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presseartikel1943-05-01 → Der „Wanderer“ in Antiqua
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Der Oberschlesische Wanderer, , antiqua

Der „Wanderer“ in Antiqua

Die deutsche Normalschrift historisch und politisch gesehen

Mit dem heutigen Tage ist auch der „Oberschlesische Wanderer“ zur deutschen Normalschrift, der „Antiqua“, übergegangen. Es wird unseren Lesern sicherlich nicht schwer fallen, sich von der bisher gewohnten Fraktur-Schrift auf die neue und doch schon seit Jahrhunderten in Deutschland benutzte Schriftart umzustellen. Die Antiqua ergibt in ihrem ruhigen, klaren Schriftcharakter ein bei weitem gefälligeres Zeitungsbild und ist nach allen bisherigen Erfahrungen vor allem auch wesentlich müheloser und schneller zu lesen. In dem nachstehenden, dem „Zeitungs-Verlag“ entnommenen Beitrag werden die Gründe dargelegt, die dazu geführt haben, nach und nach in der gesamten deutschen Presse die Antiqua-Schrift einzuführen.

Deutsche Drucker waren es, die im 15. Jahrhundert in Venedig, damals dem größten Welthandelsplatz, den Buchdruck einführten und in ihren Erzeugnissen die Antiqua benutzten. Ein deutscher Drucker in Straßburg war auch derjenige, der als einer der Ersten in Deutschland die Antiqua verwendete. Wir sprechen immer von gotischer Schrift und setzen sie irrtümlicherweise mit der deutschen Schrift gleich. Die gotische Schrift, von der es eine ganze Reihe von Abwandlungen gibt, ist im 12. Jahrhundert in Nordfrankreich entstanden und bildet ein Glied in der Kette der Schriften, die sich im Laufe der Jahrhunderte aus der alten römischen Schrift entwickelt haben. Sie wurde vorzugsweise in der Frühzeit der Druckkunst, besonders von deutschen Druckern, als Druckschrift verwendet. Was wir aber als deutsche Schrift bezeichnen, ist nicht die gotische Schrift, sondern das sind zwei Schriftarten, von denen die eine, die Schwabacher, eine sehr derbe und urwüchsige Schrift, in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts entstand und deren Vorbild eine italienische Form der gotischen Schrift war. Die andern dieser beiden Schritten aber, die wir bisher täglich in der Zeitung vor Augen hatten, ist die Fraktur, die im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Franken ebenso wie die vorher erwähnte Schwabacher aus der deutschen Schrift entstand, also wie diese auf die Stammutter aller unserer abendländischen Schriften, auf die Antiquaschrift zurückgeht. Die früher verbreitete Meinung, Albrecht Dürer sei der Schöpfer dieser Frakturschrift, ist längst aufgegeben worden. Sein bekanntes Monogramm, das wir auf seinen Holzschnitten, Kupferstichen, Zeichnungen und lateinische Gemälden sehen, zeigt lateinische Buchstaben.

Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war es in Deutschland beinahe so weit, daß die Antiqua die Fraktur völlig verdrängt hätte. Goethe selbst spricht von der „heiteren Antiqua“, die er in seinen Werken am liebsten sähe, und Schiller war überhaupt kein Freund der Fraktur. Eine damals aufkommende neuartige deutsche Schrift verspottete er in der von ihm stammenden Xenie „Die Eiche“, und Ende des Jahrhunderts plädiert der preußische Staatsminister v. Alvensleben für die „Einführung der lateinischen Lettern aus Staatsgründen“ und beruft sich in seinem Vorschlag auf keinen geringeren als Leibniz, der sich für die allgemeine Einführung der Antiqua eingesetzt hatte.

Beachtenswerte Beispiele für die Entscheidung zugunsten der Antiqua bietet aber auch die neueste Zeit. So führte der türkische Staatsmann Kemal Pascha – in dem Bestreben, seinem Volk die westlichen Kulturgüter zu erschließen, vor allem aber, um die türkische Sprache und damit die türkische Kultur den fremden Völkern näherzubringen – an Stelle der jahrhundertelang von den Türken benutzten arabischen Schrift im Oktober 1928 die Antiqua ein, und es waren zuerst die Zeitungen, die dem Gesetz, das ein weitblickender Staatsmann gab, nachkamen. Auch in Japan werden Versuche unternommen, an Stelle der schwer verständlichen chinesischen Schriftzeichen (die in Japan aber eine ganz andere Bedeutung als in China haben) die Antiqua einzuführen.

In allen solchen Fällen ist der Gedanke maßgebend, daß die Ausbreitung der Sprache und Kultur eines Volkes unter fremden Völkern nicht von der Aeußerlichkeit einer Schriftform abhängen darf. Wir wissen aus Erfahrung, daß zahlreiche Ausländer vor der Erlernung der deutschen Sprache in einer ungewohnten, für sie schwer lesbaren Schrift, eben der Fraktur, entgegentritt. Wenn wir zum Antiquadruck übergehen, so wählen wir von den beiden Schriften, die seit frühester Zeit in Deutschland nebeneinander gebraucht wurden, diejenige aus, die auch im Ausland gelesen werden kann. Der von deutschem Geist und deutscher Kultur kündende Inhalt der Zeitungen bleibt derselbe. Und darauf, auf den Inhalt, kommt es an; die Schrift ist nur das Gewand, also etwas Aeußerliches. Die Anwendung der Antiqua erleichtert uns die Aufgabe, fremden Völkern das wahre Gesicht des deutschen Volkes, das so ganz anders ist, als es ihnen ihre Presse geschildert hat, zu zeigen. Auch wissenschaftliche Bücher werden ja in Antiqua gedruckt, weil sie im Ausland gelesen werden sollen. Mit Hilfe der Antiqua werben sie für die deutsche Wissenschaft und für deutsches Geistesgut. Dabei wendet sich das wissenschaftliche Buch nur an einen verhältnismäßig kleinen Kreis von Lesern, die Zeitung aber an Hunderttausende und Millionen. Wenn sich das wissenschaftliche Buch seit langem der Antiqua bedient, um für die deutsche Kultur im Ausland zu werben, wird der Zeitung mit ihrem viel universaleren Inhalt, der sich an alle wendet, der Antiquasatz den Zugang zu den Lesern erst recht wesentlich erleichtern.

Vom Führer kamen, um noch ein anderes Beispiel aus der Praxis zu zeigen, die inhaltsschweren Worte: „Exportiere oder stirb!“ Wir brauchen, um unsere Ausfuhr zu steigern, keine französischen, englischen oder schwedischen Briefe zu schreiben, wir vollen deutsch schreiben, wir tun es aber in der liebenswürdigen, allen Ausländern vertrauten Form der Antiqua. Wir sind auf dem Wege, aus einer Großmacht zu einer Weltmacht zu werden. Es ist sehr wichtig, wenn der ausländische Leser unserer Zeitungen, statt durch das Gewirr ihm fremd anmutenden Schrift dringen zu müssen, in den klaren Schriftformen der ihm vertrauten Antiquaschrift leichter und bereitwilliger unsere Sprache und Kultur in sich aufnehmen kann. Die deutsche Zeitung, die deutsche Zeitschrift und das deutsche Buch sind unsere Brücke zur Welt. Wenn wir zur Welt sprechen wollen, müssen wir alle Aeußerlichkeiten entfernen, die uns dabei hinderlich sein können.