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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

berichte → jahresbericht 1992
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Jahresbericht des vorsitzers für 1992

Generalversammlung
Publikationsorgan "Rechtschreibung"

Allgemeines

Mit der publikation der 1991 von der internationalen expertengruppe verabschiedeten vorschläge in buchform ist die öffentliche diskussion offiziell eröffnet worden.

«Selten hat ein tema so sehr polarisiert.» — «In vielen fällen sind prominente befürworter niedergeschrien und persönlich angepöbelt worden. Es gab flugblätter mit der aufforderung, sie allesamt an die wand zu stellen, und im vorfeld etlicher veranstaltungen wurden anschläge angedroht, falls der anlass nicht abgesagt werde.» So wird das jahr 1992 dem schweizer in erinnerung bleiben. Die beiden zitate, die vom schweizer radio (DRS1, 1. 2. 93, 13.30) und von alt bundesrat Friedrich (NZZ, 2. 12. 92) stammen, beziehen sich aber nicht auf die angeblich besonders emotional belastete diskussion um die rechtschreibung, sondern auf einen psychologieverein und den europäischen wirtschaftsraum.

Die debatte um die ortografie hat dank der informationstätigkeit der arbeitsgruppe rechtschreibreform der konferenz der kantonalen erziehungsdirektoren unter dem vorsitz von prof. H. Sitta, Zürich, und den bemühungen des Bundes für vereinfachte rechtschreibung einen höhepunkt erreicht. Sie spielt sich aber gesitteter ab und — wie die langjährige erfahrung zeigt — in einem sehr kleinen kreis.

Das neue regelwerk legt bekanntlich zur gross- und kleinschreibung zwei varianten (modifizierte substantivgrossschreibung und substantivkleinschreibung) vor. Man muss ja froh sein, dass die für uns zentrale frage überhaupt erwähnt wird. Der akzeptanz des ganzen regelwerks ist eine solche alternative zweifellos förderlich. Die gefahr ist aber gross, dass die modifizierte substantivgrossschreibung als bequemes kompromissangebot akzeptiert wird und von weiterem nachdenken befreit. Ein allgemeines unbehagen, das auch andere punkte betreffen kann, kann so auf den «extremen» vorschlag projiziert werden. Damit könnte die deutsche sprachgemeinschaft zu einer grossschreibungsregelung kommen, die eigentlich gar niemand will. In der ganzen debatte setzt sich kaum jemand mit einer positiven begründung für genau diese regelung ein. Wenn sie aber gleich lange gelten soll wie die bisherige, ist die begründung, dass sich im jahre 1995 die paar menschen, die für die substantivgrossschreibung sind und sie auch beherrschen, weniger umstellungsprobleme haben, zu schwach.

Aus dieser situation heraus hat sich der Bund für vereinfachte rechtschreibung entschlossen, einen empirischen beitrag zur frage der akzeptanz zu leisten. Er tut das in form einer unterschriftensammlung unter den mitgliedern und — soweit möglich — in der öffentlichkeit. Die behörden sollen erkennen, dass sich jemand aktiv für die substantivkleinschreibung einsetzt, und die zahl der unterschriften — so gross oder klein sie auch sein mag — den bemühungen für die modifizierte substantivgrossschreibung gegenüberstellen.

Die unterschriftensammlung begann mit einer pressekonferenz am 4. november in Bern. Das echo in der presse war erfreulich, wenn auch der hinweis auf die unterschriftensammlung meistens der schere zum opfer fiel. Das und die pressekonferenz selbst haben allen beteiligten wieder einmal vor augen geführt, dass bei einem solchen normproblem die «schweigende mehrheit» sehr schwierig zu mobilisieren ist. Das wäre nur in einem klar terminierten entscheidungsverfahren mit sehr grossem (auch finanziellem) aufwand möglich. Es ist aber nicht möglich, wenn die diskussion auf sparflamme jahrzehntelang ohne erkennbares ende dahinplätschert. Wenn «eine breitere bewusstseinsentwicklung in der öffentlichkeit» eine «voraussetzung» für das handeln der politiker darstellt, wie es das erziehungsdepartement des kantons Basel-stadt 1972 formulierte, wird die 40. auflage des dudens im jahre 2093 nicht anders aussehen als die heutige. Das darf den BVR nicht hindern, weiterhin auf «verschiedenen gleisen» zu fahren. Auf der anderen seite rufen wir die politiker bei dieser gelegenheit auf, weniger nebulöse «akzeptanz»-überlegungen anzustellen und bei der leisesten emotionalen äusserung zusammenzuzucken und etwas mehr auf die experten zu hören, die ja von ihnen eingesetzt wurden. Auch die schweizerische arbeitsgruppe hat sich jedenfalls mehrheitlich für die substantivkleinschreibung ausgesprochen.

Presse und radio beschäftigten sich, wie erwähnt, teilweise recht ausführlich mit den reformvorschlägen und der aktivität des BVR. Grössere beiträge erschienen etwa im Bund (Peter Anliker), in der Weltwoche (Sitta/Gallmann), im St. Galler Tagblatt und in der Davoser Zeitung. Im schaffhauser lokalradio Munot kam der schreibende im mai (30. mai, nachmittag) bereits zum zweiten mal zu wort. Schliesslich nahm sich auch das konsumentenmagazin Espresso des schweizer radios am 28. januar 1993 (mit hörerreaktionen am 5. februar) des temas an — was uns besonders freute, versteht sich doch der BVR im grunde genommen als konsumentenorganisation.

BVR

Die jahresversammlung fand am 1. februar in Zürich statt. Sie verabschiedete neue statuten, die in der Rechtschreibung vom mai veröffentlicht wurden. Der vorstand traf sich einmal, allerdings fand zusätzlich im märz eine besprechung der unterschriftensammlung statt.

Unser von René Schild redigiertes organ Rechtschreibung erschien dreimal im umfang von insgesamt 24 seiten. Die nummern 156 und 157 enthielten einen einen artikel von prof. H. Sitta und dr. P. Gallmann. In nummer 157 machte sich Arne Hamburger gedanken zu «Überflüssigen buchstaben» und zur ck-trennung. Letzteres und die st-trennung war das tema eines artikels von prof. Ernst Pacolt in nummer 158, wobei unser rühriger österreichische kollege in der gleichen nummer glückwünsche zum 80. geburtstag entgegennehmen konnte.

An der lehrmittelausstellung anlässlich der lehrerfortbildungskurse des vereins Handarbeit und schulreform im juli in Grenchen beteiligte sich der BVR wieder mit einem recht grossen stand.

Die unterschriftensammlung bedingte die produktion von ziemlich umfangreichen informationsmaterialien, was vor allem durch Peter Anliker und den schreibenden übernommen wurde.

Ich danke allen mitgliedern des BVR für ihre treue sowie den vorstandsmitgliedern und anderen helfern für ihren einsatz.

Zürich, 6. februar 1993

Der vorsitzer
Rolf Landolt