Solche Fehler, die ich praktisch täglich entdecke, zeigen, wie kontraproduktiv und damit unsinnig ein Teil der neuen Rechtschreiberegeln sind. Vor der Reform kam niemandem in den Sinn, «zusammenschreiben» getrennt zu schreiben.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
30. 6. 2009
Nicht nur die Sprache war ihm ein grosses Anliegen, sondern ebenso die über Jahre ins Kreuzfeuer der Kritik geratene Rechtschreibung. Als Mitbegründer der Schweizer Orthographischen Konferenz hat er mitgeholfen, die zeitweise chaotischen Verhältnisse in der Rechtschreibereform wieder auf den Pfad der Tugend zu bringen und für unsere Zeitung ein verbindliches Vademecum zu schaffen.
28. 6. 2009
Jüngst bei einem Besuch in Regensburg zeigte sich, dass ein dortiger Gastronom einen ziemlichen Bock geschossen hat und in seinem Biergarten „Boxbeutel“ anbietet. […] Er hat nichts mit Boxen zu tun. Und Bocksbeutel bleibt Bocksbeutel trotz Rechtschreibreform und obwohl ein sexy „x“ in unseren XXXXL-Zeiten mehr hermacht als ein hartes „ck“ im Wort.
27. 6. 2009
Ab dem 1. August ist die Schonzeit vorbei. Schüler, für die Gämse immer noch Gemse sind, die Schifffahrt bloss mit einem Doppel-F schreiben oder nicht kapieren wollen, dass man «hinaufgehen» zusammen schreibt, müssen bei der Bewertung eines Aufsatzes mit Abstrichen rechnen.
Doch ab 1. August gilt an den Schulen ganz genau das, was wirklich gilt, was auch immer das ist. […] Sechs Tage, nachdem wir dies meldeten, schlug am 19. Juni die Nationalratskommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) Alarm. Sie wolle sich «des Themas annehmen», drohte sie per Medienbulletin. Denn: «Das Chaos in der deutschen Rechtschreibung beschäftigt das Parlament.» Ach, wirklich? Und seit wann? Letztes Jahr jedenfalls, als die Orthographische Konferenz, unterstützt von der Konferenz der Chefredaktoren, «eine konsequente Verbesserung der missglückten Reform» forderte, war die WBK noch am Schlummern – oder mit ihrem eigenen Chaos beschäftigt. Was sie jetzt noch will, ist unerfindlich.
SVP-Nationalrat und SOK-Mitglied Oskar Freysinger hat das Anliegen in die nationalrätliche Bildungskommission eingebracht, die am 20. August eine Anhörung durchführt. Ziel sei es, dass der Bundesrat rückwirkend ein Moratorium verfüge, so Freysinger.
Nach den Sommerferien gilt alte Rechtschreibung in Aufsätzen als Fehler. Sprachpuristen wollen das um jeden Preis verhindern. Sie befürchten eine Klageflut gegen Schulen und Lehrer. […] Die SOK ruft deshalb Bund und Kantone auf, die Einführung der Notenwirksamkeit zu verschieben. Während des Moratoriums sollen alle herkömmlichen Schreibweisen wieder anerkannt und soll das Regelwerk nochmals überarbeitet werden. […] Doch bei den kantonalen Erziehungsdirektoren stösst der Aufruf auf Unverständnis. Die SOK-Experten bewegten sich offenbar in einem Umfeld, das wenig mit dem schulischen Alltag zu tun habe, sagt Bernhard Pulver, Berner Regierungsrat und EDK-Vorstandsmitglied. «Die neue Rechtschreibung gehört definitiv nicht zu den Sorgen der Schule. Sie ist schlicht kein Thema.»
24. 6. 2009
In der Buchhandlung und Papeterie Enderli in Altstätten beherrschen alle Mitarbeiter die deutsche Rechtschreibung perfekt. Das wird von Buchhändlern nun mal erwartet. Deshalb kann es sich bei dem Plakat auf dem Foto [«Alles rund um die Esotherik …»] nur um das beliebte Spiel Finde den Fehler handeln.
21. 6. 2009
Der Orthographiereformdiskurs ist ein explosives Feld. Wissenschaftlichkeit ist nur einer seiner Eckpunkte. Daneben bestimmen Ehrgeiz und Eitelkeit die Atmosphäre, ebenso wie Koalitionen und Lagerwechsel, die zu Enttäuschung und Feindschaft führen können, institutionelle Konkurrenz sowie naive, kurzsichtige oder absichtliche Falschdarstellungen. Eine der in dieser Szene handelnden Figuren der jüngeren Vergangenheit ist Wolfgang Mentrup, der mit dem vorliegenden Buch eine wissenschaftshistorische Einschätzung der Vorgänge eines Dreivierteljahrhunderts vorlegt. […] So bietet die vorliegende Rezension die Möglichkeit, die wesentlichen Inhalte des Buchs knapp zusammenzufassen, und das heißt in diesem Fall in erster Linie: (eine) Geschichte nachzuerzählen. Eine Geschichte, die spannend und aufregend erzählt wird und die sich stellenweise liest wie ein Krimi. Einer für Linguisten freilich. […] Insgesamt ist das Buch von Mentrup ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der Geschehnisse im Umfeld der Orthographiereformen des 20. Jahrhunderts.
20. 6. 2009
Die Deutschen lieben ihre Sprache. Mit dieser bahnbrechenden Erkenntnis hat das Institut für deutsche Sprache in Mannheim (IDS) nicht gerechnet. […] Der Sprachschützer, der nicht gefragt wurde, kann sich wenigstens bestätigt fühlen. Außerdem kann er sich über offensichtliche Erfolge seiner Arbeit freuen: Während 1997/98 nur 13 Prozent der Deutschen großes Interesse an der Pflege der deutschen Sprache bekundeten, sind es heute 35 Prozent. Fielen damals noch 53 Prozent der Deutschen Veränderungen in der deutschen Sprache auf, so sind es heute 84. Das ist beileibe nicht das Verdienst des IDS, das mit dem Verbrechen der Rechtschreibreform große Schuld auf sich geladen hat, sondern das der Sprachschützer, die […] für ein stärkeres Sprachbewußtsein kämpfen.
«Sprachschützer» gab es schon immer, die rechtschreibreform gibt es seit 1996 – worauf ist nun wohl ein wandel in der öffentlichen wahrnehmung in diesem zeitraum zurückzuführen?
17. 6. 2009
In der neuen Regelung wimmelt es jedoch von Widersprüchen und Fehlern, und die Lehrmittel sind alles andere als einheitlich. Deshalb fordert Professor Rudolf Wachter, Sprachwissenschafter und Mitglied der Schweizer Orthographischen Konferenz, ein gesamtschweizerisches Moratorium.
13. 6. 2009
Glarner Lehrkräfte haben sich das Datum nicht besonders vermerkt. Mit den neuen Regeln gehen sie pragmatisch um.
Ab August gilt die neue Rechtschreibung zwingend in allen Schweizer Schulen. Für Regula Keller, Vorsteherin der Fachschaft Deutsch an der Kantonsschule Glarus, ändert sich am 1. August aber wenig. Sie lebt die Rechtschreibereform längstens. […] Sabine Aebli, ebenfalls Deutschlehrerin an der Kantonsschule, hat Fehler nach Rechtschreibereform bisher angestrichen, aber noch nicht gewertet. […] Die Lehrerin hat kein Problem damit, dass in der Presse allenfalls andere Regeln gelten. Dies könne man mit den Schülern thematisieren. Sprache sei immer im Fluss.
10. 6. 2009
Gilt sie nun, oder gilt sie nicht? Ab August ist die neue Rechtschreibung an unseren Schulen notenwirksam – in der Theorie.
«Für mich ist die Reform schon seit Jahren in Kraft», sagt Ines Nisoli, die an der Uzner Realschule unterrichtet. «Die Schüler lernen schon in der Unterstufe die neuen Regeln, die alten kennen sie gar nicht», sagt Nisoli. Für sie sei der Widerstand gegen die Reform deshalb nicht nachvollziehbar und er sorge für zusätzliche Verwirrung.
Am vergangenen Donnerstag fand im Zunfthaus „Zur Waag“ die Frühjahrstagung der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK) statt. […] Die SOK appelliert an die politisch Verantwortlichen des Bildungssektors, die katastrophalen Rechtschreibregeln der Reformer nicht per 1. August 2009 notenwirksam werden zu lassen. […] Alle waren sich darin einig, dass dieser uns aus Deutschland aufgezwungenen Sprach- und Schreibverwirrung Einhalt geboten werden muss und dass die Schüler vor ihren Folgen zu schützen sind.
Wir sind also in der bemerkenswerten Situation, dass uns die Rechtschreibreformer neben der Hauptform Spaß auch einen auf Österreich beschränkten Spass zubilligen – und das gilt für die ganze Wortfamilie. Jedoch machen nur wenige davon Gebrauch.
9. 6. 2009
Widmer ist Kolumnistin, Journalistin und war Radio-Auslandskorrespondentin. Ihre Ansichten unterbreitet sie wöchentlich in ihrer Satiresendung «Zytlupe» im Radio. Mit den Perlen dieser Satirekolumnen steht sie seit 2001 regelmässig auf Kleinkunstbühnen der Deutschschweiz […].
6. 6. 2009
Diverse Medien (so auch unsere Zeitung) folgen den SOK-Regeln. Jetzt aber gehe es um die Schule. Und damit sei die Politik gefordert – wo sich allerdings zwischen Bund und Kantonen niemand zuständig fühle, wie Nationalrätin Kathy Ricklin sagte. Das heutige «Desaster» brachte Autorin Gisela Widmer auf den Punkt: Den Jungen sei die Orthographie schlicht egal. Ein Flurschaden, an dem Mails und SMS ihren Anteil haben – aber auch die verunglückte Rechtschreibreform.
Den alten ist die ortografie manchmal auch egal, wie der falsch geschriebene name der nationalrätin zeigt.
«Das amtliche Regelwerk von 2006 und die vorhandenen Lehrmittel sind widersprüchlich und mit Fehlern behaftet», heisst es in einer Resolution, die gestern an einer SOK-Tagung in Zürich einstimmig gefasst wurde.
Wesentlich weniger erspriesslich ist die Situation im Bereich der Schulen und der Behörden, wo man aus verschiedenen Gründen vor einer Rückkehr zur Einfachheit und Klarheit der früheren Rechtschreibung zurückschreckt. Da am kommenden 31. Juli die dreijährige Übergangsfrist, während der die klassische Schreibweise noch toleriert wurde, ausläuft und die Schulen sich an ein verwirrendes, nicht selten chaotisches amtliches Regelwerk halten müssen, tritt die SOK mit dem Appell an die Öffentlichkeit und die politischen Behörden, über den 1. August hinaus den bisherigen Zustand zu belassen.
Dass man in diesem bereich die frühere Rechtschreibung für nicht so einfach und klar hält, scheidet als möglicher grund aus – der journalist als agitator.
"Vom festen niederbayerischen Boden aus" schreibt uns Frau K., dass die Todesstrafe für Karl-Theodor zu Guttenberg unangebracht sei. Anlass dafür war ein Passus in der SZ, wonach "die Union schlecht beraten wäre, den Minister hängen zu lassen". Gemeint war natürlich, dass ihn die Union wegen seines Agierens in der Opel-Sache nicht im Stich lassen oder gar aufgeben solle, das hängen lassen war also, wie man so sagt, im übertragenen Sinne gebraucht worden. Die Rechtschreibreform ist in dieser Sache so verblieben, dass Verbindungen aus zwei Verben getrennt geschrieben werden, dass sie jedoch, wenn bleiben und lassen mit von der Partie sind, bei übertragener Bedeutung auch zusammengeschrieben werden können. Der Duden empfiehlt die Getrenntschreibung. Dem schließt sich die Süddeutsche an, ohne deswegen gleich dem Herrn zu Guttenberg an den Kragen zu wollen.
Dazu kommt, dass «im stich lassen» keine übertragene bedeutung von «zum tod verurteilen» ist. Wenn schon, sind beides übertragene bedeutungen. Oder beides sind «wörtliche» bedeutungen. Wie «wörtlich» sind denn «im stich lassen» und «aufgeben»? Was will man da mit rechtschreibregeln differenzieren?
5. 6. 2009
Die SOK ruft die politisch Verantwortlichen in Bund und Kantonen eindringlich auf, die Rechtschreibereform in den Schulen nicht wie geplant am 1. August 2009 notenwirksam werden zu lassen.
Das Arosa Humor Festival geht in die 18. Runde. […] Einen kleinen Vorgeschmack auf die kommende Lach-Saison präsentierte an der gestrigen Medienkonferenz Alfred Mittermeier, der Bruder des bekannten Stand-up Comedians Michael Mittermeier. Im schönsten bayrischen Akzent gab er bitterböse Geschichten zum Besten: Von der Rechtschreibereform zur Steuerreform über die Sexualsteuer und die Tabaksteuer bis zur Steuerhinterziehung und – unvermeidlich – Peer Steinbrück, bekamen bestimmt alle und alles ihr Fett weg.
30. 5. 2009
[…] dass Sprache auch etwas Spielerisches hat, dass man mit Worten sogar lustvoll umgehen kann. Wie Colette zum Beispiel, die berühmte französische Schriftstellerin - "Gigi" zum Beispiel stammt von ihr. "Gewisse Wörter", schreibt ihr Biograf, "liebte sie um ihrer selbst willen, ganz unabhängig von ihrem Sinn. Sie liebte sie ihres Klangs wegen, aber auch wegen ihrer grafischen Form." Als Colette einmal gefragt wurde, ob sie für eine Rechtschreibreform sei, verneinte sie: "Ich möchte mir meine Wörter nicht zerstören lassen." Dem will ich mich gern anschließen.
Ihre wörter wollen wir nicht zerstören, nur unsere.
27. 5. 2009
Mittlerweile, so scheint es, sind die wichtigsten Kriterien in der Politik nicht Tatkraft und Ideen, sondern Beliebtheitswerte. […] Wenn man alle Überzeugungen entfernt und die Leerstelle mit Umfrageergebnissen füllt, kommen eben Leute wie Guido Westerwelle und Horst Seehofer heraus. Oder Sigmar Gabriel, der an Natur und Umwelt in etwa so interessiert sein dürfte wie Verona Pooth an der Rechtschreibreform.
Schlechter vergleich; zitate.
26. 5. 2009
Staatsfern – das war eine der Lehren aus der Nazizeit – wollte die Deutsche Akademie immer sein; dass sie es auch praktisch ist, zeigte etwa ihr Widerstand gegen die von oben verordnete Rechtschreibreform.
Für die nöte anderer länder mit ihrer vergangenheit haben wir verständnis, nicht aber für das unreflektierte nachbeten der floskel «von oben verordnet» in einer schweizer zeitung.
25. 5. 2009
Als die Gründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung […] proklamiert wurde, waren sich die Protagonisten ihrer Sache sicher: Mit Blick auf die Académie française sollte eine Institution geschaffen werden, die Schriftsteller und Gelehrte mit der Aufgabe versammelt, die Sprache von den "Epidemien seelenmörderischer Phrasen und Schlagwörter" zu "reinigen" […]. Sechzig Jahre später, so das Ergebnis der Frühjahrstagung der Akademie […], fällt die Antwort nicht nur weniger einfach aus. Auch zu ihrer Frühphase insgesamt bezieht die Akademie eine kritische Distanz. […] Die Sinnfrage in Bezug auf die Gegenwart zu stellen aber blieb Schriftstellern der jüngeren Generation vorbehalten. […] Wie Ingo Schulze und Daniel Kehlmann konnte auch (die Schriftstellerin Felicitas) Hoppe Aktivitäten der Akademie durchaus etwas abgewinnen […]. Was die interne Debatte um eine gesellschaftliche Einflussnahme der Akademie angeht, äußerte sie aber Zweifel an der Möglichkeit gemeinsamer Artikulation: Nicht die gesamte Akademie sei zum Beispiel gegen die Rechtschreibreform.
24. 5. 2009
Hoffentlich werden die zuständigen, hinter den Barrikaden der „Staaträson“ vor sich hindösenden Instanzen noch einmal richtig wach...
Ich möchte weiterhin Stengel, greulich und behende schreiben können, ohne gleich als Ignorant zu gelten.
Sie können! Sie können sogar Bureau und Thränen schreiben. Darauf, als was man gilt, hat man allerdings nicht immer einfluss.
Die einzig vernünftige Rechtschreibreform wäre die Kleinschreibung gewesen. Sie hätte für die Schüler eine wirkliche Erleichterung gebracht.
Es ist also zu befürchten, dass Herrn Wachters Ruf in der Wüste ungehört verhallen wird.
Aber noch 1965 schimpfte ein Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) im Wahlkampf über Autoren wie Günter Grass und Rolf Hochhuth mit den Worten «Da hört der Dichter auf und da fängt der ganz kleine Pinscher an!». Doch nicht nur Nobelpreisträger Grass weiß ein Lied davon zu singen, was es kosten kann, wenn sich Schriftsteller und Künstler in die Politik einmischen. […] Sein Kollege Volker Braun («Die Kipper») hatte jetzt ein neueres Beispiel zur Hand, als er an die Intervention der Deutschen Akademie im Streit um die Rechtschreibreform erinnerte: «Unsere Epistel wurde nur von einem einzigen Kultusminister mit einer Antwort gewürdigt - soviel zum Verhältnis von Geist und Macht». Für Akademiepräsident Klaus Reichert ist der staatliche Eingriff in die deutsche Sprache und Rechtschreibung noch immer «eine Anmaßung», die in anderen Ländern undenkbar wäre.
Verballhornen ist der Beweis, dass man, wenn man es schlau anstellt, seinen Platz nicht nur in den Geschichtsbüchern, sondern auch in den Wörterbüchern finden kann […]. Und man braucht dafür weder so anstrengende Aktionen wie einen Spartakus-Aufstand noch eine Wiedervereinigung, nein, man muss sich nur eine Nische suchen. Um als Person endlich in die Sprache einzugehen und in einem Wort weiterzuleben. Mut zur Nische, Mut zur Spezialisierung - damit überlebt man jede Krise und auch jede Rechtschreibreform und sogar den eigenen Tod.
Aber wie wichtig nimmt eine nun 60 Jahre alt gewordene Bundesrepublik ihre Künstler und Schriftsteller heute noch? […] Volker Braun („Die Kipper“) erinnerte an die Intervention der Deutschen Akademie im Streit um die Rechtschreibreform: „Unsere Epistel wurde nur von einem einzigen Kultusminister mit einer Antwort gewürdigt - soviel zum Verhältnis von Geist und Macht“. Für Akademiepräsident Klaus Reichert ist der staatliche Eingriff in die deutsche Sprache und Rechtschreibung noch immer „eine Anmaßung“, die in anderen Ländern undenkbar wäre.
23. 5. 2009
Ganz offensichtlich weniger Aufsehen erregt, dass auch die französische Sprache eine - anscheinend irgendwie besser durchdachte - Orthographiereform durchführte - und das bereits seit 1990. Die Reform bringt neben einigen in diesem Fall tatsächlichen Klärungen von ein paar Unsicherheiten - soweit das bei einer kurzen Übersicht festgestellt werden konnte - auch ein paar Vereinfachungen. Ein paar, man soll ja nichts übertreiben - fremdsprachige Schüler standen nicht im Zentrum der Überlegungen. Das Verblüffendste an dieser Reform aber ist, dass neben den zuständigen Stellen etwa der Romandie oder Walloniens sogar die Académie Française, als höchste Autorität der französischen Sprache, erklärte, dass weder die alte noch die neue Schreibweise als Fehler gelten dürfen. Dass diese Toleranz auch auf das Durchschnittsalter ihrer 40 Mitglieder zurückzuführen sei, denen auf ihre alten Tage keine neuen Regeln mehr zugemutet werden könnten, ist ebenfalls nichts als ein boshaftes Gerücht.
Zwar sagte Herzog einmal, die Reform sei „überflüssig wie ein Kropf“, ließ aber 1997 auf Nachfrage antworten: „Hier hatte er allerdings nicht nur gesagt, die Rechtschreibreform sei ‚überflüssig wie ein Kropf‘, sondern im gleichen Atemzug auch ausgeführt, er halte die Aufregung über die Rechtschreibreform für genauso überflüssig.“ Und Rau ließ im Jahre 2001 über seinen Sprecher in einem Brief ausrichten: „Der Bundespräsident nimmt für sich die Regelung der Rechtschreibreform in Anspruch, daß außerhalb des Schulbereichs niemand an die neuen Regelungen gebunden ist. Er sieht seine Rolle aber nicht so, daß er seine Entscheidung anderen zur Nachahmung empfehlen möchte.“ Völlige Ahnungslosigkeit offenbarte 2006 ein Sprecher Horst Köhlers in einem Antwortbrief: „Es ist jetzt wichtig, daß nunmehr Sicherheit hinsichtlich der Rechtschreibregelungen herrscht.“
20. 5. 2009
Jetzt schlagen Kritiker Alarm: Die dreijährige Übergangsfrist habe die Schüler völlig verunsichert – und nun drohe das totale Chaos, so Sprachwissenschafter Rudolf Wachter.
Der orthografische Freistil endet, zwingende Rechtschreibregeln halten wieder Einzug. «Die Lehrer müssen die neue Rechtschreibung umsetzen», bestätigt Beat W. Zemp, oberster Lehrer der Schweiz. «Das ist völlig illusorisch», entgegnet Robert Nef, Mitbegründer der Schweizer Orthographischen Konferenz – die Schulen seien dafür nicht bereit und die Lehrmittel nicht aktuell.
17. 5. 2009
Doch die Rechtschreibreform von 1996, von der Sprachgemeinschaft nie akzeptiert, aber von der Politik zum Gesetz erhoben, hat ein jämmerliches Chaos angerichtet. Und das heute gültige amtliche Regelwerk 2006, das der seit 2004 tätige „Rat für deutsche Rechtschreibung“ ausgearbeitet hat, hat die Situation nicht verbessert: Denn anstatt die begangenen Fehler einzugestehen und zurückzunehmen, hat man sich fast durchgängig darauf beschränkt, die bewährte, herkömmliche Schreibung als „Variante“ neben der neuen wieder zu erlauben. […] Immer wieder wird beschwichtigend betont, das durch Reform und Variantentrick entstandene Chaos betreffe ja nur wenige Wörter pro Seite Text. Das ist richtig, entscheidend ist aber, dass es die Anything-goes-Mentalität der Sprache gegenüber stark gefördert hat.
Geht denn nicht anything?
16. 5. 2009
Wer seine E-Mails über AOL verschickt, ist nur noch am Staunen und Lachen, wenn er vor dem Versenden seiner Texte die Rechtschreibkorrektur nutzt. […] Ein Wunder? Nein: ein "Wund er". Offenbar glaubt AOL, seit der Rechtschreibreform werde all es aus ein an der geschrieben.
4. 5. 2009
Mit der "Erhebung und Auswertung von Sprachdaten" ist es nicht getan, denn erfasst würde ein künstlich gestörter Schreibgebrauch. […] Ausgangspunkt für die Wiedergewinnung vernünftiger Rechtschreibregeln kann also nicht die Reformschreibung sein, deren logische Dürftigkeit an den hilflosen Selbstkorrekturen von Duden-Auflage zu Duden-Auflage abzulesen ist (mit der besonderen Pikanterie, dass die jüngste Duden-Auflage die vom Rat für deutsche Rechtschreibung erarbeitete "Reform der Reform" gezielt sabotiert). Leider kann auch der Kompromissvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung nicht Richtschnur sein, weil er zu viele grammatikwidrige Schreibungen akzeptiert. Wir müssen dort wieder anknüpfen, wo wir noch verlässliche, durchschaubare und sprachadäquate Regeln hatten. Das ist die Rechtschreibung, die zuletzt der Duden von 1991 dokumentiert hat.
Die unterscheidung von «natürlicher» und «künstlicher» entwicklung der rechtschreibung ist bei reformgegnern beliebt, aber unsinnig.
2. 5. 2009
Dem Kulturkreis Gossau ist es gelungen, die DRS-1-«Zytlupe»-Moderatorin Gisela Widmer nach Gossau zu holen. […] Mit «Who the hell has eingeführt the Deutsche Rechtschreibreform» oder dem Vorschlag, an Schulen auch das obligatorische «Frühpolynesisch» einzuführen, beleuchtet sie das Thema anscheinend selbstverständlich und mühelos aus verschiedenen Perspektiven.
30. 4. 2009
Dass die Lehrer im Titel des Aufsatzes als Hauptschuldige der Schäden der Rechtschreibreform herausgestellt werden, ist ungerecht. Es gab sicherlich Verirrte und Überzeugungstäter unter ihnen. Aber überwiegend waren "die" Lehrer genauso Opfer der Reform wie der Rest der Bevölkerung. Dummerweise sind Lehrer weisungsgebunden, was den Eindruck hervorrufen könnte, sie täten das alles aus Überzeugung. In der Anpassung an vorgeschriebene - oder als vorgeschrieben vermutete - Normen taten und tun sie jedoch nichts anderes als F.A.Z.-Redakteure, die "im Übrigen" oder "des Weiteren" schreiben.
Die Tiroler Polizei ist derzeit wieder auf Suche nach Nachwuchs. […] Von denen, die bereits zum ersten Aufnahmeteil angetreten sind, ist die Hälfte aber am schriftlichen Deutschtest gescheitert, konnte die Hürden Rechtschreibung und Grammatik (Das- und Dass-Schreibung, Satzstellung...) nicht nehmen, bestätigt der Aufnahme-Fachbereichsleiter Anton Brida. Ein Wert, der nicht nur für Tirol gilt: Wie die statistische Auswertung zeigt, gilt diese Ausfallquote auch für Restösterreich.
27. 4. 2009
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung pflegt und fördert die deutsche Literatur und Sprache, hat sich vehement beispielsweise in die Debatte um die Rechtschreibreform eingemischt und vergibt unter anderem den renommierten Georg-Büchner-Preis. […] Jetzt, zum 60. Geburtstag, sollten die ersten Jahre, die literarischen Aufbruchsjahre der gerade gegründeten Bundesrepublik unter die Lupe genommen werden.
24. 4. 2009
Eisenberg stellt diejenigen, die er "Schulvertreter" nennt, als unvernünftige Manipulatoren an dem dar, "was ist, wie es ist". Aber die Rechtschreibung ist nicht naturwüchsig, wie sie Eisenberg propagiert, sondern ein kompliziertes Geflecht aus Regelmäßigkeiten, Konventionen und gesetzten Normen. Am Setzen neuer Normen hat sich Eisenberg selbst fleißig beteiligt.
18. 4. 2009
Schrift ist eine junge Erfindung. Erst seit 5300 Jahren verwendet der Mensch sie in größerem Umfang. […] Die Fähigkeit, Schrift umfassend zu nutzen, also lesen und schreiben zu können, ist auch heute keineswegs selbstverständlich. Es handelt sich schließlich nicht um eine angeborene Fähigkeit, sondern um eine erworbene. Sie zu erlernen ist nicht einfach. Bewusst wird dies typischerweise dann, wenn die Fähigkeit zu schreiben unzureichend oder gar nicht ausgebildet ist oder wenn ihre Bedingungen infrage gestellt werden: Die weltweiten Bemühungen um die Steigerung des Alphabetisierungsgrades, die Orthographie-Reform, die Ergebnisse von PISA-Studien, die Entstehung digitaler Schrifträume und das immer wieder postulierte Ende der Gutenberg-Galaxis machen die Bedeutung von Schrift und Schriftlichkeit für viele moderne Gesellschaften offenkundig. Dabei wird deutlich: Schrift ist nicht nur eine komplexe Kulturtechnik, sie bedarf auch eines hohen Maßes an gesellschaftlichem Konsens.
17. 4. 2009
Vor gut fünf Jahren hat die Ständige Konferenz der Kultusminister den Rat für deutsche Rechtschreibung ins Leben gerufen. […] Trotz aller Rechtschreibfrustration verliert die Frage, wer die orthographische Norm künftig wie bearbeitet und entwickelt, nichts von ihrer Tragweite. Einheitlichkeit der Schreibung bleibt das stärkste Band im vielfältig gegliederten deutschen Sprachgebiet. Auch nimmt seine Bedeutung eher zu als ab. […] Der Rat sollte die Kastanien aus dem Feuer holen - und wider alle Erwartung tat er das. […] Drei Hauptgründe ermöglichten den Erfolg. Der erste ist in der Person des Ratsvorsitzenden Hans Zehetmair zu sehen. […] Mehrfach hatte sich der Rat unter Mühen auf seine eigentliche Aufgabe zu besinnen. Die orthographische Norm entsprechend dem allgemeinen Schreibgebrauch zu erfassen und zu entwickeln ist etwas anderes, als sie den Bedürfnissen bestimmter Institutionen anzupassen. Um es ganz einfach zu sagen: Die Orthographie ist weder dazu gemacht, dass man mit ihr erfolgreich Wörterbuchverlage betreibt, noch dazu, in der Schule gelehrt zu werden. Sie ist, wie sie ist. […] Jede noch so gutwillige, gutgemeinte Manipulation am Gegenstand hat zu unterbleiben.
Es ist interessant, dass ein sprachwissenschafter ein laiengremium mit einem laienvorsitzenden preist. – Einheitlichkeit der schreibung ist nicht das oberste ziel. Das war es vorher nicht, und der rat hat es auch nicht erreicht. Die ortografie ist nicht, wie sie ist; sie ist eine junge menschliche schöpfung (sie ist im gegensatz zur sprache eben «gemacht»), die gemäss dem ursprünglichen konzept gepflegt werden muss. Sie ist unter anderem auch dafür gemacht, gelernt zu werden.
Wer aber kümmert sich um das gute alte „ä“? Wer aufmerksam Rundfunk und Fernsehen verfolgt wird teglich feststellen können, dass es von Presidenten, Bewehrungsproben […] und sonstigem Keese nur so wimmelt. […] Nachdem anlesslich der Rechtschreibreform aus der Gemse eine Gämse wurde, könnte sich der Verein Deutsche Sprache auch mal darum bemühen, dass „Gämse“ nicht nur so geschrieben wird […].
16. 4. 2009
Die vielen Kniffe und Verschmitztheiten der deutschen Rechtschreibung waren schon sehr lange vor der 1998 in Kraft getretenen Rechtschreibreform ein Reizthema. […] An einem Sommerabend im Jahr 1822, soll sich im Hause Goethes folgender Monolog zugetragen haben: Über seinen Umgang mit der Rechtschreibung erklärte der Dichterfürst: "Ich halte sie - die Rechtschreibung - mir nach Möglichkeit vom Halse. Und mache, wenn man streng sein will in jeden Brief Schreibfehler und vermeide vor allem die Kommata!" […] Dann fuhr Goethe fort: "Mein Gewissen beruhige ich in dieser Angelegenheit mit einer Erkenntnis des verehrten Christoph Martin Wieland (Zeitgenosse Goethes, Dichter der Aufklärung): 'Religion und Interpunktion sind Privatsache'".
11. 4. 2009
Glücklicherweise hat weder die Kultusministerkonferenz noch der Rat für deutsche Rechtschreibung die plattdeutsche Orthografie verschlimmbessern dürfen wie bei der hochdeutschen Rechtschreibreform. Doch auch auf Platt muss sich die Redaktion an gewisse Normen halten. Das Germanische Seminar der Universität Hamburg hat seit 1917 fast eine Million Belege für hamburgische Ausdrücke gesammelt und seit 1956 in 30 Lieferungen publiziert. Schreibweise und Aussprache werden dort mithilfe diakritischer Zeichen dargestellt, was für den Laien ein wenig unübersichtlich ist. Wir benutzen deshalb nach Möglichkeit die Schreibweise nach Johannes Sass, die auch Hartmut Cyriacks und Peter Nissen übernommen haben. Ein Beispiel: Ein langer Vokal wird in offener Silbe einfach geschrieben (sno-pen = naschen), in geschlossener Silbe, also in einer durch einen Konsonanten beendeter Silbe, jedoch verdoppelt: Snoop-kraam = Naschzeug.
1. 4. 2009
Christian Stang, 34 Jahre alt, Halbglatze und Silberblick, sieht sich selbst als Rechtschreibpapst. Schon an 20 Orthographiebüchern hat er mitgeschrieben. […] 1996 wurde die Rechtschreibung reformiert, Stang freute sich. Endlich sollte alles einfacher werden, allen verständlich. Stang verfasste eine Broschüre über die orthographischen Neuregelungen, sie wurde in allen Postfilialen des Landes verteilt.