willkommen
kontakt
impressum
suchen

Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

stellungnahmen → Edle absichten
ortografie.ch ersetzt sprache.org ortografie.ch ersetzt in zukunft sprache.org
Der Bund für vereinfachte rechtschreibung nimmt stellung

Edle absichten

Zu Stephan Wehowsky: «Die Rechtschreib­reform von 1996»,

«Dieses Reformvorhaben war aus der denkbar edelsten Absicht heraus geboren worden.» Den artikel «Die Rechtschreibreform von 1996» gebar Stephan Wehowsky bestimmt aus der edelsten absicht heraus. Sicher aber nicht aus einer tieferen sachkenntnis. «Es begann mit einem Arbeitskreis.» Nein, es begann ungefähr mit der erfindung der schrift, der mehr oder weniger willkürlichen rechtschreibnorm und der erfindung der schulpflicht mit ihrer verstaatlichung der rechtschreibnorm. Wie jede andere norm beruht sie nicht auf einer göttlichen fügung und muss permanent überprüft werden. Das sollte natürlich nicht nur alle hundert jahre geschehen, sonst entsteht bei menschen mit beschränktem geistigem horizont der eindruck, eine rechtschreibreform sei ein singuläres ereignis. Das geht so weit, dass im volksmund, wie in den sozialen medien ersichtlich, die begriffe rechtschreibung und rechtschreibreform gleichgesetzt werden.

recht­schreibung und recht­schreib­reform sind synonyme (twitter)

Ebenso geht auf diese weise die vorstellung verloren, wie eine bessere norm aussehen könnte und wie die winzige neuregelung von 1996 (eine reform war es eigentlich nicht) daran zu messen ist. Da bejammert ein schweizerisches journalistenportal eine 30-jährige schulrechtschreibung, die sich auf einer schweizerischen zeitungsseite höchstens zwei-, dreimal bemerkbar macht. (In Deutschland etwas mehr, weil man dort das ß noch nicht abgeschafft hat.) A propos zeitung: Dass es erst nach 1996 hausortografien gebe, ist natürlich unfug. Man kann ja nicht wissen, dass z. b. «überschwänglich» über die NZZ-haus­orto­grafie in die schulrechtschreibung gelangte. Dass sich eine zeitung (solange es noch zeitungen gibt) oder sonst jemand nicht an die schulrechtschreibung hält, sollte das selbstverständlichste der welt sein und interessiert in der Schweiz und in Österreich auch niemanden. In Deutschland, wo der einheitlichkeitsfetischismus über der freiheit steht, mag das anders sein.

«An die Stelle des bisherigen Wildwuchses der Sprache sollten endlich rational geordnete Strukturen und Regeln treten.» So dick tragen die reformer nicht auf. Sie sehen eine entwicklung, nicht eine singularität. Und vor allem geht es nicht um die sprache, sondern um die menschengemachte und daher wesensgemäss rationale schreibung. Es wurden auch keine regeln erfunden, sondern die bestehenden durch die beseitigung von ausnahmen gestärkt. Das kann man vereinfachung nennen.

Den pädagogen erweist Wehowsky mit seinem mitgefühl einen bärendienst. Dass er ihnen kein lebenslanges lernen zutraut, ist nicht gerade ein kompliment. Zweifellos leuchtet ihnen nicht alles an der neuen rechtschreibung ein. Hat ihnen vorher alles eingeleuchtet? Otto von Greyerz 1926: «Die volksschullehrer leiden am meisten von allen berufsarten unter den schikanen unserer rechtschreibung; sie haben die saure pflicht, die kinder an ein system von schreibregeln zu gewöhnen, das weder den kindlichen verstand noch die logik des reifen menschen befriedigen kann.» Es erstaunt nicht, dass lehrer schon immer bei allen reformbestrebungen an vorderster front standen. Dass sich regeln wie so vieles im leben ändern können, ist eine wichtige erkenntnis, deren vermittlung für die schüler weit wichtiger ist als irgendeine fertigkeit. «Dieselbe Schule, die den Unmündigen die Diktatur der Schrift zu einem Grunderlebnis der ersten Schuljahre macht (und bei dem jetzigen Zustand unserer Rechtschreibung machen muß), müßte den mündig Gewordenen mit gleichem Nachdruck einprägen, daß Schrift und Rechtschreibung keine vorgegebenen Heiligtümer sind, sondern geschichtliche Setzungen, denen der Mensch ausreichende Verbindlichkeit, aber ebenso ausreichende Abwandlungsfähigkeit zuteilen muß.» (Leo Weisgerber, sprachwissenschafter, 1964.)

Zu den aufgaben der schrift gehört eines nicht: die etymologie. Konrad Duden: «Reinliche Beschränkung auf den eigentlichen Zweck ist überall gut, darum ist diejenige Orthographie die beste, welche, das Studium der Sprache den Gelehrten überlassend, nichts weiter will als treu und sonder Müh’ das gesprochene Wort widergeben.» Geänderte schreibweisen werden denn auch nicht damit begründet, dass etwas von etwas abstammt. Die buchstabenschrift ist ihrem wesen nach nicht diachron, sondern synchron. Das war schon immer so und wurde schon immer unvollkommen eingehalten, wie das beispiel «voll» zeigt, dessen v in anbetracht von «füllen» weder synchron noch diachron zu erklären ist. (Was aber reformgegner anscheinend nicht stört.)

Ob im Duden-verlag die sektkorken knallten, wissen wir nicht. Dagegen spricht, dass er im vorfeld der reform nicht aktiv war, dafür, dass er durch langes anführen der bestsellerlisten profitierte. (Was übrigens die angeblich fehlende akzeptanz belegt.) Auch ohne reform wäre der duden inzwischen bei auflage 28 angelangt, denn für eine neuauflage reichen ein paar neue wörter. Auch für neuauflagen der allermeisten schulbücher braucht es keine neue rechtschreibung. Die welt bleibt auch sonst nicht stehen; man denke an die wiedervereinigung, den euro, das internet, das smartphone usw. Wenn man nicht will, dass eine rechtschreibreform etwas kostet, kostet sie nichts. Hätte die reform wirklich milliarden gekostet, wie die gegner behaupten, wären bestimmt ein paar milliönchen für das marketing übrig geblieben. Ihr fehlen ist das grösste versagen.

Das zeigt sich gerade auch bei den umfragen. Wie kann man überhaupt dazu umfragen machen? Ebenso kann man chefs fragen: Sind Sie ein guter chef? Im fall der rechtschreibung kann man einfach schauen, wie die leute schreiben – was die reformer taten. Wer sind die 55 %, die die neue rechtschreibung ablehnten? Sind es die, die wissen, wie wörter wie «Rhythmus» geschrieben werden? Das geht nicht auf; denn nur ein drittel weiss es. Passender ist die zahl derer, die es nicht wissen, aber das ist ein zahnschmerz ohne zähne. Anders gesagt: Natürlich kann die neue rechtschreibung die mehrheit nicht überzeugen, weil das schon der alten nicht gelungen ist.

Ein unendliches feld ist die gross- und kleinschreibung. Das liegt aber einfach daran, dass die substantivgrossschreibung schon immer eine schlechte idee war. Alle anderen sprachen, die unsere oder eine ähnliche schrift verwenden, schreiben eigennamen gross. Das allein ist schon ein argument gegen die substantivgrossschreibung. Die übrigen argumente fassen wir mit dem schlagwort «sinnvolle statt grammatikalische grossschreibung» zusammen.

Nebst der etymologie gibt es eine weitere aufgabe, die man der rechtschreibung nicht aufbürden darf: den transport von bedeutung. So schlecht ist die sprache nicht, dass sie das nicht uneingeschränkt übernehmen kann. Die mündliche kommunikation kommt damit auch zurecht, und die verbreitete vermutung, dass lesen schwieriger sei als hören, ist falsch. Einen himmelweiten unterschied zwischen «heissersehnt» und «heiss ersehnt» kann man vereinbaren (rechtschreibung ist konvention), muss man aber nicht. Wenn wie bei den bratkartoffeln zwei möglichkeiten einander plakativ gegenüber gestellt werden, funktioniert das bestimmt auch ohne dass man damit die schulrechtschreibung behelligt. Unterscheidungsschreibungen sind generell abzulehnen, weil man damit nichts gewinnt und anderseits künstliche schreibprobleme erzeugt.