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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

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Bedeutung der schreibkompetenz

Amerika­nische brief­marke: «Schreiben können – eine wurzel der demokratie.»
amerikanische briefmarke
überschrift: Polizisten-Mangel: Die meisten Anwärter scheitern am Deutschtest

NZZ am Sonntag,

«Rund 50 Prozent der Ar­beit eines Poli­zisten be­stehen aus Schrei­ben», erklärt Mar­co Bisa von der Zür­cher Stadt­polizei.

,

Das Bundes­kriminal­amt kann offene Stel­len nicht besetzen, weil zu viele Bewerber am Deutsch­test scheitern […]. Grund dafür ist nach Angaben des BDK-Vor­sitzenden Andre Schulz vor allem der Rechtschreib­test im Aufnahme­verfahren, an dem viele der Bewerber trotz Abitur scheiterten.

Anatole France

Aujourd'hui (um 1900) Bonaparte serait refusé à Saint-Cyr, pour l'ortho­graphe. (Heute würde Napoleon von der Militär­akademie Saint-Cyr wegen seiner Recht­schreibung zurück­gewiesen werden.)

Kontroverse

Für den Bund für vereinfachte rechtschreibung ist die mangelhafte beherrschung der recht­schreibung durch die bevölkerung ein wichtiges (wenn auch nicht das einzige) argument für reformen. Das wird von reform­gegnern bestritten:

Petition von juristen zur be­endi­gung des rechtschreib­reform­projekts,

Die tradierte Recht­schreibung wird prak­tisch von der gesamten Sprach­gemein­schaft beherrscht.

Die schreibkompetenz in zahlen

Süd­deutsche Zeitung,

Im Jahr 1912 ver­ursachte der Breslauer Lehrer Oskar Kosog mit dem Recht­schreib­diktat „Aus dem Testamente einer Mutter“, seither Kosog­sches Diktat genannt, keine geringe nationale Auf­regung. Es be­teiligten sich daran 30 Lehrer, 2 Subaltern­beamte, 8 Frauen mit höherer Mädchen­schule, 10 Akademiker sowie 22 Stu­dentInnen. Man kann es nicht anders sagen, als dass das Ergebnis be­trüblich war: Je nach Gruppe kamen zwischen 13 und 24 Fehler heraus; der einzige Ober­lehrer, der sich an der Prüfung beteiligte, lag mit 18 Fehlern im Mittel­feld. Insofern ist es mehr als ver­ständlich, wenn sich der Schrift­steller Martin Walser weigert, an dem von der Zeit an­gezettelten Dichter-Diktat teil­zunehmen.

[…] eine Rechtschreibung, die selbst von den Ge­bildetsten im Volke nicht be­herrscht wird, hat ihr Daseins­recht verwirkt, und je eher sie ver­schwindet, desto besser.

Schriftliche prüfungen 20-jähriger schweize­rischer rekruten mit unter­schiedlichen temati­schen schwer­punkten; 1954 erhebung der recht­schreib­kompetenz anhand von aufsätzen und briefen, bericht von dr. F. Bürki

Im ganzen ist die Zeichen­setzung das­jenige Gebiet der Recht­schreibung, auf dem die grösste Un­sicherheit herrscht.

Die klein- und grossschreibefehler machen …

… 37% sämtlicher Wortfehler überhaupt [aus]. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Großschreibung eine wesentliche Fehlerquelle bedeutet.

, Neue Zürcher Zei­tung,

(auszüge; forma­tierung von uns)

Um Aufschlüsse über die schrift­sprachlichen Stärken und Schwächen von Lehrlingen und Lehr­töchtern zu erhalten, wurden im Schuljahr 1991/92 Aufsätze von Schülern einer Zürcher Berufs­mittelschule auf ihre formalen Qualitäten hin unter­sucht.

  • Beinahe jede oder jeder dritte schreibt dezidiert ungern: «frei­willig nie» oder «nur wenn es un­bedingt notwendig ist».
  • Über alle Kategorien sprach­licher Korrekt­heit (ortho­graphisch-inter­punktionelle, grammatische, semanti­sche) betrachtet, ist durch­schnittlich auf 16,6 Wörter einmal eine Sprach­regel verletzt worden.
  • Bei knapp drei Vierteln aller sprachlichen Irrtümer handelt es sich um Ver­stösse gegen die Regeln der Recht­schreibung und Zeichen­setzung.
  • Am häufigsten, d. h. in 40 Prozent aller Fälle, wurde gegen Inter­punk­tions­regeln verstossen. Vier von fünf dieser Fehler betreffen die Komma­setzung, vor allem jene im zusammen­gesetzten Satz.
  • In zwei von fünf Ortho­graphie­fehlern geht es um die Gross- bzw. Klein­schreibung, in einem von fünf um die Getrennt- und Zu­sammen­schreibung; beide Gebiete der Recht­schreibung gelten als besonders schwierig.

Da sich die Schreibung leicht überprüfen lässt, werden Texte oft auf Grund ihrer ortho­graphischen Qualität als gut oder schlecht beurteilt — vorschnell, wie die Analyse der Lehrlings­texte vermuten lässt, konnte doch kein signifikanter Zusammen­hang zwischen der ortho­graphischen Fehler­dichte und den übrigen formalen Qualitäten eines Aufsatzes eruiert werden.

Fridolin (Schwanden GL), , zu einer be­fragung von armee­rekruten (1991)

Ein Viertel hatte Mühe, den Sinn eines simplen Zeitungs­artikels zu verstehen. Beim Diktat des Artikels 2 der Bundes­verfassung konnten den Text bloss 10% der Romands, 29% der Deutsch­schwei­zer, aber immerhin 45% der Tessiner fehler­frei wiedergeben.

Wirtschafts­Woche Online (Wirtschafts­woche/Handels­blatt),

Deutsche Manager haben massive Proble­me bei Recht­schreibung, Komma­regeln und Satzbau. Nach einer Unter­suchung der Freiburger Personal­bera­tungs­gesellschaft Saaman Consultants AG ent­halten gut drei Viertel aller Bewerbungs­schreiben und Lebens­läufe von Führungs­kräften eindeutige Recht­schreib­fehler. Das hat der Vergleich von 250 Bewerbern für Stellen im Top-Ma­nagement (Bereichs­leiter, Haupt­abteilungs­leiter) im Jahr 1997/98 mit der selben Anzahl von heute ergeben, wie Firmenchef Wolfgang Saaman heute mitteilte.

grafik: rechtschreibkenntnisse

Um­frage der Ge­sell­schaft für deut­sche Sprache,

Die Rechtschreib­kenntnisse der Bevölke­rung jedenfalls haben sich in den letzten 20 Jahren nicht ver­schlechtert, aber auch – trotz Explosion der höheren Bil­dungs­abschlüsse in diesem Zeitraum – nicht verbessert. Wörter wie ‚Le­bensstan­dard’ oder ‚Rhythmus’ konnte damals wie heute nur jeder Zweite bzw. knapp jeder Dritte korrekt schreiben. Und auch Jüngere, unter 30-Jährige, schneiden bei diesem Test nicht schlechter ab als Alters­gleiche vor gut 20 Jahren.

Mit Spannung erwartet, fand am 27. Februar das große Finale des Diktat­wett­bewerbs „Frank­furt schreibt!“ statt. Die Aula der Muster­schule wurde zur Recht­schreib-Arena, und die von 15 Frankfurter Schulen entsandten Teil­nehmer kamen mehr als einmal ins Schwitzen. […] Tilman Jacob siegte im Feld der Schüler mit 19 Fehlern; die beste Lehrerin, Anneke Thaler, glänzt mit nur 10 Fehlern, und bei den Eltern darf sich Antje Freyberg mit 9 Fehlern des Sieges im Gesamt­placement rühmen. Die durch­schnittliche Fehler­quote – 49,9 bei den Schülern; 25,2 bei den Eltern und 24,6 bei den Lehrern – zeugt davon, welch hohe Anfor­derungen der amüsan­te und erfindungs­reich komponierte Text an die Schreiber stellte.

, IQB-Bildungstrend 2021 (), , s. 32

Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends liefern ein besorgniserregendes Bild. Die negativen Trends sind erheblich und der Anteil der Viertklässler:innen, die nicht einmal die Mindeststandards erreichen, ist zu hoch. Im Jahr 2021 liegt dieser Anteil in Deutschland insgesamt zwischen gut 18 Prozent (Zuhören) und etwa 30 Prozent (Orthografie), wobei die Anteile in einzelnen Ländern noch deutlich höher sind. Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass solche Zahlen nicht hinnehmbar sind. Bei Mindeststandards handelt es sich um Anforderungen, die von allen Schüler:innen erreicht werden sollten […].

Peter Schmachthagen, Ham­burger Abendblatt,

Ich habe am Tag vor der Einführung der neuen Recht­schreibung in den Medien, am 31. Juli 1999, im Abend­blatt einen Test mit 40 Wörtern alter Schreib­weise ver­öffentlicht, hinter denen jeweils zwei Kästchen standen, in denen die Leser „Richtig“ oder „Falsch“ ankreuzen sollten. Eine Leserin rief an und sagte, sie habe drei richtige Schreib­weisen ent­deckt, die übrigen 37 seien falsch. Eine pensio­nierte Kollegin schaffte immerhin acht Richtige. Das Dumme war nur, dass alle 40 Beispiele nach alter Norm richtig waren! Doch hat es niemand geglaubt, und nie­mand hat vor 1996 jemals ein Diktat mit allen Schwierig­keiten fehlerfrei geschrieben.

«Die Rechtschreib­leistungen sind schlechter geworden»

Horst Hai­der Munske, (Neue Osna­brücker Zeitung),

Die Rechtschreib­leistungen sind schlechter geworden und auch das Ansehen der Recht­schreibung hat gelitten.

Birgit Hofmann, Süd­kurier, 15. 1. 2014

Wie emotional aufgeladen das The­ma ist, zeigte sich kürzlich, als der Ger­manist Uwe Grund und dessen Studie in einem Medienbericht mit der Aussa­ge zitiert worden war, dass sich seit der Rechtschreib­reform die Fehlerquote in Schultexten verdoppelt habe. Grund selbst bezeichnet sich als unterrichts­historisch arbeitenden Germanisten, der aber eher unbekannt ist. Seine Vor­gehensweise, nämlich Schülerarbeiten aus den 70er-Jahren mit Daten aus den Jahren 2004 bis 2006 zu vergleichen, ist in Experten­kreisen umstritten. Die Zu­nahme der Fehler allein der Recht­schreibreform zu­zuschreiben, hält Kerstin Güthert, Geschäfts­führerin des Rats für deutsche Rechtschreibung, für falsch. „Grund kommt 2006 zu dem Schluss, dass die Fehler­quote in Abi­turaufsätzen aus dem Jahr 2005 dreimal so hoch ist wie in Abitur­aufsätzen aus dem Jahr 1962 und doppelt so hoch wie in Abitur­aufsätzen aus dem Jahr 1978“, sagt sie. „Doch zwischen 1962 und 1978 hat es keine Reform der Rechtschrei­bung gegeben.“ Das Institut zur Quali­tätsentwick­lung im Bildungs­wesen in Berlin hat 2009 im Auftrag der Kultus­ministerien ermittelt, dass beispiels­weise die Lese­kompetenz von Neunt­klässlern in Branden­burg, Hamburg, Berlin und Bremen signifikant unter dem deutschen Mittelwert liegt, Bay­ern, Baden-Württemberg und Sachsen aber darüber. Weshalb die Kompeten­zen der Schüler so schwanken, hat aber noch keine Studie ermittelt.

, Kölnische Rundschau,

Die offensichtlich an­schwellende Flut von fehler­haften Texten erklärt sich vor allem daraus, dass heute mehr Men­schen als jemals zuvor öffentlich schreiben […].

Rechtschreibung ist ein schönes Beispiel für eine Diagnose einer Ver­falls­erscheinung, die gar nicht belegt werden kann, sondern immer nur auf sub­jektiven Ein­drücken beruht, die sich in der Wahr­nehmung selbst bestätigen.

, Bildung Schweiz,

Sind Ihre aktuellen Schülerinnen und Schüler schlechter in der Rechtschreibung als frühere? [Frey:] Nein. Für die Behauptung, dass es eine solche Entwicklung gibt, würde ich ohnehin gerne einmal harte Fakten sehen. War es denn vor 10, 20 oder 100 Jahren besser? […] Trotzdem scheint es erwiesen, dass junge Leute die Sprache von Jahr zu Jahr schlechter beherrschen – zumindest, wenn man den Berichten einiger Medien Glauben schenken will. Sollte es aber tatsächlich so arg um die Sprache stehen und hat das tatsächlich einen so hohen Stellenwert, dann muss man auch die Ressourcen bereitstellen, um das Problem anzugehen.

, ober­experte, Die Recht­schreibung unserer Rekruten, Bündner Schul­blatt,

Der Unter­richt in der Recht­schreibung ist, wie aller Unterricht, durch die Zeit­umstände zu­nehmend schwieriger geworden. Die Kinder, auch die Land­kinder, sind durch die Begleit­erscheinun­gen des heutigen Zivilisa­tions­betriebes über­reizt. Die Motorisie­rung des Verkehrs, das Radio, die Bild­presse, bald wird es auch das Fernsehen sein – dies alles wirkt ablenkend, zerstreuend, auflösend auf das jugendliche Gemüt und gestaltet die Schularbeit mühsamer als noch vor einem Menschen­alter.

Der Spiegel, , s. 135

Der Abwärts­trend bei der Recht­schreibung scheint anzuhalten. Groß­tests der Kammern liefern bei un­verändertem Inhalt deutlich schlechtere Resultate als vor ein paar Jahren. Und im kleinen macht eine Stuttgarter Hauptschul­lehrerin solche Erfahrungen: Sie diktiert die gleichen Texte, die sie Mitte der siebziger Jahre von sechsten Klassen hat schreiben lassen, nun auch wieder, „und da zeigt sich eben, daß die durch­schnittliche Fehler­zahl ungefähr das Doppelte bis Drei­fache ist“.

Peter Schmacht­hagen, Berliner Morgen­post,

Wenn beide Schreib­weisen, egal, welche man wählt, richtig sind, können die Deutsch­fehler nicht zu­genommen haben […].

Laura Réthy, Berliner Morgen­post,

Welche Auswirkungen die Reform auf die Schreibfähigkeit von Schülern hatte, darüber wird noch heute gestritten. […] „Aber hier spielen ganz andere Faktoren als die Reform der Recht­schreibung eine Rolle“, sagt Schlobinski. Soziale Fakto­ren und Bildungs­defizite sowie die Digi­talisie­rung. „Orthografiede­fizite mit der Reform zu koppeln, halte ich für wider­sinnig.“ Es gebe keine Studie, die einen kausalen Zusammen­hang beweise.

Verweise

fundsachen aus presse und internet

duden.de/Liste-der-rechtschreiblich-schwierigen-Woerter