Katharina Gelinsky, Frankfurter Allgemeine Zeitung,
Eines der Hauptargumente der Reformgegner lautet, daß der Staat nicht die Kompetenz habe, die Rechtschreibung […] zu verändern. […] Sie berufen sich dabei auf die sogenannte Wesentlichkeitstheorie, die das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Schulrecht entwickelt hat. Danach ist der Gesetzgeber wegen der Spannungslage zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht, dem Persönlichkeitsrecht sowie dem Recht des Staates auf Planung und Organisation des Schulwesens dazu verpflichtet, die "wesentlichen" Entscheidungen im Schulwesen selber zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen. Als "wesentlich" betrachtet das Verfassungsgericht solche Entscheidungen, die weltanschauliche, politische oder religiöse Grundfragen berühren, Erziehungsziele in ihren Grundzügen festlegen oder von grundsätzlicher bildungs- und schulpolitischer Bedeutung sind. Nach Auffassung der Reformbefürworter ist das bei der Rechtschreibreform nicht der Fall. Vielmehr handele es sich beim Unterricht nach den neuen Schreibregeln um die wertneutrale Vermittlung von Sachwissen, die Erziehung und Bildung nicht wesentlich beeinflusse.