Schriftsteller wie Günter Grass, Martin Walser, Tankred Dorst, Siegfried Lenz und Elfriede Jelinek forderten dagegen erneut eine «völlige Rücknahme der inhaltlich verfehlten und teuren Rechtschreibreform».
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
2004-08-31
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung warnt vor einer Spaltung der deutschen Sprache. Gleichzeitig hat sie einen Kompromiss im Streit um die Rechtschreibreform gefordert.
Gestern fand in der Berliner Akademie eine Gastvorstellung der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung statt. Die Darmstädter Akademie hatte eine Delegation unter der Anführung ihres Präsidenten Klaus Reichert in die Hauptstadt entsandt, um neuerlich für ihren Vorschlag zur Wiederherstellung des Rechtschreibfriedens zu werben.
Friedrich Dieckmann, Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste, fuhr schweres Geschütz auf. Seit letztem Jahr liege der Kompromissvorschlag von neun deutschen Akademien der Künste und der Wissenschaften zur Rechtschreibung vor — von staatlicher Seite sei man aber nur "rüde abgefertigt" worden. […] In der Berliner Akademie der Künste fanden gestern vorwiegend Repräsentanten der Darmstädter Akademie zusammen, um mit Verve für ihren und ihrer Kollegen Kompromissvorschlag zu werben.
30. 8. 2004
Mit dem Namen Meier werde ich eh nie ein Star? Wahrscheinlich haben Sie Recht, und ich sollte mich mal um etwas Vernünftigeres kümmern als um mich. Um die deutsche Rechtschreibreform zum Beispiel. Ein sexy Thema, oder? Wird aber von jedem Klatschheftli kommentiert, und jeder minimal bekannte TV-Serien-Heini und jedes Castingshow-Heidi darf seinen Senf dazu geben. Ich nicht. Noch nicht.
An diesem Morgen keimt im fünften Stock des ersten Gebäudes der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, in einem winzigen Büro des Romanischen Seminars, die Hoffnung auf baldigen Frieden — dauerhaft und ehrenvoll für beide Lager. Denn Hans-Martin Gauger, emeritierter Professor für Romanistik und Sprachwissenschaft, stellt einen Kompromissvorschlag vor, den er mit einigen Kollegen im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt erarbeitet hat. "Das ist", sagt Professor Gauger, "ein Angebot, das beide Seiten akzeptieren können müssten. Denn es ist vernünftig." […] Das Angebot, das Gauger im Namen der Akademie unterbreitet, ist jedenfalls sehr übersichtlich (es steht auf 141 Seiten) und — sollte es am Ende angenommen werden — ein Meilenstein in der Geschichte des Kompromisswesens.
Wenn die gegner nicht, wie sie selbst zugeben, geschlafen hätten, hätten sie schon manchen meilenstein in der geschichte des kompromisswesens miterlebt. Das ist nicht vernunft, sondern eine asymptote.
Während der NS-Zeit planten linguistische Eiferer eine radikal veränderte Rechtschreibung. Zwar stoppte Hitler selbst das Projekt - aber die Ideologen machten nach Kriegsende weiter. […] "So viel Material zu finden, das hätten wir kaum für möglich gehalten", erzählt Markner, 37. […] was sie entdeckten - und in einem präzise recherchierten Buch auch publik machten - liefert ein geschichtliches Lehrstück der ungewohnten Art. […] Erst die 68er-Bewegung brachte einer neuen Generation von Reformern den nächsten Auftritt. Mit der Botschaft, Schüler sollten weniger Fehler machen, nutzten die Schreibänderer nun die linke Vision der Chancengleichheit als Vehikel ihrer Pläne. Und diesmal drang das "Volksbeglückungsprojekt" (Markner) nach Jahren der Lobbyarbeit tatsächlich durch: Mit vielen Abstrichen wurde 1996 eine Schrumpf-Version des Neuschriebs beschlossen; 1998 trat sie in Kraft. Die Folgen spüren Leser und Schreibende bis heute. Reinhard Markner meint lächelnd: "Eigentlich hätte Helmut Kohl die Sache damals leicht stoppen können - mit ein paar gezielten Anrufen."
Die idee mit dem kanzlerbefehl analog dem führerbefehl lässt befürchten, dass sich seit dem untersuchungszeitraum nicht viel geändert hat in Deutschland – oder vielleicht auch nur bei leuten wie Reinhard Markner.
28. 8. 2004
Von diesem Wochenende an ist der neue Duden erhältlich: Ein Lektüreversuch nebst ein paar Anmerkungen zur Rechtschreibreform. […] Wenn selbst die deutsche Oppositionsführerin Angela Merkel verlauten lässt, «nichts sei schlimmer als weitere Verunsicherung über die Schreibungen», dann hat es das Thema in die obersten Ränge geschafft und der Duden-Verlag seine Geschäftsgrundlage gesichert. Denn wer oder was soll bei so viel schlimmer Verunsicherung helfen wenn nicht der Blick ins bewährte gelbe Lexikon? […] Wir können uns noch immer schlimmere Dinge vorstellen als weitere Verunsicherung beim Schreiben. […] Frau Merkels «schlimme Verunsicherung über die Schreibung» deutet eher auf beeinträchtigte Sprachkompetenz als auf Unheil aus der Rechtschreibreform.
Im Streit um die Rechtschreibreform wird die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung am kommenden Montag in Berlin einen Vorschlag für einen Kompromiss vorlegen.
Die deutsche Rechtschreibreform bewegt die Sprachhüter. Doch auch andere Länder haben mit veränderten Schreibregeln zu ringen. Zum Teil - wie bei Englisch, Spanisch oder Portugiesisch - über Staatsgrenzen hinweg.
Auf dass die Erregung über die Rechtschreibreform noch in den Altweibersommer – und damit, so viel Kalauer muss sein, ins Altweibersommerloch – hinübergerettet werden kann, wendet sich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in dieser Angelegenheit am Montag, 30. August, in Berlin an die Presse, jenes Institut also, das die Debatte – aber auch die deutsche Sprache – um den Begriff "Rückbau der Reform" bereichert hat.
Für einen "klaren Neuanfang" und einen "Rückweg zur Vernunft ohne Gesichtsverlust" bei der umstrittenen Rechtschreibreform wollen Sprachexperten an diesem Montag in Berlin plädieren. Dabei wird die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung im Vorfeld der nächsten Treffen der Ministerpräsidenten und der Kultuskonferenz noch einmal an ihren Kompromissvorschlag von 2003 erinnern.
27. 8. 2004
Angesichts der pragmatischen Begründungen, mit denen der Duden die amtlichen Regelungen von 1996 umsetzt, fällt die vom FAZ-Redakteur Johann Georg Reißmüller begonnene und von seinen Kollegen Heike Schmoll und Hubert Spiegel fortgesetzte Kampagne gegen die Rechtschreibreform wie ein Kartenhaus in sich zusammen. An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an. […] Die Reformer traten mit dem Anspruch an, die Rechtschreibung zu vereinfachen. Dieser richtige Anspruch ist unzulänglich umgesetzt worden, aber das liegt weniger an den Reformern als am mangelnden Mut der Kultusministerkonferenz zu einer großen Lösung, die wenigstens die gemäßigte Kleinschreibung und die Streichung des ß enthalten müsste. Lehrer bestätigen, dass das Zusatzhäppchen Vernunft, das die Reformen erlauben, den Rechtschreibunterricht erleichtert hat — für die Kinder.
2004-08-26
[…] die Urfrage zu stellen, die ich hiermit in Form einer Bitte ausdrücke: Man begründe mir logisch schlüssig die Notwendigkeit der Reglementierung der Rechtschreibung durch den Staat. Ich freue mich auf die Erläuterungen.
Ob eine notwendigkeit besteht, ist schwer zu sagen. So oder so hat aber irgendjemand die schulpflicht erfunden, und irgendwer sagt(e) dem lehrer, dass er den schülern die schreibungen Thür, illustrirt und Schiffahrt beibringen muss(te) bzw. später Tür, illustriert und jetzt halt Schifffahrt. — Als vor jahren die realschule Muttenz tür (also klein) schreiben wollte, griff der staat reglementierend ein.
Neuauflagen des amtlichen Rechtschreibbuchs boten dem Sprachrat jeweils die Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit in Erinnerung zu bringen. So enthielt die Ausgabe von 1985 die Schreibweisen „majonæse“, „krem“ und „remulade“ gleichberechtigt neben den hergebrachten französischen. Eine große Mehrheit der Dänen goutierte das nicht. Der heftig geführte Majonæsekrieg endete mit einem glanzvollen Sieg der Internationalisten. Das „Retskrivningsordbog“ von 2001 führte die anstößigen Varianten nicht mehr auf.
Dass ein Krankenpfleger im bayerischen Sonthofen eine noch ungeklärte, aber hohe Anzahl von Senioren, die sich in seiner Obhut befanden, vom Leben zum Tod befördert habe. […] Die Debatte, die von den Nachrichten aus Sonthofen hätte stimuliert werden können – wäre die öffentliche Aufmerksamkeit nicht gerade von der Rechtschreibreform und Hartz IV absorbiert worden –, diese Debatte handelt von der Sterbehilfe und ist ja keineswegs abgeschlossen.
Orthographie ist (anders als Geographie) keine eigentliche Wissenschaft, sondern eine Anweisung mit normativem oder empfehlendem Anspruch. […] In diesem Verständnis ist die neue Rechtschreibung keine dramatische, gar revolutionäre Veränderung, sondern eine gemächliche Justierung, die vielleicht manchmal vorsichtiger, in anderen Punkten fortschrittlicher hätte sein können. Eine Rücknahme der Reform brächte wenig. Vor allem aber soll die jetzt heranwachsende Generation, sollen die Schüler und ihre Eltern nicht unnötig (und mit hohen Kosten) verunsichert werden. Denn bei aller möglichen Kritik: an der Schreibweise einzelner Wörter hängen weder hohe ethische Werte noch künftige kulturelle Perspektiven des Abendlandes.
2004-08-25
In der jetzigen Situation gilt es nicht so sehr die reformierte Rechtschreibung zu reformieren, als vielmehr die deutsche Sprache zu kurieren, die an diesem fehlgeschlagenen Experiment Schaden genommen hat. Der Heilungsverlauf wird schwierig sein und sich voraussichtlich längere Zeit hinziehen. Wem an einer raschen Besserung gelegen ist, wird nicht zum neuen Duden greifen.
2004-08-24
Der Streit um die deutsche Rechtschreibung, der gegenwärtig je nach Weltgegend mehr tobt oder dümpelt, wird nicht mit lebensbedrohenden Waffen ausgefochten, sondern mit den unblutigen Waffen des Wortes. Das ist das Gute, das Friedliche und Zivile an diesem eigentümlichen Krieg, der durchaus feindliche Lager, Angriffslinien, Verteidigungsbastionen und Überläufer kennt.
In Wien beriet eine Beamtenrunde aus der Schweiz, Deutschland und Österreich über die Rechtschreibreform. […] Auf der Tagesordnung: Die Umwandlung der trilateralen Rechtschreib-Kommission in einen permanenten Rat für die deutsche Rechtschreibung. […] Laut dem Schweizer EDK-Generalsekratär Hans Ambühl wurde am Treffen noch nicht entschieden, wie der Rat personell zusammengesetzt sein soll.
2004-08-23
Ein Jahr bevor die neue Rechtschreibung in Schule und Verwaltung hätte verbindlich werden sollen, ist die Debatte um Sinn und Unsinn der Reform noch einmal aufs Heftigste entbrannt.
Aus Protest gegen die Rechtschreibreform ist in München ein «Rat für deutsche Rechtschreibung» gegründet worden. Der Verein will sich für die Wiederherstellung der Rechtschreibung einsetzen, wie sie vor der Reform üblich war.
Der Verein bezeichnet sich selbst als "Rat für deutsche Rechtschreibung" und will dem Grundsatz Geltung verschaffen, "dass die Sprache dem Volk gehört". Zu den ersten Ehrenmitgliedern gehören die Schriftsteller Elfriede Jelinek, Wulf Kirsten, Günter Kunert und Reiner Kunze. Vorsitzender ist der Journalist Hans Krieger. Gründungsmitglieder sind unter anderem der Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk, der Verleger Walter Lachenmann und der Konstanzer Rechtswissenschaftler Bernd Rüthers.
Man sollte, statt auf der Schifffahrt herumzuhacken, mal Ballettanz und Balletttruppe – ein Unsinn der alten Rechtschreibung hervorheben.
Die Wahl ihres Gründungsorts war bereits Programm: Statt eines elitären Restaurants wählten die acht Sprach-Experten das Paulaner Bräuhaus in München, um den unabhängigen "Rat für deutsche Rechtschreibung" ins Leben zu rufen (wir berichteten). Die Kritiker der neuen Rechtschreibung kämpfen für die Rückkehr zu den alten Regeln - und geben sich volksnah: "Wir vertreten den erklärten Willen der Mehrheit der Deutschen", betont der neue Vorsitzende Hans Krieger.
2004-08-21
Durch den ganzen Beitrag von Peter von Matt zieht sich ein Gedanke, der im Feuilleton ebenso wie offenbar in der Literaturwissenschaft unproblematisiert gilt, dass nämlich (Recht-)Schreiben Sprache ist. Folgerichtig ist dann bei Peter von Matt die Rede davon, dass die Orthographiereform «Eingriffe in den Wortschatz» gemacht habe, «Wörter zerstört» habe und dass von den Erziehungsdirektoren «nicht ersetzbare Wortverbindungen verboten» worden seien. Demgegenüber möchte ich festhalten: Zwischen Sprache und (Recht-)Schreibung ist scharf zu unterscheiden. […] Es fehlte nicht an Einladungen zur Vernehmlassung, wohl aber an Resonanz. Insofern haben sich die Schweizer Erziehungsdirektoren durchaus korrekt verhalten.
[…] bin ich stets aufs Neue überrascht, wie unterschiedlich die Menschen in Rage geraten: Da unterscheiden sich Erwachsene oft kaum von Zweijährigen; auch nicht in der Unverhältnismässigkeit ihrer Gründe. Zum Beispiel habe ich an einem Abend Michael Moores «Fahrenheit 9/11» gesehen und am darauffolgenden eine Fernsehdiskussion über die Rechtschreibreform. Im Verlauf der Debattenbeobachtung wandelte ich mich zur entschiedenen Verfechterin der Beibehaltung der neuen Rechtschreibung, unter anderem, weil der Chefredaktor von «Bild am Sonntag» entschieden für die Wiedereinführung der alten eintrat. Er tat das mit Argumenten, deren bildungsbürgerlicher Impetus mit dem intellektuellen Anspruch seines Blattes meiner Ansicht nach nur mässig korrespondiert, und mit einem Ausdruck gelangweilter Arroganz in seinem arttypischen Jungmanager-Gesicht, wo ich sagen muss, da packt mich spontane Gewaltbereitschaft.
Den Österreichern platzt der Kragen. Wegen der Rechtschreibreform. […] Die Deutschen streiten wieder einmal herum und die Österreicher, die unbestreitbar die gleiche Schriftsprache verwenden, sind nur Zaungäste. Jetzt haben sich österreichische Autoren zusammengeschlossen.
Amüsiert haben die Schweizer anfangs verfolgt, wie heftig in Deutschland um die Rechtschreibung gestritten wird, und den aus ihrer Sicht typisch deutschen Eiertanz als Sommertheater belächelt. Seit der Eindruck herrscht, die Reform sei gefährdet, finden sie die Diskussion nicht mehr so lustig. Nicht begeistert hat die österreichische Öffentlichkeit auf die erneute Debatte in Deutschland über die Rechtschreibreform reagiert. Vor allem mit Rücksicht auf die Akzeptanz des gedruckten Wortes bei den Schülern wollen die Zeitungsredaktionen bei der neuen Schreibweise bleiben.
Vielmehr sorge ich mich um die unzähligen Hauptschüler, die sich ja bekanntlich zu einem großen Anteil aus Migranten rekrutieren. Diesen kann man mit Hilfe der neuen Rechtschreibung die deutsche Schriftsprache durchaus auch mit logischen Argumenten (Stängel, Fluss/Flüsschen?) näher bringen, was mit der alten Rechtschreibung seltener gelang.
Natürlich müssen sich Literaturnobelpreisträger um die 80 und Chefredakteure kurz vor ihrer Pensionierung nicht mehr an neue Schreibweisen gewöhnen, wenn sie damit überfordert sind.
Die Behauptung, daß jeder sich früher an der Diskussion hätte beteiligen können, ist der leere Mythos der gescheiterten Reformer, denn sie haben es stets vorgezogen, sich in der Klausur der angeblich kompetenten Experten abzuschotten.
Was aber bleibt von der Diskussion dieses Sommers? Die Erkenntnis, dass es durchaus Reformbedarf gibt und dass man mit der Negierung der bisherigen Rechtschreibreform nicht gleich alle vernünftigen Begradigungen der Schreibweisen in die Lexik-Geschichte verbannen sollte. Dass der Tod der Rechtschreibreform nur der Beginn einer neuen Reform sein kann.
2004-08-20
Der deutsche Rechtschreib-Krieg ist in Frankreich stark beachtet worden. „Kein Mensch versteht, was bei denen vor sich geht“, wunderte sich die Pariser Zeitung Le Monde.
Es rauscht im Blätterwald. Das Thema Rechtschreibung beherrscht die Medien und erhitzt die Gemüter. In unserem heutigen Newsletter möchten wir Sie über einige Aspekte dieses Themas informieren, die in der Diskussion bisher kaum zur Sprache gekommen sind. Hierzu gehört beispielsweise der Hinweis auf die Rechtschreibreform von 1901, die sich bei näherem Hinsehen gar nicht so sehr von der heutigen unterscheidet.
Auf der Internetseite der Landesregierung finden sich "Zehn gute Gründe für die Rechtschreibreform" – und noch "Zehn gute Gründe, warum es kein Zurück geben kann". […] Seit 1998 hätten rund 12,5 Millionen Kinder und junge Leute "ohne nennenswerte Probleme unsere Schrift nach den neuen Regeln gelernt", argumentiert die CDU-Regierung.
Die in der Stellungnahme der SZ-Redaktion geäußerte Zurückhaltung ist lobenswert.
Ich schlage vor, die neue ss/ß-Regel in das alte Regelwerk zu integrieren.
Seit der ersten Klasse Grundschule hatte ich nie ein Problem mit der deutschen Rechtschreibung, aber heute mit 70 lese ich neue Bücher auch von jungen Autoren nahezu ausnahmslos mit daß und muß und in den Tageszeitungen kuriose bis mir unverständliche Schreibungen der nun so merkwürdig entstellten Muttersprache.
Der mit der neuen Orthografie immer wieder verbundene Sinnverlust hat die neue Rechtschreibung oft zu einer „Rechtschreibung für Leute, die nicht schreiben können“ gemacht.
Nicht hinzunehmen ist das Verhalten der Kultusminister, die sich anmaßen, dem Volk die neue Rechtschreibung endgültig aufs Auge drücken zu können. Wer hat ihnen dazu die Legitimation gegeben?
Es kommt deshalb darauf an, die Regeln für das Schreiben so zu gestalten, dass der Leser die zu Papier gebrachten Gedanken des Schreibenden richtig, also unmissverständlich, und leicht, das heißt ohne unnötige optische Störungen im Schriftbild, aufnehmen kann. Dabei kann nicht ins Gewicht fallen, ob die Rechtschreibregeln mehr oder weniger leicht zu erlernen sind.
Je lautgetreuer eine Sprache ist (etwa Latein oder Italienisch), desto leichter ist es für die Schüler, desto weniger Legastheniker gibt es. Also sollte die Rechtschreibreform noch viel weiter gehen, um mehr lautgetreues Schreiben zu ermöglichen.
Unser Sohn lernt seit sechs Jahren die neue Rechtschreibung. Er hatte damit keine Probleme, was auch für seine Schulkollegen gilt.
Im Ergebnis wird es uns mit der neuen Rechtschreibung ergehen wie mit dem nicht minder erfolglosen neuen Preissystem der Deutschen Bahn: Alle werden erleichtert sein, wenn der Spuk endlich vorbei ist.
2004-08-19
Das Schattenboxen unter der geistigen Elite des deutschsprachigen Europa über Quentchen oder Quäntchen hat ein groteskes Ausmass angenommen.
Deutschland ist Weltmeister. Beim Exportieren, im Blasen von Trübsal, beim Lamentieren und beim Aufbauschen und Zerreden von Reformen. […] O Heimat, holde Heimat, hast mich wieder, müd glotz ich aus dem Flugzeug auf dich nieder. Da unten […] tobt die x-te Debatte um die Rechtschreibreform. Der einstmals intelligente «Spiegel» deklamiert Arm in Arm mit «Bild»: «Schluß mit der Schlechtschreib-Reform!» […] So ist Reform in Deutschland zu einem Angstwort geworden. […] Jetzt aber wird etwas geschehen: Wir schreiben «dass» wieder mit ß!
«Keine deutsche Rechtschreibreform mehr!» Jetzt proben einige österreichische Schriftsteller den Aufstand und fordern Unerhörtes: «Österreichisch» als eigene Sprache. Robert Schindel, Marlene Streeruwitz, Christian Ide Hintze und der Wiener Poet Roland Neuwirth haben sich zusammengetan, um ein Manifest auszuarbeiten […]. Auch Elfriede Jelinek und Alois Brandstetter haben bekanntgegeben, eine allzu grosse Abhängigkeit von deutscher Normierung zu empfinden. Peter Henisch sympathisiert mit dem Manifest, verwahrt sich aber doch gegen heimattümelnde Tendenzen. Robert Menasse hat in der «Süddeutschen» angekündigt, weiterhin «das grosse, weite und tiefe Deutsch» schreiben zu wollen, «das die Reformer nicht verstehen». Auf der Seite der Befürworter der neuen Rechtschreibung finden sich Wolfgang Bauer (er nennt sie «liebenswerter» als die alte) und Franzobel, dem die Änderungen jedoch nicht weit genug gehen.
Die nationalistische Einfärbung fremder Termini etwa, bleiben wir bei den Spag(h)etti, akzentuiere die Trennung der Völker. «Was wir an lebendigem und antikem Sprachschatz teilen, lässt uns über die Sprachgrenzen hinaus als Verwandte fühlen.»
Deshalb im italienischen ortografia und im deutschen Orthographie. Spagetti (meistens schp… ausgesprochen und gross geschrieben) sind uns so wenig fremd wie kaffee, und die schreibung ohne h ist nicht nationalistisch, sondern internationalistisch — das deutsche ist keineswegs allein.
Den bislang letzten Vorstoß zu einer Rechtschreibreform unternahm der "Rat für Russische Sprache der Regierung der Russischen Föderation" vor vier Jahren. Grammatikalisch sinnlose Rechtschreibregeln sollten beseitigt und den Schulkindern das Erlernen der Schriftsprache erleichtert werden. Doch die Vorschläge der Kommission missfielen der Regierung. Als schließlich selbst die Gattin des Präsidenten, Ludmilla Putina, sich in der Öffentlichkeit für den Schutz der russischen Sprache vor modischen Neuerungen stark machte, zogen sich die Experten verschüchtert zurück.
Der Pariser Garten verhält sich zum Berliner Straßenbeet wie der hochhackige Schuh von Manolo Blahnik zum australischen Ugg Boot. Man darf ihn sich getrost als Paradies vorstellen. […] Und das ist das eigentlich paradiesische an diesen Gärten: Es sind zwar Orte des Rückzugs vor dem Unbill der Stadt […]. All das klingt nach der besten aller möglichen Welten. Man stelle es sich vor: Gärten, in denen Hartz IV und Rechtschreibreform Fremdworte sind.
Wir leben immerhin in einem Land, in dem der Kanzler verkünden kann, "Österreich" würde bei den Errungenschaften der Rechtschreibreform bleiben, weil er weiß, dass sich sämtliche Zeitungen des Landes in freiwilliger Gehorsamslust der amtlichen Sprachregelung unterwerfen.
2004-08-18
«Reform» und «Frankreich», das sind zwei Wörter, die sich nicht gut vertragen. Diese Tatsache lässt sich auch im Bereich der Orthographie verifizieren, wo seit über hundert Jahren kein einziger Reformversuch Erfolg hatte. Eine Bestandesaufnahme.
"Wired News" ist eine amerikanische Website, die zum spanischen Internet-Konzern Terra Lycos gehört und ihren Namen mit dem einflussreichen US-Magazin "Wired" teilt. "Wired News" also lässt uns […] wissen, dass es seine ganz eigene Rechtschreibreform beschlossen habe: Statt vom "Internet" mit dem Großbuchstaben, der im Englischen nur Wörtern am Satzanfang, Eigennamen und besonders wichtigen Dingen (wie dem "President" oder dem "Big Mac") vorbehalten ist, wolle man künftig lieber vom "internet" mit kleinem Anfangsbuchstaben schreiben und damit das Netz in eine Reihe stellen mit dem Radio (englisch: "radio"), dem Telefon (englisch: "telephone") und dem Fernsehen (englisch: "TV", aber Ausnahmen bestätigen nur die Regel). Der Grund: Das Internet (im Deutschen bitte immer noch mit großem "I"!) sei im Leben eines Amerikaners nichts spezielles mehr und müsse deshalb auch nicht durch Großschreibung hervorgehoben werden.
2004-08-17
Der Einstieg war den „langen, dünnen, schnurartigen Nudeln“ (Duden) gewidmet, die die Deutschen nach neuem, eingedeutschten Kanon ohne h schreiben sollen – Spagetti. Absurd findet das Francesco Sabatini, renommierter Linguist und Präsident der altehrwürdigen Florentinischen Accademia della Crusca […]. Die nationalistische Einfärbung fremder Termini akzentuiere die Trennung der Völker, höhle den historisch gewachsenen kulturellen Reichtum aus. „Was wir an lebendigem und antikem Sprachschatz teilen, lässt uns über die Sprachgrenzen hinaus als Verwandte fühlen.“ Das nun vereinfachen zu wollen, sei nicht nur falsch, sondern auch dumm.
Will uns der italienische professor sagen, wir sollten rhythmus, theater usw. nicht dem ilaienischen, spanischen usw. angleichen?
Anlass für den Unmut ist das Hin und Her der Kultusminister in der Rechtschreibreform. […] Das Prinzip, das die KMK lähmt, war einst fortschrittlich gemeint. Indem sich die Länder auf Einstimmigkeit verpflichteten, sollten ideologische oder parteipolitische Übermächte für alle Zeiten verhindert werden. […] Das Prinzip wird jedoch zur Falle, wenn es nicht mehr um die Abwehr von Gleichmacherei, sondern um gemeinsame Reformen geht.
Sie ist das älteste Ministergremium der Bundesrepublik, und sie hört wenig Schmeichelhaftes: rückwärts kriechende Schnecke, griechische Landschildkröte, reaktionärer Club – so hat man die Kultusministerkonferenz (KMK) genannt. […] Der Deutsche Kulturrat […] will das Prinzip der Einstimmigkeit aufheben, das die Minister der 16 Bundesländer in ihren Entscheidungen lähmt. Künftig soll es nur noch Mehrheitsentscheidungen geben. Anlass ist die Entscheidungsschwäche der Kultusminister in der Rechtschreibreform.
Wie glänzend stünde die KMK heute da, wenn sie der Versuchung widerstanden und die Rechtschreibung dorthin delegiert hätte, wo sie hingehört: ganz weit nach unten also, in die Hände der Bürger.
2004-08-16
Kürzlich wurde die kleine Maus, die der grosse Reformberg geboren hatte, von den deutschen Kultusministern mit zahlreichen Kann-Regelungen bereichert, was in meinen Augen bereits verdächtig nach einer versteckten Konkurserklärung aussah.
Die NZZ hat zum Glück die sogenannte neue Rechtschreibung nur zum Teil übernommen. Trotzdem gibt es einige Schreibweisen, die mich ärgern. Es handelt sich hauptsächlich um folgende: rau, Ja sagen, Nein sagen, fürs Erste […], aufs Neue […].
«Ja sagen», «Nein sagen» schrieb die NZZ schon immer.
Wenn die einflussreichen Medienhäuser des deutschen Sprachraums ihre Hausorthographien miteinander abglichen, um eine praxisgerechte Presse-Norm zu entwerfen, könnten sie damit wohl nachhaltigen Einfluss auf die weitere Entwicklung der deutschen Rechtschreibung nehmen, und das ohne all den Druckversuchen von verschiedensten Seiten ausgesetzt zu sein, die die Arbeit der Rechtschreibkommission damals behinderten (und schliesslich die Reform auch verwässerten).
[…] man einigte sich auf die übliche Linie der allseitigen mittleren Unzufriedenheit, begnügte sich mit einigen sprachlogischen Verbesserungen und bot den Gegnern mit ein paar willkürlichen Entscheidungen so viele Angriffsflächen, dass der Streit erst recht entflammte.
Was als Vereinfachung und Vereinheitlichung angepriesen wurde, ersetzte bisherige Widersprüche durch neue und verminderte die Differenzierungsmöglichkeiten der Sprache.
Mir fällt es schwer, zu glauben, dass es am Beginn des 21. Jahrhunderts demokratische Regierungen gibt, die der Auffassung sind, sie hätten eine Verfügungsgewalt über die Sprache.
Seine [EDK-Präsident H. U. Stöckling] Aussage, es sei undenkbar, «dass an Schweizer Schulen andere Sprachnormen gelten als in Deutschland», bedarf einer Einschränkung. Eine der besten Leistungen der neuen Rechtschreibung ist es, klare Regeln für ß und ss zu bieten.
Letztlich wird die Realität das derzeit tatsächlich bestehende Durcheinander spielend lösen: In drei Jahrzehnten werden die heutigen Grundschüler auf den Sesseln der jetzt amtierenden Chefredakteure sitzen. Ob sie dereinst „sitzen bleiben“ getrennt schreiben oder nicht: Sie werden die Mehrdeutigkeit darin erkennen, wie sie ohnedies gelernt haben werden, die Sprache als etwas — glücklicherweise — Schillerndes und Lebendiges zu begreifen.
Sollen wir also das ß gänzlich abschaffen? Um Masse (Maße = Abmessungen) von Masse (Menge, ungeformtes Substrat) zu unterscheiden, könnten wir ja auf die Schreibweisen Masze/Masse zurückgreifen […]. Damit ließen sich freilich Probleme bei der Schreibung von Wörtern mit ß bei Verwendung von Großbuchstaben lösen.
Ich unterrichte Deutsch und sehe mich seit Einführung der Reform außerstande, zum Beispiel die Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung zu unterrichten, weil ich sie nicht nachvollziehen kann.
Aufgabe der Schule ist es, den Schülern die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache nahe zu bringen und nicht den Weg des geringsten Widerstandes […] zu gehen.
Österreich und die Schweiz schauen, eher spöttisch als amüsiert, auf ein aufgeregtes Deutschland. […] Wer diskutiert? Es sind einige populistische Politiker, wenige konservative Verleger und Journalisten, manche meiner Professorenkollegen sowie einige Großschriftsteller, die sich – wie Hans Magnus Enzensberger – noch nie um Rechtschreibregeln gekümmert haben. Das Chaos freilich, das sie mit ihrem Aufstand gegen die Rechtschreibreform vor allem in den Schulen anrichten, ist ihnen egal.
Die Medien entzaubern sich wieder einmal gründlich.
2004-08-15
Immer wenn man fürchtet ins Sommerloch zu fallen, kommt jemand und füllt schnell das drohende Vakuum. In diesem Jahr machen es "Springer" und "Spiegel" gleich selbst: Sie kehren zur alten Rechtschreibung zurück. […] Besser dran sind offenbar die Österreicher und Schweizer: Pressehäuser in beiden Ländern hatten sich entweder gar nicht oder nur teilweise der Reform angeschlossen, auch hatten beide Länder immer schon ihre spezifischen Eigenarten der Orthografie. Und man sieht den nächsten Entwicklungen dort mit einiger Gelassenheit entgegen. Solche Gelassenheit wäre vielleicht auch in Deutschland angemessen gewesen: Statt die Sprache per "Anweisung von oben" reformieren zu wollen, hätten die Reformer vielleicht einfach mehr Freiheit zu geben brauchen. Oder sie hätten dem Volk "auf's Maul - beziehungsweise den Griffel - schauen" sollen […].
Genau das hat man gemacht: Man hat dem volk auf den griffel geschaut. Ein problem war nachher nur der leserbriefgriffel. Mit der neuregelung kamen zusätzliche freiheiten – aber das war ja auch nicht recht.
Der Streit um die Rechtschreibreform – jetzt gehen CDU und FDP auf die Kultusministerkonferenz (KMK) los, fordern eine Abschaffung des Gremiums!
Mich ärgert das Krisengeheule von Pseudopädagogen, die behaupten, eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung sei den Schülern nicht zumutbar. Tatsächlich geht es nur um wenige Wörter.
2004-08-14
Vor allem in Deutschland hat sich die Kontroverse um Sinn und Unsinn des ganzen Unternehmens verschärft, seit grosse Verlagshäuser mitgeteilt haben, dass sie zur alten Rechtschreibung zurückkehren werden - was immer dies genauer meinen mag. […] Namentlich Österreich, die Schweiz und Liechtenstein sind vom Ausgang der Debatte wesentlich mitbetroffen.
Die Schweizer Erziehungsdirektoren warnen vor einer Katastrophe, wenn die von ihnen verordneten Rechtschreibevorschriften nicht in Kraft gesetzt würden. Schön wär's. Die Katastrophe ist bereits da, hier und jetzt und ausgewachsen. […] Die Kinder werden bestraft, wenn sie so schreiben, wie sie es in vielen Zeitungen sehen, die zu Hause herumliegen, und in fast allen Büchern, die ihre Eltern lesen. Die sogenannte Umsetzung der Reform bedeutet nur eines: den Beginn der Sanktionen gegenüber den Kindern, die nicht nach den obrigkeitlichen Vorschriften schreiben. […] Die Aufgabe der Schulen ist es, die Kinder einzuführen in das Lesen und Schreiben der deutschen Sprache, so wie sie in der Gegenwart gebraucht wird.
Würde man eine Hitliste mit den derzeit in Deutschland meistdiskutierten Themen erstellen, so würden Hartz IV und die Rechtschreibreform darin zweifelsfrei ganz vorn rangieren. Doch schon auf Platz drei wären mit Sicherheit die Kraftstoffpreise […].
Besonders originell finde ich einen immer wieder gegen die Rechtschreibreform vorgetragenen Grund, nämlich dass drei gleiche Konsonanten aufeinander folgen könnten. Dass dies auch nach der alten Schreibweise vorgeschrieben war, wenn nämlich ein weiterer Konsonant folgt (Beispiel: Sauerstoffflasche), ist offenbar nicht überall bekannt.
Dem mächtigen Herausgeber der Kronen-Zeitung ist wieder einmal der Kragen geplatzt. „Schluß damit“ polterte der 83-jährige Hans Dichand unter seinem Pseudonym „Cato“ in einem seiner rar gewordenen Leitartikel. Stein des Anstoßes ist die Debatte um die neue Rechtschreibung, die nun auch in Österreich losgebrochen ist. Die „überflüssige bürokratische Regulierungswut“ habe zu der „irrsinnigen Reform“ geführt.
Des Gebabbel von weesche Reschtschreibreform geht mer aach schon widder uff die Gerösdede.
Die Junge Union Frankfurt […] möchte darüber hinaus, dass es eine Volksabstimmung zur Rechtschreibung gibt.
Keine "deutsche" Rechtschreibreform mehr! – Ein Manifest.
Und erst die Argumente. Zum Beispiel ewig dieses Geseiere wegen der Gämsen. Wie oft schreiben diese Leute eigentlich über Gämsen, frag ich mich, dass sie sich andauernd darüber aufregen. Soll er [Christian Ide Hintze] das nächste Mal halt über Ziegen was dichten, der Herr Hintze, wenn er Gämsen nicht schreiben mag, oder über Steinböcke, das sind auch lustige Tiere […]. Und weil er als Pro-e-Argument noch anführt, dass wir Gemsen mit e schließlich auch so aussprechen: Gähnen sprechen wir (Österreicher) auch mit e aus. Und keiner käme auf die Idee, ich gehne zu schreiben oder ich gene (obwohl das ja schon wieder irgendwie zur Krone passen würde).
Er ist einer der Initiatoren der erneuten Diskussion um die Rechtschreibreform: "Spiegel"-Chefredakteur im STANDARD-Gespräch. […] Da sie die alten Bücher aber nicht mehr verändern können und sich die neue Rechtschreibung offensichtlich aus genau diesen Gründen nicht durchgesetzt hat, ist es vernünftiger, zur alten zurückzukehren als den Unsinn weiter mitzumachen. […] Im Übrigen würde kein Land der Erde auf die Idee kommen, eine neue Rechtschreibung von staatlicher Seite zu entwickeln. […] Es hat immer Entwicklungen gegeben, die irgendwann in die Regularien übernommen worden sind. Das ist auch richtig so. Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob sich Sprache evolutionär entwickelt, oder ob sich eine Gruppe von selbst ernannten Experten bzw. von den Kultusministern ernannten Experten, hinsetzt und ein neues Sprachsystem entwickelt, das mit dem, was gebräuchlich ist, nichts zu tun hat. […] Der Grundgedanke derer, die die Rechtschreibreform eingeführt haben, war eine Liberalisierung der Sprache, in der die Bandbreite, was ein Fehler ist und was kein Fehler ist, vergrößert wurde. Man könnte so liberal sein und sagen, jetzt gehört auch die alte Rechtschreibung in dieses Spektrum.
Was will uns Aust sagen? Dass das neue mit dem alten «nichts zu tun hat» oder dass es damit sehr viel zu tun hat, so dass es nur eine frage der «Bandbreite» ist? Wurde das neue system «von staatlicher Seite» entwickelt oder, was ja wirklich nicht dasselbe ist, «von selbst ernannten Experten»?
2004-08-13
Eine Woche ist es her, dass die Groß-Wesire des Spiegel- und des Springer-Verlages, Stefan Aust und Mathias Döpfner, die Gegenreformation ausriefen […]. Vielleicht, mutmaßt der Mannheimer Sprachwächter, wäre ja alles anders gekommen, hätte man für die Rechtschreibreform wie seinerzeit für die Umstellung der Postleitzahlen einen „Rolf“ erfunden. Damals, sagt Wermke, seien auch alle gegen die fünfstelligen Ortskennziffern gewesen, „und dann kam Rolf“, diese putzige Fünf-Finger-Figur mit Sonnenbrille und gewinnendem Lächeln. Ein PR-Coup vom Feinsten. Die fünfstelligen Zahlen, so Wermke, habe zwar keiner ohne weiteres auswendig gelernt - „aber völlig egal: Wir hatten ja Rolf, und Rolf hat uns beruhigt.“ So dumm kann's laufen: Die Rolfs dieser Tage heißen Stefan und Mathias. Und sie lächeln nicht.
Bitte übernehmen Sie nicht die Reizwörter der Gegner der Rechtschreibreform, wie zum Beispiel die "bewährte" Rechtschreibung. […] Die alte Rechtschreibung hat sich genauso wenig "bewährt" wie das "bewährte" Schulsystem, das von denselben Leuten (zum Beispiel Heike Schmoll von der FAZ) für den Erhalt des "gegliederten" bzw. "traditionellen" Systems ins Feld geführt wird, das uns zu dem miserablen Abschneiden bei Pisa geführt hat.
Nichts führt "zu einer Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Sprache", denn eine einheitliche deutsche Sprache hat es nie gegeben.
Wenn diese Kinder dann selbst Chefredakteure sind, werden sie in den Zeitungsarchiven vom Sommer 2004 lesen und sich wundern, wie man sich damals ereifert hat.
Katja Harjes leitet seit 1992 die Kinder- und Jugendbibliothek in der Isenburger Stadtbücherei. […] Im gewohnten Schriftbild […] hinterlässt die neue Rechtschreibung wenig auffällige Spuren. "Fantasie", "Biografie" und "Getto" und vieles mehr sind ungewohnt, aber auch von erwachsenen "Umlernern" sicher erlernbar.
In der tat: Phantasie/Fantasie und Ghetto/Getto waren vorher schon doppelformen.
Die Wurzeln der Rechtschreibreform reichen weit zurück. Seit Bestehen der Bundesrepublik befaßt sich die Kultusministerkonferenz (KMK), von der Öffentlichkeit wenig beachtet, mit einer Reform der Rechtschreibung. Dabei griff man auf Pläne des nationalsozialistischen Reichserziehungsministers Bernhard Rust zurück.
2004-08-12
Die bildungsbürgerliche Lesebrillen-Elite schöpft neue Hoffnung: Deutsche Grossverlage kippen die neue Rechtschreibung. Jetzt rächt sich, dass die Schweiz die Reform zügiger an die Hand genommen hat als Deutschland. […] Der überraschende Sinneswandel der deutschen Grossverlage bringt den Puristen im deutschen Sprachraum verlorene Hoffnung zurück. Nach Jahren der Unterdrückung durch ein neues Deutschregime glauben Traditionalisten plötzlich wieder die Rechtsumkehr, jetzt können sie hoffen, dass der «Delphin» noch lange nicht durch den fürchterlichen «Delfin» verjagt wird. […] In den hiesigen Schulen ist die neue Rechtschreibung umgesetzt, die Debatte über Vor- und Nachteile abgeschlossen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich ein Drittel der Lehrerschaft der Reform noch immer widersetzt und die Grundsatzdebatte nie eingeschlafen war. So wundert man sich nicht nur in der Schweiz über den heftigen deutschen Sprach-Revisionismus. Von einem «bizarren Streit in Deutschland» berichtet der Österreichische Rundfunk.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer ist für die Beibehaltung beider Schreibweisen. Das Chaos würde dadurch auch nicht grösser.
Aller 3, wenn man unsere dazurechnet
Im Gegensatz zu Muschg oder Grass hat die neue Rechtschreibung kein gutes Image. Aber zwei Gründe sprechen für sie: 1. Sie existiert. 2. Es gibt Wichtigeres.
Obwohl im kulturell weitläufigen deutschen Sprachraum eine einheitliche Rechtschreibung offensichtlich kein Muss ist, wäre sie zumindest nützlich. Die Sprache lebt, der Streit um ihre richtige Schreibung ist aber so laut, dass er sogar Tote auferwecken kann.
Eine Kommission ohne Sensibilität für Sprache hat eine Reform beschlossen, die sich nicht durchsetzen kann. Kinder lernen in der Schule eine Schreibweise, die sie in Büchern nicht finden. […] Als echte Porno-Grafen erweisen sich die Reformer auch, […] wenn eine Frau bei der Beerdigung sagt, sie habe ihrem Mann (nach neuer Regelung) immer die Stange gehalten.
Uns fehlt es wirklich an sensibilität für sprache: Wie sagt es die frau nach alter regelung?
Mindestens 60 Prozent aller lesenden Deutschen werden in Zukunft Printmedien nützen, welche die Regeln der neuen Rechtschreibung nicht mehr anwenden. […] Eloquente Chefredaktoren, unterstützt durch prominente Schriftsteller, setzen sich brillant in Szene, während eine kommunikativ unbeholfene Kultusministerkonferenz mit einer Mitleid erregenden Vorsitzenden für die Fortführung plädiert. […] Hier wird ein Stellvertreterkrieg ausgetragen: Der lamentable Zustand der Regierung Schröder provoziert eine beispiellose Aufgeregtheit in deutschen Landen. […] Unsere Kinder haben in den letzten Jahren die neuen Regeln gelernt und wenden sie problemlos an. Und wir haben nicht den Eindruck, das kulturelle Abendland sieche deswegen dahin.
Die Einführung der neuen Rechtschreibung in der Schule war in allen Ländern gut vorbereitet. […] Der Unterricht nach den neuen Regeln verläuft ohne Probleme. […] Wo Kritik geäussert wird, richtet sich diese oft nicht gegen Veränderungen durch die Neuregelung, sondern dagegen, dass die Veränderungen nicht weiter gegangen sind. Entsprechend aufschlussreich sind die geäusserten Vorschläge, die in unterschiedlicher Gewichtung deutlich einer Weiterführung der Reform das Wort reden. Verschwindend gering sind Voten, die eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung präferieren. […] Die Neuregelung verdient gegenüber der alten Rechtschreibung den Vorzug, nicht etwa - wie oft zu hören ist - weil eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung unnötig teuer wäre oder weil man aus psychologischen Gründen nicht mehr zurück kann, sondern weil sie die regelungsmächtigere ist und weil sie leichter lehr-, lern- und handhabbar ist.
Etwa die Hälfte der Leser, die unserem Aufruf gefolgt sind, plädiert für die Rückkehr zu den alten Schreibweisen. […] Vor allem Schüler, Lehrer und Eltern verweisen darauf, dass die junge Generation mit den neuen Regeln gut zurecht komme. […] Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus für die Berliner Zeitung? […] Unsere Entscheidung fällt zu Gunsten der neuen Rechtschreibung. Nicht weil wir das Reformwerk rundum gelungen fänden. Sondern weil wir meinen, dass in der Zeitung nicht anders geschrieben werden sollte als in der Schule gelehrt wird.
Da sollten nicht nur die Sprachwissenschaftler gefragt sein, sondern auch der "gesunde Menschenverstand", der bei der Rechtschreibreform zu kurz gekommen ist.
Mit der Einführung der gemäßigten Kleinschreibung hätte man endlich eine richtige Reform, die – trotz des zu erwartenden Widerstands von Traditionalisten und Ästheten – rasch allgemein akzeptiert würde, da sie einfach ist und die deutsche Sprache von einem Teil ihrer selbst verschuldeten Umständlichkeit befreit.
Wer früher nicht wußte, wann ein "das" als "daß" zu schreiben war, weiß auch nach der sogenannten Rechtschreibreform nicht, wann es ein "dass" ist.
Am Dienstag druckte die Springer-Zeitung Bild auf der Titelseite die Aussagen von fast 50 überwiegend prominenten Zeitgenossen, die allesamt die „Schlechtschreib-Reform“ (Bild) abschaffen wollen. Darunter fand sich auch Uwe Knüpfer, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) […]. In einem Fax an die Bild-Redaktion stellte Knüpfer am Mittwochnachmittag noch einmal klar, dass er nicht zurück zur alten Rechtschreibung will.
CDU-Bundes-Vize Christoph Böhr zu BILD: „Die Kultusminister müssen. jetzt schnell einen Vorschlag vorlegen, wie wir schon zum 1- Januar 2006 zur klassischen Rechtschreibung zurückkehren können!
Muss die Reform gestoppt werden? [Gauweiler:] Unbedingt! Es ist unerträglich, dass die Kultusminister einerseits Schüler bei Nichteinhaltung der neuen Regeln durchfallen lassen; andererseits kein Bundesland in der Lage ist, die Regelung im täglichen Leben durchzusetzen. Oder sollen z. B. die Gewerbepolizeien der Länder den deutschen Zeitungsverlagen, die sich weigern, nach der „Schlechtschreibreform“ zu drucken, die Gewerbeerlaubnis entziehen, weil dort regelwidrig gearbeitet wird?
Der begehrte BILD-Orden „Retter der deutschen Sprache“ geht heute an Deutschlehrer Friedrich Denk!
Auch die stets konfliktfreudige SPD-Bundestagsfraktion nahm sich des Streits gerne an. Der bildungspolitische Sprecher Jörg Tauss antwortete einem reformunwilligen Kollegen: "Dieter Wiefelspütz hat nun gesagt, dass er sich von Bürokraten nicht vorschreiben lassen wolle, wie zu schreiben sei. Schade, dass mir dieses gute Argument damals in der Schule nicht bei Klassenarbeiten eingefallen ist."
Schülerinnen und Schüler aus dem Neu-Isenburger Westend halten nichts davon, die Rechtschreibreform wieder zu kippen. Sie haben nichts anderes gelernt und wollen dabei bleiben.
Auch in Österreich und der Schweiz existieren geteilte Lager, hier wie dort gibt es Anhänger und Gegner der neuen Regeln. Entsprechend fallen die Reaktionen auf die deutsche Debatte aus. Allen, die sich an diesem Streit beteiligen, ist klar, wie wichtig die Diskussion beim deutschen Nachbarn ist. […] Aus Schweizer Sicht erscheinen die deutschen Querelen nicht immer verständlich. Schließlich haben eidgenössische Tastaturen kein ß. Damit fällt das augenfälligste Signal der neuen Schreibung weg.
Schön ist es mitanzusehen, wie sich manche Leute über eine Rechtschreibreform auslassen, die weder die alte noch die neue Rechtschreibung beherrschen. […] Wie fragwürdig diese Reform auch gewesen ist, den Deutschen geht es gar nicht wirklich darum. Sie gefallen sich einfach nur in ihrer Empörung.
Der stern wird bei den neuen Regeln bleiben. Es sei denn, die Kultusministerkonferenz würde eine Rückkehr zur alten Schreibweise beschließen, was höchst unwahrscheinlich ist.
Die erneute Debatte um die Rechtschreibreform ist ein Sommerloch-Thema. Auch für den stern: Bei uns bleibt — aus gutem Grund — alles beim Neuen. […] Für die deutsche Autorin Juli Zeh („Adler und Engel“), 30, hat die Debatte inzwischen den „Charakter von Bauschaum angenommen: Sie stopft uns Jahr um Jahr die Sommerlöcher.“
Selbstverständlich haben hier nach wie vor die inhalte des geschriebenen priorität vor sprachregelungen. Aber wir möchten die debatte um die rücknahme der Rechtschreibreform auch mal um einen konstruktiven beitrag bereichern. Es ist zwar schön, dass sich Springer und Spiegel um die "nachfolgenden generationen" in Deutschland sorgen: zurückgehen ist aber konservativer kulturkampf, wir gehen lieber nach vorn. […] Wir hoffen, damit verwirrungen aufzulösen, damit auch anderenorts wieder spielraum für das wesentliche entsteht: die inhalte.
Für den Bund für vereinfachte rechtschreibung war die kleinschreibung schon 1924 ein "nahziel". Seinem vorsitzenden Rolf Landolt geht die jetzige Rechtschreibreform denn auch nicht weit genug: "nach der reform ist vor der reform"
Die neue Rechtschreibung ist nicht konsensfähig, weil sich die Übereinkunft, wie man spricht und wie man schreibt, von allein ergeben muss. Die Schreibe muss dem Schreib- und Sprachgefühl entsprechen. Sie darf […] nicht von oben verordnet, sie muss von unten gelebt werden.
Ja! Unten – da sind wir. Unten sind auch die schüler, die «nach gehör» schreiben.
Die Rechtschreibreform […] von 1996 habe zu »Verunsicherung« geführt und gleiche gar einer »staatlich verordneten Legasthenie«. So begründeten vorige Woche einige Chefredakteure, Herausgeber und Verlagsleiter ihre verabredete Rückkehr zur Orthografie wilhelminischen Ursprungs. Einen Beweis der flotten Behauptung sind sie schuldig geblieben.
Der Bestand der in- und ausländischen Bibliotheken an deutscher und übersetzter Literatur sowie die Produktion der belletristischen Verlage wurden damit schlagartig als veraltet deklariert. Brutaler kann man nicht verhindern, daß sich eine ohnehin nicht gerade lesefreudige Generation der Weltliteratur öffnet.
Die Vermittlung literarischer Tradition (und zeitgenössischer Literatur) ist eine ganz, ganz andere Aufgabe als das Einpauken eines verbindlichen Regelwerks. Da ist alte oder neue Rechtschreibung fast gehupft wie gesprungen […].
Die Hauptkatastrophe der Rechtschreibreform besteht gar nicht so sehr in den Änderungen, die sie vorsieht, sondern in der langen Zeit des Übergangs. Die dabei entstehende Unsicherheit wirkt sich auf alle anderen Erziehungsbereiche aus. Die Sprache ist zur Manövriermasse geworden […].
Kein staatliches Gremium sollte über die Orthographie bestimmen. […] Wenn das in den Schulen Verwirrung stiftet – in Ordnung. Verwirrung ist gut.
[…] der fulminante Michael Klett (Klett Verlag) hat sich auch schon zu Wort gemeldet: Man solle die Reform »in kleineren Schritten« zurücknehmen, und – man höre und staune – die Schulbuchverlage sollen in eigener Herrlichkeit über Schrittfolge und Schritttempo dieser Rücknahme bestimmen. Vielleicht muss man in diesem Zusammenhang bemerken, dass der Klett Verlag sein Geld damit verdient, dass er Schulbücher an den Staat verkauft – mit einer »schrittweisen« Regelung lässt sich freilich trefflich langfristig kalkulieren.
Erlaubt ist viel; siehe die 14 Wörterbücher in Word – von Englisch (Australien) bis Englisch (Zimbabwe). Niemand käme auf die Idee, Belize und Trinidad, England und USA in einem großen Rechtschreibrat zu versammeln, um der Sprache Logik, Ordnung und »foneetische« Korrektheit zu verordnen.
Die Rechtschreibreform ist in wesentlichen Punkten verfehlt. Ihre Kritiker müssen es wissen, sie haben sie ja selbst verwässert. Dagegen auftreten hätte man früher müssen. Jetzt wäre ein Zurück ein Schlag ins Gesicht vor allem der Schüler und Lehrer. […] Das Kräftemessen auf der Sommertheaterbühne verlängert aber nur das Chaos, das es vorgeblich bekämpfen will.
11. 8. 2004
Jitz wohlen die die noie Rechschreibeohrdnung wihder rükgengig mache, wo ich mich doch ebe gerade gewönnt habe dran.
Nach meinen 6-jährigen Erfahrungen mit der neuen Rechtschreibung bei Korrekturen für die Zeitschrift «Das Markgräflerland» finde ich die Rechtschreibereform gut.
Wie kann man jahrelang streiten, ob nun «aufwändig/aufwendig» von Aufwand oder eher von aufwenden abstammen soll? […] Man hätte statt der erfolgten Retouchen beispielsweise die Gros(s)?schreibung der Nomen abschaffen können.
Kaum dass in deutschen Landen das Wort «Rechtschreibereform» ausgesprochen war, lagen in der helvetischen Provinz die ersten «reformierten» Lehrmittel auf dem Tisch. Ein bisschen Besonnenheit wäre hier wohl angebracht gewesen.
Hier ein paar einfache Änderungen, welche die Schreibweise vereinfachen und leicht zu lernen sind: aus «th» mach «t», aus «ph» mach «p», Doppelkonsonanten fallen weg. Das wären doch Änderungen, die was bringen […].
Sollten Zeitungen und Zeitschriften die deutsche Sprache unterschiedlich schreiben (mehr als heute), erwarte ich von den Lehrern, dass verschiedene Arten der Rechtschreibung als korrekt gelten. Oder sollen die Schüler mit Rechtschreibung so gestresst werden, dass das inhaltliche Aufnehmen von Texten weiterhin zu kurz kommt?
Natürlich ist die Sprache ein wichtiger Bestandteil unserer Kulturen, aber die deutsche Sprache wurde doch nicht revolutioniert, nur teilweise retouchiert.
Als vor Jahren in Deutschland verlautbart wurde, die Rechtschreibung werde reformiert und an unsere zurzeit gültigen Bedürfnisse der Vereinfachung, wie von allem und jedem, hier aber im Speziellen im Hinblick auf die Aufnahmekapazitäten unserer Auszubildenden, angepasst, liess mich das kalt. Doch dann nahm das Reformwerk Formen an. […] Unsere Verlagswerke, bestimmte ich, mit der Rückendeckung unserer Autoren, sollten weiterhin nach der bewährten klassischen Orthographie gedruckt und publiziert werden. […] Jedenfalls ist ein existentieller Streit im Gange, soviel zeichnet sich ab, geht es doch nicht um weniger als uns selbst, merkt doch endlich auf, Leute!, unsere Sprache und darum, wie sie für alle verbindlich zu schreiben ist — damit wir uns auch schriftlich eindeutig verständigen können, notabene. […] Kann es sein, dass wahlabhängige Politiker bestimmen, wie zu schreiben ist? Kann es sein, dass die Duden-Redaktion bestimmt, wie zu schreiben ist? Nein. Politiker dekretieren heute die Verschickung von Friedenstruppen und morgen das Subventionsgeld für Milchkühe, und das wollen und sollten wir uns nicht bieten lassen, dort, wo es um unser teuerstes Gut, unsere Sprache geht. […] Ein Vorschlag zum Schluss: Unterhalten wir an der Berliner Akademie, deren Vorsitz zurzeit Adolf Muschg innehat, eine ständige Sprachkommission, die wir zu unseren nicht herrschaftlichen, sondern demokratischen Sprachwächtern machen. […] dann haben wir so etwas wie eine vergleichbare Institution, wie sie in Frankreich seit 1635 existiert.
Überlassen wir den politikern so unwichtige dinge wie den globalen umweltschutz und den weltfrieden. Für wichtiges wie die rechtschreibung schaffen wir sich selbst konstituierende ältestenräte — und nennen das auch noch demokratisch. Es steht herrn Muschg natürlich frei, noch eine kommission zu bilden, nur ist dann noch ein problem zu lösen: Wer gibt ihr das weisungsrecht für die volksschule?
Die Reform ist nie angenommen worden, weil nie ein Bedürfnis nach einer Reform bestand. Wir haben uns gegenseitig immer bestens lesen können […].
Dass alle bestens lesen können, ist neu.
Denn es wäre doch eine Illusion anzunehmen, dass sich die neue Schreibunsicherheit durch eine Rückkehr zum Duden von 1991 plötzlich auflöste. Im Gegenteil würde dies auch die wenigen Vorteile der Reform rauben, die das Lesen und Schreiben besser machen. […] Die angezettelte Reform kann aber in ihrem desaströsen Zustand auch nicht den Verlagen überlassen werden, sondern muss politisch zu Ende gebracht werden.
Der ARD-Vorsitzende Jobst Plog sagte: „Übereilte Schritte scheinen uns nicht geeignet, die nach dem Vorstoß zweier Verlagshäuser eingetretene Konfusion zu verringern. Deshalb bleiben wir bis auf weiteres bei den Regeln, die in den Schulen unterrichtet werden.“
Der CDU-Politiker fordert: „Wir müssen der Rechtschreibkommission, die schon die letzte Reform verbockt hat, das Heft des Handelns aus der Hand nehmen!“ Böhr schlägt stattdessen vor: „Die Duden-Redaktion hat täglich mit der praktischen Sprache zu tun – sie könnte den Kompromiss-Vorschlag erarbeiten.“
Herr Schneider, hat die Rechtschreibreform noch eine Zukunft? Wolf Schneider: Ich hoffe nicht! Die Reform ist kaputt, seit die geballte Macht von Springer Verlag, „Spiegel“, „Süddeutsche Zeitung“ und „FAZ“ dagegen aufbegehrt.
Statt uns unsinnige rechtschreibreformen verordnen zu lassen, sollten wir alle die einfachste und wirksamste reform ab sofort selbst durchsetzen. Sie besteht aus einer einzigen regel und hilft allen, vor allem schülern und ausländern, die deutsch lernen: "Alles wird klein geschrieben, außer am satzanfang, ferner eigennamen und ,Du' und ,Sie' in der anrede."
Die Neu-Isenburgerin Angela Föll sammelt als Leiterin der Selma-Lagerlöf-Schule seit sechs Jahren Erfahrungen mit der Rechtschreibreform. […] Föll, die in Neu-Isenburg Stadtverordnete der CDU ist, plädiert dafür, nicht wieder alles umzukrempeln, sondern die Reform zu lockern.
Über die Leidenschaft der Debatte hier zu Lande können sich Österreicher und Schweizer nur wundern. In beiden Ländern denkt man nicht daran, die Reform zu kippen, wie unsere Korrespondenten berichten.
Teutonischer Ernst hat den österreichischen Nachbarn noch immer Rätsel aufgegeben. So sind sich Österreichs Medien und die politische Klasse noch immer nicht sicher, ob die Sache mit der Rechtschreibreform nicht doch in der Abteilung Sommertheater abzulegen wäre. Das Echo auf den in Deutschland so heftigen Disput ist folgerichtig äußerst verhalten. War das Thema nicht seit Jahren erledigt? Warum bläst man es ausgerechnet zur Ferienzeit auf? Die entscheidende Behörde des immerhin zweitgrößten Landes im deutschen Sprachraum, das Unterrichtsministerium in Wien, hält sich vorerst heraus.
Die Schweiz machte wenig Aufhebens von der Einführung der Schreibreform. Es kam weder zu ähnlich verbissenen Kontroversen wie in Deutschland noch zum Wunsch nach einer Volksabstimmung. Das liegt zum einen daran, dass die Schweizer um die Machtverhältnisse zwischen ihnen und dem großen Deutschland wissen. Zum zweiten fühlen sie sich als geborene Dialektsprecher ohnehin nicht zum Hüter des korrekten Hochdeutschen berufen. Vor allem aber kommt darin ihr Pragmatismus zum Tragen, der sich etwa bei der Einführung einer simplen, dafür aber funktionstüchtigen Schwerverkehrs-Abgabe bewährte.
Herzlichen Dank für den mutigen Schritt der SZ aus der Sackgasse Rechtschreibreform […]!
Nur die Deutschsprachigen leisten sich den Luxus, ihre Rechtschreibung durch Groß- und Kleinschreibung zu komplizieren. Auch die jetzige Reform ist hier keine Hilfe. Oder ist es sinnvoll, dass nun geschrieben werden soll: etwas Anderes, im Voraus, die allein Erziehenden?
Ein Hauptargument fürs Zurückschwimmen ist ja immer, „die Bevölkerung“ nehme die Rechtschreibreform nicht an. Ja, wer glaubte eigentlich, die 30- bis 70-Jährigen würden sich freiwillig noch einmal in den Rechtschreibunterricht begeben, noch einmal unbedingt umlernen wollen?
Schrecken erfüllt mich darüber, dass die SZ ins Lager der FAZ und des Professors Theodor Ickler überlaufen könnte.
Die Rückkehr der SZ zur „alten“ Schreibweise aber ist arrogant und verantwortungslos.
Begibt sich die SZ hier nicht auf die sehr deutsche Schiene, die da heißt: Früher war alles besser?
In Wirklichkeit befördert die SZ so, was zu verhindern sie nach außen hin behauptet: die Beliebigkeit in der Orthografie.
Das Lächerlichmachen der Reform ist arrogant – auch gegenüber den Schweizern und Österreichern […].
Der Schulterschluss mit der Redaktionslinie innerhalb der FAZ ist im aktuellen politischen Umfeld unserer Republik sachlich durch nichts zu rechtfertigen.
Herzliches Beileid zur orthografischen Rolle rückwärts.
Den Nachweis, dass wir ein lächerliches Volk sind, sollte man nicht Wirtschaft und Politik allein überlassen.
Ist der SZ-Redaktion schon einmal aufgefallen, wer sich gegen die Rechtschreibreform sträubt? Fast alle sind y-Chromosom-Träger jenseits der Lebensmitte. Vielleicht ist es da etwas schwierig, von alten Gewohnheiten abzuweichen.
Die Reform ist […] auch vom Verfahren her Unsinn, weil kein Minister und kein Ministerialbeamter das Recht hat, die deutsche Sprache und deren schriftliche Wiedergabe neu regeln zu wollen.
Bitte teilen Sie mir den Tag mit, von dem an die SZ in der bewährten Rechtschreibung erscheinen wird. Von dann an werde ich sie für ein Jahr abonnieren.
Die Reform aber bitte konsequent zurücknehmen, einschließlich der ß-Regel, denn Wortungetüme wie „Flussstrecke“ mag ich als Autor nicht.
Für mich war die neu eingeführte Schreibweise keine Reform, sondern eine überflüssige Veränderung.
In Bevölkerung und Parlamenten hatten die oft wirren Ideen der Reformer nicht die geringste Chance.
Dem Leser sollte es gleichgültig sein dürfen, wie viel Mühe der Schreiber aufwenden musste, um ordentliche Texte zuwege zu bringen. Interessiert es jemanden, wie intensiv der Bäcker lernen musste, um wohl schmeckendes Backwerk herzustellen?
Man denke an den Aufstand gegen die Volkszählung in den achtziger Jahren oder den Kampf um die Ladenschlusszeiten, der unlängst die Entscheidungshöhen des Bundesverfassungsgerichts erreicht hat. […] Die Sorgen um die Rechtschreibreform sind so wenig nichtig wie die früheren um die Daten einer Nation oder die Zeiten, zu denen ihre Läden schließen. In allen Fällen sehen sich die Bürger von etwas betroffen, das sie alle, vom ersten bis zum letzten, angeht. Wie im Fall der persönlichen Daten spüren sie auch in der Rechtschreibreform den arroganten Zugriff der Macht auf eine immaterielle Habe, die ihnen teuer ist – teurer als so manches materielle Stück: Dort war es die Intimität der Person, hier ist es das mit allen geteilte und zugleich am innigsten persönlich besessene Gut, die Sprache.
Für eine klare mehrheit gehört die rechtschreibung bekanntlich nicht zum persönlich besessenen gut: stichwort schreiben.
Drittens ist diese Reform auf geradezu groteske Weise rückwärtsgewandt. […] Die angeblich neue Doppel-s-Regelung hatten wir genau so schon einmal unter dem Namen „Heysesche s-Regel“ vor hundert Jahren. Sie ist untergegangen und vergessen worden. Warum wird diese Leiche wieder ausgegraben?
Angeblich neu – hat das jemand behauptet? Übrigens ist auch die von uns befürwortete eigennamengrossschreibung auf geradezu groteske Weise rückwärtsgewandt, weil manchmal das alte besser ist.
Warum sollen alle gleich schreiben? Wieso feiern wir einerseits die Vielfalt regionaler Sprachfärbungen, mühen uns um aussterbende Dialekte, zwingen uns aber andererseits in eine Korsett einheitlicher Schreibweisen? Warum nicht auch hier Vielfalt? Deutschland braucht nicht mehr, sondern weniger Vorschriften bei der Rechtschreibung.
Ja, das ist auch das ziel der neuregelung von 1996 und unserer bestrebungen.
Die SZ-Redaktion unterstützt jede Initiative, die zu einem möglichst einheitlichen Erscheinungsbild der deutschen Schriftsprache führt. Das hat die Reform nicht erreicht. Deshalb strebt die Süddeutsche Zeitung eine Regelung an, die vernünftige Neuerungen übernimmt.
Wie kommt also der Stoibersche Sinneswandel? Kein Wandel, sagt der Ministerpräsident, „ich war nie Anhänger der Rechtschreibreform“. Warum stimmt er dann erst jetzt in den Chor der Kritiker ein? Nun, Stoiber ist es gewohnt, Mehrheiten hinter sich zu haben. Und die Mehrheit der deutschen Medienlandschaft, so wähnt er, schwenkt gerade in Sachen Rechtschreibung um.
2004-08-10
Um die Zukunft der Rechtschreibreform herrrscht in Deutschland weiter erbitterter Streit. Die Präsidentin der deutschen Kultusministerkonferenz (KMK), Doris Ahnen, erteilte am Montag Forderungen nach einer Volksabstimmung eine Absage.
Aufmerksam verfolgen Lehrerinnen und Lehrer der Nordwestschweiz den Streit um die Rechtschreibreform. Ihr Grundtenor: Die Reform sollte nicht rückgängig gemacht werden. Sie sei grundsätzlich sinnvoll und mache es den Schülerinnen und Schülern leichter, die deutsche Sprache zu erlernen und mit ihr umzugehen.
Das Machtwort von Springer-Verlag («Welt» und «Bild»), «Spiegel» und «Süddeutscher Zeitung», die nun ankündigten, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, kam jedenfalls ziemlich spät - und wurde dafür mit dem heroischen Gestus eines Fahrgastes vorgetragen, der angesichts eines hoffnungslos unfähigen Zugführers und eines sich in rasender Geschwindigkeit nähernden Abgrunds die Notbremse zieht. […] Nun herrscht gerade Sommerloch, die ideale Jahreszeit für leidenschaftliche Medienauftritte. […] Sobald die technischen Voraussetzungen geschaffen sind, wollen Springer, «Spiegel» und «Süddeutsche» zur alten Rechtschreibung zurückkehren - aber nicht ganz. Denn Reformvorschläge, die als «sinnvoll» erachtet wurden, könnten durchaus beibehalten werden, hiess es im «Spiegel» und in der «Süddeutschen». Nach richtiger Rückkehr klingt das nicht. Eher nach Reform der Reform.
Seit einigen Jahren platzt er regelmässig ins Sommerloch: der Streit ums richtige Schreiben. Verschärft wird er diesmal durch den Entscheid deutscher Grossverlage, zur alten Schreibweise zurückzukehren. Der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann, ein Reformskeptiker, will auf keinen Fall zurückbuchstabieren.
Auch die Zeitungen «Standard», «Kurier», «Presse», «Krone», «Salzburger Nachrichten» und «Kleine Zeitung» wollen bei der neuen Rechtschreibung bleiben.
Dass der Diskurs in Deutschland bereits im Parteipolitischen versumpft ist und hierzulande der Baselbieter SD-Politiker R. Keller seine Motion von 1998 auch nochmals reaktiviert, stärkt Schiblis These, dass es hüben wie drüben nicht um die Sache, sondern um Profilierung geht.
Weder vor noch nach der Reform hat nach meinen Beobachtungen die Schweiz das ß benutzt. […] Da ja also ohnehin keine Einheitlichkeit der Rechtschreibung existiert (gestern las ich auch, Schweizer Verleger hätten erklärt, sie seien den Neuerungen nie ganz gefolgt), wozu dann die Aufregung über ein mögliches Kippen der «Reform» in Deutschland?
Jeder darf schreiben, wie er will. Aber wer kann das wollen?
Wir. Und andere wohl auch, sonst wäre es nicht so.
Und obwohl selbst Gastgeberin Christiansen gleich zu Beginn süffisant lächelnd fragte, ob wir „nicht eigentlich drängendere Probleme“ hätten, hatte sie eine prima Runde um sich geschart: Neben Rüttgers und Ahnen saßen dort als kompetenter Fachmann auch der Österreicher Karl Blüml, Vorsitzender der Rechtschreibkommission, und ein Schulbuchverleger sowie der Publizist Wolf Schneider als frankophiler Reform-Gegner, der keinen Bordeaux mehr trinken möchte, wenn er sich „Bordo“ schriebe oder so, obwohl das gar nicht zur Debatte steht.
Die neuen Regeln sind weder einfacher noch kürzer als die klassischen.
Um mit einem kontrastierenden Gedankenspiel zu erhellen, um welche Grundhaltung es hier geht: Könnte man es sich vorstellen, daß eine Sprach-Eingreiftruppe von dieser wohl unauslöschlichen deutschen Art die englische Rechtschreibung mal auf Vordermann bringt?
Ja, man könnte es sich vorstellen: Spelling society.
[…] schreibt Heike Schmoll unter anderem, daß die Suchmöglichkeiten in Katalogen, Datenbanken und Textsystemen durch vermehrte Schreibvarianten immens erschwert werden. Das Problem unterschiedlicher Schreibweisen gab es schon immer, zum Beispiel in den mannigfachen Transliterationen […]. Und wenn man heutzutage in immer größeren Verbünden von Datenbanken recherchieren kann, so kann man doch nicht im Ernst erwarten, daß ein einzelner Begriff in immer der gleichen Weise geschrieben wird. Zudem lassen moderne Systeme unscharfe Suchanfragen zu oder machen von sich aus Alternativvorschläge.
Ickler gehört zu den wenigen außerhalb der Rechtschreibkommission, die sich schon 1995 intensiv mit den neuen Regeln befaßt haben.
Schon? Erst!
Insgesamt erlaubt meine Erfahrung nach zwanzig Jahren Deutschunterricht weder das Urteil, die neue Rechtschreibung sei komplett zu verwerfen, noch, sie sei um jeden Preis beizubehalten. Der wichtigste Einwand ergibt sich aber genau aus dieser Feststellung: Hat sich der immense Aufwand dieser Reform gelohnt, von der man selbst bei wohlwollender Betrachtung nur sagen kann, daß sie einige Dinge möglicherweise etwas besser gemacht hat? Die Einheit der Rechtschreibung ist dahin. […] Mögen ihre Normen auch in Teilen willkürlich sein, mochte es auch fragwürdig sein, daß eine nichtöffentliche Instanz wie die Duden-Redaktion quasiamtliche Aufgaben ausübte - der jetzige Zustand, in dem jeder macht, was er will, ist gräßlich.
Die SPD ist fest entschlossen, eine Rücknahme der Rechtschreibreform zu verhindern. Weder in der Kultusministerkonferenz noch unter den Ministerpräsidenten werde es Zugeständnisse an die Reformgegner geben, hieß es am Montag.
Viele Lehrer an seiner Gesamtschule in Berlin-Köpenick hätten es mit der Rechtschreibreform nicht so genau genommen, sagt Alexander Freier. Zumindest nicht in den Klassen, die sich 1998 umstellen mussten. Besonders die älteren Kollegen hätten gerne mal beide Augen zugedrückt. "Die fanden die Reform selber doof", glaubt Alexander.
Ignoranz allenthalben: Die Befürworter der Rechtschreibreform übersahen das Vermittlungsproblem, die Gegner tauchten spät auf.
Natürlich können die Gegner der Rechtschreibreform auf Ungereimtes verweisen. Das gelingt ihnen um so besser, als sie vorsätzlich unterschlagen, wie kompliziert und widersprüchlich Teile der alten Rechtschreibung waren. Der Konsens, dass man im Sinne der Deutsch Lernenden – und damit der Sprache selbst – etwas tun müsse, war während des Reformprozesses der 90er Jahre wesentlich breiter, als die Reformgegner heute wahrhaben wollen.
Interessanterweise sind das aber zugleich diejenigen, die seit Jahren durch die Lande ziehen und den Bürgern in Leitartikeln regelmäßig unter die Nase reiben, dass grundlegende Reformen unerlässlich sind und dass man sich neuen Situationen stets flexibel anzupassen habe ... und eben diese sehen nun den kulturellen Untergang der Republik, wenn es um so etwas Belangloses wie die Frage geht, ob es "radfahren" oder "Rad fahren" heißt!
Aber alles ist besser als die alte, keineswegs "bewährte" Rechtschreibung, deren weitaus zahlreicheren Macken wir meist nur aus Gewöhnung nicht mehr bemerken.
Mit den Änderungen vom Juni 2004 scheinen mir die wichtigsten Sinnlosigkeiten der Rechtschreibreform (vor allem die Getrenntschreibung bei zusammengesetzten Partizipien wie "weit gehend", "besser verdienend", "allein erziehend" etc.) behoben.
Der neuen Rechtschreibung kann man nur vorwerfen, dass sie nicht weit genug gegangen ist, aber nicht, ihre Regeln seien falsch.
Seit Jahren unterrichte ich Deutsch als Fremdsprache und kann – trotz allem gegenteiligen Presse-Jammern – feststellen, dass es die Reform den Schülern tatsächlich ein bisschen leichter macht.
Ausgehend von der bewährten Rechtschreibung soll geprüft werden, welche der Neuerungen allseits anerkannt sind und diese übernommen werden.
Die bewährte kommasetzung hat sich schon mal nicht bewährt: 1. Komma nach «Rechtschreibung» (duden 1991, R 105). 2. Komma vor «und» (duden 1991, R 117, auch heutige regelung; allerdings geht es grammatikalisch nicht ganz auf).
Was das Schreiben erleichtert, erschwert das Lesen.
Nein; eine gute rechtschreibung ist für alle gut.
Die Älteren schreiben nach der alten Schule, die Jüngeren müssen nach der neuen schreiben.
Statt den grundlegenden Blödsinn der Reform anzuprangern […], nämlich Rechtschreibung per Verfügung von oben regulieren zu wollen und sie nicht ihrer natürlichen Entwicklung folgen zu lassen, machen Sie sich auch noch zu Apologeten dieses Regulierungswahns.
Die Neuregelungen erschweren das Textverständnis, sind teilweise sinnentstellend, etymologisch verunklärend, Nuancen nivellierend, die Sprachbetonung verschiebend und zuweilen sogar grammatikalisch falsch ("Er tut mir Leid."). Die vermeintlichen Erleichterungen der Reform sind ausschließlich für den Schreibenden gemacht, nie für den Lesenden.
Karin Wolff (CDU) ist seit 1999 Kultusministerin und seit 2003 auch stellvertretende Ministerpräsidentin Hessens. Die 45-jährige gelernte Lehrerin für Geschichte und evangelische Religion mahnt dazu, in der Debatte über die Rechtschreibreform auch an die Schülerinnen und Schüler zu denken, die nach den neuen Regeln ausgebildet werden und wurden. Eine Wiederinkraftsetzung der "alten" Rechtschreibung mit ihren 52 verschiedenen Kommaregeln lehnt die Ministerin ab.
Für eine Volksabstimmung über die Rechtschreibreform hatte sich am vergangenen Wochenende der Chefredakteur der "Bild am Sonntag", Claus Strunz, gefordert. Gegen eine solches Bürgervotum hatte sich Doris Ahnen, Präsidentin der Kultusministerkonferenz ausgesprochen. […] Nicht nur eigene Gesetzentwürfe sollten die Bürger zur Abstimmung stellen können, sondern auch vom Parlament beschlossene Gesetze - wie z.B. die Rechtschreibreform. "Wenn 500.000 Bürger mit ihrer Unterschrift dazu aufrufen, sollte ein vom Bundestag verabschiedetes Gesetz zur Volksabstimmung gestellt werden", schlug der Mehr Demokratie-Sprecher vor.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist gegen eine Rücknahme der Rechtschreibreform. „Es gibt seitens der Bundesregierung keine Überlegungen, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Hans-Hermann Langguth. […] Langguth erinnerte zudem an die Zuständigkeit der Länder in dieser Frage.
Die dpa gibt aus aktuellem Anlass eine Meldung mit folgender Überschrift heraus: „Schüler Union kritisiert Diskussion um Rechtschreibreform.“ Bei allem Sinn für die gebotene Kürze: Den Vornamen des Schülers Union hätte man schon dazusetzen können. Oder wollte man sich bewusst an Friedrich Torbergs „Schüler Gerber“ anlehnen?
„Grundsätzlich unzufrieden“ mit der Rechtschreibreform ist etwa Marianne Baier, die Vorsitzende des Münchner Lehrerinnen- und Lehrerverbandes. […] Das einzige Argument für erneute Änderungen ist laut Baier deshalb „eine mutige Reform“, die wirkliche Vereinfachungen brächte und etwa die Groß- und Kleinschreibung als „größte Fehlerquelle“ abschaffen würde.
Seit Samstag erreichen uns täglich Hunderte von Anrufen, E-Mails und Briefen, in denen Leser der Süddeutschen Zeitung ihre Meinung zur öffentlich diskutierten Rücknahme der Rechtschreibreform bekunden.
Mit mehr als 40 Dienstjahren als Gymnasiallehrer kann ich mir ein Urteil darüber erlauben. Keinen Tag habe ich an die Dauerhaftigkeit dieser blödsinnigsten aller bisherigen Reformen im Bildungsbereich geglaubt.
Herzlichen Glückwunsch zu der Entscheidung, zur korrekten deutschen Rechtschreibung zurückzukehren!
Ich möchte allen Verantwortlichen und Mitarbeitern der SZ […] danken, aber auch gratulieren, dass sie sich nicht von staatlicher Seite vorschreiben lassen wollen, wie zukünftig geschrieben werden soll.
Wenn die SZ die Rechtschreibung umstellt, bin ich ihr unendlich dankbar. Ich danke ihr als Journalist und Werbetexter. Ich danke ihr als Vater zweier Söhne, von denen einer nächstes Jahr eingeschult wird. Ich danke ihr als Demokrat, der die Anmaßung der Reformclique nie hingenommen hat.
Band 10 dieser Reihe – John Irvings „Das Hotel New Hampshire“ – habe ich nach ein paar Dutzend Seiten beiseite gelegt, weil ich es nicht ertrug, mich unentwegt über eine fehlerhafte Interpunktion […] und Rechtschreibung zu ärgern (gerißen, rißig, angebißen, naßen).
Die Rechtschreibreform ist eine der größten Dummheiten, die von der Intelligenz je gemacht wurden.
Mit einigem Entsetzen entnehme ich der SZ, sie plane, wieder die so genannten alte Rechtschreibung zu nutzen.
Die Entscheidung der SZ ist ein weiterer Beweis für die Reformunfähigkeit dieses Landes.
Ich finde es schade, dass die SZ zur alten Rechtschreibung zurückkehren will.
Mit Verwunderung lese ich, dass auch die SZ wieder die alte Rechtschreibung einführen will und sich damit dem Kreis der Ewiggestrigen anschließt.
Von der SZ hätte ich in Sachen Rechtschreibreform etwas mehr Seriosität erwartet! Bei der Bild-Zeitung ist es wohl egal, in welcher Rechtschreibung sie erscheint, denn die Mehrheit ihrer Leser wird den Unterschied sowieso nicht wahrnehmen […].
Die Liste der widersinnigen Schreibungen ist bei der alten Rechtschreibung wesentlich länger als bei der neuen. Die Rückkehr zur alten Rechtschreibung wäre ein Beweis für Immobilität und Denkfaulheit der Deutschen. Es muss doch möglich sein, die offensichtlichen Schwächen der neuen Rechtschreibung zu korrigieren, ohne sie gleich ganz aufzugeben.
Am einfachsten und vernünftigsten erscheint mir: 1. Übernahme der nach 1945 eingeführten Kleinschreibung im Niederländischen und im Dänischen.
2004-08-09
Die grossen Verlage in Österreich und in der Schweiz wollen dem Aufruf von Spiegel und Springer nicht folgen. In Deutschland lehnt die Mehrheit der Bundesländer eine Rückkehr zur alten Regelung ab. Umso lauter machten gestern Reformgegner auf sich aufmerksam - etwa der Ministerpräsident Niedersachsens, Christian Wulff. Es sei an der Zeit, «das Scheitern der Rechtschreibreform» einzugestehen, sagte er.
Die vorab in den deutschen Feuilletons geführte Debatte trug über weite Strecken den Charakter einer Ersatzdebatte, die vor allem der Profilierung einiger Reformgegner und der Ablenkung von ihrem mittlerweile verwelkten Polit-Engagement diente. […] In vager Erinnerung an das Antikriegs-Engagement der sechziger und siebziger Jahre witterte mancher Geistesarbeiter die Chance, sich doch noch einmal in radikaler Systemkritik zu üben. […] Die Herren Reich-Ranicki, Walser, Enzensberger, Muschg etc. — allesamt Autoren in vorgerücktem Alter — haben mit Erfolg einen Reformprozess verweigert, an dem sie sich nicht aktiv beteiligt hatten, als die Dinge noch im Fluss waren. […] Ihr Erfolg beruht auf einer unheiligen Allianz von muffiger Reformfeindlichkeit und diffuser Staatsferne. Und er vermag nicht zu kaschieren, dass den meisten Intellektuellen deutscher Zunge zu brennenden Zeitfragen […] schlicht nichts mehr einfällt.
In der Schweiz stösst die neue Rechtschreibung also auf mässigen Widerspruch - in Deutschland hingegen gerät sie unter massiven Druck.
Dass die Reform gefährdet ist, mag richtig sein, gekippt freilich ist sie noch lange nicht. […] Bedenklich stimmt es, wenn die genannten Grossverlage die Abkehr von der neuen Regelung nun unter die etwas demagogische Begründung stellen, die Mehrheit der Bevölkerung sei gegen die neue Orthographie. Denn ginge es danach, so wäre vermutlich jede Rechtschreibregelung überflüssig. Unverhältnismässig ist es, die erst fünf Jahre nach Übernahme der Neuregelung vollzogene Rückkehr zur alten Rechtschreibung als einen […] «Akt des zivilen Ungehorsams» zu bezeichnen. […] letztlich wird die Wirklichkeit das derzeit tatsächlich bestehende Durcheinander spielend lösen: In drei Jahrzehnten werden die heutigen Grundschüler auf den Sesseln der jetzt amtierenden Chefredaktoren sitzen; Grass und Enzensberger werden von einer neuen Schriftstellergeneration abgelöst sein; in den Verlagen werden Lektoren sitzen, die heute erst das Schreiben und Lesen lernen: Niemand wird mehr von der Reform reden […]. Und wohl wird man auch, ohne zu zögern, in dem getrennt geschriebenen sitzen bleiben die Mehrdeutigkeit erkennen, wie man ohnehin gelernt hat, die Sprache als etwas — glücklicherweise — Schillerndes, nie gänzlich auf Eindeutiges und Wortwörtliches Festlegbares zu begreifen.
Jetzt fahren Spiegel und Bild schwere Geschütze auf: Eine Konterrevolution muss her, obwohl es eine Revolution nie gegeben hat. Das Zentralorgan der deutschen Intellektuellen im Verbund mit dem der deutschen Prolos – im Durchschnitt wird daraus solides deutsches Mittelmaß, das jeglicher Reform widersteht.
Über die Ankündigung einiger Medienkonzerne, ab heute wieder die frühere Orthografie einzuführen, äußert der Philosoph Peter Sloterdijk in der Financial Times Deutschland vom Montag Unverständnis: „Die Verlage sind genauso wenig befugt, eine Rechtschreibreform durchzuführen[,] wie die Kommission, die das seinerzeit beschlossen hat. […]“, so Sloterdijk. Tatsächlich könnten nur die Schreibenden selbst entscheiden – „die Schriftsteller und das alphabetisierte Volk“.
Warum sollen verlage und die entscheider über die schulrechtschreibung nicht zum alfabetisierten volk gehören?
Die Bild am Sonntag, auch BamS genannt, erschien gestern in neuer Form am Kiosk. […] Auffälliger, als die Neuerungen es sind, ist in der BamS ohnehin eine Haltung, die sich im Umgang mit dem Streit über die Rechtschreibreform wieder schön zeigt. Am Freitag hatten das Magazin Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und der Springer Verlag bekannt gegeben, zur alten Rechtschreibung zurückkehren zu wollen. Und während die Bild-Zeitung mit blindem Hurra auf den Konzernkurs einschwenkt, berichtet die Bild am Sonntag wohltuend differenziert und sachlich über den Vorgang.
[…] die Debatte über die Reform der Rechtschreibung ist durchaus symptomatisch für die derzeitige Lage in Deutschland. […] Vor einigen Jahren sagte der damalige Bundespräsident Roman Herzog, es müsse ein Ruck durch Deutschland gehen. Doch an dem Ringen um eine neue Rechtschreibung sieht man, wie es wirklich um Deutschlands Reformwillen steht: Gewünscht wird der Ruck zurück.
Vor Jahren habe ich hier geschrieben, dass die Rechtschreibreform überflüssig sei wie ein Kropf. Vieles daran ist seltsam, manches sinnvoll, revolutionär ist sie wirklich nicht. Eines aber war und ist für unsere Haltung und Schreibweise entscheidend: Sie ist gültig für 12,5 Millionen Schüler, sie wird seit sechs Jahren in den Schulen gelehrt, und sie ist wichtig für das schulische und berufliche Fortkommen von Millionen Schülern.
Eine neue Allianz aus Presse und Politik will die Rechtschreibreform kippen – ohne große Chance. […] Seit Wochen planten sie diesen Coup. Springer-Chef Mathias Döpfner heckte ihn aus. […] Mehrmals pro Woche telefonierte Döpfner mit „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust und FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, dessen Zeitung schon 2000 zum alten Deutsch zurückgekehrt war. […] Das ungewöhnliche Bündnis versuchte, die anderen Großverlage zum Mitmachen zu überreden – mit bescheidenem Erfolg.
Die Axel Springer AG und der Spiegel-Verlag hatten am Freitag die "schnellstmögliche" Umstellung auf die alten Schreibweisen angekündigt, die "Süddeutsche Zeitung" will folgen. […] Der Vorsitzende der zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, Karl Blüml, hat den zur alten Rechtschreibreform zurückgekehrten Verlagen "pädagogische Verantwortungslosigkeit" vorgeworfen. […] Die Autorin Noll erklärte, Sprache sei ein Teil der Kultur, die Rechtschreibung sei aber nur ein Hilfsmittel. "Darum so viel Wind zu machen, finde ich kleinkariert." Autor Wolfgang Menge erklärte, ihm sei unklar, warum die Initiative jetzt komme: "Wahrscheinlich hängt das mit dem Sommerloch zusammen." Der Philosoph Peter Sloterdijk nannte die Verlage "genauso wenig befugt, eine Rechtschreibreform durchzuführen, wie die Kommission, die das seinerzeit beschlossen hat. Das sind zwei Formen der Anmaßung, die sich gegenseitig aufheben". Dagegen sagte Kempowski, er habe sich "sehr gefreut" über die Initiative der Verlage und hoffe, dass ihnen andere folgten.
Vor allem die Politik ist plötzlich wieder tief gespalten über Fluch und Segen der Rechtschreibreform und intoniert selbst innerhalb ein und derselben Partei eine Kakophonie über Fluch und Segen der Rechtschreibreform.
Nur wenige sehen in der Entscheidung der Axel Springer AG und des Spiegel-Verlags einen Grund, ebenfalls für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung zu votieren. Im folgenden die Positionen der 16 Bundesländer.
Da wir (und gewiss auch andere meiner Altersgruppe, bzw. Jüngere) uns jetzt irgendwie umgestellt haben (wird "keineswegs" nach der neuen Schreibung so, oder "keines Wegs" geschrieben?) , appelliere ich an die FR, bitte die neue Rechtschreibung beizubehalten.
Liebe FR, als Spiegel- und FR-Abonnent moechte ich Ihnen mitteilen, dass ich die Entscheidung von Spiegel+Springer sehr begruesse. Waere das nicht auch der Zeitpunkt fuer die FR, sich hier anzuschliessen?
Das Volk hat weit größere Primärprobleme als Kommaverschiebung oder ähnliche Mickrigkeiten, für die dann wiederum Konferenzen sich den Hintern platt sitzen würden.
Jetzt scheint, am Rande des weiten Feldes namens Reformpolitik, ein Refugium für Nostalgiker auf: In der Debatte um die Rechtschreibreform wird der Konservativismus nach seinem Ende noch einmal simuliert.
Vorschläge der Reformer, die von der schreibenden und lesenden Mehrheit als sinnvoll erachtet werden, könnten durchaus in Zukunft übernommen werden. Aber eines hat der anhaltende, wachsende Widerstand gegen die Neuregelung - mittlerweile eine eindrucksvolle, parteiübergreifende Bürgerbewegung - klar gemacht: Die Sprache gehört nicht der Kultusbürokratie. Sie ist Kern der Demokratie. Sie lässt sich nicht auf dem Verordnungswege vergewaltigen. Wir hätten damals auf Rudolf Augstein hören und den ganzen Unsinn nicht mitmachen sollen. Aber es ist ja nicht zu spät. Sobald die technischen Voraussetzungen geschaffen sind, wird der SPIEGEL zur alten Form zurückkehren. Und er wird nicht allein bleiben.
Herr Augst, die Verlage, die jetzt zur alten Schreibweise zurückkehren wollen, erklären die Arbeit der zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung, deren stellvertretender Vorsitzender Sie sind, für sinnlos. Sind Sie mit dem Reformwerk gescheitert? [Augst:] Das wollen wir nicht hoffen. Wir haben eine gute Reform gemacht und sind entsetzt über das, was derzeit passiert.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert die Kultusministerkonferenz auf, an der Rechtschreibreform festzuhalten und sich nicht von den Alleingängen verschiedener Verlage unter Druck setzen zu lassen. "Es ist unverantwortlich, wir hier auf Kosten von Kindern, Eltern und Schulen Stimmung gemacht wird, um das Sommerloch zu füllen und die eigene Macht zu demonstrieren", so Marianne Demmer, die Schulexpertin im Geschäftsführenden Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
2004-08-08
Springer, der Spiegel und die "Süddeutsche Zeitung" wollen dem Beispiel der "FAZ" folgen und zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Ein Gespräch mit den Verantwortlichen. […] Herr Aust, warum kehrt der Spiegel nach fünf Jahren zur alten Rechtschreibung zurück? [Aust:] Es kann nicht angehen, daß eine kleine Gruppe von Experten eine Neufassung der deutschen Sprache beschließt, ohne zu berücksichtigen, ob die Bevölkerung das eigentlich will oder ob es notwendig ist.
Herr Kilz, alte Rechtschreibung, neue Rechtschreibung: Was ist die Haltung der "Süddeutschen Zeitung" in dieser Sache? [Kilz:] Wir müssen jeden Tag eine Zeitung machen, da braucht man einen zielorientierten Pragmatismus, und das heißt: möglichst wenige Orthographiefehler. Mit der neuen Rechtschreibung wurde das nicht erreicht. […] Ich wurde von meinen früheren Kollegen beim Spiegel angesprochen, wie wir das denn nun handhaben sollten mit der Rechtschreibung und ob man darüber reden könne, und dann wurde ein Treffen in Hamburg vereinbart zwischen Spiegel, Springer und der "SZ", vertreten von unserem Rechtschreibexperten Hermann Unterstöger. Auch von Suhrkamp nahm jemand teil.
Herr Döpfner, Zeitungen und Verlage unterschiedlicher politischer Richtungen schließen sich zusammen, um eine Reform zu Fall zu bringen. Ist das, was wir gerade erleben eine Rebellion? [Döpfner:] Wenn F.A.Z., "Süddeutsche Zeitung", Spiegel, "Welt" und "Bild" einer Meinung sind, dann muß es ein wirklich übergeordnetes Interesse geben. Das ist hier der Fall. Es geht um die deutsche Sprache. Die Rechtschreibreform war von Anfang an mißglückt. Nach fünf Jahren Erprobung gibt es Menschen, die nach alter Rechtschreibung schreiben, Kinder, die die reformierte Rechtschreibung lernen, Verlage, die ihre eigene Version der Reform umgesetzt haben, und seit einiger Zeit gibt es noch eine überarbeitete Form der Reform. Das Ergebnis ist Chaos. […] Wenn auf diese Entwicklung die Politik, die das ganze Unheil in Gang gesetzt hat, nicht reagiert, müssen die Hauptbetroffenen, die Verlage, handeln. […] Unser Vorstoß ist ein Appell zur Umkehr, und wir hoffen, daß dem möglichst schnell möglichst viele folgen.
Auch die Rechtschreibung fällt in ihren Verantwortungsbereich. Das macht Schavan zu einer der gefragtesten Politikerinnen dieser Tage, ist sie doch auch Sprecherin in allen Bildungsfragen der CDU-geführten Länder in Deutschland. Sie selbst hat die Rechtschreibreform mit beschlossen und hält an ihr fest. Auch jetzt, da sich vier Ministerpräsidenten der Union für eine Abschaffung der Reform stark machen und mit der Axel Springer AG sowie dem Spiegel zwei Großverlage angekündigt haben, zur alten Rechtschreibung zurückkehren zu wollen, bleibt sie gelassen. "Ich rate zur Besonnenheit", sagt sie. Sie sagt es so ruhig, als würde eine Rücknahme der Reform nicht eine gewaltige Niederlage für sie bedeuten. "Die Vorstellung, dass mit einem schlichten Zurück Ruhe einkehren würde, ist doch illusorisch."
2004-08-07
«Die BaZ bleibt vorderhand bei der neuen Rechtschreibung», sagt Chefredaktor Ivo Bachmann. Für den Chefredaktor des «Tagesanzeigers», Peter Hartmeier, hat sich mit den Entscheiden in Deutschland aber auch bei uns etwas geändert. Er will deshalb mit anderen Schweizer Verlagen Kontakt aufnehmen, um gemeinsam zu einer Neubeurteilung zu kommen. Bei der «Neuen Zürcher Zeitung» sieht man keine Notwendigkeit, sich abzusprechen.
Sechs Jahre nach Einführung der deutschen Rechtschreibreform werden das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», die «Bild»-Zeitung und die «Süddeutsche Zeitung» zu den alten Schreibweisen zurückkehren, zusammen mit sämtlichen andern Titeln der drei Grossverlage.
Wenn nun die Behörden im Rückwärtssalto wieder andere Regeln festlegen, deren Referenz völlig unklar ist, dann führt das zu riesiger Unsicherheit. Ich hoffe, dass die deutsche Kultusministerkonferenz hart bleibt, sonst droht ein Scherbenhaufen.
Der «Focus»-Verlag Burda erklärte, man wolle den Kampf um die Rechtschreibung nicht auf dem Rücken der jungen Leser austragen. Bindend sei, was in der Schule gelehrt werde.
Auf die Rechtschreibung in der NZZ hat der Beschluss der deutschen Grossverlage derzeit keine Auswirkungen.
Sollte nach den Entscheidungen der Medien jetzt eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung beschlossen werden, müssten im Oktober alle Kultusminister, die am 3. Juni für die Reform stimmten, ihre Meinung ändern und dagegen stimmen. Die KMK ist ein so genanntes Einstimmigkeitsorgan, wenn ein Land dagegen stimmt, tritt die neue Regel nicht in Kraft. Theoretisch wäre es sogar möglich, dass jedes Bundesland seine eigenen Regeln einführt.
Gegen die Rückkehr zur alten Rechtschreibung haben sich unter anderem die Frankfurter Rundschau sowie die Magazine Stern und Focus ausgesprochen. Hier werde "im Zusammenspiel zwischen Journalismus und Politik eine Kampagne vorangetrieben", wetterte Focus-Chefredakteur Helmut Markwort.
Das Gift der Kompromisslerei zwischen Bund und Ländern, Interessengruppen und Parteien verseucht jeden Ansatz, jeden klugen Entwurf einer konsequenten Reformpolitik, gleich, ob für den Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen oder eben die Rechtschreibung.
Wenn Sie es sich aussuchen dürften – wie wollten Sie schreiben? 1. Ich bevorzuge nach wie vor die alte Rechtschreibung (62% stand 7. 8., 53,5% stand 13. 8.). 2. Ich habe mich an die neue Schreibweise gewöhnt (26%, 32,5%). 3. Ich wünsche mir eine weitere, aber ordentliche Reform (12%, 14%).
Richtig weg war sie nie – nicht im Alltag, nicht in der Literatur. Die klassische Rechtschreibung hält sich zäh. Nun kehren auch Springer und Spiegel zu ihr zurück.
Kaum jemand hat sich die Mühe gemacht zu prüfen, wo das Projekt zu Erleichterungen und Vereinheitlichungen führt (zum Beispiel in Sachen "ß" und "ss") und wo fehlende Praxistauglichkeit als erwiesen gelten kann (zum Beispiel bei der Getrenntschreibung). Statt dessen verschanzt man sich in Maximalpositionen und überhöht sie, vor allem auf Seiten der fundamentalistischen Gegner, mit Grabreden auf die ganze deutsche Sprache.
Weder Ümläüte noch das ß, Geißeln der Computerwelt, sind abgeschafft. Ebensowenig die Großschreibung […]. Stattdessen reformiert man, ohne dabei aber den Lernaufwand nennenswert zu verringern, die Auseinander-oder-zusammen-Schreibung […], ändert ohne Not die Vokale einiger Wörter […], verballhornt Fremdwörter […], ersetzt eine sinnlose Trennregel (Trenne nie st, denn es tut ihm weh) durch eine andere (Trenne nie ck, denn es geht ihm nah) und verkauft's vor allem als Riesenfortschritt, ß nach kurzen Vokalen durch ss ersetzt zu haben.
Der Mainzer Regierungschef Kurt Beck (SPD) sieht keinen Handlungsbedarf […]. Er könne sich auch nicht erklären, warum es so schlimm sein solle, wenn Delfin mit f geschrieben werde, sich beim Wort Fotograf aber niemand aufrege. Beck nennt die neue Diskussion um die Reform, die 30 Jahre lang vorbereitet worden sei, ein reines Sommerthema. […] Die Sprecherin des Cornelsen-Verlags in Berlin, Irina Pächnatz, sagt: Diese Umstellung ist absurd. Es gibt sechs Millionen Schüler, die keine andere Rechtschreibung kennen.[…]
Doch im Gegensatz zu Deutschland gab es in Österreich mit der Umsetzung bislang keinerlei Probleme. […] Sämtliche Schulbücher sind in Österreich seit Jahren auf die neuen Rechtschreibregeln umgestellt. Erst kürzlich ergab eine im Auftrag des Unterrichtsministeriums erstellte Studie, dass die Rechtschreibsicherheit der Jugendlichen durch die neuen Regeln deutlich zugenommen hat […]. Im Gegensatz zu anderen Themen, bei denen innerdeutsche Diskussionen mit etwas Verzögerung nach Österreich überschwappen, sind in Sachen Rechtschreibreform keine Aufstände zu erwarten. […] Auch in der Schweiz löst die deutsche Debatte eher Erstaunen aus.
Wir werden uns gedulden müssen, bis die Schreibung wieder einheitlicher wird wenn wir es denn überhaupt als dramatisch empfinden, dass es mehrere Optionen gibt. Mindert es die Klarheit der Schriftsprache wirklich, wenn sie über einen gewissen Zeitraum, oder gar auf Dauer, in einzelnen Fällen mehrere Schreibweisen zulässt? Nein und was Springer und Spiegel gestern als Vorgabe präsentiert haben, nach der die Nation sich nun richten solle, wirkt ziemlich anmaßend, in dieser Form auch undemokratisch. Und es geschieht nicht zum Nutzen der Kinder, sondern wird sie verwirren; falls sie Zeitung lesen.
Die Geschichte der Rechtschreibreform gleicht der aller anderen Reformen, sie ist lang, beschwerlich, ruhmlos und chaotisch. […] Dies jüngste und traurigste Kapitel der deutschen Reformagenda begann vor sechs Jahren. Damals beschlossen die Kultusminister, sich der Rechtschreibung anzunehmen […]. Von da an ging's bergab.
Die kultusminister haben sich der sache nicht angenommen, sie sind dafür zuständig
Müller: […] bisher habe ich zu kaum einem Thema so viele schriftliche Reaktionen bekommen wie zu meiner Forderung, zu den alten Regeln zurückzukehren. Es waren sicher mehrere hundert Zusendungen, und 90 Prozent der Absender haben mir zugestimmt, nur zehn Prozent haben die Rechtschreibreform verteidigt.
An Österreich geht die deutsche Diskussion vorbei. Vorerst bleiben alle wichtigen Medien, auch der KURIER, bei den reformierten Rechtschreibregeln laut Duden.
Gott ist unbeweisbar, die politischen Strukturen bröckeln, alle Grenzen verstückelt, undurchsichtig das Weltall, die Lebensmittel nur noch Geschmacksverstärker, wer weiß, wie lang die Flüsse noch stromabwärts fließen, und auch sonst, wenn sogar Griechenland Europameister wird, kann man sich auf nichts und niemand mehr verlassen und dann auch noch die Rechtschreibung? Alles, was Recht ist. […] Die Argumente dagegen kamen aus allen Löchern, reichten vom Vorwurf der Inkonsequenz über die Ästhetik, Unvermittelbarkeit, hoher Kosten bis zum Wozu brauchen wir jetzt das. Im Kern aber wurde und wird Sprache wohl als etwas Gottgegebenes und Unabänderliches angesehen, als virtueller Gradmesser seiner eigenen Gültigkeit, Kindheitsrelikt, Restidentität, Erbgut, was auch in der immer latenten Angst vorm Sprachverfall zutage tritt - ohne einzusehen: Sprache ist lebendig, verändert sich, sonst würden wir immer noch so sprechen wie im Hildebrandslied oder im Muspili.
6. 8. 2004
Die zum Spiegel-Verlag und zu Axel Springer gehörenden Titel, die nach eigenen Angaben rund 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erreichen, werden ihre Schreibweise «schnellstmöglich umstellen».
Die zu beiden Verlagen gehörenden Titel, die rund 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erreichen, werden ihre Schreibweise schnellstmöglich umstellen. SPIEGEL-Verlag und Axel Springer AG fordern andere Verlage auf, ebenfalls zur alten Rechtschreibung zurückzukehren und damit gemeinsam dem Beispiel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu folgen […]. Ziel dieser Maßnahme ist die Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung. […] Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG[,] und Stefan Aust, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, betonen: "Wir befürworten sehr dringend notwendige und sinnvolle Reformen in unserer Gesellschaft. Doch die Rechtschreibreform ist keine Reform, sondern ein Rückschritt. Die deutsche Sprache braucht keine kultusbürokratische Überregulierung. Spätestens die neuerliche Reform einer ohnehin unausgegorenen Reform führt ins völlige Chaos. […]"
2004-08-05
Insofern haben die geplagten Lehrer jetzt vielleicht die Rolle des gescholtenen Buchdruckers Balhorn inne, die Zeug unters Volk bringen sollen, das andere verbrochen haben, wenn sie den Schülern die sogenannte Rechtschreibung beibringen […].
2004-08-04
Ehrlich staune ich oft über manche Leserbriefe und Beiträge zur neuen Rechtschreibung, in denen pingelig irgendwelche Details genannt werden, an denen man sich trefflich hochziehen und den Untergang der deutschen Kultur beklagen kann. Ich selbst als Vielschreiber und -leser mit großem Latinum und Graecum […] habe die neue Rechtschreibung als Offenbarung begrüßt, wegen ihrer wesentlich größeren Logik und ihrer größeren Freizügigkeit. […] Ob man Einzelheiten noch ändert, sollte den Fachleuten überlassen bleiben, auf jeden Fall nicht den Alten und nicht den Politikern.
2004-08-03
Dreizehn junge Chinesinnen saßen 36 Monate in einem Büro in Nanjing und tippten zur Sicherheit gleich zweimal die 300 Millionen Zeichen des Grimmschen Wörterbuches ab. Die Frauen können kein Wort deutsch. Sie haben keine Ahnung, welche Schönheiten ihnen beim Abschreiben entgingen. Zum Beispiel gleich der erste Eintrag: „A, der edelste, ursprünglichste aller laute, aus brust und kehle voll erschallend, den das kind zuerst und am leichtesten hervor bringen lernt ...“ Wie viele Fehler hätte hier nicht ein Abschreiber machen können, der auch ein Leser gewesen wäre? Wäre er nicht über die konsequente Kleinschreibung gestolpert? Wäre er nicht geneigt gewesen „hervorbringen“ zu schreiben, wie wir es gewohnt sind und überraschend auch nach der neuesten Reform weiter tun können?
Es gibt Streit unter Politikern über die neue deutsche Rechtschreibung. Manche von ihnen wollen die alten Regeln wiederhaben.
2004-08-02
Mehrere deutsche Verleger widersprachen dem Verband der Schulbuchverlage, der vor den Kosten einer Rücknahme der Reform warnt. "Die langfristige wirtschaftliche Belastung durch die weitgehend absurde Rechtschreibreform ist mit Sicherheit höher zu veranschlagen als die kurzfristigen Mehrkosten für eine Rückführung", sagte Wolfgang Balk, Verleger des Deutschen Taschenbuchverlags, der Sonntagszeitung.
Das Ende der ständigen Nachbesserungen würde Kosten sparen und wäre verantwortungsvoll gegenüber den Schülern, die noch gezwungen sind, in mehreren Rechtschreibwelten zu leben.
Hat vielleicht in den anscheinend etwas verkrusteten schülergehirnen noch unsere rechtschreibwelt platz?
Unsere Sprache geht weniger durch die Rechtschreibreform vor die Hunde als durch das gedankenlose Nachplappern englischer Ausdrücke und ihre Übernahme in die deutsche Sprache und Schrift.
Was tun? Die Beibehaltung des jetzigen Zustands ist undenkbar. Aber zur Rückkehr zur alten Rechtschreibung ist es schon zu spät. Sie hat sich bewährt, doch heilig ist sie nicht. So läuft alles auf einen Kompromiss hinaus, einen wohlbedachten, nicht wohl bedachten.
Weit gehend spurlos scheint die leidenschaftliche Diskussion um die Orthografie an den Menschen vorbeizugehen, die Deutsch lernen wollen. Von einer "Massenflucht aus dem Deutschunterricht kann nicht die Rede sein", betont das Goethe-Institut. […] Dass Lernende von der Umstellung kaum etwas mitbekommen haben, verwundert indes weniger: Nur wenige dürften mit den alten Regeln vertraut gewesen sein.
8. 2004
Die dt. RS ist historisch gewachsen, d.h., sie hat allen Versuchen systematischer Veränderungen widerstanden. Es soll hier gezeigt werden, daß die deutsche Rechtschreibung, ähnlich wie der englischen und französischen, eine ästhetische Qualität besitzt und einen unschätzbaren Beitrag zur kulturellen Identität des deutschen Sprachraums leistet.