Die Schule ist der Ort des Schreiben- und Lesen-Lernens und damit auch der Ort, an dem Rechtschreibfähigkeiten erworben werden.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
schule
«… der Ort, an dem sich die Reform entscheidet»
«Daß wir nämlich niemals durch die Literatur […], sondern nur durch die Schule zu einer einfacheren Rechtschreibung gelangen werden, ist mir zweifellos.»
neu Wilhelm Wilmanns, Die Orthographie in den Schulen Deutschlands, 1887
Nur durch die Schule ließ ſich hoffen, die Reform in’s Leben zu führen. Grimm ſelbſt hat dieſes Mittel nicht verſucht; aber mancher Lehrer, der aus Grimms Werken Belehrung geſchöpft und den belebenden Hauch einer reinen Hingabe an die Wiſſenſchaft und das Leben ſeines Volkes empfunden hatte, verkündete in den ſtillen Räumen der Schule die Anſichten, die im Geräuſch des Lebens unvernommen verhalten.
Kirill Levinson,, Historische Anthropologie, 5. 2007
Der Reichstagsabgeordnete Reichensperger betonte 1880, dass die „ganze Bewegung“ in Richtung auf eine einheitliche, staatlich verordnete Orthographie „eigentlich eine spezifisch schulmännische“ sei. Der Historiker Heinrich von Treitschke meinte, der preußische Kultusminister von Puttkamer war „in einem für Beamte sehr verzeilichen Irrtum befangen gewesen“, nämlich zu glauben, in der Frage der Orthographie sich an die Gutachten der Lehrer halten zu müssen.
Jan Fleischhauer und Christoph Schmitz, Der Spiegel, 2. 1. 2006
Die Schule ist der Ort, an dem sich die Reform entscheidet.
Reu., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. 7. 2000
Die Kultusminister nehmen die Schüler als Geiseln, um die Bevölkerung zu erpressen […].
Michael Hochgesang, Welt und Wort, 1973, nr. 2, s. 136f
Die Schule kann ihren Stoff wohl auswählen, aber sie kann die Welt nicht nach ihren Zwecken ändern. Sie kann nicht Berge und Flüsse abschaffen, weil sie gern ihren Geographieunterricht vereinfachen möchte.
neu Horst Haider Munske, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 7. 2004
Denn nirgends steht geschrieben, daß Kultusminister für die Rechtschreibung zuständig seien und ohne Gesetz Reformen für 100 Millionen Bürger verordnen dürfen. Sie haben sich diese Zuständigkeit genommen, und man hat sie gewähren lassen. Aber die Ausrede, sie seien für Schulen zuständig, berechtigt nicht, eine eigene Orthographie für sie einzuführen, der dann die ganze Sprachgemeinschaft nolens volens folgen muß.
Nein, sie muss nicht. Wenn sie es bisher getan hat, ist das ein argument für eine reform der schulrechtschreibung.
Gernot Holstein, volksbegehren „Schluß mit der Rechtschreibreform“, land Berlin, 15. 3. 1999
In das Schulgesetz für Berlin wird folgender § 19 a eingefügt: Aufgabe der Schule ist es, die in der Sprachgemeinschaft gewachsene und von der Bevölkerung allgemein anerkannte traditionelle Rechtschreibung nachzuvollziehen und die Schüler in dieser zu unterrichten.
Und wer entscheidet, welche rechtschreibung allgemein anerkannt ist und wie weit sie wachsen darf? Natürlich der staat, wenn es ein solches gesetz gäbe. Sonst fordern die reformgegner immer die «Entstaatlichung der Rechtschreibung».
Peter von Polenz, Geschichte der deutschen Sprache, 2009, s. VIIIf.
Das städtische Bürgertum benötigt für Handel und Gewerbe Menschen mit einer Schulbildung, die die elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschen und keiner lateinisch fundierten klerikalen Bildung bedürfen. So überrascht es nicht, dass zunächst Pädagogen eine Einheitssprache fordern und dann pädagogisch motivierte Grammatiker zu dieser Einheitssprache führen. Damit ist die ‹neuhochdeutsche› Periode erreicht, in der das Deutsche […] eine außerordentlich kunst- und ausdrucksvolle Literatursprache wird.
Wilhelm Bleich, Der deutsche Schreibzopf und dessen notwendige Beseitigung, 1900
Daß die bezeichneten Irrtümer [substantivgrossschreibung, dehnungszeichen und damals die fraktur] noch immer von der Schule aus als Wahrheiten verbreitet werden, ist der eigentümlichen, althergebrachten Schulverfassung zuzuschreiben, welcher gemäß, während die Vorgesetzten jedes anderen Berufes aus dem eigenen, ihnen bekannten Berufskreise hervorgehen, die mit der Ueberwachung des Unterrichts beauftragten Beamten nicht aus dem Lehrerstande, sondern noch immer aus anderen Berufskreisen erwählt werden.
Astrid Knöß, Giessener Anzeiger, 26. 7. 1999
Heinrich Erdmann, 1874
Scope, institut für markt- und meinungsforschung, Luzern, 1973
Die initiative für die kleinschreibung erwartet das publikum vor allem von den schulbehörden (49%).
«Die Hauptleidtragenden …»
Rudolf Hotzenköcherle, Deutschunterricht, 1955, h. 3, s. 35
Die Hauptleidtragenden sind bekanntlich die Schüler und Lehrer. Sie haben unbestreitbar den abschreckendsten Einblick in die Schwierigkeiten, welche die Erlernung der deutschen Orthographie auftürmt. […] Es ist schon so: gerade die Grossschreibregeln zwingen zu einem Aufwand an Zeit und Kraft, der zu ihrem Bildungswert in einem durchaus unglücklichen Verhältnis steht.
Otto von Greyerz, O mein Heimatland, 1926
Die volksschullehrer leiden am meisten von allen berufsarten unter den schikanen unserer rechtschreibung; sie haben die saure pflicht, die kinder an ein system von schreibregeln zu gewöhnen, das weder den kindlichen verstand noch die logik des reifen menschen befriedigen kann. […] Eine unendliche zeit, mühe und gute laune muss diesem hauptgötzen der rechtschreibung geopfert werden.
neu Wilhelm Wilmanns, Die Orthographie in den Schulen Deutschlands, 1887
Aber grade die gründliche Erörterung, welche jetzt von verſchiedenen Standpunkten aus vorgenommen war, weckte und ſteigerte das Verlangen nach Änderung. Natürlich nicht in der großen Maſſe der Schreibenden; ſie kümmerte ſich nicht um die Theorie und fühlte ich leidlich wohl, indem ſie der früh erworbenen Gewohnheit folgte; das Nachdenken, der Feind behaglicher Ruhe, blieb ihr fern. Aber anders ſah es in der Schule aus. Die Lehrer, die den Unterricht im Leſen und Schreiben erteilen, wurden täglich und ſtündlich an die Übelſtände gemahnt; ſie ſahen, wie viel Zeit und Mühe ſie aufwenden mußten, einem Gebrauch zu Liebe, der Mißbrauch iſt; ſie beobachteten die Schwierigkeit, die das Kind ſchon beim Lautieren hat, um ſich durch die queren Gänge der Schrift zu winden; wie viel andere nachher beim Schreiben, um ein Heer willkürlicher Ausnahmen zu überwinden. In dem Kinde ſelbſt wird wenig oder nichts davon zum Bewußtſein kommen; es nimmt dieſe Sachen als eine Naturnotwendigkeit hin, die nicht ſchlimmer iſt, als ſo vieles andere Ungemach. Aber der Lehrer denkt und fühlt für das Kind, er empfindet die Qual, jahraus jahrein ein Kreuz auflegen zu müſſen, von dem kein Segen kommt.
Karl Korn, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 5. 1959
Die armen Schulkinder? Ach, dieses wehleidige Geschrei! […] Wenn Sprache und Schrift schwer sind und schwer erlernbar, so lohnen sich Schweiß und Mühe.
Hans Messelken, Praxis Deutsch, mai 1974, s. 19
In der öffentlichkeit sollte verstärkt und immer wieder diskutiert werden, ob die gesellschaft wirklich will, dass ein viertel bis die hälfte des sprachunterrichts durch übung der gross/kleinschreibung, der dehnung, bzw. kürzung und des /s/-lautes vertan werden soll, oder ob man sich nicht doch zu einer reform dieser drei bereiche entschliessen will.
Kirill Levinson, Historische Anthropologie, 5. 2007
So zeigte z. B. der Oberlehrer Dr. Paul Richert aus Berlin in seinem „erkenntnistheoretischen Essay“ über Sprache und Schrift eine äußerst pragmatische Herangehensweise: Weil der Schüler die komplizierte und vielfach unlogische deutsche Orthographie zu erlernen hatte, müsste er „so überaus viele kostbare Zeit vergeuden […], die man […] viel nützlicher auf die wirklich ernsten Wissenschaften verwenden könnte. Weshalb muss es denn sein, daſs gerade auf das Richtigschreiben, das elementarste aller Hilfsmittel für die realen Wissensfächer eine solche Unsumme von Arbeit verwendet wird, wenn man dasselbe Ziel vielleicht in der halben Zeit erreichen kann. Warum richtet man es nicht lieber so ein, dass man auf den Unterricht im Richtigschreiben nur ebensoviel oder ebensowenig Zeit zu verwenden hat, wie auf das Richtiglesen. Blos weil man die Mühe scheut, einen Augiasstall zu reinigen, in welchem jahrhundertealte Irrtümer eine Unmasse von Unrat aufgehäuft haben, konserviert man diesen Unrat mit allerlei schönen sentimentalen Redensarten“. Zur Begründung seiner Vorschläge zur Vereinfachung der deutschen Orthographie und ihrer Annäherung an die Aussprache durch Verminderung der Buchstabenzahl führte Dr. Richert folgende Überlegungen an: Der Erstklässler hatte acht Alphabete zu erlernen, die großen und die kleinen Buchstaben, handschriftlich und gedruckt in Fraktur und Antiqua. Wenn es weniger Buchstaben gäbe, würde es auch weniger Fälle geben, in welchen der Schüler nicht wüsste, wie er ein Wort schreiben müsse. Er geriete nicht mehr in Gefahr, ‚für’ mit v zu schreiben; und es würde ihm nicht als Fehler angestrichen werden, wenn er ‚Vater’ mit f schriebe. Und man würde sich nicht mehr mit unlogischen Schreibungen abfinden müssen. Der Kultusminister, der eine vom Richert (und vielen anderen Lehrern) geforderte vereinfachende Orthographie-Reform durchführen würde, „würde sich sehr verdient machen nicht nur um die deutsche Schriftsprache, sondern insbesondere um die lernende Jugend, die mit der Vermeidung eines jeden der heute so zahlreich gemachten orthographischen Fehler ihm unbewuſst einen stummen Dank abstatten würde.“ Dass man die Zahl der Rechtschreibfehler vermindern könnte, indem man einfachere Regeln erarbeitete, war ein Gedanke, den tausende von Lehrern in Deutschland teilten. Eine kritische Masse, welche eine durchgreifende Reform hätte initiieren können, wurde jedoch nie erreicht.
« … zu einer kritischen Einstellung … befähigen»
Josef Kraus, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6. 8. 2000
Wenn sich bei Schülern die Vorstellung breitmacht, das, was mir der Lehrer beibringt, ist nicht unumstritten, dann wird sich auch die Einstellung festsetzen, man könne die Schreibung ein bißchen locker handhaben. Das ist das Ende einer exakten Diktatbenotung.
Unser standpunkt: Bei allen schülern muss sich die vorstellung breitmachen, alles, was mir der lehrer beibringt, ist nicht unumstritten. Das ist eine voraussetzung dafür, dass aus dem schüler ein mündiger, aufgeklärter bürger wird. Die skandalöse einstellung des deutschen lehrerverbandspräsidenten erklärt, warum die deutschen so sind, wie sie sind. Vgl. freiheit.
Bernhard Weisgerber, vernünftiger schreiben, 1974, s. 72
Ein apodiktisch-unkritischer rechtschreibunterricht führt im regelfall dazu, dass auch der erwachsene das tabu der geltenden rechtschreibnorm nicht mehr anzutasten wagt. Insofern entscheidet schon die art der vermittlung der rechtschreibung in der schule über die chancen künftiger reformen. Dabei lässt sich durchaus ein rechtschreibunterricht denken und praktizieren, der die vermittlung und sicherung der rechtschreibung mit ihrer kritischen reflexion verbindet.
Leo Weisgerber, Die Verantwortung für die Schrift, 1964, s. 168f.
Dieselbe Schule, die den Unmündigen die Diktatur der Schrift zu einem Grunderlebnis der ersten Schuljahre macht (und bei dem jetzigen Zustand unserer Rechtschreibung machen muß), müßte den mündig Gewordenen mit gleichem Nachdruck einprägen, daß Schrift und Rechtschreibung keine vorgegebenen Heiligtümer sind, sondern geschichtliche Setzungen, denen der Mensch ausreichende Verbindlichkeit, aber ebenso ausreichende Abwandlungsfähigkeit zuteilen muß.
Hessische rahmenrichtlinien sekundarstufe I deutsch, 1972
Durch die Einsicht in die historische Bedingtheit der Orthographie soll der Rechtschreibunterricht den Schüler auch zu einer kritischen Einstellung gegenüber der Rechtschreibung befähigen.
John Ruskin, Time And Tide, p. 108
Never teach a child anything of which you are not yourself sure; and, above all, if you feel anxious to force anything into its mind in tender years – that the virtue of youth and early association may fasten it there – be sure it is no lie which you thus sanctify … Better that it should be ignorant of a thousand truths than have consecrated in its heart a single lie.
«We vote for a reform that will be taking place in schools and only in schools»
Yacine Ahtaitay, ahtaitay.blogspot.com, 12. 11. 2017
The proud, patriotic peddlers of the status quo will come up with a long list of reasons why we cannot change things, it's impossible, they say, and that the die has been cast! No, we will not be forced to learn another spelling system as long as we vote for a reform that will be taking place in schools and only in schools and will be phased in slowly (12 years since it would start at age 6). No, the change will not be forced on streets and other public signs.
Die stolzen, patriotischen hausierer des status quo werden eine lange liste von gründen aufstellen, warum wir nichts ändern können; es ist unmöglich, sagen sie, und dass die würfel gefallen sind! Nein, wir werden nicht gezwungen sein, ein anderes rechtschreibsystem zu lernen, solange wir für eine reform stimmen, die in den schulen und nur in den schulen stattfinden wird und langsam eingeführt wird (12 jahre ab beginn im alter von 6 jahren). Nein, die änderung wird nicht auf strassen und anderen öffentlichen beschriftungen erzwungen.
Gerd Simon, Marginalismus und Chaos-Angst (manuskript), 24. 9. 2004
Für Erwachsene sehe ich überhaupt keinen Grund, die gängige Schreibung zu reformieren. Das englische Beispiel zeigt, dass es auch ohne Reformen geht. Hier wäre lediglich zu monieren, dass das »Oxford Dictionary« nicht weniger dogmatisch als in Deutschland der »Duden« eine bestimmte Schreibung vorschreibt. Für Lernende spricht überhaupt nichts dagegen, wenn Kommissionen eine Rechtschreibung entwickeln, die leicht erlernbar, und für Erwachsene lesbar und verständlich ist sowie wissenschaftlichen Prinzipien folgt.
Gegenposition zum «Fetisch der Einheitlichkeit». Ein ansatz in dieser richtung ist das britische initial teaching alphabet.
Die neuregelung von 1996
Uwe Schlicht, Tagesspiegel, 16. 8. 2000
Reinhard Markner, Magdeburger Volksstimme, 16. 12. 2010
Eine empirische Überprüfung der Auswirkungen der Reform auf die Leistungen der Schüler hat es bisher nicht gegeben und wird es wohl auch nie geben, weil sie unerwünschte Resultate erbringen würde. Die Reform hat, anders als von ihren Urhebern verheißen, nur zu mehr Fehlern geführt.
Melania Botica, Focus-Schule Online, 10. 5. 2011
Die Orthografie von Schülern ist so schlecht wie noch nie, klagen viele Sprachdidaktiker. […] Diese Entwicklung beruht Bildungsforschern zufolge jedoch nicht gänzlich auf der Rechtschreibreform.
Eher gänzlich nicht, wie ein blick über die sprachgrenze zeigt (Südostschweiz, 4. 5. 2011).
teachersnews.net, 31. 7. 2011
Volker Kitz, faz.net, 23. 7. 2017