlicher Aufgaben […].
Der Spiegel, 28. 10. 1996
Die Tatsache, daß künftig "dass" statt "daß" geschrieben werden muß, wirft für den Verfassungsrechtsprofessor Denninger ganz grundsätzliche Fragen zum Verhältnis zwischen Staat und Bürgern auf. "Ist die Rechtschreibung überhaupt eine Materie", fragt Denninger mittlerweile auch in seinen Vorlesungen an der Frankfurter Universität, "die staatlicher Regelung zugänglich ist?" Der Streit um ein paar Buchstaben könne vielmehr zum Beispiel dafür werden, daß es Dinge im Leben gebe, aus denen sich die Obrigkeit herauszuhalten habe.
Christoph Schmitz, Deutschlandfunk, 1. 3. 2006
Der eigentliche Skandal aber ist ein verfassungsrechtlicher. Der Jenaer Verfassungsrechtler Rolf Gröschner hat ihn klar benannt und logisch begründet: Menschenwürde ist Entwurfsvermögen. Ausdruck des Entwurfsvermögens ist die Kultur. Zur Kultur gehört die Sprache, zur Sprache die Schriftsprache. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass sich Menschenwürde und Kultur bestmöglich entfalten. Also auch die Schriftsprache. Doch was in der Schriftsprache richtig und falsch ist, bestimmt nicht der Staat, sondern die Kulturgemeinschaft der Schreibenden. Durch die Rechtschreibreform will der Staat bestimmen, was richtig ist und falsch. Also verstößt sie gegen die Menschenwürde und ist verfassungswidrig. So einfach ist das.
Hans Krieger, Süddeutsche Zeitung, 14. 8. 1998
Denn daß die Sprache dem Volk gehört, sollte ja nicht heißen, daß es sich um ein Eigentum aller handelt, über das die Verfügungsgewalt an staatliche Repräsentanzen abgetreten wurde. Gemeint war damit vielmehr die Abwehr eines staatlichen Verfügungs- und Regelungsanspruches. Daß auch die Eigentümer selber keine wirkliche Verfügungsmacht haben, ergibt sich aus der besonderen Natur dieses Gutes. Sprache geht dem Menschen, der sie spricht, immer schon voraus, und unzählige Generationen haben an der Ausdifferenzierung dieser Sprache gearbeitet. Das Volk, dem die Sprache gehört, kann also nicht allein durch die jeweils Lebenden repräsentiert sein; ihnen ist die Sprache nur anvertraut. Auch ein Volksentscheid könnte eine Rechtschreibreform nicht legitimieren, die […] die Substanz der Sprache auch nur geringfügig tangiert. Was aber ist es, das dem Volk in einem zeitübergreifenden Sinn gehört und von niemandem angetastet werden darf? Ist es nur der Wörterbestand mit seinen zwischen 150 000 und 200 000 Lexemen und die Grammatik mit ihren Strukturmustern? Oder gehört dazu auch die Verschriftungsform, wie sie sich in Jahrhunderten herausgebildet hat? Gewiß ist die Verschriftung mit der Sprache selber nicht identisch. Als Übertragung der Sprache aus dem Hörbaren ins Sichtbare ist die Schreibung von der Sprache aber auch nicht einfach ablösbar als ein ihr bloß Äußerliches, denn sie wirkt auf die Sprache zurück.
«Was aber ist es, das dem Volk in einem zeitübergreifenden Sinn gehört und von niemandem angetastet werden darf?» Religion! Und wir dachten, es gehe um eine harmlose frage menschlicher konvention.
Kurt Marti, schriftsteller, Tages-Anzeiger, 18. 10. 1996
Ich halte nichts von dieser Reform, sie ist unnötig. Ich sehe nicht ein, weshalb die Rechtschreibung von irgendwelchen Kulturbürokraten geregelt werden soll.
Ulrich Wickert, planet-interview.de, 8. 8. 2000
Soll der Staat doch seine Finger von unserer Sprache lassen und von der Rechtschreibung.
Thomas Straubhaar, Basler Zeitung, 20. 12. 2004
Tony Häfliger, St. Galler Tagblatt, 26. 8. 2004
Josef Kraus, plus.pnp.de, 7. 8. 2018
Es ist nicht Aufgabe des Staates, des Kultusministers oder eines Rates, Vorgaben zu machen, wie man schreiben soll.
Michael Cerha, Der Standard, 31. 7. 2000
Ernst Gottfried Mahrenholz, Die Welt, 13. 7. 2005
Rechtschreibung ist eine Frage des Common sens und der Sprachentwicklung, keine Frage, die man von oben verordnen kann.
tost, Süddeutsche Zeitung, 25. 2. 2006
Das einzig Sinnvolle sei, so Theodor Ickler, nach wie vor die Entstaatlichung der Rechtschreibung. Orthographie sei in erster Linie eine sprachliche Tatsache, die durch den Gebrauch von Sprache entstehe.
Hermann Unterstöger, Süddeutsche Zeitung, 4. 3. 2006
Das Einzige, was vorderhand als Reingewinn gebucht werden kann, ist der Vorsatz, den der sachsen-anhaltinische Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz stellvertretend für viele formulierte: Dass der Staat von so einem Gegenstand künftig die Finger lassen solle.
Thomas Steinfeld, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 8. 1999
Nie wieder wird es einen Versuch des Staates geben, die deutsche Rechtschreibung neu zu definieren.
Christoph Keese, Welt am Sonntag, 5. 3. 2006
Doch selbst wenn es wieder zu einer einheitlichen Rechtschreibung käme, muß klar bleiben, daß künftig nur die Gemeinschaft der Schreibenden die Sprache weiterentwickelt und nicht der Staat sie per Dekret zu ändern versucht. Entwickelt wurde Deutsch immer durch die Phantasie seiner Sprechenden und Autoren. Aufgabe eines Regelwerks kann es nicht sein, Verwandlung zu verhindern […]. Für einen Eingriff des Staats gibt es keinen Bedarf.
Adolf Muschg, Süddeutsche Zeitung, 24. 12. 2008
Gerade wo es um Sprache geht, ist der Staat ein untauglicher Gesetzgeber, wie er jüngst am vergleichsweise harmlosen Beispiel einer Orthographiereform vorgeführt hat.
Hans Magnus Enzensberger, Der Spiegel, 14. 10. 1996
Die Regierungen sollten die Finger von Dingen lassen, von denen sie nichts verstehen und für die sie nicht kompetent sind. […] Ich wünsche, daß mich der Staat beim Schreiben in Ruhe läßt.
Christoph Stalder, Der Bund, 7. 7. 2009
Der grundlegende Systemfehler liegt darin, dass der Staat befiehlt, was richtig und was falsch ist. Da gibt es für Jung und Alt nur eines: zivilen sprachlichen Ungehorsam!
Konrad Hummler, Neue Zürcher Zeitung, 17. 11. 2010
In Deutschland waren es die Kultusminister […], in der Schweiz das Konkordat der Erziehungsdirektoren, die EDK, welche der Sprache Gewalt antaten und staatlichen Zwang in einen gesellschaftlichen Bereich ausdehnten, der sich der Planung, Kontrolle und Korrektur inhärent entzieht. Ungefragt, selbsternannt, unverfroren und oft auch sprachignorant vergriffen sich die Politiker mit ihren Befehlsstrukturen am vitalen Leib der Sprache. […] Der Verzicht auf Staatstätigkeit in Bereichen, wo Staatsversagen zwingend die Konsequenz ist, hätte durchaus Vorbildcharakter.
Alois Grichting, Walliser Bote, 6. 5. 2011
Nach 15 Jahren erweist sich diese Verstaatlichung der Rechtschreibung als eine unnötige und absurde Katastrophe.
Bastian Sick, Die Berliner Literaturkritik, 10. 2. 2011
Wann immer sich der Staat in die Sprachentwicklung eingemischt hat, kam Müll dabei raus - wie zum Beispiel bei der Rechtschreibreform.
Bastian Sick, Badische Zeitung, 17. 2. 2011
Alexander Smoltczyk, Der Spiegel,
Wäre es nach Ickler gegangen, dann wäre auf staatliche Regulierung verzichtet, die allgemein übliche Rechtschreibung erfasst und in Wörterbüchern festgehalten worden.
Und die grundschüler könnten sich ohne staatlichen zwang daran halten oder nicht!?